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Motto:

Ich bettle nicht um Nachsicht oder Schonung,
Nur meine Rede sollt ihr frei mir lassen,
Dann müßt ihr mich — mir immerhin Belohnung —
Von ganzem Herzen lieben oder hassen.
 

II.
Lieder eines Verschollenen

 

Meine Heimat
Zueignung
Im Feld
Ein Dichter
Ihr Berge seid der Heimat
Natur und Dichtung
An deiner Tiber wuchert die Melone
Lebendig begraben
Verlassen
An goldner Sessellehne
Das freie Lied
Wertschätzung
Ich kenn' ein Mädchen
Gegensätze
Gebt sie zum Weibe mir!
Ein König
An Oswald von Wolkenstein
Johannes Nepomuk
Tränen
Arm und reich
Meditation
Das Gnadenbild
Welch' eine Zeit!
Drei Frauen
Auf einem dürren Baume
Ich denke dein
Weihbrunn
Mein liebes Kind
Es mußte sein!

 

Meine Heimat


Dort, wo der Inn ein rascher Junggeselle
Mit Ungestüm, wie es der Jugend eigen,
Das Tal durcheilt, der Etsch naschhafte Welle
Den Trauben nachstellt und den süßen Feigen;

Dort, wo die Berge, seltner Treue Zeugen
Bald stolz und aufrecht stehen, wie der Siege
Gegoss'ne Säulen, bald in das Tal sich beugen,
Besorgte Mütter an des Kindes Wiege;

Dort, wo der Burgen bröckelnde Ruinen,
Des Landmanns Qual einst und des Bürgers Schrecken,
Den längst gebrochnen Hochmut unter grünen
Epheugewändern bettelstolz verstecken;

Dort, wo der Glaube noch des Herzens Blüte,
Noch keusch und schüchtern weder frägt noch klügelt,
Wo sich des Volks treuherziges Gemüte
Im Lächeln des Madonnabildes spiegelt;

Dort, wo die Bäche stürzen unter Tosen
Und nebenbei in zarte Schleier hüllen
Die dunklen Föhren, und der Alpenrosen
Durchsichtige Rubinenbecher füllen;

Dort, wo das Trutzlied lauter von den Hügeln
Antwort erhält aus tiefem Wiesenraine,
Und abends klagt am dunklen Fensterflügel,
Als ob es um verlorne Liebe weine:

Im Land Tirol sind sie zur Welt gekommen
Die Lieder, die hier wandern voller Zagen:
Denn Alpenblumen, noch so frisch genommen,
Sie werden welk ins Tal hinabgetragen.

Zueignung

Tirol so schön, so überreich gesegnet,
Ist arm an Dichtern, nur der Bach darf tosen
Und bricht die Fesseln freiheitsvoll und regnet
Den Diamantenschmuck auf wilde Rosen.

Es sind die Täler und die Felsenwarten
Voll schwarzer Mäntel, ultrabreiter Hüte;
Die dulden auf der Erde keinen Garten
Und an dem Baum des Lebens keine Blüte.

Doch wie sie furchtlos den Gesang verbieten,
Zu dem im Wald die Vögel sich vereinen
Und es durch alle Schrecken nicht verhüten,
Daß nachts die Blumen um die Sonne weinen:

So hat mein Lied sich auch zu euch gestohlen,
Nachtwandelnd kühn durch all' die Seelenschergen;
Und wittern sie's und wollen sie mich holen,
Tiroler-Adlers Fittich wird mich bergen.

Im Feld

Ich lieg' im Feld, zur Seite mir die Ähre,
Die neigt ihr Haupt schwermütig in Gedanken,
An ihrer rauhen Wimper hängt die Zähre;
Da ist mir wohl, ich lieb' die Seelenkranken.

Und eine Lerche lehrt die zarten Jungen
Das Frühlingslied und gibt das beste Futter
Dem Kinde, welches fehlerfrei gesungen;
Da ist mir wohl, als hätt' ich eine Mutter.

