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Im Dezember 1842 mußte Gilm beruflich nach Bruneck übersiedeln. Dort erreichte seine Liebeslyrik
ihre höchste Blüte durch die "Sophienlieder."
Der Name der Gefeierten ist Sophie Petter, auf die sich auch der kleine Zyklus "Schartellieder"
(Schartel eine Sommerfrische bei Bruneck) gleichfalls bezieht.

Anmerkung des Herausgebers Rudolf Heinrich Greinz.
 

VII.
Sophienlieder

 

Sophie
Trost
Geduld
Die Messe
Die Bleiche
Die Träne
Der Talisman
Sonnabend
Die Schweigsame
Allerseelen
Vor einer Bude
Frühling
Dein Kranz
Alles im Geheim'
Kinderglaube
Die Georgine
Im Konzert
Der Engel

Sophie


Durch alle deutschen Gaue
Ziehn Lieder auf und ab,
Nur im Tirolerlande
Ist's stille wie im Grabe.

Da tritt aus einem Tale
Ein wundervolles Kind
Und streut aus ihren Locken
Die Blumen in den Wind.

Willkommen, Tiroler Frühling,
Tiroler Poesie —
Schlag' auf die Götteraugen,
Wir taufen dich Sophie!


Trost

Die Welt mag Böses sinnen —
Was kümmert das uns beide?
Die Blumen draußen spinnen
Schon lang an deinem Kleide.

Von steiler Berges-Firne
Kommt Gold herabgeflossen,
Es wird für deine Stirne
Die Krone dort gegossen.

Und wenn von tausend Zungen
Die Wälder schallen wieder,
So singen mit den Jungen
Die Alten unsre Lieder.

Geduld

Geduld! sagst du und zeigst mit weißem Finger
Auf meiner Zukunft festverschlossne Tür;
Ist die Minute, die da lebt geringer
Als jene ungebor'ne, sage mir!
Kannst mit der Liebe du den Lenz verschieben,
Dann borg' ich dir für eine Ewigkeit —
Doch mit dem Frühling endet auch das Lieben,
Und keine Herzensschulden zahlt die Zeit.

Geduld! sagst du und senkst die schwarze Locke —
Und stündlich fordert eine Totenglocke
Der Tränen letztes Fährgeld für ein Grab.
Sieh nur die Tage schnell vorüberrinnen,
Horch wie sie ängstlich pochen an die Brust:
Mach auf! Mach auf! Wenn wir nicht heut gewinnen,
Ist unser Scheiden ewiger Verlust.

Geduld! sagst du und senkst das Auge nieder
Und alle meine Fragen sind verneint;
Geduld! Geduld! Verlassen bin ich wieder,
Die letzte Träne ist noch nicht geweint,
Du hast geglaubt, weil andre warten müssen
Und warten können, kann und muß ich's auch,
Ich aber hab' zum Lieben und zum Küssen
Nur einen Frühling, wie der Rosenstrauch.

Die Messe

Jeder kann nicht in den Himmel,
Jedem sind nicht Flügel eigen,
Drum hat sich Gott entschlossen,
Auf die Welt herabzusteigen.

Dichtern ist der Himmel offen,
Merkt dies, daß mich keiner schmähe
Und mich nenne einen Ketzer,
Wenn ich nicht zur Messe gehe.

Wenn wir unser Gott nur finden,
Wie und wo, das ist das gleiche —
Ihr bequem hier auf der Erde,
Aber ich im Himmelreiche.

Die Bleiche

Ist auf deines Herzens Herd
Alles Feuer ausgegangen,
Daß auf deinen blassen Wangen
Noch der Schnee liegt unversehrt?

Komm, mir ist so frühlingswarm,
Komm zu mir, du Halberfrorne!
Zünd' das Feuer, das verlorne,
Wieder an in meinem Arm.

Horch, schon fängt dein Herz ganz still
Aber schneller an zu klopfen,
Und die süßen Augen tropfen
Wie die Tannen im April.

Und neugierig schauen zwei
Junge Röslein von den Wangen
Ob der Schnee schon weggegangen
Und der Lenz gekommen sei.

Die Träne

Laß an der Wimper nicht die Träne hangen,
Der Silberquelle laß den freien Lauf;
Sie weiß wohin, sie weiß, es fangen
Sie meiner Lieder Blüten dürstend auf.

Die Wolke dort im rosenroten Kleide
Ist aufgestellt als Blumengärtnerin,
Und in der Liebe selig reiner Freude
Weint sie die süßen Tränen drüber hin.

