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In strenge Form sich fügsam einzuschränken,
Es wird dem Dichter niemals Schaden bringen;
Gewöhnt er erst sich an ein rhythmisch Denken,
So wird sein Lied wie ein durchdachtes klingen.
 

III.
Sonette

 

Die Sonette
Gebirgsnatur
Liebe
Dichtkunst
Canova
Feisi
Schiller
Dem künftigen Dichter
Palingenesien

 
Epochen
Götz von Berlichingen
Egmont
Goethe

 

Die Sonette


1.
Und wagt ihr euch, verwegne Klanggedichte,
Mit eurem schnellverhauchenden Geflüster,
Zur Welt, die euch der herrlichsten Geschwister
So viele nahm, — daß sie auch euch vernichte?

Und kennt ihr auch die heut'gen Kunstgerichte?
Den harten Sinn bedächt'ger Form-Verwüster? —
Ihr senkt die Schwingen? euer Aug' wird düster?
Wie? schon geblendet? kaum am Tageslichte?

Ihr fühlt zu spät jetzt eure Nichtigkeit!
In euch ist nichts, was jene Rhadamante
Bestäche! Leider fehlt euch das Pikante,

Tendenz, Effekt, Satire, Wichtigkeit,
Qual, Grauen, Jammer, hoffnungslose Liebe, —
Ich wüßte wahrlich nicht, was euch noch bliebe!

2.
Wer will das Maß der höchsten Schickung messen?
Frost tilgt die Früchte jahrelangen Schweißes,
Gram bricht so manches Herz, und niemand weiß es,
Und niemand fragt: warum? und niemand: wessen?

Die Welt ist voll geteilter Interessen,
Ein kalt Gemüt verdrängt so oft ein heißes,
Und ach! ein Kind still-liebevollen Fleißes,
Ein zart Gedicht, — wie bald ist es vergessen!

Und doch! der Sänger hört nicht auf zu singen,
Ein schönes Herz hört niemals auf zu lieben;
Ein Etwas ist vom ält'sten Lied geblieben,

Was nach Jahrtausenden uns übermeistert:
Es ist der Geist, der Form gibt allen Dingen,
Es ist die Form der Dinge, die begeistert.

3.
Schön sind und bunt-ergötzlich die Sonette,
In denen sich Gefühle und Gedanken,
Viermal, in rhythmisch-anmutvollen Schranken
Genau abschließen wie das Feld im Brette;

Doch dieser abgezirkelteren Glätte
Zieh' ich es vor, wenn ohne Zwang und Schwanken
Sich Blüt' und Blüte aneinander ranken,
Zur lieblichsten, ununterbrochnen Kette.

Mir scheint dies freundliche Geschenk der Musen
Dazu beschert, um, während wir genießen,
Ein rein Gefühl, ein plötzlich angefachtes,

Ein zartes Lebensbild, ein wohldurchdachtes,
In dies gerundete Gefäß zu schließen;
Vielleicht nimmt es ein Freund an seinen Busen!

Gebirgsnatur

1.
Natur! so oft genannt, und o so selten
Erkannt! "Und darf der Mensch dich auch erkennen?"
Ob er es darf? kaum wag' ich dich zu nennen
Vor ihnen, die den Seher Lügner schelten!

Die Gottheit spricht zur Menschenwelt durch Welten!
Wo irgend Geysir sprüh'n, Vulkane brennen,
Vom Schnee der Anden bis zu den Ardennen,
Von Abessiniens Glut bis zu den Belten,

Ist jeder Kiesel Heiligtum und Bildnis. —
Glückselig, wer das faßt und das empfindet!
Die Stürme kosen ihm, ihm lacht die Wildnis,

Und wenn sein Staub dem Staube sich verbindet,
Entblühn verwandte Pflanzen dem Gebeine,
Umhüllt es ein befreundetes Gesteine.

2.
Glückselig, wer, im Schoß der Apenninen,
Am Fuß der Alpen oder Pyrenäen,
Ein einsam Tal bewohnt! Es senden Feen
Die Geister des Gebirgs aus, ihm zu dienen.