Dort wird die Tanne wie im Freundschaftsbunde
Umfangen von der Birke weißen Armen,
Ob auch die scharfe Nadel sie verwunde;
Da ist mir wohl, als gäb' es noch Erbarmen.

Und alles, was ich liebe, schien gestorben,
Doch ringsum sind die Rosen aufgeschossen,
Nicht alle Blumen hat der Schmerz verdorben;
Da ist mir wohl, als wär' ich nicht verstoßen.

Ein Dichter

Du hast's gehört, wie sie mich aufgefodert,
Zum Zeitvertreibe dir ein Lied zu dichten;
Sie wollen sehen, wie mein Auge lodert,
Und die Musik in meinen Reimen richten.

Schön ist der Abend; ringsum ein Geflüster,
Im Saatfeld dort ein Rauschen und Verneigen,
Als würde von dem Hügel dort ein Priester
Den frommen Halmen die Monstranze zeigen.

In deinem warmen Auge blüht die Träne,
So glänzend liegt der Tau in den Cyanen,
Eh' Sterne noch die flatternde Filäne,
Den süßen Honig auszutrinken mahnen.

Und dennoch konnt' ich keine Worte finden;
Ich wagte nicht, dich, Mädchen, zu verklären,
So wenig, als den Buschwald anzuzünden,
Wenn ihm zur Seite reifen volle Ähren.

Dem Blitze gleicht das Lied. In seinem Gange
Hält's niemand auf. Mich hätt's vielleicht getötet
Und dir vor all' den Menschen Stirn und Wange
Den Knospen einer Rose gleich gerötet.

Ihr Berge seid der Heimat hohe Dichter

Die Sonn' ist unter, mehr und mehr vergelben
Des Himmels Rosen, und die Sterne brennen;
Ein kahler Fels glüht noch, als könnte selben
Die Nacht von süßem Sonnenkuß nicht trennen.

Ihr Berge seid der Heimat hohe Dichter;
Die Poesie zog hin nach jenen Firnen,
Im Tal ist's Nacht, doch Gottes ew'ge Lichter
Verklären eure sieggekrönten Stirnen.

Wer zwingt euch, euer Vaterland zu fliehen?
Wer setzt euch von der Ziller an die Oder?
Die Blumen eurer Alpen werden blühen,
Wenn längst die Kirchen alle Schutt und Moder.

Natur und Dichtung

Den Baum, die Rose und des Himmels Lichter,
Die Blüte von Zitronen und von Mandeln,
Den blauen See — die Dinge kann ein Dichter
Mit seinem Schmerz in Tränen leicht verwandeln.

Ihr Ewigkranken, kommt zur Felsenhalle
Tirols, der Dolomit verträgt das Schwärmen,
Versucht der Gletscher ewige Kristalle
Mit eurem heißen Weltschmerz zu erwärmen!

Wenn all' die Berge ihre Mäntel sticken
Mit Blumenschmelz und goldne Kronen tragen
Und selig lächelnd in die Täler blicken,
Wer achtet da auf eines Dichters Klagen?

Und dann, wenn diese Riesenleiber grollen,
Wenn innen tief die Seelen sich empören,
Die Wasser rauschen, die Lawinen rollen,
Wer kann da eines Dichters Seufzer hören?

Was unser Frühling auf den Bergen weckte,
Das muß sich selbst herauf zum Lichte wagen;
Der Dichter kann nur, ähnlich dem Insekte,
Den Blütenstaub befruchtend weiter tragen.

An deiner Tiber wuchert die Melone

An deiner Tiber wuchert die Melone,
Die volle Traube blutet auf dein Zeichen,
Mit eigner Hand kannst du von deinem Throne
Die goldgestickte Ananas erreichen.

Bist Roms du satt in seinem ew'gen Traume,
Hat Numas Nymphe dich nicht festgenommen,
Daß dir das Herz nach einem deutschen Baume
In rätselhafter Liebesbrunst entglommen?