Laß an der Wimper nicht die Träne hangen,
Du Gärtnerin in stiller Sternennacht!
Und meine längst verwelkten Blüten fangen
Zu funkeln an in neuer Farbenpracht.

Der Talisman

Schenk' etwas mir, ich fleh' dich an,
Ein Löcklein allenfalls,
Damit ich mit dem Talisman
Behänge meinen Hals;

Damit ein treuer Wächter sei
Vor meiner offnen Brust
Und ferne halte allerlei
Verbot'ne süße Lust.

Von hier und dort, von fern und nah
Will vieles Volk hinein
Und doch gehört, du weißt es ja,
Mein Herz nur dir allein.

Sonnabend

Schönes Kind, bist du noch wach?
Nun so richt' dich traulich
Auf im Bett und sprich mir nach,
Aber recht erbaulich:

Lieber Himmel, hör' mir zu,
Sonntag ist es morgen,
Daß für schöne Kleider du
Nicht vergißt zu sorgen!

Zieh' den blauen Mantel an
Mit den roten Kanten
Und den großen Orden dran
Voller Brillanten.

Die Schweigsame

Sei karg mit deinem Worte,
Verschließe nur den Mund,
Doch öffne mir die Pforte
Des Aug's zu jeder Stund'.

Und wenn die Welt dich immer
Verwundert fragen will,
Warum dein Aug' voll Schimmer
Und doch dein Mund so still:

So sage unverdrossen
Der Törin ins Gesicht:
Die Rose sei geschlossen,
Der Himmel aber nicht.

Allerseelen

Stell auf den Tisch die duftenden Reseden,
Die letzten roten Astern trag' herbei,
Und laß uns wieder von der Liebe reden,
                 Wie einst im Mai.

Gib mir die Hand, daß ich sie heimlich drücke
Und wenn man's sieht, mir ist es einerlei,
Gib mir nur einen deiner süßen Blicke,
                 Wie einst im Mai.

Es blüht und duftet heut auf jedem Grabe,
Ein Tag im Jahr ist ja den Toten frei,
Komm an mein Herz, daß ich dich wieder habe,
                 Wie einst im Mai.

Vor einer Bude

Vor einer Bude steht ein Kind
Und greift nach allen Waren
Und läßt das Nächste dann geschwind
Ums Fernste wieder fahren.

Du holdes Mädchen, wärst du mein
Und all' die hübschen Sachen:
Der Augen milder Sternenschein,
Der Wange schelmisch Lachen;

Der Mund so süß, das Haar so lind,
Der Leib so voll gegossen,
Ich ständ' vor dir wie jenes Kind
Und auch so unentschlossen.

Frühling

Wenn es wieder blüht auf Erden,
Frühlingslüfte wieder wehen,
Ach wie viele Berge werden
Zwischen uns, Geliebte stehen!

Noch vermag ich's nicht zu fassen,
Was es heißt, von dir zu scheiden,
Was es heißt, allein, verlassen,
Dich zu missen und zu meiden.

Schweigen werden meine Lieder,
Kein Gesang wird mehr ertönen
Und die Fremden werden wieder
Uns're stummen Berge höhnen.

Dein Kranz

Wenn dir lag der Freude Strahl,
Rosen lockend, auf den Wangen,
Ist ein Lied noch jedesmal
Mir im Herzen aufgegangen.

Und ist eine Träne dir
Demanthell im Aug' zerflossen,
Ist sogleich im Herzen mir
Wiederum ein Lied entsprossen.

D'rum, Geliebte warte zu,
Denn ich kann dir eines sagen:
Keine and're wird wie du
Blumen um die Stirne tragen.

Alles im Geheim'

Wie still ist's doch im Lande hier,
Viel Volk und kein Getöse,
Denn im Geheim' verrichten wir
Das Gute und das Böse.

Geheim beratschlagt der Kongreß,
Geheim urteilt der Richter;
Aus Furcht vor dem Zensurprozeß
Singt im Geheim' der Dichter.

Mit meiner Liebe Liederschlag
Will ich das Schweigen brechen,
Und ist das Wort erstarkt, so mag
Ein andrer nach mir sprechen.

Kinderglaube

Schlingt dein Arm sich um den meinen,
Drück' ich deine Hand so lind,
Dann, Geliebte, will mir's scheinen
Ich sei wiederum ein Kind.

Und ich könne wieder beten,
Meiner stolzen Freiheit satt,
Könne keine Blume treten
Weil sie eine Seele hat.

Und die Kette sei zerrissen,
Die an Raum und Zeit mich band,
Und dein Auge sei mein Wissen
Und dein Herz mein Vaterland.