Aus Quellkristallen locken ihn Undinen,
In feuchten Klüften schwätzt er mit Pygmäen,
Und von den Höhn, wo Lüfte Trostes wehen,
Blickt er beruhigt auf des Glücks Ruinen.

Wo keine Berge sind, da hat das Auge
Kein Hochgebild, woran er fest sich sauge,
Kein Echo hallt die Sehnsuchtsklage wieder;

Doch wo Kaskaden, Schmerz betäubend, schäumen,
Da stimmt Fels, Wald und Strom in deine Lieder,
Und See und Bach und Wiese hilft dir träumen.

Liebe

1.
Sonette müssen, seit Petrarca sang,
Vom holden Mithrasdienst der Liebe klingen;
Und könnte Jeder wie Petrarca singen,
Nie endete der wonnevollste Klang.

Allein, wie manches Herz, im schönen Drang,
Regt, ach, vergebens allzuzarte Schwingen;
Darf auch das Wort in jene Räume dringen,
In die ein liebendes Gemüt sich schwang?

So weih' ich denn, statt vieler, dies Gedicht,
Mit frommer Scheu den Liebenden im Stillen,
Daß sich die laute Welt an sie erinnre;

Und doch! ich irre! sie bedürfen's nicht,
Und ich vermag's nicht bei dem reinsten Willen, —
Denn nie zum Äußern wird das wahrhaft Innre.

2.
Mich hat ein schreckenvoller Traum gepeinigt:
Ich sah dich zwischen eines Sarges Wänden,
Mit kreuzweis auf die Brust gelegten Händen,
Den schönen Leib, zu früh! dem Staub vereinigt.

Doch dies Gesicht hat mein Erblühn beschleunigt;
Was keine Macht der Welt vermag zu wenden,
Ward mir zum Bild, mein Innres zu vollenden;
Ich fühle mich erschüttert und gereinigt.

Im Sturm der Nächte, in des Mittags Scheine, —
Hab' ich's vor mir, das Trauerbild im Schreine, —
Es hat mich eingeweiht zum Sohn der Schmerzen.

Mich dünkt, als ob mich nichts mehr rühren würde,
Denn jenen fürchterlichen Traum im Herzen,
Trag' ich, wie leicht! des Lebens schwerste Bürde.

Dichtkunst

1. Guarini

Wenn furchtbar, wie Natur in Ungewittern,
Uns Dante's Lied dem Herrn entgegenschreckt,
Wenn, durch Petrarca's Lieb' und Leid erweckt,
Uns Mitgefühle in den Augen zittern;

Wenn unter Schilderklang und Lanzensplittern
Uns Tasso mit dem Schild des Glaubens deckt,
Wenn uns mutwillig Ariosto neckt,
Jetzt zwischen Wolken, jetzt aus Blättergittern:

So sei'n dir, o Guarini! zarter Dichter,
Bescheiden vierzehn Verse hier geweiht!
In deiner Seele war die goldne Zeit;

Es glänzen Tizians Farben, Formen Guido's,
Lorrains Beschattungen, Allegri's Lichter,
Im Frühlingslandschaftsbilde Pastor Fido's.

2. Worthader

Den Streit um Namen soll ein Name schlichten?
Gab's für die Kunst ein einzig Element?
Ja, wenn ihr e u e r Lied romantisch nennt,
Dann freilich fällt es euch nicht schwer zu richten.

Ein Echtes gibt's im Leben wie im Dichten,
Das überall der laut're Sinn erkennt,
Dem seine Flamme still entgegen brennt,
Und das ihn lehrt, Gestalten schau'n und sichten.

Doch weil ihr einmal Worte heischt und Zeichen,
Schlug' ich zu "Zielandeutern" vor: die Alten;
Ihr dürftet sie so bald noch nicht erreichen;

Und während ihr sie forscht mit treuem Blicke,
Ruft ihr wohl selbst, vom Zauber festgehalten:
Romantischer ist nichts als das Antike!

