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Gedichte

Anastasius Grün

Berlin 1869
Weidmannsche Buchhandlung

I.
Blätter der Liebe

1825-1829

 

Blätter und Lieder
Bestimmung
Dir allein!
Der Besuch
Familiengemälde
Die Wunder
Mein Frühlingslied
Das Morgenrot
Der Liebesgarten
Die Brücke
Vogelgesang im Winter
Im Bade
Das Blatt im Buche
Mannesträne
Neue Liebe
Fragen
Zweite Liebe
Der Unbeständige
Liederquell
Verwandlung

 

Blätter und Lieder


Frühling ist's in allen Räumen!
Blüt' und Blume taucht empor,
Und aus Stauden und aus Bäumen
Sprießen Blätter grün hervor.

Jugend blüht auf meiner Wange,
Jugend glüht in meiner Brust;
Blättern gleich im Frühlingsdrange
Blühn mir Lieder aus der Brust.

Blätter saugen aus der Erde
Leben, Farbe, Glanz und Saft,
Flattern wieder zu der Erde,
Wenn sie knickt des Sturmes Kraft.

Aus der Lieb' erblühen Lieder,
Blühn und sprossen auf zum Licht,
Flüchten zu der Liebe wieder,
Wenn der Zeiten Arm sie bricht.

Wenn ein neuer Lenztag blinket,
Blühn die Blätter wieder auf,
Und wenn neue Liebe winket,
Leben neu die Lieder auf.

Bestimmung

Als der Herr die Ros' erschaffen,
Sprach er: du sollst blühn und duften!
Als er hieß die Sonne werden,
Sprach er: du sollst glühn und wärmen!

Als der Herr die Lerch' erschaffen,
Sprach er: flieg' empor und singe!
Als geformt des Mondes Scheibe,
Sprach er: rolle hin und leuchte!

Als der Herr das Weib erschaffen,
Sprach er: sei geliebt und liebe!
Aber als er dich erschaffen,
Hat er wohl dies Wort vergessen.

Denn wie könntest du sonst sehen
Mond und Sonne glühn und leuchten,
Rosen duften, Lerchen steigen,
Und geliebt sein und — nicht lieben?

Dir allein!

Möchte Jedem gern die Stelle zeigen,
Wo mein Herz so schwer verwundet worden;
Aber dir möcht' ich mein Leid verschweigen,
Doch nur dir! denn du allein
Hast den Dolch, der mich vermag zu morden.

Möchte Keinem meine Leiden klagen,
Aber dir enthüllen alle Wunden,
Die gar tief mein Herz sich hat geschlagen;
Doch nur dir! denn du allein
Hast den Balsam, der mich macht gesunden.

Der Besuch

Oft des Tags und oft des Abends
Wall' ich an das Ziel der Sehnsucht,
Aus der Stadt durchtobten Straßen
In der Vorstadt still're Welt.

Über unsres Stromes Brücke
Zieh' ich hin mit raschem Schritte,
Wie ein Geist, so still und schweigsam
Durch den lärmend lauten Schwarm.

Und dann rechts? — ach nein, zur Linken!
Seht, kaum weiß ich mehr es selber;
Dann grad fort? — ach nein, zur Rechten,
Um die Ecke rasch gewandt!

Seltsam! ging ich nie doch irre
Auf der schönen heil'gen Wallfahrt,
Dennoch, Freunde, kann ich nimmer
Künden euch den Weg dahin.

Kann kein Häuschen an der Straße
Zeichnen euch mit sichern Händen. —
Also kennt man wohl die Sterne,
Aber nicht den Weg dahin!

Familiengemälde

Großvater und Großmutter,
Die saßen im Gartenhag,
Es lächelte still ihr Antlitz
Wie sonn'ger Wintertag.

Die Arme verschlungen, ruhten
Ich und die Geliebte dabei,
Uns blühten und klangen die Herzen
Wie Blumenhaine im Mai.

Ein Bächlein rauschte vorüber
Mit plätscherndem Wanderlied
Stumm zog das Gewölk am Himmel,
Bis unseren Blicken es schied.