O deine Braut ist lieblich anzuschauen,
Die Lippen reifen und die Glieder schwellen,
Zum Himmel strebt sie, zu dem ewigblauen,
Und zu den Sternen, die die Nacht erhellen.

Sie ist der Zweig von jenem Riesenstamme,
Die Enkelin von jener Donnereiche,
Die Bonifaz zerstörte mit der Flamme
Und mit des axtbewährten Armes Streiche.

Sie schlägt dich aus, du Mann in roter Seide,
Und deine Doppelkrone, gleich Thusnelden;
Das Mädchen spielt mit eines Schwertes Schneide
Und träumt von Hermann, einem jungen Helden.

Lebendig begraben

Ich sah mich oft in ihres Auges Spiegel,
Wenn ihre Finger meine Haare kämmten,
Wenn ihrer Küsse zauberische Siegel
Das böse Wort in meiner Seele dämmten.

Ich konnte mich in ihren Tränen baden,
Konnt' schimmern in dem Glanz der Orionen,
Nicht süßres Wasser haben die Najaden
Und Cherubine nicht so lichtes Wohnen.

Und jetzt ist still und traurig ihre Miene,
Als ob ihr Auge — glaubt ihr's wohl? — sich schämte,
Bedeckt's die weiße seidene Gardine,
Die mit dem schwarzen Fransenflor verbrämte.

Denn eines Tages ward ich aus der Wohnung,
Wo Lust und Licht und Freude mich umflossen,
Hinabgesenkt ins Herz und ohne Schonung
In seiner tiefsten Kammer eingeschlossen.

Denn ach! Die Eifernde, sie sprach: "Die Sonne,
Der Frühling, ja die Welt soll ihn nicht haben!
Mein sei er ganz, mein Herz sei seine Wonne!"
Drauf hat sie mich Lebendigen begraben.

Verlassen

Schmäht mich die Welt ob meinem Tun und Meinen,
Ich nahm es hin mit heimlichem Behagen;
Man wirft nach jenen Bäumen nur mit Steinen,
Die in den Kronen süße Früchte tragen.

Daß aber  s i e  sich grausam von mir wandte,
Die ich mit meinen Liedern übergossen,
Der ich die erste Anemone sandte,
Die dem Tiroler Frühling ward entsprossen;

Daß sie noch brennendrot von meinem Kusse
Den Finsterlingen reicht die heißen Wangen,
Daß nach des Mannas himmlischem Genusse
Sie nach dem Fleisch Ägytens hat Verlangen:

Das hat den Dorn mir tief ins Fleisch geschoben
Und hat vergiftet meine frommen Lieder,
Der Haß der Welt hat mich gestählt, gehoben,
Ihr kalter Blick warf wie ein Kind mich nieder.

An goldner Sessellehne

Ich stand wohl auch an goldner Sessellehne
Und sog den Duft von parfümierten Locken,
Ich küßte Mädchenhände, weiß wie Schwäne,
Und ließ von ihren Kleidern mich umflocken.

Mich machten all' die dunklen Augen eitel,
Die lieblich winkten, näher herzutreten,
Der Lorbeer grünte schon auf meinem Scheitel,
Und weiche Arme lockten den Poeten.

Da scholl durchs Tal das Hallo wilder Treiber,
Ein Hauch des Mundes wurde zum Verräter,
Ich sah der Männer Wut, den Schmerz der Weiber,
Der Kinder letzten Blick zum Haus der Väter.

Der sanfte Buchwald stöhnte vor Entsetzen,
Die Berge standen starr vor der Mißhandlung;
Ich riß die Fahne Cynthias zu Fetzen
In meines Herzens plötzlicher Umwandlung.

Das freie Lied

Seid vorsichtig und spart die Huldigungen,
Sie haben mir das freie Wort geächtet,
Sie sagten gleich, ihr habet mitgesungen,
Wenn ihr dem Dichter eine Blume brächtet.

Sie haben Macht und Mittel, um zu blenden;
Der Kranz, womit sie ihre Dichter schmücken,
Mich würd' er blutend wund, wie an den Händen
Die Kette den Galeerensklaven drücken.

