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Quelle:

Goll Ernst
nachgelassene Gedichte

Herausgeber:
Julius Franz Schütz
Berlin 1912

Egon Fleischl & Co
Druck von F. E. Haag, Melle i. Hann.

Im bitteren Menschenland 1
 

Königszug
Torinschrift
Kunst und Glück
Allzeit glücklich
Marientag im September
Ich sah ein Bümlein
Sehnender Traum
Ein Lied I.
Zwei Lichtlein
Mit Weihnachtsgaben
Verlöbnis
Ein Lied II.
Andacht
Jubel
Wundersame Lieder
Abend
Unter eines Tages Summe
Am Abend
Schlummerlied
Morgengruß
Meine Sehnsucht
Legende
Faßt du das Wunder?
Ein Namenstagsgruß
Erfüllung
Zwischen heut und morgen
Trotzige Liebe
Jugend
Der erste Gruß
Tag ist schlafen gegangen

Königszug


Ihr, die ihr blinden Aug's vorübergeht,
Oh, daß ihr doch die Lider höbt und seht

In Morgenfrühe, wenn das Dunkel fällt,
Den Königszug der Jugend in die Welt.

Die Augen heiß, die Stirnen weinumlaubt
Und Fahnenwimpel über unserm Haupt,

So ziehn wir aus, den Sonnenweg entlang,
Und unser Lied ist Frühlingssturmgesang:

Du, Vater, in dem engbegrenzten Haus,
Sieh, unsre Sehnsucht breitet Schwingen aus!

Du, Mutter, die uns eng umfangen hält,
Hör, unser Herz gehört der ganzen Welt.

Ihr, die ihr hoffnungsleer an Gräbern steht
Und taumelt zwischen Arbeit und Gebet,

Das Zepter rollt aus eurer schwachen Hand:
Wir sind die Könige im weiten Land.

Zu lichten Höhen ziehen wir hinan,
Verneigt euch tief und gebt uns frei die Bahn!

Ihr aber mit dem warmen Augenglanz,
Ihr aber mit dem Margeritenkranz,

Ihr, die ihr schmachtend steht am Straßensaum,
Ihr seid das Licht in unserm Königstraum.

Oh, wartet nicht, bis unser Herz verglüht,
Oh, wartet nicht, bis euer Kranz verblüht!

Wir sind voll Sehnsucht. Reicht uns glückbereit
Den tiefen Becher eurer Seligkeit!

Ihr, die ihr blinden Aug's vorübergeht,
Oh, daß ihr doch die Lider höbt und seht. . . .

Torinschrift

Wollt ihr kommen zu mir ins Haus,
Lasset das böse Gerede draus:
So viel Stufen die Treppe zählt,
Wohn ich über dem Klatsch der Welt.

Kunst und Glück

Kunst ist geträumtes Leben,
Selig und heilig und rein sein —
Glück ist irren und streben,
Aber am Abend noch dein sein.

Allzeit glücklich

Manchmal ein bißchen träumen
Und immer ein bißchen hoffen —
So blieb zu seligen Räumen
Mir allzeit ein Türlein offen.

Marientag im September

Und von den letzten bunten Sommertagen
Gehört noch einer unsrer lieben Frau
In Sonne, Wiesengrün und Himmelsblau. . . .

Wir aber gehn durchs Feld, das abendklare,
Darauf die zitternden Marienhaare
Wie weiße Fahnen einer Sehnsucht stehn,
Die müde ward von Weinen und Entsagen. —
Da wird uns bang: wir denken an den Schnee,
Der bald nun kommt und unsre Wünsche deckt,
Und an der langen Winternächte Weh,
Das kaum ein sonnenblasser Morgen stillt.

In solchen Träumen kränzen wir bewegt
Mit letzten Rosen das Marienbild
Und beten: Laß uns diese bange Frist
Den Himmel eine Frau zur Seite senden,
Die voll von Klugheit und voll Milde ist,
Mit reinem Herzen und mit weichen Händen!

Ich sah ein Bümlein

Ich sah ein Blümlein sich neigen
Zur lieben Gefährtin im Klee,
Ich sah zwei Vöglein kosen
In sonnedurchfluteter Höh.

Ich sah zwei Menschen sich küssen
Im Kahn auf schwankender See — —
Nun will mir die törichte Seele
Zerbrechen vor Sehnsucht und Weh. . . .

