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Bereits in seine Universitätszeit fällt die Entstehung des Zyklus "Märzenveilchen,"
zarter und tiefempfundener Lieder, welche sich schon durch die Gilm eigenartige
Auffassung der Natur und die Gestaltung seelischer Gefühle in der Belebung der
blühenden Welt auszeichnen.



Anmerkung des Herausgebers Rudolf Heinrich Greinz.
 

VI.
Märzveilchen

 

Das Veilchen
Ein Grab
Gedichte Gottes
Raphaele
Ich hab' sie jüngst belogen
Im Waldesgrund
Neue Welt
Sei willkommen, schöner Tag!
Ostern
Der gemalte Strauß
Kirche und Natur
Der Schmetterling
Veilchen und Sterne
Der erste Mai
Falter und Veilchen
Der Veilchenstrauß
Errettet
Kein Veilchen mehr

Das Veilchen


Dunkler als des Himmels Bläue,
Duftender als Rosmarin
Schaut das Veilchen, das getreue
Aus dem ersten Wiesengrün.

Stolz und prahlend buhlt die Rose
Dort mit jedem Morgenwind,
Doch das Veilchen birgt im Moose
Sich wie ein geängstigt Kind.

Denn von allen Eck' und Enden
Geht's hinaus auf seinen Fang —
Ach, und vor gewissen Händen
Ist ihm unaussprechlich bang.

Ein Grab

Es liegen die Veilchen dunkelblau
Auf einem Grab im Abendtau,
Ein kleines Mädchen kniet davor
Und hebt die Hände fromm empor:

"O sagt, ihr Veilchen, in der Nacht
Der Mutter, was der Vater macht,
Daß ich schon stricken kann, und daß
Ich tausendmal sie grüßen laß."

Gedichte Gottes

Du sagtest einst — ich hör' es immer wieder —
Daß du die Dichtung liebtest und die Lieder!
Dann mußt du auch die Veilchen lieben,
Denn sieh': sie sind ja auch Gedichte,
Die Gott ins Grün hineingeschrieben
Mit seines Himmels blauem Lichte!

Raphaele

Wohin, o Mensch? Woher bist du gekommen?
Das sind die metaphysisch dunkeln Fragen,
Die manches edle Menschenherz benagen,
Von sternenloser Zweifelsnacht beklommen.

Was dich in unser Erdental getragen,
Das weiß ich längst; aus deinen himmlisch frommen
Und schönen Augen hab' ich es genommen,
Die kindlich plaudernd das Geheimnis sagen.

Sei mir nicht böse, wenn ich's nacherzähle —
Du warst die einz'ge Frauenengelseele —
Daß auch im Himmel Weiblichkeit regiere.

Nicht herrschen — lieben wollte Raphaele;
Da wies der Schöpfer ängstlich ihr die Türe,
Daß sie ihm seine Engel nicht verführe.

Ich hab' sie jüngst belogen

Ich hab' sie jüngst belogen,
Daß meine Muse schlafe,
Doch plötzlich kam die Strafe
Auch hintendrein gezogen.

Wenn ich ein Veilchen pflücke,
So wird, man glaubt mir's nicht,
Im selben Augenblicke,
Als ich ihr's überschicke
Das Veilchen zum Gedichte.

Im Waldesgrund

      Ich faßte deinen schönen Namen
      In einen großen grünen Rahmen:
      Ich hatt' ihn vor drei Jahren mitten
      Im Wald in einen Baum geschnitten.
      Unter Tannen, unter Buchen
      Mocht' ich noch so fleißig suchen,
      Nirgends mehr im ganzen Raum
      Fand ich mehr den Birkenbaum.
      Plötzlich zogen selt'ner Art
      Wohlgerüche frisch und zart
      Von der grünenden Oase . . .
      Und ich ging dem Dufte nach.
      Sieh, da war im nassen Grase
      Schon ein Märzenveilchen wach!
      Und ich kniete zu ihm hin,
      Küßt' es auf das blaue Auge . . .
      Wenn ich einstens selig bin,
      Küß' ich auf ein braunes Auge! . . .
      Sieh, da strahlten frischer jünger
      Als der Rasen deine lieben
      Züge mir, als hätt' der Finger
      Gottes sie ins Holz geschrieben.

Und plötzlich ward mir hell und klar,
Warum denn hier ein Veilchen war.

Neue Welt

Daß es dem Frühling nicht verschwiegen bliebe,
Was alle meine Pulse mächtig schlagen,
Sang ich's im Lied; — im Liede darf ich's sagen,
Wie unaussprechlich, Mädchen, ich dich liebe.

Es war so dunkle Nacht in meinen Tagen!
Die wilde Qual, von niemandem auf Erden
Verstanden und geliebt zu werden,
Ich hätt' sie gern ins frühe Grab getragen.

Da sah ich dich, — sah nie geahnte Freuden
Die neue Welt mit neuen Blumen kleiden,
Und all die neue Herrlichkeit war dein!