Noch hab' ich meine Freiheit nicht verloren,
Noch kann im Wald ich gleich dem Vogel wohnen
Und winden mir den Kranz den trikoloren
Mit eigner Hand aus Frühlingsanemonen.

Wertschätzung

Wär' sie gestorben, könnt' ich doch den Rasen,
Der sie bedeckt, mit Frühlingsblumen schmücken,
Und Mond und Sonne müßten mir Topasen
Und Diamanten reich darunter sticken.

Wär' untreu sie, wer sollte sie mir rauben?
Ein freier Mann nur kann es und ein Dichter,
Ich würd' den Schmerz verwinden durch den Glauben:
In eine Sonne fließen alle Lichter.

Doch nichts von dem! Man wog mich ab nach Pfunden,
Und leicht wie Rosenblätter sind Gedichte —
Und alle Tränen, all' der Liebe Stunden,
Sie drückten mich herab zu dem Gewichte.

Ich kenn' ein Mädchen

Ich kenn' ein Mädchen, gleich der Traubenbeere
Gerundet, weiß gleich einem Silberschwane,
Großäugig wie die Gottesmutter Here
Und üppig gleich dem Kelch der Tulipane.

Der schönste Berg am Inn dient ihr zum Throne,
Und Morgennebel weben ihr den Schleier,
Ein Kaiserkind ist es, und seine Krone
Glänzt weit durchs Tal bis in das Land der Bayer.

Kein Weib Tirols hat noch den Sohn empfangen,
Zu dem die keusche Jungfrau sich gebettet,
Den sie mit ihren Armen je umfangen,
Den sie mit ihren Lippen je gekettet.

Doch als am breiten blutgefärbten Niemen
Die Russen fochten mit den freien Polen,
Da fleht' sie ihren Vater an, als Hymen
Von dort ihr einen Bräutigam zu holen.

Gegensätze

Wenn sich der Birken schmale Blätter röten,
Und wenn die Schwalben prüfen ihre Schwingen,
Die letzte Blum' Dezemberwinde töten,
Dann will ich meine Frühlingslieder singen.

Ist kalt mein Herz und meine Lippe trocken,
Und kommt das Alter mit den bösen Dingen,
In Silber wandelnd mir das Gold der Locken,
So will ich meine Liebeslieder singen.

Und haben sie — das ist wohl dann das Ende —
Gefesselt mich mit ihren Eisenringen
An eines Turms epheuumrankte Wände,
Dann will ich meine Freiheitslieder singen.

Gebt sie zum Weibe mir!

Gebt sie zum Weibe mir, gebt nur so vieles,
Daß ich nebst ihr auch noch ein Kind ernähre,
Daß freundlich ich vom Fenster des Asyles
Ein Rebenblatt erblick' und eine Ähre.

Gebt sie zum Weibe mir! Was ihr verschuldet,
Ich will es nimmer an den Himmel schreiben,
Tut, was ihr wollt, so lang's der Frühling duldet
Und diese Berge unbeweglich bleiben.

Gebt sie zum Weibe mir, und ungehindert
Könnt ihr die Nacht in alle Täler tragen —
Der Gott, der auch den Schmerz des Wurmes lindert,
Kann plötzlich Licht aus einem Kiesel schlagen.

Gebt sie zum Weibe mir, und nur den Sternen
Vertrau' mein Lied ich, will euch nimmer hassen,
Von meinem Weibe will ich beten lernen,
Und meinen Knaben will ich taufen lassen.

Ein König

Mein ist der Wald, und mir sind untertänig
Die freien Tannen und die stolzen Buchen
Und alle wilden Rosen! Ich bin König,
Doch nach mir wird's kein andrer versuchen;

Denn heimlich hassen Blumen und die Bäume
Den Menschen, jeden stillen Glücks Zerstörer.
Wie hochverrät'risch sind oft Lilienträume,
Wie stürmt in mancher Eiche der Empörer!