Es raschelte von den Bäumen
Das Laub, verwelkt und zerstreut,
Und schweigend an uns vorüber
Zog leisen Schrittes die Zeit.

Stumm blickte auf's junge Pärchen
Das alte stille Paar;
Des Lebens Doppelspiegel
Stand vor uns licht und wahr:

Sie sahn uns an und dachten
Der schönen Vergangenheit;
Wir sahn sie an und träumten
Von ferner, künft'ger Zeit.

Die Wunder

Willst du es sehn, wie lohe Flammenglut
Beisammen friedlich wohnt mit Wasserflut,
Wie beide ineinander frei bestehn,
So mußt du ihr ins klare Auge sehn;
Drin wohnt ein Feuer wie die Glut der Sonne,
Draus siehst du wie aus glühem Flammenbronne
Oft klar den Perlenquell der Tränen taun,
Kannst Glut in Flut und Flut in Gluten schaun.

Willst du auch sehn den Becher wunderbar,
Draus tötend Gift und Honig süß und klar
Mit einem einz'gen Zug man saugen kann:
O blicke ihren Rosenmund nur an!
Der Wunderbecher sind die Purpurlippen,
Draus Süß und Herb mit Einem Zug zu nippen,
Ein Honigseim, der's Herz belebt und nährt,
Ein Gift, das wild am Lebensmarke zehrt.

Und kennst das goldne Wundernetz du nicht,
Wo sich kein Faden in den andern flicht,
Das fest zugleich, wenn locker auch und los,
Manch bebend Herz verstrickt in seinen Schoß?
Siehst Du der Lockenhaare goldig Prangen?
Das ist das Wundernetz, das mich gefangen,
Das fest zugleich, wenn locker auch und los,
Mein zitternd Herz verstrickt in seinen Schoß.

Willst du es sehn, wie Ätna's Flammenbrand
Mit Thule's eis'gen Stollen sich verband,
Der eine Gottes flammender Altar,
Die andern frostig, kalt und ewig starr?
Das sind wir Zwei und unsre beiden Herzen,
Ungleich an Lust, ungleich noch an Schmerzen,
Das meine wie des Ätna's Brand so heiß,
Das ihre kalt und starr wie Nordpols Eis.

Mein Frühlingslied

Ich ging hinaus zur blum'gen Au.
Da ruhte Braut Natur im grünen Samtkleid,
Im Haar den frischen Kranz, das Haupt entschleiert:
Den weißen Schleier hatte sie gelegt
Auf ihren Putztisch: jenen alten Gletscher.
Man sieht ihr's an, sie harrt des Bräutigams. —
Doch ziemt's wohl Bräuten, so mit Fremden buhlen?
Es wogt entblößt ihr voller Lilienbusen
Mit seinem üpp'gen Rosenknospenpaar:
Mit ihren großen lichten Blumenaugen
Liebäugelt sie ringsum und wirft mutwillig
Mir Dutzende von ihren Liebesbriefchen,
Den weißen Blüten, scherzend in den Schoß.
Mir war ganz wohl, klar stand's in meinem Sinn,
Daß man wohl glücklich kann auf Erden sein.

Ich wallte in der blum'gen Au.
Da saß der junge Lenz an einer Quelle,
Ich sah, er rüstet sich zur Braut zu gehn;
In's sonnenstrahlige Gelocke hat
Ein blitzend Diadem er aufgedrückt,
Er wusch das reine, klare Antlitz sich
Und überspritzte schäkernd dann auch mich
Mit Quellenschaum vom Wirbel bis zur Zeh'.
Doch, zur Entschäd'gung gleichsam, brach er drauf
Rasch eine Hand voll Perlen aus der Kron'
Und warf sie mir zu Füßen in das Gras.
Ich war so heiter, fast schien mir's ein Traum,
Daß man auf Erden elend könne sein.

