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Franz Grillparzer
Sämtliche Werke
Band 1 Gedichte

Stuttgart 1878
Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung

Leben und Lieben
1878

 

Froher Sinn
An Bellinen
Vertröstung
Begegnung
Einem Neuvermählten
Der Wunderbrunnen
Träumen und Wachen
Abschied

Dezemberlied
Consilium Medicum
Lebensregel
In der Fremde
Gebt mir, wo ich stehen soll

Gutgemeinte Bemühungen
Appellation an dieWirklichkeit
Österreichs Humoristen

M. G. Saphier
 
Ein Dialektdichter
Antizipierte Grabschrift
Schlußwort
Zur Beachtung
Den Realisten
Ständchen
Die Unschuld
Gold und Silber
 

Froher Sinn


Ohne Geld und ohne Sorgen!
Gibt's ein Glück, das meinem gleicht?
Geld, ei Geld, das kann ich borgen,
Aber Frohsinn nicht so leicht.

Heute sorget ihr für morgen,
Morgen für die Ewigkeit!
Ich will heut für heute sorgen,
Morgen ist für morgen Zeit.

Und die Zukunft? — Wenn auch morgen
Mich der Tod zum Opfer weiht:
Frei von Schuld sein und von Sorgen
Ist ja hier schon Ewigkeit.

An Bellinen
(Bei Übersendung einer Spielschuld)

Hier send' ich dir, was du mir hast geliehen;
Was ich dir lieh, ich nahm es schon zurück:
Aus eignem Reichtum nur kann Segen blühen,
Erborgtes Glück schafft nimmer dauernd Glück.

Dem Reichen mag man noch sich schuldig wissen,
Dem Armen sei sein Pfennig unberührt:
Hier ist die Schuld, der Schuldbrief ist zerrissen,
Frei geh' ein Jeder, wie der Weg in führt.


Vertröstung
1827

Willst du, ich soll Hütten bau'n,
Willst mich heimlich sehn?
Sieh im unbewölkten Blau'n
Hoch die Sonne stehn.

Eh sie sich im Westen neigt,
Ruft mich ein Geschäft,
Rauh der Pfad, der Weg ist weit,
Eile will sein Recht.

Doch kehr' abends ich zurück,
Und du harrst noch mein,
Wenn ich erst mein selber bin,
Bin ich auch wohl dein.

Begegnung
1830?

Wie schön sie wahr! die bräunlich blonden Flechten
Bedeckt vom Strohhut mit dem breiten Rand,
Ging sie allein! — Doch nein! zu ihrer Rechten
Ging Unschuld, wie ein Kind sie leitend an der Hand.

Das Antlitz Rosen; aber nicht wie rote,
Wie weißer Rosen Schmelz im Morgentau.
Das Auge, feurig kaum — den Feuer drohte —
Nicht blau, nicht braun; fast, fürcht' ich, eher grau:

Und doch, hob sich der Wimper weiche Seide
Und richtete der Stern sich heimatwärts,
In warmen Strahlen lächelnd wie die Freude,
In feuchtem Taue schwimmend wie der Schmerz.

Nichts scharf gezogen in dem schönen Runde,
Die Nase, wie kein Kunstblatt sie begehrt,
In weichem Einbug schließend zu dem Munde,
Halb kindisch fast nach aufwärts noch gekehrt.

Der Mund, in üpp'ger Fülle leicht geschlossen,
Hielt nur zu sehr mit seinen Perlen Haus,
Doch Blumen gleich, von Zephyrhauch umflossen,
Sog er die Luft und hauchte Balsam aus.

So ging sie hin — doch vor dem milden Scheine
Trat ich zurück, obgleich von Wünschen heiß.
Der leichte Kahn, wie schön trägt er die Eine!
Spräng' noch ein Zweites zu — Wer weiß? wer weiß?