Ich nahte nicht mit Waffen in den Händen,
Den freien Baum als Sklaven zu verkaufen,
Des Waldes Sänger um sein Licht zu blenden
Und schöne Blumenheidinnen zu taufen.

Sie sahen mich gezeichnet von der Feme
Und hörten laut die Welt mein Lied verhöhnen;
Da wanden mir die Eichen Diademe,
Da fingen mich die Rosen an zu krönen.

An Oswald von Wolkenstein

Lockt dich der Jubel nicht vom alten Schlosse,
Vierhundertjähriger Tiroler Skalde?
Dort auf der Weide wiehern wilde Rosse,
Und Erntelust tönt vom Kastanienwalde.

Willst du allein in Hauensteins Ruinen
Die Leier rühren, darf dich niemand hören?
Willst du dir einen Epheukranz verdienen
Und harz'ge Tränen pressen aus den Föhren?

Nicht wollen wir dein Ritterschwert, das scharfe,
Das Vaterland fleht dich, das liedentwöhnte,
Oswald von Wolkenstein, um deine Harfe,
Die liederreich durch diese Berge tönte.

Und frische Kränze hat es, schönre Orden
Als Aragon; o schweige nicht mehr länger!
Seit jener Zeit ist alles anders worden:
Wir haben Taten, aber keine Sänger.

Doch mußt du, festgebannt in diesen Räumen,
Dich nächtlich um verlorne Liebe grämen,
So tauschen wir; ich werde nichts versäumen
Und gern das Amt des Wächters übernehmen.

Johannes Nepomuk

Hell scheint der Mond, auf dem Geländer
Der Brücke steht der heilige Johannes;
Das sanfte Licht durchschimmert die Gewänder
Und wärmt das Marmorantlitz dieses Mannes.

Die harten Lippen, die so lang geschwiegen,
Sie fangen an zu reifen und zu schwellen,
Schon seh' ich Seufzer auf dem Munde liegen
Und Tränen aus den Augen niederquellen.

Du dauerst mich! Ich kenne deine Rolle:
Den ganzen Tag ein heilig Antlitz zeigen,
Ob auch das Herz zerfressen ist vom Grolle,
Mit einer holden Engelsdemut schweigen.

Gib mir die Hand, du bist mein Kamerade,
Auch ich bin nicht, was ich den Menschen scheine,
Wenn nächtlich ich am blühenden Gestade
Des schönen Inns um diese Berge weine.

Tränen

O laßt die Kinder weinen, wenn sie wollen,
Und trocknet ihre Tränen nicht gewaltsam;
Die Träume schwinden und die Jahre rollen
Auch ohne euer Drängen unaufhaltsam

Im Tau des Morgens lächelt eine Rose
Gleich der vom Kuß noch feuchten Mädchenlippe;
Der Mittag glüht! Seht die Metamorphose —
Des dürren Stils entblättertes Gerippe!

Wie in der Hölle Glut der reiche Prasser
Mit Todesangst und Klappern seiner Zähne
Zum Himmel schrie um einen Tropfen Wasser,
So schrei' zum Himmel ich um eine Träne.

Arm und reich

Es sprach das Volk: "Ihr schlaft auf weichem Eider,
Uns aber friert, ihr Reichen, habt Erbarmen!"
Drauf sprachen sie: "Ihr habt ja statt der Kleider
Die Eisenfesseln an den nackten Armen."

Es sprach das Volk: "Ihr tafelt unter Blumen,
Uns aber hungert, o hört auf zu prassen!"
Drauf sprachen sie: "So sammelt euch die Krumen,
Die unsre fetten Hunde liegen lassen!"

Es sprach das Volk: "Ihr trinkt aus goldnen Schalen,
Uns aber dürstet, wollt uns nicht vergessen!"
Drauf sprachen sie: "So lindert euch die Qualen
Und trinkt die Tränen, die wir euch erpressen!"

Meditation

Was liegt nicht alles zwischen unsern Wegen!
Nicht Berg' und Täler sind die wahren Schranken,
Die Liebe kann die Berge niederlegen,
Und Brücken bauen können die Gedanken.