Ich wallte heim aus blum'ger Au.
Das Brautpaar war sich an die Brust gesunken. —
Ich zog, das Herz voll Lust, den Mund voll Lieder,
Frohlockend heimwärts in die dumpfe Stadt;
Da hüpft an mir vorbei ein liebend Paar,
Zwei und doch Eins! wie sich zwei Nachbarstämme
In Kron' und Wurzeln ineinander ranken.
Wollt ihr das Glück sehn: seht in ihre Augen!
Wollt ihr die Freude schaun: schaut ihre Wangen!
Sucht ihr die Liebe: horchet ihren Lippen! —
Doch seltsam, jetzt erst fühlt' ich's, daß auf Erden
Man elend auch, recht elend könne sein!

Das Morgenrot

Jüngst stand ich früh am Fenster
Vorüber trugen schwarze Männer ernst
Im Morgenzwielicht einen offnen Sarg.

Da flammt' empor das Frührot.
Der Leiche Antlitz glomm nun rosigrot,
Als sei nach kurzer Wandrung rückgekehrt
Das Leben ins vorschnell verlaßne Haus.

Kalt strich des Frührots Odem.
Da hüllten sich, vor Kälte leichenblaß,
Die Männer in die schwarzen Mäntel tief,
Als wickle sie der Tod ins Leichentuch.

O wundervolles Frührot!
Dem Tode hauchst du Glut ins welke Antlitz,
Dem Leben hauchst du Eis in glüh'nde Pulse!

O wundervolle Liebe!
Eis hauchst du um die wunde Stirn des Lebens,
Daß es vor Frost zur Leiche möcht' erstarren! —
Dein schönstes Diadem schmückt oft erst Leichen,
Dein wärmster Kuß schwelgt auf des Todes Lippen!

Der Liebesgarten

Wenn Nachts der freundliche Schlummer
Die silbernen Fäden webt,
Da trägt es mich flugs in ein Gärtchen,
Wo Liebe nur schafft und lebt.

Drin grünet manch seliges Plätzchen,
Drin blühet manch lieblicher Strauß;
Da pfleg' ich mein friedliches Gärtchen
Und schmück' es gar sorglich aus:

Mit Freuden und Leiden der Liebe,
Bis der purpurne Morgen kam,
Doch nicht mit all meinen Freuden
Und nicht mit all meinem Gram!

Denn würde zur farbigen Blume
Jedweder selige Traum,
Für alle die Blüten und Blumen
Wär' in dem Gärtchen nicht Raum.

Und fiele gar jegliche Träne
Als Tau auf die Fluren schwer,
Bald sähe man statt des Gärtchens
Ein blitzendes Perlenmeer.

Und lächelten Blicke der Liebe
Als Sonnen von Himmelshöhn,
Bald glänzten auf's Gärtchen mehr Sonnen
Als Halme auf Wiesen stehn.

Und flatterte jegliches Küßchen
Als farbiger Schmetterling,
Bald blüten zu wenig der Blumen
Den Faltern im Gartenring.

Doch trübte ein jeglicher Zwiespalt
Als Wolke der Sonnen Schein,
Traun, oben am Himmel blieb' es
Wohl ewig heiter und rein.

Und wüchse jegliche Untreu
Des Liebchens als Schierlingskraut,
Ich hätte die Schierlingsstaude
Im Gärtchen noch nie erschaut.

So träum' ich mir Nachts mein Gärtchen
Aus der Liebe Freuden und Gram;
Wie anders doch ist es zu schauen,
Wenn wieder der Morgen kam!

Die Falter sind all' entflogen,
Die Sonnen sind alle verglüht,
Die seligen Plätzchen verschwunden,
Die Blumen versengt und verblüht.

Der einzige Tau sind die Tränen,
Der Schierling das einzige Grün,
Und über erstorbenen Keimen
Ziehn düstere Wolken dahin.

Die Brücke

Eine Brücke kenn' ich, Liebchen,
Drauf so wonnig sich's ergeht,
Drauf mit süßem Balsamhauche
Ew'ger Frühlingsodem weht.

Aus dem Herzen, zu dem Herzen,
Führt der Brücke Wunderbahn,
Doch allein der Liebe offen,
Ihr alleinig untertan.

