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Triffst du auch Hellas und Islam beisammen,
Wirst nicht den Dichter deshalb verdammen, —
Blau oder rot, — es sind immer Flammen!
 
Prologus

Gedanken an Gefühle reihn — wär's wahr, daß solches Dichten sei?
Auch dünkt mich, daß der Reime Tanz noch Poesie mitnichten sei;
Nur weiß ich, daß ich niemand weiß, der über Liebe, Schönheit, Lenz,
Glückseligkeit und Poesie, gelehrt genug zu richten sei.

 

IV.
Ghaselen

 

1.
Widmung an H.
der in einem Ghasel das Ghasel besang.

Meiner Fahrt nach Osten Beute, das Ghasel,
Nimm, o Freund! und gütig deute das Ghasel!
Blöder Ohr vernahm des Orients Wohlklang nicht,
Spielwerk schalten selbst Gescheute das Ghasel;
Deshalb Dank dir, der du lehrest im Gewand
Des Ghaseles, was bedeute das Ghasel;
Wie der Erde Zentrum, wie des Menschen Geist,
Eint, was Willkür roh zerstreute, das Ghasel;
Jetzt erklingt als Alpenglöcklein glücklich still,
Jetzt als Grabesschmerz-Geläute das Ghasel;
Stets doch tröstete die Trüben, wie ich sah,
Und die Heitern stets erfreute das Ghasel!
Segen dem, der es zuerst erschallen ließ, —
Segen dem, der es erneute, das Ghasel!
Laßt sie's schmähen, laßt sie's loben, immerhin,
Warme wie auch kühle Leute, das Ghasel!
Tief vom Herzen, tief zu Herzen, frisch und froh,
Schalle morgen, schalle heute das Ghasel!

2.
Der Rhythmen Ozean mit frischer Flut vermehr' ich,
Des Klanges aus Schiras Nachklang zu sein, begehr' ich;
Belächelt ihr der Franken heisern Ton, ich lob' es, —
Doch daß ihr diesen Ton belächelt, das verwehr' ich;
Seit Allah mir gegönnt, dem Wundersang zu lauschen,
Wie fühlt sich meine Seele frei! wie leicht entbehr' ich!
Drum horcht mir! wie man Schmerz, der doch nur Luft ist, hinhaucht,
Und dafür Lebens-Ostluft in sich schlürft, das lehr' ich;
Mit Timur nicht den Süd, die Welt nicht mit Iskender, —
Mich selber nur, wie du, o Schmetterling, verzehr' ich;
Suleika! dir zu lieb, ein schon verstörtes Herz
Mit frischer Liederglut entzünde ich, verheer' ich;
Die Welt schwatzt dies und das, und nennt's dann: Ruhm und Schande;
Hafis! nur dein Geschwätz belausche ich, verehr' ich.

3.
Weshalb wendet man das Ohr ab, wenn der Mollah spricht? warum?
Weshalb horcht man nur so gern aufs täuschende Gedicht? warum?
Wenn mich Fatme's Hand berührt, so überläuft mich's wonnevoll, —
Immer muß ich lächeln, blick' ich ihr ins Angesicht, warum?
Billig rügt man Schmähung; aber Unsinnschwatzer, die den Leuten
Bange machen, weshalb zieht man sie nicht vor Gericht? warum?
Ach! warum — ruft Fatme schmerzlich — drückt Suleicha's Hand Jussuf,
Da er doch an jedem Morgen Treue mir verspricht? warum?
Sagt, ihr Schriftgelehrten! wie nur kommt es, daß derselbe Vers
Mühsam aufgeputzt, mißfällt? und doch gefällt er schlicht; warum?
Vieles wüßt' ich noch zu fragen; Eines aber wüßt' ich gern:
Weshalb irrt des Dichters Herz so lange, bis es bricht? warum?
Laßt euch nicht betrügen! euer Dichter, dünkt mich, ist ein Schalk;
Wenn er alles das nicht wüßte, fragt' er sicher nicht, warum?

4.
Nun Allah Rauch geopfert, und Lob gezollt der Pfeife!
Denn wer dem Oriente, der ist auch hold der Pfeife;
Nur Nasenüberbildung und Weibsgeplauderlust
Und hypochondrisch Zweifeln: ob's fromme? grollt der Pfeife;
Du, hauche Schmerz und Unmut in blaue Wölkchen aus,
Vertrau' ihn, wenn die Welt dir, der Himmel schmollt, der Pfeife!
Ihr trefflichsten Gedanken! im Freundeskreis gereift,
Nicht dumpfer Schule Bronnen, — nein, ihr entquollt der Pfeife;
Wir danken traute Stunden, von kräft'ger Lust durchwürzt,
In unsern Jugendlethe hinabgerollt, der Pfeife;
Auch euch, den Abgeschloss'nen, gilt das Orakelwort,
Wenn ihr der Menschheit Rätsel entziffern wollt, der Pfeife;
Euch aber, Verse! zehre das Feuer knisternd auf —
Als Opfer-Fidibusse, der ihr erschollt, der Pfeife!

