weiter
 

Durch seine Liebe zu einem schönen jungen Mädchen, Josefine Kogler, entsproß ein wahrer Blütenflor der schönsten Lieder.
Ihr gilt auch der Zyklus "Sommerfrische in Natters," der uns die Gilmsche Lyrik schon in der ganzen Vollendung zeigt.
Kindliche Anmut, unschuldige Koketterie, liebevolle Sehnsucht, Scherz und Spiel, zärtliche Hingabe hat Gilm in Liedern verkörpert.

Anmerkung des Herausgebers Rudolf Heinrich Greinz.
 

IV.
Sommerfrische in Natters 1

Lieder eines Mädchens

 

Prolog
Am Stickrahmen
Gespinst
Die ersten Küsse
Man sagt
Gottvergessne Liebe
Gott überall
Der Liebe Boten
Morgentraum
Drei Kränze
Einem Manne aus dem Volke
Idiosynkrasie
Die Mutter sagt'
Die Nonne
Wenn ich nur ein Knabe wäre!
Ferdinand, ich liebe dich!
Mein Liebster ist verdrießlich
Zusammentreffen
Sehnsucht
Gelübde
Ich saß auf einer Rasenbank
Das große Buch
Die Zeitlose
Im Tempeldunkel rauchte
Das Greisenpaar
Himmel oder Frühling?
Stelldichein

Prolog

Anwendung: Warum das Liedchen als Prolog,
                   Das merkt ihr wohl genug:
                   Ein altes Sprichwort sagt, man wird
                   Aus fremden Schaden klug.


Ich hab' im Wald einen Vogel gefragt:
Wo kommst du her?
Der hat sich im dunkelsten Dickicht versteckt
Und sang nicht mehr.

Ich hab' im Feld eine Blume gefragt:
Wie heißest du?
Die fand sich beleidigt und schloß den Kelch,
Den duftenden zu.

Ich hab' einen goldnen Käfer gefragt:
Bist Mann oder Weib?
Der flog davon und brummte für sich
Zum Zeitvertreib.

Ich hab' einen lockigen Knaben gefragt:
Wie heißt man dich?
Der war der gröbste: Er gab mir dafür
Ins Herz einen Stich!

Am Stickrahmen

Ich hab' einen Strauß auf den Rahmen gestickt,
Da hat er mir über die Achsel geblickt.

Er nahm die Nadel und lächelte fein
Und stickt' einer Rose die Dornen ein.

Und als ich mich wieder zur Arbeit gesetzt,
Da haben die Dornen mir's Herz verletzt.

Gespinst

In der Bauerstube drinnen
Nach des Tages Müh' und Sorgen
Sitz' ich manchmal mit den Töchtern
Und den Mägden noch beim Spinnen.

Während sich bei Lied und Scherzen
Ihres Rockens langen Faden
Mit den roten Lippen netzen,
Flüstert etwas mir im Herzen:

Auf sein Knie möcht' ich mich setzen
Und an seinen Locken spinnen,
Und den langen seidnen Faden
Möcht' ich mit den Lippen netzen.

Die ersten Küsse

Längst waren die Vögel zur Ruhe,
Die Blumen längst eingenickt,
Als er die ersten Küsse
Auf meine Lippen gedrückt.

Doch als ich des andern Morgens
Im duftenden Walde ging,
Wo gestern Lipp' an Lippe
Und Aug' an Auge hing,

Da haben Blaumeisen und Gimpel
Von meiner Lieb' sich erzählt
Und gleich geschwätzigen Tanten
Mich Rosen und Maßlieb gequält.

Ich konnte nicht länger mehr weilen,
Und weinend lief ich nach Haus,
Am nächtlichen Himmel die Sterne,
Die ewigen, plauderten's aus.

Man sagt

Man sagt, er sei sehr eigensinnig
Und boshaft, das ist wahr;
Doch ist sein Mund so süß und minnig
Und seidenweich sein Haar.

Man sagt, er sei dem Spiel gewogen
Und komme spät nach Haus,
Doch unter seiner Augen Bogen
Ziehn Engel ein und aus.

Man sagt, er sei voll wilder Schwänke,
Nach Laune hart und mild;
Doch diese Eigenschaft, ich denke,
Hat jedes Gnadenbild.

Gottvergessne Liebe

Küßt mich die Mutter abends
Aus ihres Herzens Grund,
So macht sie stets ein Kreuzchen
Mir fromm auf Stirn' und Mund.

Ich küßte dich wohl öfter
In süßer Abendstund',
Du hast mir nie ein Kreuzchen
Gemacht auf Stirn' und Mund.

Und daß ich jetzt so vieles
Und herbes Leid erduld',
Daran ist wohl die Liebe,
Die gottvergessne, schuld.