Im Menschen selber finden sich die Marken
Und das Gesetz, Fremdartiges zu scheiden —
Wir sitzen in der kleinsten aller Barken,
Und endlos liegen Welten zwischen beiden.

Im grünen Wasser eine Felsenspitze,
Ein Sturm, der kaum die Tannen beugt, was weiter,
Am Kiele eine fingerbreite Ritze —
Und unser kleines Schifflein ging in Scheiter.

Und sänken wir nun tief und immer tiefer,
Und hätt' der Schilf uns noch so fest umschlungen —
Ein fremder Körper wär' ich dir, der Schiefer,
Der in den glänzenden Kristall gedrungen.

Das Gnadenbild

In einem Schrank, von Glas und Gold umfangen,
Die Jungfrau steht, die hochgebenedeite;
Das süße Lächeln auf den Rosenwangen
Ist mit des Auges feuchtem Glanz im Streite.

Noch keinem Mädchen wurde so viel Ehre,
Und keines hörte je so viele Bitten,
Von der Brahmanen schönster Bajadere
Bis zu der keuschen Königin der Briten.

Doch weg von Weihrauch und dem Blumenbogen
Denkt sie zurück, wo sie die Welt, die weite
Als Bettlerin am Wanderstab durchzogen,
Ein Kind im Arm und einen Mann zur Seite —

Und wie sie dann im Sandmeer von Ägypten
Im Schatten eines Palmenbaums geschlafen,
Und wie den Tau der Aloe sie nippten,
Wenn in der Wüste sie kein Wasser trafen.

Welch' eine Zeit!

Welch' eine Zeit, wo Nonnen noch zu Schanden
Sich geißelten mit frischen Birkenruten,
Wo Heilige auf hohen Säulen standen,
Bis sie gebraten von der Sonne Gluten!

Macht der Idee! Ist denn die Freiheit minder
Ein Quell der Liebe und ein Brot des Lebens?
Nach Freiheit strecken eure armen Kinder
Die fesselschweren Arme — doch vergebens!

Was duldet ihr für sie, ihr Liberalen?
Ihr könnt für sie nicht hungern und nicht dürsten;
Ertrügt ihr den zehnten Teil der Qualen
Nur von La Trappe, es zitterten die Fürsten.

Drei Frauen

Am Sommerhause hängt die Rebenranke,
Vom Wind bewegt im Mondscheinkolerite,
Da wagt es ein verwegener Gedanke,
Hinaufzusteigen an dem Blättertritte.

Da sieht er durch die duftenden Reseden
In einem Zimmer mondscheinmatt beleuchtet
Drei Frauen; ach, die Trän' von einer jeden
Hat die verdorrte Dichterwelt befeuchtet.

Es ist die Rachel, die als Morgenröte
Im dunklen Reich der Frauen aufgegangen,
Und vor ihr kniet Bettina, die von Goethe,
Dem Greis, noch einen Jünglingskuß empfangen.

Und wie ein Engel lehnt sich zwischen beide
Charlotte Stieglitz mit dem blassen Munde,
Die Dichterbraut, im reinen weißen Kleide,
Die Hand gepreßt auf ihre Todeswunde.

Auf einem dürren Baume

Auf einem dürren Baume friert der Zeisig,
Und in der harten Erde schläft die Grille,
Ein Knabe sitzt auf einem Bündel Reisig,
Und seine Tränen fließen stille.

Der Morgen kommt und spricht mit sanftem Tone:
Ich will mit blankem Silber dir bedecken
Die schwarze Scholle und des Baumes Krone
Und all die nackten blätterlosen Hecken.

Drauf kam das Abendrot mit aufgelösten
Purpurnen Bändern, und es sprach zum holden,
Noch immer kummervollen Kind: Ich will dich trösten
Und all das blanke Silber dir vergolden.