Einem Neuvermählten
1818

Amor würfelt' einst mir Hymen,
Und der kleine Gott der Liebe,
Schielend listig durch die Binde,
Wirft beständig hohe Zahlen:
Vier und fünf und fünf und sechs,
Halb zu viel, halb nicht genug,
Niemals Paar, trotz List und Trug. —
Da greift Hymen zu den Würfeln
Und wirft hoch nicht, aber gleich:
Eins und Eins. — Ein Jubelschrei!
Glück und Paar liegt in der Zwei.


Der Wunderbrunnen

Seit ich von dir gekostet,
Du labend heller Born,
Dünkt jedes Naß mir trübe,
Und leer der Freude Horn.

Zu dir geht meine Liebe,
Von dir aus all mein Zorn;
O, daß du immer flößest,
Du leicht versiegter Born!

Träumen und Wachen
Aus: "Der Traum ein Leben
1818"


Schatten sind des Lebens Güter,
Schatten seiner Freuden Schar,
Schatten Worte, Wünsche, Taten:
Die Gedanken nur sind wahr

Und die Liebe, die du fühlest,
Und das Gute, das du tust;
Und kein Wachen, als im Schlafe,
Wenn du einst im Grabe ruhst.

Abschied
(Gastein 1. August 1820)
An Frau Josephine von Verhovitz


Wie wird mir denn so weh und bang,
Jetzt, da du scheiden mußt?
Hab' dich gesehen Tage lang,
Und still war meine Brust.

Hab' dich gesehen Wochen lang,
Und ruhig war mein Herz;
Jetzt, da des Scheidens Zeichen klang,
Woher jetzt dieser Schmerz?

O Frau, zu der mein Abschied ruft,
Voll stillem, frommem Sinn,
So heiter, wie die heitre Luft,
Gleichst auch der Luft darin,

Daß ihren Segen man kaum spürt,
Wenn Tag auf Tag entflieht,
Doch schaudernd dessen inne wird,
Sobald sie sich entzieht!

O Frau! du warst fast Mutter mir —
Die meine schlummert tief —
Dein mahnend Wort kam wie von ihr,
Dein Ruf war, wie sie rief.

O Frau! du warst die Schwester mein;
Zwar Schwestern hatt' ich nie,
Doch malte mir's so lieb und fein
Gefühl und Phantasie:

In Andern seiner sich zu freun,
Und Anderer in sich,
Zu Zweien, und doch Eins zu sein,
Verbunden inniglich.

O Frau! du hast mich wohl gelehrt,
Was eine Gattin sei,
Wie viel ein holdes Wesen wert,
Das lieb und gut und treu.

Du zeigtest mir das schöne Bild,
Das Gegenbild dazu;
Wo find' ich es so lieb und mild?
Wer ist es, da nicht du?

Du kehrst zum Gatten nun zurück,
Zum eignen Hauseshalt;
Da findest du genügend Glück,
Vergißt wohl meiner bald.

Ich aber, Frau! ich hab' kein Haus,
Kein Band, das Liebe flicht;
Die Mutter trugen sie hinaus,
Und Schwestern kannt' ich nicht.

Mir bleibt wohl keine andre Wahl,
Muß denken spät und früh, —
Gott segne dich zu tausendmal!
Frau! dein vergess' ich nie!

Erinnrung an dein stilles Tun,
An All, was ich gesehn;
Soll über meinem Haupte ruhn,
Soll kühlend mich umwehn.

Und wird zu heiß des Tages Pein,
Der Lebenssonne Stich,
So denk' ich atmend an Gastein,
Du Freundliche! und — dich!


Dezemberlied

Harter Winter, streng und rauch,
Winter, sei willkommen!
Nimmst du viel, so gibst du auch,
Das heißt nichts genommen.

Zwar am Äußern übst du Raub,
Zier scheint dir geringe,
Eis dein Schmuck, und fallend Laub
Deine Schmetterlinge;

Rabe deine Nachtigall,
Schnee dein Blütenstäuben,
Deine Blumen traurig all
Auf gefrornen Scheiben.