Gott überall

Sieh', dort zeigen sie dem Volke
Sein und seines Gott's Verhängnis:
Eine trübe Weihrauchwolke
Und ein ewiges Gefängnis.

Wollen ihn mit goldnen Spangen
Zwischen Schloß und Riegel halten;
Können nicht den Sturmwind fangen,
Nicht den Strahl der Sonne spalten.

Und es heißt: Im Windessäuseln
Kommt der Mächtige gegangen —
Wenn sich deine Locken kräuseln,
Streift sein Hauch um deine Wangen.

Und es steht im Buch geschrieben:
Wo zwei Menschen sich begegnen,
Die sich in der Seele lieben,
Naht der Herr sich, sie zu segnen.

Der Liebe Boten

Wenn's regnet und ich sitz' im Haus
Verlassen und gefangen,
Send' ich der Liebe Boten aus:
Das Sehnen und das Bangen.

Sie schiffen durch den Himmelsplan,
Den Teuren zu erspähen,
Sie brechen durch die Wälder Bahn
Und steigen auf die Höhen.

Sie schwimmen durch den grünen Fluß
Und klettern auf die Mauer,
Und legen dort mit Gruß und Kuß
Sich müde auf die Lauer.

Morgentraum

Wie die Blumen alle winken
Und die Kelche mir kredenzen,
Perlen seh' ich drinnen glänzen —
     Willst du trinken?

Und der Kirschbaum, schwer beladen,
Grüßt mich mit des Knechts Gebärde,
Als wär' ich Herr der Erde
     Voller Gnaden.

Schmeichelnd fährt's durch meine Locken,
Blumen regnet's, Winde kosen:
Willst du Veilchen oder Rosen?
     Oder Glocken?

Dort, von Buchen halb verborgen —
Er schon wieder, er schon wieder
Mit den Augen voller Lieder —
     Welch' ein Morgen!

Drei Kränze

Ich habe drei Kränze gewunden
Gleich einer Schäferin
Und will sie nun verteilen
Nach meinem törichten Sinn.

Den ersten aus Eichenblättern,
Den drück' ich dir auf das Haupt;
Es liegt eine Kraft in der Eiche,
An die man vertraut und glaubt.

Den zweiten aus wilden Rosen
Geb' ich dem Bächlein im Wald,
Das färbt mit rosigem Leben
Die Wangen von Jung und Alt.

Den dritten aus Blumen des Feldes
Leg' ich dem Heiland aufs Haar —
Er soll keinen Dornenkranz tragen
In meinem seligsten Jahr.

Einem Manne aus dem Volke

Einem Manne aus dem Volke
Reicht die edle Herzogin,
Daß vorüberzieh' die Wolke
Von Altenglands reinem Himmel,
Mund und Stirn' zum Kusse hin.

In Grün-Erins Gartenauen,
Heiß geliebt vom Sonnenstrahl
Süßer Freiheit, gibt der Frauen
Herz die Liebe und den Frühling
Um O'Connels* Repeal**

*Bekannter irischer Agiator (1775-1847),
der die Unabhängigkeit Irlands anstrebte.
**Aufhebung; hier Trennung Irlands vom britischen Reich.
      Anm. d. Herausgebers


Auch das deutsche Mädchen gäbe
Seiner Tränen Kronjuwel,
Und der Rhein die goldne Rebe,
Und die Eichen ihrer Blätter
Kranz um einen Daniel.*

*Daniel der Taufname O'Connels
                Anm. d. Herausgebers


Idiosynkrasie

Es scheint mir, ich werde
Ein gottloses Kind;
Denn seh' ich den Pfarrer,
So lauf' ich geschwind.

Mir ist nicht behaglich
Bei diesem Mann,
Obschon er mir niemals
Ein Leides getan.

Doch unten im Felde
Beim Kruzifix
Bleib' ich gern stehen
Und mach' einen Knix.

Die Mutter sagt'

Die Mutter sagt', ich wäre krank,
Müss' in die Sommerfrist;
Da hab' ich ihr im stillen Dank
Die liebe Hand geküßt.

Doch wenig, scheint mir, nützt die Kur,
Ich fühl' den alten Schmerz;
Er zog sich durch das Wasser nur
Vom Magen in das Herz.

Die Nonne

Es schließet sich die Nonne
In ihre düstre Zell',
Schaut nicht das Licht der Sonne
Und wäscht sich nicht am Quell.

Daß sie ein Engel werde,
Flieht sie des Waldes Lust,
Haßt sie die schöne Erde
Und martert ihre Brust.

Doch anders ist mein Wille;
Möcht' keine Nonne sein,
Und lieber eine Grille
Als einst ein Engelein.