5.
Leichter dünkt mich's roh zu sein,
Als mit Weisheit froh zu sein;
Viele Verse pflegen eisig,
Andre lichterloh zu sein —
Wieder andre nur ein seichter
Schwall von Ach und O zu sein;
Wenn Hafis! dein Bild mir vorschwebt,
Wünscht' ich wohl auch so zu sein,
Aber, was ich wünsche, scheint stets,
Ach, ich weiß nicht wo zu sein!

6.
Weg vom Wissenswust, Ghasel!
Einen Klang der Lust, Ghasel!
Weiß nicht, was bei Philosophen
Du nur immer tust, Ghasel.
Manches scheint im West zu gaukeln,
Was im Boden fußt, Ghasel!
Singe nicht, uns zu belehren,
Singe, weil du mußt, Ghasel!
Tage kommen, böse, weise!
Tage, wo du ruhst, Ghasel!
Einen Klang noch, eh' du ausklingst,
Recht aus voller Brust, Ghasel!

7.
Es flimmern die Sterne so lieblich,
Sie scheinen von ferne so lieblich!
Denk', Liebste! wenn Mädchen dich schmähten:
Sie wären wohl gerne so lieblich!
Es schmecken von Datteln die Hüllen,
Von Mandeln die Kerne so lieblich;
Der Becher, die Flöte, dein Auge —
Wie dünkt mich die Terne so lieblich;
Vergessen, genießen und hoffen —
Das macht die Taverne so lieblich;
Der Ost fragt Bülbül um die Reime:
Von wem er sie lerne so lieblich?

8.
Da mein Herz im Frühling lachte, sagt' ich:
Winter straft den Übermut! sei stille!
Als nun wirklich Winter wurde, sagt' ich:
Weißt nun, wie die Kälte tut? sei stille!
Bist zu Eis geworden; aber, sagt' ich:
Mußt nicht brechen; fasse Mut! sei stille!
Als ich so zu meinem Herzen sagte:
Selig, wer da schweigt und ruht! sei stille!
War es g'rade so, als ob ich sagte
Zu der alten Meeresflut: sei stille!

9.
Wie im Ghasel nach jeder Zeile
Das Reimwort freundlich kommt zurück:
So kehrt in einsam-ernster Weile
Erinn'rung freundlich uns zurück,
Und zählt an einem Blumenseile
Uns der gepflückten Zahl zurück;
Kommt dann, daß er die Segnung teile,
Der lang' entbehrte Freund zurück,
Gestehn wir uns: zu unserm Heile
Kommt doch so manches noch zurück!
Allein die Zeit entrauscht mit Eile,
Allein das Grab gibt nicht zurück!

10.
Deines Mundes Lippen sind Rubinen;
Dürft' ich ewig nippen an Rubinen!
Deiner Worte Menge sind Rubinen:
Sei'n mein' Ohrgehänge denn Rubinen!
Unsre Flammenherzen sind Rubinen:
Laß uns traulich scherzen mit Rubinen!
Fürsten unter Steinen sind Rubinen;
Tränen, die wir weinen, sind Rubinen;
Deinem Aug' entfließen die Rubinen:
Will sie ihm entküssen, die Rubinen!
Die den Sarg beflimmern, die Rubinen,
Glaub': hinüber schimmern die Rubinen!

11.
Nimm mich hin, geliebtes Herz! ich bin dein eigen, wie ich bin;
Nicht der Welt, nur dir allein mag ich mich zeigen, wie ich bin;
Denn die Welt ist ohne Seele, ohne Ehrfurcht ist die Welt;
Aber dir, du meine Welt, darf ich mich neigen, wie ich bin;
Liebe ist es, was ich liebe; sagt mir, kann man ruhig stehn —
Fortgerissen, mitverschlungen in den Reigen, wie ich bin?
Und so kämpf' ich, und so steig' ich, und so hoff' ich froh und kühn,
Meines Hoffens Gipfel kämpfend zu ersteigen wie ich bin;
Lieb' ich fort, und kämpf' ich fort, so werden endlich, wenn Gott will,
Diese kalten Menschen Achtung mir erzeigen wie ich bin;
Doch, daß der Erkenntnis Tage ferne sind, ich seh' es wohl:
Darum dünkt es mich jetzt besser, zu verschweigen, wie ich bin.