Die Georgine

Warum so spät erst, Georgine?
Das Rosenmärchen ist erzählt,
Und honigsatt hat sich die Biene
Das Bett zum Schlummer schon gewählt.

Sind nicht zu lang dir diese Nächte,
Die Tage nicht zu schnell dahin?
Wenn ich dir jetzt den Frühling brächte,
Du feuergelbe Träumerin!

Wenn ich mit Maitau dich benetzte,
Begösse dich mit Juni-Licht!
Doch ach, dann wärst du nicht die Letzte,
Die stolze Einzige auch nicht.
760m
Du spät gebornes Kind der Sonne,
Ich reich' dir brüderlich die Hand,
Ich hab' des Lebens Frühlings-Wonne
Wie du den Maitag nie gekannt.

Und spät wie dir, du feuergelbe,
Stahl sich die Liebe mir ins Herz,
Ob spät, ob früh, es ist dasselbe
Entzücken und derselbe Schmerz.
 

Und hier das obige Gedicht in des Dichters Handschrift.




 
Im Konzert

I.
Da sitzen deutsche Frauen,
Sprecht sie bei Leib' nicht an,
Sie horchen auf und schauen
Entzückt den welschen Hahn.

Ich aber bin so töricht,
Bin ein Barbar gewiß,
Mir ekelt's an dem Kehricht
Von London und Paris.

Der Esel frißt die Diestel,
Verschmäht die Rose dort,
Ihr liebt die welsche Fistel,
Doch ich das deutsche Wort.

II.
Ich bin ein deutscher Sänger
Und lieb' mein Vaterland,
Das Fremde führt uns länger
Nicht mehr am Gängelband.

Nicht mehr dem fremden Klange
Beugt sich der deutsche Geist,
Doch nach dem deutschen Sange
Da lieb' ich dich zumeist.

Drum jage nur die Wolke
Von deiner Stirne Schein,
Vor dir und meinem Volke
Ist mein Gewissen rein.

Der Engel

Daß der Mensch im ganzen Leben
Stets die rechte Pfade finde,
Hat der Himmel jedem Kinde
Einen Engel mitgegeben.

Und ich kann mich noch entsinnen
Aus der Kindheit Dämmerungen,
Wie die Stimme mir geklungen
Still im tiefsten Herzen drinnen.

Und voll Sehnsucht rief ich immer:
Zeig' dich, zeig' dich, schöner Sprecher,
Zeig' der Flügel goldne Fächer,
Zeig' des Sonnenauges Schimmer.

Bis des Tages Licht verblichen,
Weint' ich in der Sehnsucht Schmerzen —
Und die Stimme schwieg im Herzen,
Und mein Engel war entwichen.

Weh! mein irdisches Verlangen
Hat das himmlische vertrieben,
Meinen Engel sollt' ich lieben,
Und ich wollte ihn umfangen.

Einsam blieb ich und verlassen,
Wild warf ich mich in die Arme
Dieser Welt, daß ich erwarme,
Sei's am Lieben oder Hassen.

Und geschmückt mit jungen Myrten,
Duftend von Orangenblüte,
Hielt mit schamumhüllter Güte
Bräutlich fromm sie den Verirrten.

Als das Lied mit vollen Zügen
Aus dem Herz sie mir gesogen,
Ließ sie elend und betrogen
Mich allein am Wege liegen.

Elend, mit dem Fluch der Sünde,
Mit dem blutenden Gewissen,
Mit der Seele weltzerrissen
Und dem Traum von einem Kinde.

Knospen schwellen, Blumen keimen,
Frühlingslüfte wehen wieder,
Horch! die Auferstehungslieder!
Singt nur zu und laßt mich träumen.

Träumen von den süßen Tönen
Jenes Engels, der mir grollte,
Floh, als ich ihn schauen wollte!
Kehr' zurück, laß dich versöhnen.

Nur ein Wort, ein leises Zeichen,
Daß du nah bist und nicht ferne —
Denn zu deinem Heimatsterne
Kann dies arme Herz nicht reichen.

Und da tönt's, wie abends schlagen
Aneinander Blumenglocken,
Und die Nacht der dunklen Locken
Macht ein Sonnenauge tagen.

Ja, das klingt, wie einst ich's hörte,
Ja, das ist's, was einst ich schaute,
Was ich mir im Träume baute,
Bis das Leben es zerstörte.

Ja du bist mein erstes Lieben,
Bist mein Engel schön und blühend;
Denn die Himmelsabkunft glühend
Ist dir in das Aug' geschrieben.

Und ich zürnte dir auf Erden,
Ungerecht war meine Klage,
Wußt' ich doch, in einem Tage
Kann kein Engel Jungfrau werden.