Doch der Raub der Formenwelt
Kleidet das Gemüte,
Wenn die äußere zerfällt,
Treibt das Innre Blüte.

Die Gedanken, die der Mai
Locket in die Weite,
Flattern heimwärts kältescheu
Zu der Feuerseite.

Sammlung, jene Götterbraut,
Mutter alles Großen,
Steigt herab auf deinen Laut,
Segenübergossen.

Und der Busen fühlt ihr Wehn,
Hebt sich ihr entgegen,
Läßt in Keim und Knospen sehn,
Was sonst wüst gelegen.

Wer denn heißt dich Würger nur?
Du flichst Lebenskränze,
Und die Winter der Natur
Sind der Geister Lenze.


Consilium Medicum
Anfang 1855

Frau Poesie war krank.
Verwitwet schon seit manchem Jahr,
Wuchs scheinbar stündlich die Gefahr.
Die Stirne heiß,
Die Zunge weiß,
Die Haut bald Frost und bald in Schweiß,
Im ganzen Leib ein schmerzlich Jucken,
Von Krämpfen alle Nerven zucken.
Obschon noch rüstig und nicht alt,
Schien nah des Todes Nachtgewalt.
Doktores kommen von allen Seiten,
Die erst sich begrüßen und dann bestreiten,
Hippokratisch,
Homöopathisch,
Allopathisch,
Hydropathisch,
Antipathisch,
Philosophisch gebrüstet,
Historisch gerüstet,
Dogmatisch, kritisch,
Klassisch, britisch;
Schreiben Rezepte in langen Zeilen,
Umsonst! die Kranke war nicht zu heilen.
Da kam ein Bader vom Land herein,
Besieht die Kranke beim Tagesschein,
Erforscht den Puls, die Zunge auch,
Befühlt die Weichen und den Bauch,
Zuletzt hebt er mit Lachen an:
Die Wissenschaft hier wenig kann,
D e r  g u t e n  D a m e  f e h l t  e i n  M a n n.


Lebensregel
Juni 1848

Will eine Meinung dich gewinnen,
Und fällt die Wahl, wie öfter, schwer,
So frag, willst du dich recht besinnen,
Nur nach dem Was, dem Wie, dem Wer.

Das Was? es gälte wohl das meiste,
Doch rein zu lösen ist es nie,
Zumal bei aufgeregtem Geiste,
Dann geh du weiter auf das Wie?

Durch welche Mittel sich behaupte
Die Meinung auf dem Weg zum Ziel?
Und sind es schlechte, unerlaubte,
So hast du schon gewonnen viel.

Doch oft verschafft sich auch das Rechte
Nur durch Gewalt den schweren Sieg;
Man ist nicht wählig im Gefechte,
Denk nur als Beispiel an den Krieg.

Dann bleibt das Wer? — als letzte Frage,
Als Leitstern zur Entscheidung dir;
Wer deiner Meinung Fahne trage
Und wer sich schare unter ihr?

Sind's Menschen, die du sonst wohl meidest,
Dienstbar dem Wahn, dem Trug, dem Lohn
Indem du von den Schlechten scheidest,
Hast du dich auch entschieden schon.


In der Fremde
Konstantinopel, am 23. September 1843

Schon bin ich müd zu reisen,
Wär's doch damit am Rand,
Vor Hören und vor Sehen
Vergeht mir der Verstand.

So willst Du denn nach Hause?
O nein! Nur nicht nach Haus!
Dort stirbt des Lebens Leben
Im Einerlei mir aus.

Wo also willst Du weilen?
Wo findest Du die Rast
Wenn überall du nur Fremde,
Die Heimat nirgend hast?


Gebt mir, wo ich stehen soll

Wenn der Vogel singen will,
Sucht er einen Ast,
Nur die Lerche trägt beim Sang
Eigne, leichte Last.