12.
Vöglein, weil der Lenz die Rose küßte, lachen;
Blumen, weil die Sonne sie nicht grüßte, weinen;
Darf man oftmals, ohne daß man's büßte, lachen,
Man mag wohl auch einmal aus Gelüste weinen;
Wenn ihr Ohr vernähme jenes wüste Lachen,
Würden selbst die Augen einer Büste weinen;
Heut sah man den Kaufmann an der Küste lachen,
Und man sieht ihn morgen in der Wüste weinen;
Über dieses Leben, trotz der Lüste Lachen,
Würd' ich, wenn es Liebe nicht versüßte, weinen;
Laßt uns, ob der Haß sich drohend rüste, lachen,
Laßt uns, sinkend an der Liebe Brüste, weinen!
Niemand wahrlich, würde, wenn er müßte, lachen,
Niemand würde, wenn er alles wüßte, weinen.

13.
Kaum hofft man goldne Tage sich,
So wandeln sie in Plage sich;
Doch fröhlich schlägt des Dichters Herz,
Das schwächliche beklage sich!
Wir hörten, was der Teure sang:
Das Schlimmste selbst ertrage sich;
Der Feige unterwerfe sich,
Der Übermüt'ge schlage sich,
Es beuge sich der Weisere
Der eitle Tor behage sich!
Das arme Herz, es fühlt beengt,
Gepreßt in jeder Lage sich,
Sich unverstanden im Gewühl,
Vergessen beim Gelage sich;
Ob's töricht, ob's vernünftig pocht?
Es quält mit mancher Frage sich;
Ich aber singe: süß am Bach
Es träumt so süß am Hage sich!
Wer recht der Welt genießen will,
Entsage ihr, entsage sich;
Wie hört so schön von Menschenglück
Die wundersame Sage sich!

14.
Bange, schmerzlich, in des Lebens Tagen
Hört man Jeden, doch vergebens fragen:
Ach, was soll man zu den dunklen Gründen
Alles Fallens und Erhebens sagen?
Soll, wer Ikarus Geschick erfahren,
Doch noch Einen Flug des Strebens wagen?
Unsrer Brüder Einen hört' ich traurig
Mitten im Triumph des Schwebens klagen;
Geist des Sterblichen! du mußt das Herz mit
Allen Foltern seines Bebens tragen;
Aber du, o Herz! du wirst nicht ewig,
Doch so lang du schlägst, vergebens schlagen!

15.
Opfre Lied! mit neuer Wendung: der Natur;
Denn es gilt des Dichters Sendung der Natur;
Findet Menschenwirkung Gnade vor dem Herrn,
So gedieh' sie durch Verwendung der Natur;
Nur die Mitte deiner Taten danke dir:
Den Beginn und die Vollendung der Natur;
Selbst begabt, nur was der Brüder Schweiß erwarb,
Müßig ernten, ist Verpfändung der Natur;
Aber Gaben, die dir Gott zum Heil verlieh,
Frech mißbrauchen, das ist Schändung der Natur;
Lieb' und Dichtkunst tragen beide nicht viel ein, —
Dieses scheint mir doch Verschwendung der Natur!
Und das weißt du, und das dankst du mein Gedicht!
Mit naturgemäßer Endung: der Natur!

16.
Manche ziehn nach fernen Städten, die man viel gepriesen, hin,
Andre suchen Tal und Waldung, und mich zieht's zu diesen hin!
Zu den Büschen, die des Kindes holden Schlaf umsäuselten,
Zu den lieben Blumen, die es freundlich unterwiesen, hin;
In das Tal, wo Bach und Pflanze, leiser rauschte, höher stieg,
Wo die Weste, duft-geschwängert, frischer, lauer bliesen hin!
Auf der Wandrung durch den Himmel zieht die Wolke sonder Rast,
Wunderbare Schatten bildend, über Wald und Wiesen hin;
Unvernehmbar geht der Ostwind, küssend über Veilchen jetzt,
Jetzt mit feierlichem Rauschen durch des Waldes Riesen hin;
Kosend rinnt des Baches Silber, von Forellen goldbeglänzt,
In dem bunten Bett von glatten, reingespülten Kiesen hin;
Flösse doch wie er mein Leben, Liebste! nur von dir gesehn,
Fluren tränkend, sanft umblüht, in jenen Paradiesen hin!