Liebe hat gebaut die Brücke,
Hat aus Rosen sie gebaut;
Seele wandert drauf zur Seele,
Wie der Bräutigam zur Braut.

Liebe wölbte ihren Bogen,
Schmückt' ihn lieblich wundervoll;
Liebe steht als Zöllner droben,
Küsse sind der Brückenzoll.

Süßes Madchen, möchtest gerne
Meine Wunderbrücke schaun?
Nun es sei, doch mußt du treulich
Helfen mir, sie aufzubaun.

Fort die Wölkchen von der Stirne!
Freundlich mir ins Aug' geschaut!
Deine Lippen leg' an meine:
Und die Brücke ist erbaut.

Vogelgesang im Winter

Indes wir im Stübchen, Liebste, hocken,
Und von den windgerüttelten Scheiben
Des Winters weiße, schwere Flocken,
Im Sturme wirbelnd, vorübertreiben:

Wird jenes Wandervöglein, das freie,
Das du im Sommer gepflegt mit Kosen,
Sich sonnen in Südens Himmelsbläue
Und wiegen sich über Südens Rosen.

Auf grünende Myrten wird sich's schwingen,
Und Abends vom Zweig im Mondenscheine
Die Lieder von seinen Fahrten singen
Der horchenden fremden Schwestergemeine:

"Weit über dem Meer, am Donaustrande,
Dort steht ein Häuschen, ein niedliches, blankes,
Und aus dem Häuschen, am Fensterrande,
Winkt mir ein Mädchen, ein liebliches, schlankes.

Und wenn auf ihren Arm ich dann fliege,
Will fast mich des Nordens Schnee erschrecken,
Als ob auf silbernem Baum ich mich wiege,
Draus fünf der silbernen Zweige sich strecken.

Auf ihren Schultern am Lockenbuge,
Da fehlte nicht viel, daß Stolz mich berückte,
Da meint' ich der Adler zu sein, der im Fluge
Im Sonnenstrahlennetz sich verstrickte!

Und wenn aus der hohlen Hand zum Mahle
Der frische kristallene Born mir quillet,
Da schlürf' ich aus alabasterner Schale,
Wie sie dem Sultan der Sklave füllet,

Und wenn das Körnlein in ihren Lippen
Mein täglich Brot mir entgegen blickte,
Da meint' ich Purpurkirschen zu nippen,
Als ich den köstlichen Kern draus pickte.

Und Solches ist wohl in jenen Landen
Die süßeste Speise, das Mahl der Freude;
Denn Einer, der oft daneben gestanden,
Der sah mein Picken immer mit Neide." —

So wird dein Preis jetzt im Süden klingen
Heil mir, dem solch ein Liebchen zu eigen,
Von der die Vögel in Afrika singen
Und in Europa die Nachbarn schweigen!

Im Bade

Ach könnt' ich die Welle sein,
Wie freut' ich mich so!
Doch könnt' ich die Quelle sein,
Wär' doppelt ich froh!

Könnt' ich die Welle sein,
Hüpft' ich mit frohem Sinn
Wo sie im Bade weilt,
Rasch zur Geliebten hin;
Hätte sie schnell ereilt,
Wogte mit stillem Gruß
Rasch um den lieben Fuß,
Blähte mich stolzer dann,
Schwölle und stieg hinan
Bis an des Busens Rund,
Bis an den Purpurmund,
Grüßte und küßte sie,
Koste und neckte sie,
Und sie erlitt' es gern,
Glaubt' ja, ich seh' es nicht,
Glaubt' mich ja fern!

Könnt' ich die Quelle sein,
Ganz nach Verlangen
Wäre sie mein;
Liebend umfangen
Wollt' ich die Holde,
Aber so bald nicht
Ließ ich sie los.
Dann zu dem Herzchen
Rauscht' ich empor,
Pochte und schlüge
Rege daran,
Pochte und früge
Liebend mich an. —
Dann zu den Händen
Wogt' ich dahin;
Aber das Ringlein,
Das sie als fremder
Seligkeit Pfand
Trägt an der kleinen
Blendenden Hand,
Wollt' ich ihr raubend
Tief in der Wogen
Nächtliche Brandung
Heimlich verbergen;
Rauschte zur Hand dann
Wieder hinan
Und nur m e i n Ringlein
Ließ ich daran.