Drauf kam der Mond herauf von nahen Höhen.
Der sprach zum Knaben: Höre auf zu weinen,
Ich will das Gold und Silber dir besäen
Mit bunten Perlen und mit Edelsteinen.

Drauf kam der Frühling mit der süßen Gabe
Der Anemone, jener azurblassen
Nachtwandlerin — da lächelt' erst der Knabe,
Die Wangen trocknend, seine tränennassen.

Ich denke dein

Führt mich das Lied auch bis zur fernen Küste
Der Canariden, wo Gazellen grasen,
Und bis zum Atlas, wo am Saum der Wüste
Kabilenreiter zu dem Angriff blasen —

Und wenn ich von der englischen Fregatte
Herab die Stadt des Himmelreichs begrüße,
Und im Araberzelte auf der Lotosmatte
Die süße Frucht des Palmenbaums genieße —

Und wenn ich schiffe auf dem deutschen Strome,
Und wenn ich trinke von dem deutschen Weine,
Und wenn ich bete in dem deutschen Dome:
Herr! zeitige die Blüten dieser Steine —

Denk' ich doch dein; wenn flutend naht ein Wetter,
Damit die junge, grüne Saat nicht welke,
Und frischer glänzen all' der Eichen Blätter,
So trinkt im Garten auch die liebe Nelke.

Weihbrunn

Weiß übertüncht, vom Sonnenstrahl umwoben,
Steht eine Kirche, noch ein Kind an Jahren,
Mit kleinem Arm das Kreuz emporgehoben,
Mit schwacher Stimme rufend nach den Scharen.

Wir treten ein; sie kniet, wo sich im Strahle
Des Abendlichts zwei Apostel sonnen,
Ich bleibe unten bei der Marmorschale
Und netz' die Hand mir im geweihten Bronnen.

Ich denke mir, will sie das Wasser nehmen
Von meinem Finger, muß sie ihn berühren,
Das kann sie wagen, ohne sich zu schämen
Und von dem stolzen Rufe zu verlieren.

Sie geht vorüber, während sie verneinte
Die Lilienhand, die ungläub'ge zu taufen;
Ich stand beschämt wie Gregor einst der Neunte
Vor Friederich, dem kühnen Hohenstaufen.

Mein liebes Kind

Mein liebes Kind, warum wird dir so bange,
Wenn ich vor dir hinüberflieg' zur Seine
Und meine Stirne statt an deine Wange
An den Granit des Obelisken lehne.

Mein liebes Kind, was soll ich mir denn denken,
Wenn du beim Bilde meines Heilands jammerst,
Als wolltest du mit Tränen ihn ertränken,
Und nebenbei auf deinen Busen hammerst;

Du liebst ihn, du küssest seine Wunde,
Weil er ein Mann, nicht weil er starb am Kreuze;
Ich lieb' die Freiheit aus demselben Grunde,
Weil sie ein Mädchen ist und voller Reize.

Es mußte sein!

Es mußte sein! Wir hatten nichts gemeinsam,
Du warst kein Epheu, ich kein morscher Turm,
Mich trieb es rastlos fort, du weintest einsam,
Du warst die Rose, und ich war der Sturm.

Es mußte sein, ob auch mein Mund verblaßte —
Du warst kein Adler, ich kein Alpensitz,
Du lagst auf deinen Knien, wo ich haßte,
Du warst die Palme, und ich war der Blitz.

Es mußte sein! Was nützt die späte Klage?
Begehrlich suchtest du, was ich vermied,
Du liebtest die Geschichte, ich die Sage,
Du warst das Leben, und ich war das Lied.

Wir fühlten, wenn auch schweigsam, was uns fehle,
Trug war dein Frohsinn, Lüge war mein Scherz,
Du frugst nach Gold, ich frug nach einer Seele,
Du warst der Jude, und ich war das Herz.

So träum' ich nachts. Doch ach! beim Licht der Sterne
Scheint dieser Traum mir frevelhafter Spott,
Wie blinde Heiden lästern die Madonne,
Du warst der Himmel, und ich war kein Gott.