Sehnender Traum

Mich segnet goldener Wein
Und Walzerlieder weinen —
Nun küßt die Seele mein
Der Traum von jener Einen.

Was meine Brust entfachte,
Entfühlet keiner — — —
Oh, daß dein Herz erwachte
Und dächte meiner. . . .

Ein Lied I.

Der Tag war hell und glanzumloht,
Und auf der grünen Heide
Erblühten Blümlein rosenrot . . .
Da wußten wir es beide.

Dann kühlte Tau den Wiesengrund,
Der Abend sank hernieder —
Da gabst du mir den roten Mund
Und gabst ihn immer wieder.

Das Abendrot verging so schnell,
Die Nacht kam still gegangen —
Da brannte meine Sehnsucht hell
Und wollte dich umfangen.

Rätsel

Blüht ein Blümlein auf der Halde
Ewig ungepflückt,
Liegt ein Schatz im Märchenwalde,
Jedem Aug entrückt,
Wohnt ein Glück in tiefen Schächten
Wunderbar und heiß,
Davon nur in langen Nächten
Unsre Sehnsucht weiß.

Pierrot-Lied

Und wäre das Glück wie die Wolken so weit,
Ich will es suchen im Schellenkleid.

Und strahlte es ferne wie Firnenglanz,
Ich will es holen aus Spiel und Tanz.

Ich weiß, es wartet im Lichtersaal
Und trägt der Sehnsucht brennendes Mal.

In Kolumbines verträumtem Blick
Ein heimliches Leuchten — das ist das Glück,

Nach dem meine klagende Seele rief,
Ich sink in die Knie und beuge mich tief.

Zwei bebende Hände — "Du Liebster, du!"
All meine Schellen klingeln dazu. —

Aufspringe ich jubelnd und trage das Glück
In meine wartenden Nächte zurück.

Ich trage es zitternd, mit heiliger Hand,
Wie eine Krone aus Märchenland. . . .

Zwei Lichtlein

Es sieht von deinem Fenster
Ein Lichtlein in die Nacht,
Das hat in meinem Herzen
Ein zweites Licht entfacht.
Ich muß es immer denken
Und denk es doch nicht aus:
Fänd doch dies eigne Lichtlein
Zum Licht in deinem Haus!
Das gäbe dann ein Leuchten
Und Strahlen Nacht und Tag,
Zwei Lichtlein brennen heller,
Als eines brennen mag.

Mit Weihnachtsgaben

Macht auf das Fenster und schaut herfür:
    Zwei  K i n d e r  stehen vor eurer Tür!
    Sie haben die Seelen erfüllet ganz
    Mit Wunderglauben und Lichterglanz,
    Sie wandeln auf Erden und fühlen es kaum,
    Sie bringen euch Süßes zum Weihnachtsbaum.

Macht auf das Fenster und schaut herfür:
    Zwei  W e i s e  stehen vor eurer Tür.
    Sie haben gesonnen und wissen zuletzt:
    Die Liebe ist es, die Berge versetzt.
    Sie sagen der Weisheit goldenen Spruch
    Und bringen getragen ein tiefes Buch.

Macht auf das Fenster und schaut herfür:
    Zwei  K ö n i g e  stehen vor eurer Tür.
    Geht, ihre Schwerter sind gottgeweiht
    In ihrer Sehnsucht blutigem Streit.
    Sie stehen da, von Schönheit umloht,
    Und bringen euch Schalen aus Gold und Rot.

Macht auf das Fenster und schaut herfür:
    Zwei  L i e b e n d e  stehen vor eurer Tür.
    Sie sind gewandert durch weites Land,
    Immer zusammen und Hand in Hand.
    Sie kommen und bringen ihr pochendes Herz,
    Lang eins geworden in Freude und Schmerz.

Verlöbnis

Weil unsre Herzen längst die Liebe band,
Leg ich heut meine Hand in deine Hand

Für dieses Leben, das uns heiter fließt,
Und für das andre, das noch Nacht umschließt. . . .

All, was noch kommen mag, ist mein und dein
Und kann nie ganz voll Weh und Irrtum sein.

Ein Lied II.

Nun ist der Sterne Schein
Am Himmelszelt erglommen,
Mir fällt ein Liedel ein,
So kinderseelenrein,
Das muß vom Himmel kommen.