Das Blatt im Buche

Ich hab' eine alte Muhme,
Die ein altes Büchlein hat,
Es liegt in dem alten Buche
Ein altes, dürres Blatt.

So dürr sind wohl auch die Hände,
Die einst im Lenz ihr's gepflückt.
Was mag doch die Alte haben?
Sie weint, so oft sie's erblickt.

Mannesträne

Mädchen, sahst du jüngst mich weinen? —
Sieh, des Weibes Träne fließt
Wie der klare Tau vom Himmel,
Den er auf die Blumen gießt.

Ob die trübe Nacht ihn weinet,
Lächelnd ihn der Morgen bringt,
Stets nur labt der Tau die Blume
Und sie hebt ihr Haupt verjüngt.

Doch es gleicht des Mannes Träne
Edlem Harz aus Ostens Flur,
Tief ins Herz des Baums verschlossen,
Quillt's freiwillig selten nur.

Schneiden mußt du in die Rinde
Bis zum Kern des Marks hinein,
Und das edle Naß entträufelt
Dann so golden, hell und rein.

Bald zwar mag der Born versiegen,
Und der Baum grünt fort und treibt,
Und er grüßt noch manchen Frühling,
Doch der Schnitt, die Wunde — bleibt.

Denke Mädchen, jenes Baumes
Auf des Ostens fernen Höhn;
Denke Mädchen, auch des Mannes,
Den du weinen einst gesehn.

Neue Liebe

Wie soll ich liebend dich umfassen
Und glauben, was dein Mund verspricht,
Da treulos du selbst die verlassen,
Die einst dein Leben, Lied und Licht?

Wohl hieß mein Lied sie Licht und Leben,
Wie damals lüg' ich jetzt auch nicht;
Drum ruf' ich kühn: du bist mir werter
Als all mein Leben, Lied und Licht!

Dem Tag hast du ihr Aug' verglichen,
Ihr Haar den Sonnenstrahlen mild;
Ei, ist's schon deinem Sinn entwichen,
Daß Sonn' und Tag der Treue Bild!

Der Nacht vergleich' ich deine Locken,
Dein Aug' dem Mond in nächt'ger Luft;
Ei, sollt' ich's dir wohl erst noch sagen,
Daß Nacht und Mond zur Liebe ruft?

Und schwurst du nicht, eh' zu erbleichen,
Als dich zu wenden je von ihr?
Drum gingst du mir längst zu den Leichen,
Drum, toter Mann, hinweg von mir!

Wohl schien ich selbst mir ein Begrabner,
Der längst schon unterm Rasen schlief,
Du wecktest mich, ein milder Engel,
Der mich in's schön're Leben rief.

Fragen

Wenn die Stern' am Himmel blinken,
Wenn ihr Reigen nächtlich webt,
Künde treu mir, wo der erste,
Wo der Sterne letzter schwebt?

Wenn im regen Wogentanze
Welle mit der Welle tauscht,
O so zeig' mir, wo die erste,
Wo der Wellen letzte rauscht?

Und vermagst du's, so gib Kunde,
Löse mir das Schwerste frei:
Wann im Herzen wohl die Stunde
Erster, — letzter Liebe sei?

Zweite Liebe

Warum auch zweite Liebe
Noch stets mit bangem Mut,
Mit Angst uns füllt und Zweifeln
Wie's kaum die erste tut?

Seht, ein ergrauter Bergmann
Fährt in der Grube Nacht,
Und alle Weg' und Tritte
Kennt er im dunklen Schacht.

Er, dem wie seine Hütte
Bekannt der Stollen ward,
Bekreuzt sich doch und betet,
Bevor er wagt die Fahrt.