Wenn ich nur ein Knabe wäre!

   Wenn ich nur ein Knabe wäre!
Dort mit jenem wilden Pferde
Möcht' ich jagen um die Erde,
Und in seine seidne Mähne
Möcht' ich schütten meine Träne,
   Wenn ich nur ein Knabe wäre!

   Wenn ich nur ein Knabe wäre!
Auf die höchsten Berge klimmen,
Durch die tiefsten Flüsse schwimmen
Möcht' ich und mein Leben wagen,
Eine Gemse zu erjagen,
   Wenn ich nur ein Knabe wäre!

   Wenn ich nur ein Knabe wäre!
Mit des Adlers kühnen Schwingen
Möcht' ich nach dem Lichte dringen,
Ins geweihte Herz der Frauen
Meines Liedes Tempel bauen!
   Wenn ich nur ein Knabe wäre!

Ferdinand, ich liebe dich!

An des Baches Rand dort drüben
Hab' ich in den Sand geschrieben:
    Ferdinand, ich liebe dich!
Doch die Well' im Blumenhaschen
Hat die Worte weggewaschen.

Hab' bei hohen Alpenhütten
Tief in einen Baum geschnitten:
    Ferdinand, ich liebe dich!
Doch bei eines Morgens Grauen
Fand den Baum ich umgehauen.

In der schönsten Rose Blättern
Stand geritzt mit kleinen Lettern:
    Ferdinand, ich liebe dich!
Doch der Sturm im wilden Jagen
Hat die Rose fortgetragen.

Könnt' ich meiner Lieb' Entzücken
In die Himmelsdecke sticken:
    Ferdinand, ich liebe dich!
Was die Erde nicht will tragen,
Muß sich an den Himmel wagen.

Mein Liebster ist verdrießlich

Mein Liebster ist verdrießlich,
Ich nannt' die Männer dumm;
Die Lehr' kann sein ersprießlich,
Drum sag' ich auch warum.

Die Freiheit konnt' auf Erden
Nur kommen als ein Kind;
Sie mußt' geboren werden,
Wie wir es alle sind.

Der Engel fand geschwinde
Die Jungfrau in der Still',
Die freudig diesem Kinde
Die Mutter werden will.

Doch ach, er sucht' vergebens
Um einen Vater nach;
Da flog der Geist des Lebens
Als Taube ins Gemach.

Mein Liebster ist verdrießlich,
Ich nannt' die Männer dumm;
Die Lehr' kann sein ersprießlich,
Drum sag' ich auch warum.

Zusammentreffen

Beim Brünnlein Geplauder, ich schau', was es sei —
Es ist der Herr Pfarrer, mein Liebster dabei.

Es hat mir der Schrecken die Füße gelähmt,
Es hat vor dem Pfarrer mein Herz sich geschämt.

Es ging der Hochwürden in den Wald hinein;
Da waren die beiden so ganz allein.

Ich weiß nicht mehr, was der Hochwürdige sprach,
Doch denk' ich und leb' ich und sterb' ich darnach.

Sehnsucht

Als ich vor wenig Stunden
Auf deinen Knien saß,
Die blühende, sonnige Erde
Und selbst den Himmel vergaß,

War meine Seele ruhig —
Die schlafende See vor dem Wind —
Ich war nicht mehr und nicht minder
Als eben ein glückliches Kind.

Verlassen nun fühl' ich's: die Liebe
Ist mehr als Zeitvertreib
Und eine träumende Jungfrau
Noch nicht das ganze Weib.

Gelübde

Meine Mutter hatt' zur Wallfahrt
Auf die Waldrast sich verlübdet:
"Mutter ich werd' Sie begleiten."
Und wir gingen miteinander,
Gingen fast zwei ganze Tage,
Bis wir auf dem hohen Berge
In die kleine Kapelle traten.
Und ich sah von rot- und weißem
Wachse Händ' und Füße hängen,
Wiegenkinder, Kälber, Pferde
Durcheinander an den Mauern.

Und ich bat die gute Mutter,
Mir die Zeichen zu erklären.
Als die Mutter mir's gedeutet,
Kniet' ich nieder zum Altare,
Betete aus voller Seele:
"Heil'ge Jungfrau, Mutter Gottes,
Die du vielen hier geholfen,
Hilf auch mir von meinen Qualen,
Die die Liebe mir bereitet!
Und ich will statt Wachs und Silber
Dir ein Herz zum Opfer bringen,
Und am roten seidnen Bande
Es an diese Mauern hängen."

Wenn in süßer Waldrast Kirche
Ihr ein Herz von Silber findet
Mitten in den Wachsfiguren,
Hoch am roten seidnen Bande,
Dann ist deren Herz gesundet,
Die dies alles aufgeschrieben.