Es tönt so selig bang,
Ich will's nicht weiter sagen,
Ich will's mein Leben lang
Wie einer Glocke Klang
Im Herzen tragen. . . .

Andacht

Du meiner Sehnsucht weiße Taube,
Du alles Schönen Blumenkranz,
Du Maientag, du Osterglaube,
Du meiner Wege Licht und Glanz,

Den Saum von deinem Mädchenkleide
Versehrt der Staub der Erde nicht,
Es trübt kein Hauch vom Menschenkleide
Dein reines Kinderangesicht.

Du kamst, ein Stern, vom Himmel nieder
Und segnetest die kalte Nacht.
Du gehst, ein Stern, zum Himmel wieder,
Wenn dein Erlöserwerk vollbracht.

Du bist im lärmenden Gewühle
Mir letztes Glück und schönste Ruh — —
Und was ich denke, was ich fühle,
Wird rein durch dich, wird rein wie du!

Jubel

Ihr schmeichelnden Düfte, du goldener Tag,
Durchzittert die Lüfte wie Lerchenschlag.
Wir lehnen im Walde beseligt zu zweit,
Tief unten die Halde steht blütenbeschneit.

Ich beuge mich nieder zum seligsten Mund
Und küsse ihn wieder und küsse ihn wund,
Aufleuchtet in Wonne dein süßes Gesicht,
Und alles ist Sonne, und alles ist Licht.

Wundersame Lieder

Sieh, nun lacht uns wieder
Goldig reiner Wein,
Wundersame Lieder
Wiegen sich darein.

Wundersame Lieder,
Hebt euch himmelwärts,
Gieße Gott uns wieder
Jugend in das Herz!

Abend

Nun losch mit einem Male
Der rosenrote Hauch,
Bald, bald verglimmen im Tale
Die Lichter auch,

Die Glocken läuten im Traume
Selige Abendruh,
Vöglein fliegt vom Baume
Dem Neste zu.

In dämmrige Heine
Entschwindet es dem Blick —
Nun sind wir ganz alleine
Mit unserm Glück.

Unter eines Tages Summe

Unter eines Tages Summe
Ist der schwarze Strich gemacht,
Und wir reichen uns die stumme
Hand zum Abschied: "Gute Nacht!"

Schien die Sonne uns vergebens?
Oh, wir sagen lächelnd: "Nein!"
Und ins goldne Buch des Lebens
Schreiben wir: Beisammensein. . . .

Am Abend

Von Liebe und Seligkeit schwer
Verlaß ich dein stilles Haus —
Alle Laternen umher
Löschen die Lichter aus.

Immer wieder zu dir
Gehn alle Wünsche zurück —
Es ist ein Licht in mir,
Das mag nicht verlöschen vor Glück. . . .

Schlummerlied

Nun sinkt die Nacht hernieder
Mit Mond und Sternenschein —
Oh, schließ die müden Augen
Und schlafe, schlafe ein.

Ich will meine Liebe bitten,
Sie würde ein Engel sacht
Und käme zu dir in stiller
Sternenfunkelnder Nacht.

Sie hüllte dich tief in ihren
Heiligen Mantel ein —
Das wird ein traumverklärtes
Seliges Schlafen sein. . . .

Morgengruß

Über jenen dunklen Hügeln
Kommt der neue Tag herauf.
Was auch ruht auf seinen Flügeln,
Schließe hell die Augen auf!

Sehnsucht, die mir Harfensaiten
Nachts an deinem Bette stand,
Wird dich froh hinübergleiten
In das morgenjunge Land.

Meine Sehnsucht . . .

Meine Sehnsucht ist ein dunkles Boot,
Löst vom Strande sich im Abendrot.

Deine Schönheit ist ein weißer Schwan,
Mondenschimmer ruht auf seiner Bahn.

Einmal findet auf der Hohen Flut
Boot zu Schwan. — Und dann ist alles gut. . . .

Legende

Es war einmal ein großer, großer Wald,
Der war so tief, daß keines Menschen Fuß
Sein lichtes Ende fand. Nur schön Getier
Und Vögel ohne Zahl bewohnten ihn.

