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Gilm musste im Dezember 1842 aus beruflichen Gründen von Schwaz nach Bruneck übersiedeln. Dort fand er eine herzliche und warme Aufnahme.
Vor allem die freundschaftliche Beziehung zu seinem Vorgesetzten, dem Kreishauptmann Josef Kern, Ritter von Kernburg,
veranlasste ihn, jenem einen kräftigen "Sonettenkranz" zu widmen.

Anmerkung des Herausgebers Rudolf Heinrich Greinz.
 

IX.
Sonettenkranz

 

Vorwort
Ampezzo
Buchenstein
Windischmatrei
Lienz
Sillian
Welsberg

 
Enneberg
Taufers
Bruneck

 
Mühlbach
Brixen
Sterzing

 

Vorwort


Der Dichter ist verfemt! — Es gibt noch viele,
Die halten jedes Lied für eine Sünde,
Sie fürchten, daß im Brennpunkt der Gefühle
Ihr alt' und morsch' Gebäude sich entzünde.

Drum sagt' ich weinend meinem Saitenspiele
Das Lebewohl und hing's an eine Linde
Im Pustertal, da kamen alle Winde
Zu meines Baumes friedlichem Asyle:

Der Hauch des Südens und der Nord, der scharfe,
Und meine Leier wird zur Äolsharfe
Und klingt, indem die Berge sich umröten.

Dies ist das Los des freien Wortversagens:
Die Winde bringen's und die Wolken tragen's,
Und mögt ihr auch die Dichter alle töten.

Ampezzo

Die Berge wandelten, der Fesseln ledig,
Womit der große Weltgeist sie gekettet;
Ein Held wie du und die Madonna gnädig:
Cortina jauchzt, Cortina ist gerettet.

Die Straßen öffnet! Ost und West sind tätig;
Die Meeresbraut im grünen Pfühl gebettet,
Dies ist der Preis, um den man kämpft und wettet,
Du hast's gewagt, du führst uns nach Venedig.

Wir wissen wohl, was du uns bist gewesen,
Das wird und kann kein anderer ersetzen,
Denn du verstandst im Herz des Volks zu lesen.

Und was da drinnen heilig ist geschrieben,
Das ließest du von niemanden verletzen,
Als wär's das Auge eines deiner Lieben.

Buchenstein

Wir hatten reichlich Holz und hatten Eisen,
Im Steine lag's in rot und braunen Farben,
Nun ist's versiegt, und unsre Wälder weisen
Dem Aug' des Wandrers meilenweite Narben.

Und böse Krankheit kam mit ihrem leisen
Und gift'gen Schritt — du sahst, wie Eltern starben
Und ohne Brot die Kinder mußten darben —
Und halfst, der Kranken Arzt, der Trost der Waisen.

Ich denk's noch wohl; am Fuß des Monte Poren
Bin ich, ein armes Bauernkind, geboren
Und bring' dir her die erste Frühlingsprimel.

Du wunderst dich ob diesem frühen Funde?
Für dich, mein Vater, gibt's zu jeder Stunde
Ein grünes Plätzchen und ein Stück vom Himmel.

Windischmatrei

Die Erde tragen wir auf unserm Rücken
Auf kahlen Sandschein, daß er uns ernähre,
Wir säen aus, doch fremde Hände pflücken
Des Baumes Frucht und schneiden unsre Ähre.

Die Grundherrschaften eifersüchtig blicken
In jeden Stall, ob keine Kuh gebäre,
Du sahst den Jammer, sahst des Zehents Schwere
Das letzte Blut aus unsern Fingern drücken —

Und brachst der ewig hungernden Hyäne
Die uns zerrissen hat, die scharfen Zähne —
Der Landmann sät und pflanzt nicht mehr vergebens.

Die Tat ist in der Krone deines Lebens
Der Diamant; wir nennen sie Enttierung
Die andern aber "Gabenmoderierung."

Lienz

Aus einer Wüste schufst du Paradiese,
Der Elemente Wut hast du bezwungen,
Dem wilden Draustrom hast du abgerungen
Das schöne Saatfeld und die fette Wiese.

Stark ist Naturkraft, stärker doch als diese
Sind Unvernunft, der Eigenliebe Zungen,
Herzlosigkeit . . . wem dieser Sieg gelungen —
Und dir gelang er, — ist an Geist ein Riese.

Es keimt die Saat, man sieht den Wohlstand steigen,
Sanft fließt der Strom, die Lästerungen schweigen,
Und deine Feinde neigen sich in Demut.

Und rings ein Ruf: Du wirst uns nicht vergessen,
Es ist dein Brot, das unsre Kinder essen,
Und in den Augen glänzt die Trän' der Wehmut.

Sillian

In seinen tief verschneiten Hütten drinnen
Lebt ein urkräftig Völkchen fromm und bieder,
Die Zeit verkürzend durch Gespräch und Lieder,
Bis Alpengrün und Vogelsang beginnen.

Da kommt die Kunde, daß du ziehst von hinnen,
Ein banger Seufzer hebt der Mädchen Mieder,
Die Männer gehen schweigend auf und nieder,
Die alten Mütter hören auf zu spinnen.

Ja, selbst der kühne Wildbach von Villgratten,
Den deine Hände einst gebändigt hatten,
Mit Riesenkraft, wie Jesses Sohn den Leuen,

Ist traurig jetzt, ihn martert das Gewissen,
Daß er die schönen Felder dir zerrissen,
Und seine Sünden scheint er zu bereuen.