Der Unbeständige

Mädchen sind ein Blumenvölklein
Bunter Art emporgeblüht;
Traun, das ist kein wackrer Gärtner,
Der nur Eine Blume zieht!

Mädchenlippen, das sind Becher,
Nektarsüß und wunderlieb;
Welch armsel'ger Zechgenosse,
Der bei Einem Becher blieb!

Mädchenaugen sind Gestirne,
Klarer, stiller Mondenschein,
Sonnen, blendend und verzehrend,
Sterne, blinzelnd, hell und rein;

Nach gar vielen Lichtgestirnen
Späht der Astronom hinauf;
So nur geht ihm ganz der reiche,
Ew'ge Himmel leuchtend auf.

Liederquell

Wie kommt's, daß mit dem Pfeil im Herzen
Im Schmerz ich sang der Liebe Lust?
Wie kommt's, daß nur von heitern Scherzen
Mir quillt die todeswunde Brust? —

Es segelt sanft auf Silberwogen
Im Schneegewand der stolze Schwan,
Gesanglos ist er lang gezogen
In stummer Lust die stille Bahn.

Im Morgenrot, im Mondenscheine
Durchschifft' er frei die Flut — und schwieg;
Am Ufer blühten Rosenhaine,
Er segelte vorbei — und schwieg.

Jetzt da der Pfeil sein Herz durchdrungen,
Da ihm der Tod im Busen glüht,
Was er in Wonne nie gesungen,
Er singt's im Schmerz: sein erstes Lied.

Verwandlung

1.
Es lag ein lockiger Knabe
Am blüh'nden italischen Strand,
Zum blauen, ewigen Äther
Das flammende Aug' gebannt.

Die Glieder streckten sich wonnig
Im üppig schwellenden Grün,
Die hohen, schlanken Palmen
Umrauschten wie Harfen ihn.

Es schlangen sich Rebengewinde
Von Palme zu Palm' empor,
Draus blickten purpurne Trauben,
Wie küssende Lippen, hervor.

Es guckten mit gaukelnden Häuptern
Die Rosen aus duft'gem Gesträuch,
Wie blühende Mädchengesichter,
Errötend und nickend zugleich.

Es raschelte fröhliches Leben
Durch schattige Blätternacht,
Gesänge von tausend Kehlen
Sind rings in den Zweigen erwacht!

Besä't ist mit silbernen Segeln
Des Meeres unendlicher Plan,
Drauf schimmert die Morgenröte
Als zweiter Ozean.

Der Knabe schaut so selig
Meer, Erd' und Äthergezelt,
Und staunt in den herrlichen Himmel,
Und freut sich der herrlichen Welt!

Der Träumer, von allen Wonnen
Italischen Himmels umglüht,
Es ist das Bild meiner Liebe,
Wie sie mir einst geblüht.

2.
Es wallt ein düstrer Pilger
Durch afrikanischen Sand,
Ein schmales Bündel am Rücken,
Den Knotenstab in der Hand.

So weit sein Ruf auch töne,
Kein Ruf, der wiedertönt!
So weit sein Herz sich sehne,
Kein Herz, das nach ihm sich sehnt!

Bei Gräbern und Pyramiden
Verweilt er gar manche Zeit!
Es mahnt die verwitterte Inschrift
Ihn schöner Vergangenheit.

In staub'gen Papyrusrollen
Liest er das Aug' sich fast blind,
Und liest und enträtselt die Kunde
Von Lenzen, die nimmer sind.

Gern möcht' er in Tempeln beten,
Nur Trümmer findet er mehr!
Altäre und Götter liegen
Zerstückelt am Boden umher.

So wankt er sinnend weiter
Durch's weite, wüste Land;
Rings über ihm glühender Himmel,
Rings um ihn glühender Sand!

Kein Quell, der ihn erquicke,
Kein Baum, der Schatten streut,
Kein Moos, darauf er schlummre,
Kein Strauch, der Früchte beut! —

Wer hätt' in dem finstern Wandrer
Den fröhlichen Knaben erkannt,
Der einst so selig gelagert
Am blühnden italischen Strand?