Durch diesen Wald ging einst der liebe Gott,
Indessen Trauer ihm das Herz beschwerte.
Es war gewandert durch der Menschen Land
Und sah die Zwietracht wohnen in den Gassen
Und sah den Neid aus ihren Fenstern spähn.
Da ward ihm weh. So ging er in den Wald.
Und siehe! Ihm begegnete ein Reh,
Fromm, scheu und lieblich schritt es nah einher.
Mit hellen Lichtern sah es Gott ins Antlitz,
Erkannte ihn und bog das schöne Haupt. —

Da glomm ein Leuchten auf in Gottes Auge,
Erinn'rung überkam ihn an die Welt,
Die heilig war am ersten Schöpfungstag,
Die Segnerhände hob er auf und sprach:
"Die ich geformt nach meinem Ebenbilde,
Vergaßen sein. So werde du ein Mensch,
Das schönste von den Erdenkindern allen!"
Und lächelte noch einmal mild und schwand. —

— Doch siehe! Aus des Waldes Lichte tritt
Ein Menschenkind und geht den Weg zu Tal,
Fromm, scheu und lieblich ist es vor den andern.
Nicht Wunsch noch Sehnsucht wohnt in seiner Brust,
Friedvoll und selig fließen ihm die Tage.
Aus seinen großen braunen Augen aber
Grüßt uns ein Licht. Es ist das Licht der Liebe,
Das Gottes reines Antlitz überstrahlte,
Als er die bessre Welt erschaffen wollte.

Faßt du das Wunder?

Faßt du das Wunder?
Ich faß es nicht.
Wir lachten und litten
Und kannten uns nicht.

Wir suchten und ahnten
Und sahen uns kaum,
Da wuchs in uns beiden
Ein Blütentraum.

Wir stellten uns trotzig
und blieben uns fern
Da losch zu unseren
Häupten ein Stern.

Nun ruht mir am Herzen
Dein liebes Gesicht —
Faßt du das Wunder?
Ich faß es nicht.

Ein Namenstagsgruß
an Pepo Marx von Ernst Goll und Adorata

Morgen werden alle Glocken klingen,
Morgen werden alle Vöglein singen,

Morgen wird die Welt mit frohem Lachen
Von dem langen Winterschlaf erwachen,

Wird die Augen reiben und verwundert sehn,
Daß die Wiesen schon voll Blumen stehn.

Morgen mit dem ersten Sonnenschein
Wird ein großes Glück dir nahe sein:

Denn in heil'ger Frühe gehen wir
Hand in Hand vorbei an deiner Tür.

Erfüllung

Nun neige ich das Knabenhaupt:
So hast du meinem Leben,
Das nimmer an ein Ziel geglaubt,
Das große Glück gegeben.

Mir bangt vor nichts, das kommen will,
All meines Herzens wilde,
Verirrte Wünsche werden still
Und knien vor deinem Bilde.

Zwischen heut und morgen...

Zwischen heut und morgen
Liegt eine lange Nacht,
Vielleicht vor Angst und Sorgen
Ruhlos verbracht.

Zwischen heut und morgen
Möchte ich bei dir sein — — —
Wir ließen Angst und Sorgen
Vergessen sein.

Trotzige Liebe

Herr, unser Glück liegt hoch hinan,
Seit wir in Liebe verbunden,
Was Menschenwille uns angetan,
Ist lange überwunden.

Gib uns nun Stürme himmelher
Und hundert Flammenhiebe — — —
Wir jauchzen in das Wolkenmeer
Das Trutzlied unserer Liebe!

Jugend

Laß die junge Seele
Nie verdunkelt sein,
Wenn von Schuld und Fehle
Böse Menschen schrein.

Wir vom hohen Berge
Sehen niederwärts,
Das Gezücht der Zwerge
Reicht uns nicht ans Herz.

Hoch über Sünde und Tugend,
Höhen- und himmelan
Leuchtet unserer Jugend
Strahlende Siegerbahn.

Der erste Gruß

Der erste Gruß im Morgenschweigen
Ist: Könnt ich dich zu dir!
Der letzte Traum im Abendneigen:
Oh, kämest du zu mir!

Mein Augenpaar und meine Hände
Gehören der Welt und mir,
Mein pochend Herz ist bis zum Ende
Allzeit bei dir.

Tag ist schlafen gegangen

Tag ist schlafen gangen,
Schloß die Augen zu,
Mit erglühten Wangen
Träumest nun auch du.

Mondenschimmer gleitet
Um dein weißes Haus,
Meine Sehnsucht breitet
Ihre Arme aus. . . .