Ich saß auf einer Rasenbank

Ich saß auf einer Rasenbank,
Ein Buch auf meinem Schoß,
Und nieder bis zur Schulter sank
Die Locke lang und los.

Es wird mir heiß; ich schieb' das Tuch,
Das seidene zurück,
Steh' langsam auf und schließ' das Buch
Mit tränenvollem Blick.

Und nimm das Glas, und füllen lass'
Vom Quell ich's bis zum Rand
Und trink's zur Hälft' und gieß' das Naß
Dann kniend in den Sand.

Da hatt' er aber kurz vorher
Ein Blümlein hingepflanzt
Und statt des Zauns mit einer Wehr
Von Steinen es umschanzt.

Das große Buch

Man überraschte mich beim Lesen:
Das schickt sich nicht für dich, mein Kind,
Das schickt sich nur für höhere Wesen,
Wie nur unsersgleichen sind.

Ich wollte nichts darüber sagen,
Doch meine Seele war empört,
Nicht weil die Freude mir zerschlagen,
Nicht weil mein süßer Traum zerstört.

Auch nicht, weil ich sie drum beneide;
Ich füg' mich dem Verbote gern,
So lang ein Blümlein auf der Heide,
So lang' am Himmel noch ein Stern.

Ich hab' ein Buch zu allen Stunden,
Es schrieb es keine Menschenhand,
In grünen Samt ist es gebunden,
Und schön vergoldet ist sein Rand.

Darin sind Märchen und Geschichten
Und Lieder von der Nachtigall,
Und liebeskranke Rosen duften,
Benetzt vom nahen Wasserfall.

Dies Buch ist allen aufgeschlagen,
Und wer dies große Buch versteht,
Der darf es wahrlich nicht beklagen,
Wenn so ein Büchlein ihm entgeht.

Doch weil sie glauben, daß das Leben
Des Geist's leibeigen angehört,
Das doch der Himmel frei gegeben
Hat meine Seele sich empört.

Die Zeitlose

Auf frisch gemähtem Weideplatz
Steht einsam die Zeitlose,
Den Leib von einer Lilie,
Die Farb' von einer Rose.

Und es ist Gift, was aus dem Kelch,
Dem reinen, blinkt so rötlich;
Die letzte Blum', die letzte Lieb'
Sind beide schön, doch tödlich.

Im Tempeldunkel rauchte

Im Tempeldunkel rauchte
Der Erde geschmückter Altar,
Am blauen Samt-Baldachine
Flog weißer Engel Schar,

Bis fei'rlich ein Priester, ein hoher,
Empor die Hostie hielt,
Umgeben von silbernen Strahlen,
Von goldenen Rosen umspielt.

Da sangen die Vöglein, es standen
Die Blumen hoch auf im Feld —
Die Sonn', wie die ewige Liebe,
Kommt singend und blühend zur Welt.

Das Greisenpaar

Tagtäglich kommt zur Quelle
Ein armes Greisenpaar,
Sie einst ein blühend Mädchen
Und er einst ein Husar.

Sie zog mit ihm zu Felde,
Marschierte Tag und Nacht,
Verband ihm seine Wunden
Und küßt' ihn vor der Schlacht.

Und wenn der große Kaiser
Vom Siege sie geführt,
So hat sie seinen Tschako
Mit Eichenlaub geziert.

Die Schlachten sind geschlagen,
Die alten Helden tot;
Der Kaiser ist im Himmel,
Sein Reiter in der Not.

Himmel oder Frühling?

Habt ihr mich hinausgetragen
In den Wald, den sommerfrischen,
Wo die Nachtigallen schlagen
In den wilden Rosenbüschen:

Mutter, hilf mir aus dem Bette!
Auf den Rasen will ich springen
Wie das Kind, und um die Wette
Will ich mit den Vögeln singen.

Und von Lichtern welch Gewimmel!
Ach, so schön war's nie auf Erden!
Mutter, sag', ist das der Himmel,
Oder will es Frühling werden?

Stelldichein

Vier Uhr! alte Kirchturmglocke,
Deine Schläge sind Musik!
Mit der nächsten jener Weizen-
Ährenwogen kommt mein Glück.

Finken, bleibt in meiner Nähe
Hier im hellen Sonnenschein,
Nur ein kleines Vietelstündchen,
Laßt die junge Braut allein!

Und du, alte lange Tanne,
Traumverlorne, komm' zu dir
Und vertritt in dieser Stunde
Sorgsam Mutterstell' an mir!

Und du, Quelle, leise murmelnd,
Hör' ein angstbeglücktes Kind:
Murmle laut um Gottes Willen
Wenn wir beide stille sind.