Canova

1. Theseus und Eurhytos

Wenn sich die zarte Wunderkraft des Schönen
In gleichem Kampf mattringt, jetzt überwiegend
Den Trotz der Rohheit, jetzt ihm fast erliegend, —
Da schweigt die Kunst, es weinen die Camönen;

Doch wenn der Herrlichste von Hellas Söhnen,
In sichrer Hand die leichte Waffe wiegend,
Lieblich vernichtend, mit Behagen siegend,
Durch Heldenspiel des Freundes Fest zu krönen,

Den wilden Halbtierkönig überwindet:
Das ist ein Anblick, wert, zu ew'gem Leben
Versteinert durch Canova's weise Hände,

Enthüllt zu prangen, dorisch-ernst umgeben,
Daß sich die Menge oft und gern hinwende,
Bis sie das Große nach und nach empfindet.

2. Christinens Monument

Die Treue mit der Kraft, in Schmerz versenkt,
Die Tugend selbst, im freundlichen Geleit,
Wie sie dem Los der Freundin Urne weiht,
Die Milde, die so Greis als Kind bedenkt;

Und wo des Baues Schluß den Blick beschränkt
Umschlungen vom Symbol der Ewigkeit,
Das hehre Bild, dem, zum Empfang bereit,
Glückseligkeit die Palm' entgegenschwenkt:

Erhabner Geist, der dies Gebilde schuf!
Es tönt! es ist versteinerter Gesang,
Die Kunst ergriff ihn, eh' er noch verklang

Und wer es still betrachtet und begreift,
Er weint, indes sein Innres leise reift;
Er geht hinweg, und ahnt der Kunst Beruf.

Feisi

Vidit veram lucem, non fuit unus e multis, et vixit et viguit.
                                                                
Seneca, Epist.

So ist auch dir das heil'ge Licht geworden!
Auch du erklangst, vom Morgenstrahl berührt,
Und hast für dich die edle Glut geschürt,
Wenn gleich dein Volk erlag den rohen Horden.

Und so vereint in rührenden Akkorden
Der tiefste Wunsch, den jede Brust verspürt,
Der stille Glaube, der zum Höchsten führt,
In Harmonie Ost, West, und Süd und Norden.

Es ist ein reines inniges Gewissen
Dies Frag- und Antwortklingen zu belauschen,
Wie's unverstanden durch die Lüfte schallt:

Und wie es jetzt nur leise widerhallt,
So wird's, wir hoffen's! — in einander fließen,
Und Preis des Höchsten durch die Welten rauschen.

Schiller

Der Schmerz, die teure, herbe Frucht des Lebens,
- Nicht um Besitz des Pöbels trübe Tränen, —
Das Trauer-Echo jedem Menschensehnen;
Das dumpfe, unerbittliche Vergebens —

Das war die Wurzel deines hohen Strebens;
Ihr wußtest du die Fasern zu entlehnen,
Die nun als Zweige sich zum Himmel dehnen,
Prachtblüten wiegend im Triumph des Schwebens:

Und alle Herzen, die wie du empfanden, —
Was sie geliebt, was sie geduldet hatten,
Sie legten's froh in jenes Baumes Schatten;

Da war's verherrlicht, denn es war verstanden:
Dir aber war das Dasein so geläutert,
Und, als es schwand, zur Ewigkeit erweitert.

Dem künftigen Dichter
Nach Goethe's Tode

Er schied aus unsern nebeldüstern Landen,
Den Hellas uns wohlwollend nachgesendet:
Der Dichter, stark und mild, in sich vollendet,
Geschmäht, gepriesen, seltener verstanden.

Und wie wir so uns ton - verwaist empfanden,
Jedwedem Sang empfänglich zugewendet,
Wie dankten wir dem Gott, der Lieder spendet —
Wenn wir den Sänger, der uns labte, fanden!

Doch dieser kranken Zeit verschrobne Söhne,
Die nur den Witz im Wahnwitz "Dichtkunst" nennen,
Ach, ihr beweinenswürdig Auge sieht nicht

Das einzig Sehenswürdige: das Schöne;
Vor Goethe's Wort verschloß sich ihr Gemüt nicht;
Und ihre Strafe sei: dich zu verkennen.

