weiter
 

Kinderlieder /Blindenlieder
 

I.
Müßiggang

Ein Kind hat fortgestohlen
Sich aus dem Schulenhaus,
Und lief auf leichten Sohlen
In's weite Feld hinaus.

Da fliegen summend Bienen
Durch's blumige Revier,
Es spricht das Kind zu ihnen:
"Kommt Bienchen, spielt mit mir!"

Die Bienchen aber sagen:
"Bald ist der Sommer um,
Wir müssen Honig tragen,
Sumsum, sumsum, sumsum!"

Zum Bächlein kam geschlendert
Das Kind mit trägem Schritt:
"Ihr Wellchen, goldgerändert,
Ei wartet, nehmt mich mit!"

Es rauschten frisch die Wellen:
"Wir müssen fort, geschwind
Der Mühle Rad zu schnellen,
Wo nähm'st du Brot sonst, Kind?"

Flog eine Schwalbe munter
Am Kinde jetzt vorbei.
"Komm, Vögelchen, herunter,
Ich habe Spielerei."

Es zwitscherte die Schwalbe:
"Zum Spielen ist nicht Zeit;
Ich habe erst das halbe
Nest für mein Kind bereit."

"Nimm du mich auf den Schwingen,
Du liebe Wolke mit!"
"Ich muß noch Regen bringen,
Bevor es Zeit zum Schnitt."

Dem Kinde wird beim Wandern
Im Feld es traurig nun;
Es haben alle Andern
Zu schaffen und zu tun.

Da fängt aus Scham und Reue
Das Kind zu weinen an —
Und war das arbeitsscheue
Ein fleißig Kind fortan.

II.
Beim pflanzen eines Baumes

Wir pflanzen einen jungen Baum,
Frisch und heiter;
Du lieber Gott im Himmelsraum,
Sorge weite!

Gib Herr, ihm warmen Sonnenschein,
Kühlen Regen,
Im Winter hüll' in Schnee ihn ein,
Ihm zum Segen.

Du aber senk' die Wurzeln sacht
In die Erde,
Auf daß ein Baum in stolzer Pracht
Aus dir werde.

Wenn einst mit Blüten du geschmückt,
Duftig süßen,
Dann werden wir dich, still beglückt,
Bäumlein, grüßen,

Und bringen Früchte einst als Zier
Deine Äste,
Dann kommen Vögel, kommen wir,
Munt're Gäste.

III.
Der Engel Weihnachtsfeier

Vom blauen Himmelssaale
Die Kinderengelein
Sah'n zu dem Erdentale,
Zog just die Weihnacht ein.

Sie neideten den Kleinen
Geschenk' und Lichterglanz
Und fingen an zu weinen,
Betrübt, untröstlich ganz.

Gott Vater lächelt leise,
Ist gut nach altem Brauch,
Und sammelt sie im Kreise:
"Wir feiern Weihnacht auch."

Er richtet einen Baum auf,
Der ragt aus tiefsten Grund
Bis in den höchsten Raum auf,
Umweht von Wolken bunt.

Den alten Mond vom Himmel
Löst er dann freundlich los
Und schnitzt d'raus ein Gewimmel
Von Sternen, klein und groß.

Er steckt sie an dem frischen
Gezweig des Baumes an,
Hängt bunte Kugeln zwischen
Und gold'ne Früchte d'ran.

Die Englein jubilieren,
Gott Vater schilt sie aus:
"Ihr müßt mich nicht turbieren,
Sonst lösch' ich Alles aus."

Den Regenbogen langt er
Herab vom Himmelsraum,
Als tausend Bänder prangt der
Zerschnitten jetzt am Baum.

Stumm gafft ein Lieblingenglein
Den guten Herrgott an,
Er klopft es an die Wänglein
Und spricht: "Bald ist's getan!

Geduldet nur, die Sphären
Zieh' ich noch auf zuvor,
Dann singen wir und hören
Gar einen schönen Chor."

Die Engelkinder wagen
Nicht einen leisen Ton,
Nur ihre Flüglein schlagen,
Sich weiß entfaltend, schon.

Jetzt die Musik der Welten
Hebt an und der Gesang —
Das ist in Himmelszelten
Der Weihnacht Glanz und Klang.

Blindenlieder

I.
Morgenlied

Es klingt Gesang mir an das Ohr,
So voll und rein,
Schon wirbelt, singt ein Lerchenchor,
Jetzt muß es Morgen sein!

Weil wach die Lerchen und der Tag,
Mein Herz, auch du
Erhebe deinen Flügelschlag
Dem Himmel betend zu.

Dann an die Arbeit frisch und froh
Mit Hand und Geist;
Für Nächstenliebe dank' ich so,
Für Huld, die Gott erweist.

Gib Herr, mir Kraft zu meinem Tun,
Bis kühler Hauch
Mir zuweht, daß es Abend nun —
Ruht Alles, ruh' ich auch.

Es klingt Gesang mir an das Ohr,
So voll und rein,
Schon wirbelt, singt ein Lerchenchor,
Jetzt muß es Morgen sein!

II.
Abendlied

Ein kühler Lufthauch weht,
Im Baum die Vögel schweigen,
Und Glockenläuten geht,
Es ist der Tag im Neigen.

Sie sagen mit, jetzt geh'n
Die Sternlein auf am Himmel,
Als Gottes Augen seh'n
Sie in das Erdgewimmel.

Ich kann empor zu dir
Nicht meinen Blick erheben;
Doch du bist, Herr, in mir,
Und ich in deinem Leben.

Einst deine weiche Hand
Hebt mir den Flor vom Auge,
Daß Berg und Meer und Land
Ich in die Seele sange.

Ich ruh', und Schlaf beginnt.
O laß' es, Herr, geschehen,
Was Licht und Farben sind
In einem Traum mich sehen!

III.
Dankgebet

Im Rauschen des Stromes, im Donnerklang,
Wenn Sturmwind braust von fern,
Im Blättergesäusel, im Vogelgesang,
Ich höre die Stimme des Herrn.

Was duftig aus Laub durchwürzt die Luft,
Aus Blumenkelch und Kern,
Hoch steigt es empor als Opferduft,
Ich fühle den Hauch des Herrn.

Die Früchte des Feldes, die Frucht vom Baum,
Die Gaben genieß ich gern;
Was Labe mir ist auf dem Erdenraum,
Es kommt von Gott dem Herrn.

Bis irdisches Dunkel wird einst vergeh'n,
Ich werd' auf and'rem Stern
Die Glorie Gottes, die Sonne seh'n
Und preisen das Licht des Herrn!