Welsberg

Mit nassen Locken stieg ich aus dem Bade,
Die Sonne stand am Himmel warm und helle,
Ich baute eine Hütte an die Stelle
Und baute grüne Bäume am Gestade.

Da springt herbei ein wütender Geselle,
Verfolgend die entsprungene Najade —
Und mit starken Armen ohne Gnade
Will er mich niederziehen in die Zelle.

In seinen nassen Sand will er mich betten
Und unterm feuchten Schilfe mich begraben,
Da bat ich dich, mich Arme zu erretten.

Du hörtest mich und warfst den wilden Knaben,
Den lüsternen in dolomitne Ketten,
Dafür sollst du mein Herz auf ewig haben.

Enneberg

Es krankt das Vieh, durch unnahbare Schanzen
Ist jeglicher Verkehr uns abgeschnitten,
Wir rufen zu dem Himmel unsre Bitten
Und tragen in die Ställe die Monstranzen.

Du aber sprichst: "Nicht den geweihten Pflanzen
Und den Rezepten alter Jesuiten,
Der Teufel weicht nur den Assekuranzen;
Denn mit dem Zeitgeist ist er fortgeschritten."

Man staunt erst ob den Worten, den verwegnen,
Man scheut sich noch, dem Geiste zu begegnen,
Und schlägt vor ihm wohl noch des Kreuzes Zeichen.

Das Licht dringt dennoch durch; die Nebel weichen,
Und jedes Tal wird uns die Hände reichen,
Und ganz Tirol wird deinen Namen segnen.

Taufers

Kanäle ziehn durch wasserarme Auen,
Die Berge zwingen, daß sie Lasten tragen,
Die Städte schmücken, Gotteshäuser bauen
Und einen Wildbach in die Ketten schlagen:

Ist groß und schön und ruhmvoll, kann man sagen,
Doch Größres gibt's, wir sehen es zum blauen
Gewölb des Himmels riesenartig ragen,
Wo Sterne funkeln und wo Wolken tauen

Wie heißt das große himmlische Gebäude,
Und wie der Meister, der in stiller Freude
Im Geiste Jesu diesen Bau erdachte?

Mildtätigkeit, dem Brudersinn entsprungen
Und nicht durch Steuern herzlos abgezwungen,
Heißt dieser Bau! Du bist's, der ihn vollbrachte.

Bruneck

Ich sah nicht hohe Fürsten um mich werben
Im Kirchenkleid aus violetter Seide,
Doch trocknen Aug's sah ich dieselben sterben,
Und frei blieb ich wie's Blümchen auf der Heide.

Ich hörte oft, die Liebe bring' Verderben,
Nun weiß ich es — dahin sind Fried' und Freude,
Die Ewigkeit, so meint' ich, knüpf' uns beide . . .
Du aber sprachst: ein andrer mög' mich erben.

O bittres Leid! Was frommt's, wenn ich's verhehle,
Du warst mein Freund, mein Lenker und mein Leiter,
Durch zwanzig Jahre warst du meine Seele

Mag auch der Mai mit meinen Pappeln scherzen—
Dein Brautgeschenk — Bruneck wird nimmer heiter,
Die schönste Ros' hat oft den Wurm im Herzen.

Mühlbach

Wenn wir die alten Waffenschmiede wären,
Wir träten keck zu deinem Reisewagen,
Wir würden dich zu unsern Herrn begehren
Und im Triumph nach Rodenegg dich tragen.

Solch' kühnes Handwerk dürfen wir nicht wagen,
Und doch ist es so schwer, dich zu entbehren,
Viel leichtern Herzens wollten wir entsagen
Den blauen Trauben und den gelben Ähren.

Vom goldnen Berge klingen süße Lieder
Ins Rienztal schon ein Jahrtausend nieder
Von Lieb' und Kuß und von dem Herd gemeinsam.

Auch heut' ergreift der Sänger seine Zither,
Doch geht er nicht zum rebumrankten Gitter,
Um den verlornen Vater klagt er einsam.

Brixen

Ich trag' am Fuß die samtene Sandale,
Womit ich zu dem Hochaltare schreite,
Die Mitra schmückt mich und das Gremiale,
So sitz' ich da, die Domherrn mir zur Seite.

Ich segne dich durchs Hochgebenedeite
Und küsse dich bei Jesu Wundenmale;
Dies heißt mich meine Pflicht, die pastorale,
Als Freund gab ich die Lehr' dir zum Geleite:

Eil' nicht voraus dem trägen Zeitenrade,
Was Gott gebogen, suche nicht gerade
Zu machen, meinen Krummstab zum Exempel —

Und deines Geistes allzu scharfen Stempel,
Den sänftige mit deines Herzens Gaben —
Sprichwörtlich ist ja das Gemüt der Schwaben.

Sterzing

Du liebst die Lärchen und die dunklen Föhren,
Ein grüner Wald ist deines Aug's Entzücken,
Wir fragen dich noch einmal, wem gehören
Die schönen Bäume, die die Berge schmücken?

In jeder Brust muß sich das Herz empören,
Wie sie den Kranz, den duftenden zerpflücken,
Die Tanne sieh! Welch' Flattern und welch' Nicken!
Daß du nicht scheidest, will sie dich beschwören.

Sonnst kommt's dahin, das uns die Enkel fluchen,
Wenn sie vergebens einen Zwergbaum suchen
Und ohne Holz im kalten Winter frieren.

Und unser Adler, wahrlich er ist eitel
Auf seinen immergrünen Zweig am Scheitel,
Auch unser Adler wird den Kranz verlieren.