Palingenesien

Der Dichter, ernst betrachtend die Gestalten
Der Vorwelt, lies't erstaunt in ihrem Leben
Das Wort, das auch aus seinem sich ergeben, —
Sieht gleichen Sinn wie gleiche Lose schalten.

Und wieder: die in ihm sich still entfalten,
Den Früchten für ein treu beharrlich Streben,
Er will auch ihnen Form und Dauer geben:
Er greift zu Mythen, welche nie veralten;

In ihrer Kleider alt-ehrwürd'ge Falten
Verhüllt er seine heiligsten Gefühle,
Und sendet sie ins brausende Gewühle;

Dies ist des Dichters, dies des Künstlers Walten:
Was er auch seinem Geist für Körper lieh,
So oft er schafft, ist's Palingenesie.

Epochen

Am stillen Abend bei der Sterne Glänzen
Verlor mein Geist sich in die ernsten Räume,
Die dunklen Wiegen jugendlicher Träume
Von Hoffnungsparadiesen, ew'gen Lenzen;

Es fühlte sich mein Sehnen ohne Grenzen;
Da nachtet' es; der Tag verließ die Säume
Der Wolken; Herbstlaub schüttelten die Bäume,
Die Farbe schwand von allen meinen Kränzen.

Der Mond verhüllte sich. Hier laßt mich schweigen!
Ich darf das Tötend-schreckliche nicht zeigen. —
Doch, als, verkündet durch der Lerche Töne,

Der Morgenstern den goldnen Ost verklärte,
Fand ich mich wieder als ein Sohn der Erde,
Und als mein Ziel: das Wahre, Gute, Schöne.

Götz von Berlichingen

Du wandelst, liebverehrter Heldenschatten,
Dein gutes, altes Vaterland zu finden,
Gesenkten Hauptes, zwischen hohen Linden,
Mit schweren Tritten über duft'ge Matten;

Du findest's nicht! Dahin ist, was wir hatten;
Und was wir haben, seufzend sehn wir's schwinden.
Kann großer Sinn ein müßig Volk verbinden,
In welchem Rohheit sich und Schwäche gatten?

Treu bliebst du ihm, des Auge von dir ließ,
Weil schlechte Künste, die sie Dienstpflicht nennen,
Ihm seines besten Mannes Wert verhüllten.

Weh! daß sich jene Worte nun erfüllten:
Weh dem Jahrhundert, das dich von sich stieß!
Weh deinen Enkeln, welche dich verkennen!

Egmont

So sprachst du wahr, Oranien? durften wieder
Die kleinlich immer-wachen Neidestücken
Ein offnes, arglos-großes Herz umstricken?
Umschwirrt ihr mich, ihr alten, bösen Lieder?

Schwirrt immer zu! ein Siegschor dröhnt euch nieder!
Nennt's Leichtsinn, Übermut! Mich zu beglücken
Reicht's herrlich aus. Hoch über Sklavenblicken
Trägt mich ein göttlich glänzendes Gefieder!

Horch! kriegerische Töne! sie begleiten
Mit Trommelklang das Rasseln dieser Ketten,
Daß noch im Ererben mich Triumph umschwebe:

Hinaus! und ihr, seht mich zum Tode schreiten;
Mir nach! und, euer Liebstes zu erretten,
Fallt freudig, wie ich euch ein Beispiel gebe!

Goethe

Noch Ein Gedicht! nur eine Weihespende
Dem —stets zu früh! — Geschiednen, unserm Größten,
Des Leben ein Versuch war, uns zu trösten,
Doch keinen Trost ließ für sein eigen Ende;

Dem Herrlichen, des starke, sanfte Hände
Den Knoten: Menschendasein, schonend lös'ten,
Des tiefe Worte Kraft ins Zarte flößten,
Maß in die Kraft, daß sie sich nicht verschwende;

Dem weisen Anerkenner der Naturen,
Dem sorglich-treuen Kunst- und Welt-Erklärer,
Dem heitern Waller auf der Gottheit Spuren;

Dem Auferwecker unsrer Morgenröte,
Dem Sohn der Alten, unsrem Vater, Lehrer,
Dem alldurchdrungnen Alldurchdringer Goethe!