17.
Mit Harfen, Flöten, Zithern gepriesen sei der Herr!
In Licht und in Gewittern, gepriesen sei der Herr!
Er läßt im Aug' des Menschen wie in der Rose Kelch
Des Taues Perle zittern; gepriesen sei der Herr!
Er läßt die Sonne leuchten, jetzt in der Wüste Brand,
Jetzt mild aus Blättergittern; gepriesen sei der Herr!
Er läßt, wenn uns die Schauer der Mitternacht umwehn,
Uns Morgenlüfte wittern; gepriesen sei der Herr!
Er wirft ins Glas des Lebens den süßen Tropfen früh,
Und spät dann auch den bittern; gepriesen sei der Herr!
Des Lied's Beginn und Ende, die Sterne singen's mit:
Mit Harfen, Flöten, Zithern gepriesen sei der Herr!

18.
Auf! schwebe mein Gedicht! empor,
Entfesseltes, zum Licht empor;
Dich hielt in banger Erdnacht Grau'n
Ein göttliches Gesicht empor —
Nun tönst du aus dem Angstgetös
Mit heil'ger Zuversicht empor;
Der Gute forscht der Menschheit Bahn,
Sein Auge findet nicht empor;
Ihn faßt der Starke, reißt ihn fort:
"Komm mit mir, Bruder! ficht empor!"
Hält nicht die ewige Muse dort
Die Waage zum Gericht empor?
Das Aug' entwölkt! es blicke treu,
Ja treu, auch wenn es bricht, empor!

19.
Das Glas nun, Saki! hebe hoch,
Es schwillt das Blut der Rebe hoch;
Wer Gottheit noch im Busen spürt,
Aurora winkt — er strebe hoch!
Der Stern der Menschheit leuchte hell,
Der Aar des Sieges schwebe hoch!
Der Glaube schwingt sich und die Kraft,
Wie auch der Pöbel bebe, hoch;
Wer mit uns kämpft, sein Schweiß ist Tau,
Ihm dieses Glas: er lebe hoch!

20.
Durch die ernste Stille fort,
Tönt's wie der Sibylle Wort:
Sänger! nicht ein Schlummerlied
Zirpe, wie die Grille dort!
Himmelsblüten streue hin,
Wo der Menschheit Fülle dorrt;
Sprich ihr von der Sendung Sinn
In des Rhythmus Hülle fort;
Sag: Wenn dir der Dämon dräut,
Sei dir reiner Wille Hort!

21.
Soll man tragen?
Darf man wagen?
Das Ghasel wird
Kunde sagen:
Gib ein Thema
Deinen Tagen;
Wirke rastlos
Mit Behagen!
Schallt der Schlachtruf,
Magst du schlagen,
Nicht den Bruder
Sollst du fragen;
Nur melodisch
Darfst du klagen;
Kannst genießen,
Mußt entsagen!

22.
Der Ruf erklang!
Nicht feig, nicht bang!
Wer schliefe noch
Am Bergeshang,
Seit Morgenrot
Die Fahne schwang?
Am Tage wirkt!
Die Nacht ist lang.
So werde denn
In Pflicht und Drang
Du, mein Ghasel,
Zum Schlachtgesang!

23.
Nach Hafis

Höre! nach Wein und Rosen verlangt mich!
Um die Geschicke zu losen verlangt mich;
Eine heil'ge Nacht, wie die Nacht Kadr
Ganz mit dir zu verkosen verlangt mich;
Zu verbergen den Schatz meiner Liebe
Vor den Neidern und Losen, verlangt mich;
Nach den Huri's und den himmlischen Köschken
Mehr, als nach Issa und Mosen verlangt mich;
Lieder zu singen wie du, mein Hafis!
Wenn Stürme der Wüste tosen, verlangt mich.

24.
Epilogus

In fremdem Kleid sich zu bewegen,
Behagt; man kommt sich klüger vor;
Doch kommt die Zeit es abzulegen,
Wird's klar: man ist der alte Tor.
Ein jedes Land hat seine Lieder,
Ein jeder Glaub' sein Paradies;
Im Osten kommt kein Shakspear wieder,
So wie im Westen kein Hafis;
Doch wie beim alten Bau zu Babel
Sprachweise Volk von Volk entfernt,
So wird die Trennung tolerabel,
Wenn Eins das Andre kennen lernt:
Es guckt zuletzt aus Pelz und Turban
Und Frack derselbe Mensch heraus,
Und freudig staunend fühlt Herr Urban
Als Reis-Effendi sich zu Haus.
Und so erfüllt sich Goethe's Hoffen
Nach einer Welt-Literatur —
Der Platz ist da — das Tor steht offen
Wir schreiten mit — nun folget nur!