O banne mich nicht weg aus deinem Blicke!
Ich kann nicht mehr in jene Nacht zurücke,
Ich kann nicht mehr so ganz verlassen sein!

Sei willkommen, schöner Tag!

Sei willkommen schöner Tag,
Sei willkommen, Frühlingsbote,
Mit dem goldnen Morgenrote
Um den frühen Stundenschlag!
Komm und wecke mir die Tote,
Die auf Winters Machtgebote
Stumm in meinem Herzen lag!

Streue Blüten auf sie hin;
Laß auf ihrer Locken Wallen
Deine Veilchen niederfallen;
Zier' ihr Bett mit frischem Grün!
Orgle, flöte, laß vor allen
Philomelas Lieder schallen,
Denn es gilt der Königin!

Wenn ihr Auge heiter wird,
Wenn sie sieht die Blumen sprießen,
Wenn sie hört die Quelle fließen,
Fühlt, daß Liebe sie geziert . . .
Frühling, mit den ersten Küssen
Wird sie deine Kinder grüßen,
Die zur Mutter du geführt!

Lächeln wird sie wieder schön,
Wie vor jenen langen Tagen,
Wo mein Herz so groß geschlagen:
Singen oder untergehn
Und sie starb — und ohne Klagen
Hab' ich sie ins Grab getragen,
Unbemerkt und ungesehn.

Ostern

Doch es naht der Ostertag,
Naht, wo die Verwesung drohte,
Naht mit schöpfendem Gebote,
Und es grünt der Sarkophag;
Frühling, wecke mir die Tote!
Bring' die Rose mir, die rote,
Die auf ihrer Wange lag!

Bring' die Rose blendend weiß,
Die mir ihren Nacken malte,
Bring das Licht, das sie umstrahlte,
Das ich nicht zu nennen weiß!
Nimm in deinen Arm und halte
Mir an deiner Brust die Kalte
Und küß ihr die Lippe heiß!

Aber kann dein warmer Hauch
Nur die Flur mit Blumen decken,
Nur die lieben Veilchen wecken,
Aber nicht die Toten auch . . .
Frühling, deine blüh'nden Hecken,
Gib, die Leiche zu verstecken,
Mir den schönsten Rosenstrauch!

Deine Tränen lau und mild
Rieselnd über deine Wangen,
Tropfen, die in Blumen hangen,
Fallen auf das bleiche Bild,
Bis der Arme heimgegangen,
Der der Liebe Glutverlangen
Schwärmend einst für Sünde hielt.

Der gemalte Strauß

Ich kam vor Mittag heut' nach Haus,
Da saßen meine Schwestern
In einem Zimmer hintenaus
Und malten einen Veilchenstrauß,
Den Veilchenstrauß von gestern.

"O lieber Bruder, komm' und schau'!
Hilf uns die Farben mischen!
Sie scheinen alle trüb und grau
Bei deiner Veilchen Sametblau,
Wir können's nicht erfrischen."

"Ich glaub' es wohl, ihr könnt es nicht;
Ich kann es auch nicht nennen,
Was meine inn're Seele spricht;
Und wag' ich's einmal im Gedicht,
So ist's nicht mehr zu kennen."

Kirche und Natur

Des Heilands Liebe, seine Wunden,
Sind heute bis zur Osterzeit
Mit veilchenblauem Tuch umbunden
In allen Kirchen weit und breit.

Und draußen deckt die junge Erde
Nach langem Schlaf, nach langer Ruh',
Daß sie nicht ausgespottet werde,
Mit Veilchen ihre Liebe zu.

Und wenn ich meine Lieder dichte
Von diesen Veilchen, ist es nur
Die alte heilige Geschichte
Von unsrer Kirch' und der Natur.

Der Schmetterling

Ein Veilchen blühte still verborgen,
Da fliegt ein Schmetterling vorbei
Und setzt sich fern, sitzt bang voll Sorgen,
Das Veilchen grüßt: "Recht guten Morgen!"
Und frägt, warum er traurig sei.

"Ich komm' herauf von jener Heide,
Da sind sie alle schön geschmückt
Mit Gold auf ihrem Flügelkleide —
Den stolzen Blumen ihre Freunde —
Nur mich hat keine angeblickt.

"Ich hab' kein Gold auf meinem Flügel,
Es hat's der Mond, der Sterne Licht,
Es hat's der Baum auf jedem Hügel,
Es hat's der Bach auf seinem Spiegel —
Nur ich bin arm, ich hab' es nicht!"

Doch bei der ersten Sterne Schimmer
Lag er beim Veilchen duftberauscht,
Und diese eine Nacht hätt' nimmer
Um all' des Goldes Glanz und Flimmer
Der arme Falter eingetauscht.

Veilchen und Sterne

Ich frug einmal die Veilchen:
"Was tut ihr bei der Nacht?
Ihr schlaft wohl auch ein Weilchen,
Bis Sonne wieder lacht?"