Doch der Fink, die Nachtigall,
Selbst der muntre Spatz
Wählen, eh' die Kehle tönt,
Für den Fuß den Platz.

Gebt mir, wo ich stehen soll,
Weist mir das Gebiet,
Und ich will euch wohl erfreun
Noch mit manchem Lied.

Denn in Deutschland weht der Sturm,
Sturm, man weiß, ist Wind;
Wähnen, wenn der Ast sie schnellt,
Daß sie flügge sind.

Und hier Landes dunkelt's tief,
Nacht wie Pech und Harz,
In den Zweigen nächst dem Stamm
Nisten Dohlen schwarz.

Kauz und Eule dämisch dumm
Schaun zum Astloch 'raus,
Nur der Starmatz schwatzt vom Platz,
Kanzelt für das Haus.

Tiefer unten aber steigt's
Auf vom Boden dumpf,
Und die Frösche quaken laut
Aus verjährtem Sumpf.

Und so schweb ich ew'gen Flugs
Zwischen Erd' und Luft,
Und kein Platz dem müden Fuß,
Als dereinst die Gruft.


Gutgemeinte Bemühungen
(Mai 1850)

Ein Mann kehrt heim zur Winterszeit,
Ihn fror, auch war kein Mahl bereit,
Die Asche kalt auf seinem Herd;
Doch wie er stochernd um sie kehrt,
Da glimmt ein Fünkchen schwach und klein,
Verborgen wie des Glühwurms Schein.
Der Mann fährt hoch vor Freuden auf,
Türmt drüber Holz in vollem Hauf
Und kniet und bläst, so viel er kann,
Ob er's vermag zu fachen an,
Und fährt so fort mit Mundes Rasen,
Bis er das Fünkchen — ausgeblasen.

Willst du Verglommnes neu beleben,
Muß sich dein Eifer Weile geben.

Appellation an die Wirklichkeit
1853

Weiland Alexander dem Großen
War unter des Hauses Genossen
Ein Arzt von hoher Kunst,
Nur voll von der Eitelkeit Dunst;
Hielt Menschenwert für zu klein,
Dünkt sich ein Gott zu sein.

Da läßt der König zu Nacht
Rüsten ein Mahl mit Pracht,
Setzt sich samt den anderen Gästen
Und schmaust von dem Feinsten und Besten.
Nur vor dem Arzt allein
Setzt man ein Tischchen klein,
Wo, statt nahrhafter Speisen,
Ihn Sänger mit Liedern preisen
Und Knaben, das Rauchfaß in Brand,
Ihm opfern mit emsiger Hand.
Das wird der Arzt denn inne
Durchs Zeugnis der eigenen Sinne,
Daß er ein Mensch und kein Gott;
Geheilt hat ihn Hunger und Spott. —

Ihr macht's mit mir und den Andern
Ein wenig gleich Alexandern:
Habt mich gelobt und geehrt,
Schien jeden Preises euch wert.
Doch ich bin kein Narr und kein Gott,
Zu viel grenzt immer an Spott;
Hab' lange genug gesessen,
Möcht' auch mit den Übrigen essen.

Österreichs Humoristen

                      1.

Was je ein Land, zeugt unsres wohl,
Ob's leugnet ein Befangener:
Hier österreichischer Jean Paul,
Dort ungarischer Champagner.

                              2.

A.    Humor! Humor! Wer sagt mir, was das ist?
       Man liest's ja jetzt auf jeder dritten Zeile.
B.    Ich weiß nicht recht, stammt davon Humorist,
       Heißt's Unverschämtheit oder — Langeweile.

M. G. Saphier

                         1.

Wenn der Humor der Scherz des Ernstes ist,
Bist du führwahr ein Humorist:
Am lächerlisten, wenn du ernsthaft bist.

                      2.