Da spricht's aus tausend Kehlen:
"Wir brauchen keine Ruh';
Die Sterne die erzählen,
Und wir, wir hören zu.

Wir haben uns so gerne,
Drum trennen wir uns nie;
Wir Veilchen sind auch Sterne,
Und Veilchen sind auch sie.

Wir kommen, wir erscheinen
Bei stiller Sternenpracht,
Und wenn wir einmal weinen,
So tun wir's bei der Nacht.

Und sinkt ein Veilchen nieder,
Sein Leben war kein Wahn,
So zündet Gott ihm wieder
Viel tausend Lichtlein an.

Wir haben uns so gerne,
Drum trennen wir uns nie;
Wir Veilchen sind auch Sterne,
Und Veilchen sind auch sie."

Der erste Mai

Es feiert der Blumen scheue Welt
Den ersten Tag im Mai,
Was grünt und blüht in Wald und Feld,
Ist bei dem Fest dabei.

Ein milder, seidenweicher Tag,
Der Himmel dunkelblau!
Man neigt sich nach der Amsel Schlag
Und trinkt den süßen Tau.

Die Falter finden auch sich ein,
Bald herrscht der tollste Scherz;
Das Veilchen nur ist ganz allein,
Als hätt' es einen Schmerz.

Als ob es sich im stillen härm',
Steht es gedankenvoll:
"Ich kann bei diesem tollen Lärm
Nicht beten, wie ich soll."

Ein Engel hört's und trägt geschwind
Zum Himmel dieses Wort,
Und seitdem, wo die Veilchen sind,
Da ist ein stiller Ort.

Falter und Veilchen

Ein Veilchen war's mit gold'nem Ringe
Im tiefen violett'nen Blau;
Es stritten d'rum zwei Schmetterlinge,
Die schönsten auf der weiten Au.

Und als in diesem wilden Streite
Der Goldstaub von den Flügeln flog,
Da klang ein Seufzer durch die Weite,
Der auch an mir vorüberzog:

"O wären meine Farben trübe,
Wär' ich nicht duftend und nicht schön,
So könnt' den Frühlingstag der Liebe
Ich tränenlosen Auges sehn!

Wie war ich gestern noch so fröhlich!
Sie nahmen meine Ruhe hin,
O daß ich so ein unglückselig,
So schönes, armes Veilchen bin!"

Da spricht der eine Falter: "Werde
Dir Ruhe bringen!" und entflieht,
Und sterbend fällt er auf die Erde,
Als ihn das Veilchen nimmer sieht.

Der Veilchenstrauß

Ihr kennt den Berg Kalvari,
Der hinter Arzl steht,
Wo steil hinauf zur Kirche
Der schmale Kreuzweg geht.

Als dort zum dritten Kirchlein
Zu steigen ich begann,
Da saß vor der Kapelle
Ein armer alter Mann.

Und vor ihm stand ein Körbchen,
Und Veilchen waren drin,
Er reichte mir die schönsten
Mit trüben Augen hin.

"Herr!" sprach er, "habt Erbarmen,
Ist euer Herz noch weich,
So schenkt der schöne Frühling
Die schönen Veilchen euch.

Und gebt ihr sie dem Mädchen,
Das euch recht liebt und ehrt,
Dann sind sie wohl des Geldes,
Des kleinen Geldes wert.

Einst gab ich's auch der Liebe.
Doch ach! die Lieb' ist tot,
Jetzt geb' ich sie euch alle
Ums liebe teure Brot."

Ich gab mit frommer Seele
Und trug im schnellsten Lauf
Zum Muttergottesbilde
Den Veilchenstrauß hinauf.

Errettet

Ich saß im stillen Sehnen,
Da sprach ein Veilchen auf:
"O lasse deine Tränen
Nur immer freien Lauf.

Mich hat einst eine Zähre
Errettet von dem Tod,
Im Sonnenbrande wäre
Erlegen ich der Not.

Da kam in stiller Demut
Ein Mädchen wonniglich,
Ihr Auge war voll Wehmut
Und himmelblau wie ich.

Sie ging mit einem Reiter,
Der glänzend war und schlank,
Die Stirne hell und heiter,
Der Säbel silberblank.

Der nahm im Herzensdrange
Sie um des Leibes Rund,
Und küßte ihr die Wange,
Und küßte ihr den Mund.

Als dann die Augenlider
Das Mädchen hat gesenkt,
Da fiel die Träne nieder,
Die damals mich getränkt."

Kein Veilchen mehr

    Des Morgens früh,
Da pflückte sie
    Die Veilchen jener Hügeln —
Der Schmetterling,
Mit blauem Ring
    Auf silberweißen Flügeln,
Lag regungslos
Im Veilchenschoß,
    Sein Leben war verloren;
Auf mir lag's schwer,
Kein Veilchen mehr
    Pflück' ich . . . ich hab's geschworen.