Du zählst dich auch zur Literatur?
Laß sehen, was für dich spricht.
Die Nacht gehört ja auch zum Tag,
Wenn gleich zum hellen nicht.

                      3.

Schon einst Voltaire war auf der Spur
Der Frerons und Saphire;
Er meint:
Un sot trouve toujours
Un plus sot, qui l'admire.

                          4.

Der Teufel wollte einen Mörder schaffen
Und nahm dazu den Stoff von manchem Tiere:
Wolf, Fuchs und Schakal gaben her das Ihre;
Nur Eins vergaß der Ehrenmann: den Mut.
Da drückt' er ihm die Nase ein voll Wut
Und rief: "Lump, werd' ein Jud' — und recensiere!

Ein Dialektdichter

                       1.

Nachdem er vereint mit Gleichen schon,
Geschützt sie vor Allen und Jeden,
Lehrt er in seinem Idiodikon
Die Tiere auch noch reden.

                              2.

Wenn er herabzieht, was von oben stammt,
Sollt ihr die Absicht nicht für Bosheit schätzen;
Er übt nur aus ein altgewohntes Amt:
Er will's in seine Mundart übersetzen.

Antizipierte Grabschrift

Hier liegt für seinen Ruhm zu spät,
Der Don Quixote der Legitimität,
Der Falsch und Wahr nach seinem Sinne bog,
Zuerst die Andern, dann sich selbst betrog;
Vom Schelm zum Toren ward bei grauem Haupte,
Weil er zuletzt die eignen Lügen glaubte.

Schlußwort

Der Geist der Zeit ist nur ein Traum,
Oft ist nur Mode das Bewunderte,
Doch ein Geist macht sich immer Raum:
Der Geist, der stille, der Jahrhunderte.

Was klein um klein und Griff um Griff
Polypenartig sich erweitert,
Wird endlich zum Korallenriff,
An dem manch hohles Staatsschiff scheitert.

Zur Beachtung

Wenn dich die Dichtkunst schaffen heißt
Und du das Drama wählst,
Wenn dich aufs Epos führt der Geist
Und du dem Volk erzählst:

Bist kaum du noch als Dichter hier,
Es ist nur, was du schufst,
Und jene Geister sind statt dir,
Die zauberhaft du rufst.

Doch wenn die Leier an du klingst
Und tönst von Gram und Lust,
Dann bist du selber, was du singst,
Das Lied ist deine Brust.

Nichts sichtbar als nur du und ich,
Nichts hörbar als nur du,
Das Innre ist allein mit sich,
Kein Mittler tritt hinzu.

Da aber nimm dich nur in Acht,
Daß du, du selber seist,
Daß nicht, was du getan, gedacht,
Als Andern dich erweist.

Sprichst du von tiefem Seelenschmerz,
Und warst ein eitler Tor;
Von ew'ger Dauer für dein Herz,
Ein Wetterhahn zuvor;

Singst du das Lob der Einsamkeit,
Sonst laut im Volksgewühl;
Nennst du die Welt, so groß, so weit,
Zu eng für dein Gefühl:

Sie ist ein schlimmres Schauspielhaus,
Als wo man spielt zu Nacht, —
Hier lacht man nur den Dichter aus,
Dort wird der Mensch verlacht.

Den Realisten

                   1.

Weil die Welt ein Wunder ist,
Gibt's eine Poesie;
Was ihr nach seinen Gründen wißt,
Reicht an ein Dasein nie.

               2.

Vertreibt die Phantasie
Nicht aus der Poesie!
Sie läßt den Menschen nie
Und flüchtet, stört ihr sie,
Bis in die Nationalökonomie.

                          3.

Und wißt ihr auch, was Romantik heißt?
Mustert die Muster in eurem Geist!
Romantik weicht von der Dichtkunst nie,
Sie ist ihre Mutter: die Phantasie.

                        4.

Fahrt ihr im Wirklich-Wahren fort,
Steht ihr mit Iffland an Einem Ort;
Wohl gar — phantasielos und ohne Gefühl —
Erhebt sie euch Gottsched vom Sterbepfühl.

                       5.

Ob ihr weiter gebracht die Poesie?
Die Frage ist etwas verwickelt;
Erweitert habt ihr wirklich sie,
Da ihr die Prosa drangestückelt.

                     6.

Ihr habt die Romantik überwunden;
Nur hat sich leider gefunden,
Daß in dem blutigen Krieg
Der teuer erkaufte Sieg
Die besten Truppen aufgerieben,
So daß nichts als Lumpe übrig geblieben.

Ständchen
1827

Zögernd, stille,
In des Dunkels nächt'ger Hülle
Sind wir hier;
Und den Finger sanft gekrümmt,
Leise, leise,
Pochen wir
An des Liebchens Kammertür.

Doch nun steigend,
Hebend, schwellend,
Mit vereinter Stimme Laut
Rufen aus wir hochvertraut:
Schlaf' du nicht,
Wenn der Neigung Stimme spricht!

Sucht' ein Weiser nah und ferne
Menschen einst mit der Laterne,
Wieviel seltner dann als Gold,
Menschen, uns geneigt und hold?
Drum, wenn Freundschaft, Liebe spricht
Freundin, Liebchen, schlaf' du nicht! —

Aber was in allen Reichen
Wär' dem Schlummer zu vergleichen?
Was du hast und weißt und bist,
Zahlt nicht, was der Schlaf vergißt.
Drum statt Worten und statt Gaben,
Sollst du nun auch Ruhe haben;
Noch ein Grüßchen, noch ein Wort,
Es verstummt die frohe Weise,
Leise, leise,
Schleichen wir uns wieder fort.

Mit Franz Schuberts Musik am 11. August 1827 zur
Geburtstagsfeier der Braut Leop. von Sonleithners,
Louise Gosmar, aufgeführt.

Die Unschuld
Zu einem Gemälde von Waldmüller
1833


Ach, du schöne, weiße Taube,
Zitterst du gleich Espenlaube!
Schmiegst dich bang mit scheuem Sinn
An die holde Schützerin?

Wohl mit Recht warnt dieses Zagen!
Vieles darf der Starke wagen:
Gierde lauert, Unschuld weint,
Und dort seh' ich deinen Feind;

Einen nur der langen Reihe:
Adler, Falke, Sperber, Weihe,
Glatt und kraus, mit Streif und Stern,
Alle fressen Täubchen gern.

Selbst die Katze krümmt den Rücken;
Zwar vor solchen Feindes Tücken
Schützt ein rascher Flügelschlag,
Auch ist wohl ein Engel wach.

Aber auch die Engel schlafen,
Und will Gott am härtsten strafen,
Zeigt der Feind geflügelt sich;
Täubchen, Mädchen! hüte dich:

Gold und Silber
Zur Silberhochzeit eines Geldmannes
1870


Goldmacher sind verrufen schier,
Wie wohl ein Jeder weiß;
Doch bleiben zwei, die längst erprobt:
Die Ehe und der Fleiß.

Der Fleiß macht Gold; nicht Jeder trifft's,
Man plagt sich früh und spat
Und dankt zuletzt dem lieben Gott,
Wenn man sein Auskomm' hat.

Die Ehe ist viel besser dran,
Sie braucht nicht Glück, nur Zeit:
Nach fünfundzwanzig Jahren ist
Sie silbern, so wie heut!

Noch fünfundzwanzig — ihr sollt sehn,
Ich lad' euch freundlich ein,
So wird sie — wie jetzt silbern nur —
So wird sie golden sein,

Wer Lieb' und Treu im Herzen trägt
Und wem sich gleiches weiht,
Für den ist, wie der Weltsturm braust,
Noch heut die goldne Zeit.