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III.
Lieder aus dem Gebirge

1830 - 1831

 

Der treue Gefährte
Ungleicher Tausch
Kern und Schale
Wandergruß
Szenerie
Baumpredigt
Der Ring
Elfenleiden
Elfe und Kobold
Legende
Der Friedhof im Gebirge
Die Muse vor Gericht
Das Alpenglühen
Sturm
Des Zechers Grab
Der Sennerin Heimkehr
Zwei Heimgekehrte

 

Der treue Gefährte


Ich hatt' einst einen Genossen treu,
Wo ich war, war er auch dabei;
Blieb ich daheim, ging er auch nicht aus,
Und ging ich fort, blieb er nicht zu Haus.

Er trank aus Einem Glas mir mir,
Er schlief in Einem Bett mit mir,
Wir trugen die Kleider nach Einem Schnitt,
Ja selbst zum Liebchen nahm ich ihn mit.

Und als mich's jüngst zu den Bergen zog
Und Stab und Bündel im Arm ich wog,
Da sprach der treue Geselle gleich:
Mit Gunsten, Freund, ich geh' mit euch!

Wir wallen still hinaus zum Tor,
Die Bäume streben frisch empor,
Die Lüfte bringen. uns warmen Gruß,
Da schüttelt der Freund den Kopf mit Verdruß.

Im Äther jauchzt ein Lerchenchor,
Da hält er zugepreßt sein Ohr;
Süß duftet dort das Rosengesträuch,
Da wird er schwindlig und totenbleich.

Und als wir stiegen den Berg hinan,
Verlor den Atem der arme Mann;
Ich wallt' empor mit leuchtendem Blick
Doch er blieb keuchend unten zurück.

Ich aber stand jauchzend ganz allein
Am Bergesgipfel im Sonnenschein!
Rings grüne Triften und Blumenduft!
Rings wirbelnde Lerchen und Bergesluft!

Und als ich wieder zu Tal gewallt,
Da stieß ich auf eine Leiche bald:
O weh, er ist's! Tot liegt er hier,
Der einst der treuste Gefährte mir!

Da ließ ich graben ein tiefes Grab
Und senkte die Leiche still hinab,
Drauf setzt' ich einen Leichenstein,
Und grub die Wort' als Inschrift drein:

"Hier ruht mein treuster Genoß im Land,
Herr Hypochonder zubenannt;
Er starb an frischer Bergesluft,
An Lerchenschlag und Rosenduft!

Sonst wünsch' ich ihm alles Glück und Heil,
Die ewige Ruh' werd' ihm zu Teil,
Nur wahr' mich Gott vorm Wiedersehn,
Und seinem fröhlichen Auferstehn."

Ungleicher Tausch

Alpensöhne, frei und bieder,
Wenn in unsre Städt' ihr wallt,
Jauchzt ihr auch das Lied hernieder,
Das auf euren Bergen hallt;

Wollt auch unsern Augen bieten,
Was auf euren Alpen blüht:
Rosen auf den grünen Hüten,
Und wohl Rosen im Gemüt.

Jetzt da ich erklommen habe
Eurer Berge Hochgebiet,
Bring' auch ich euch würd'ge Gabe?
Kranz für Kranz, und Lied für Lied?

Blumen mag ich zwar auch bieten,
Aber frostig, steif und kalt,
Wie der Winter solche Blüten
Höhnend uns ans Fenster malt.

Kranz um Kranz auch mag ich tauschen,
Aber dürr und ohne Duft,
Knisternd wie Zypressenrauschen
An gestorbner Hoffnung Gruft.

Denn des Tals Gedanken drängen
Sich um mich hier oben auch,
Und als eis'ge Blumen hängen
Sie sich rings an Fels und Strauch.

Auf der Bank der Alpenhütte
Sitz' ich nun zur Abendrast,
In der grünen Triften Mitte,
Schönste Hirtenmaid, dein Gast.

Stolz sehn dort die Tannen nieder,
Ihr Gewand vertauschend nie!
Freiheitsdurst'ge Waffenbrüder
Haltet Farbe, so wie sie!

Fällt auch eine gleich von diesen
Hier und dort der Äxte Spiel,
Ist's vom Haupt des Bergesriesen
Nur ein Haar, das ihm entfiel.

Seht den Quell Demanten stäuben
Im Gebirg', wo frei er fleußt,
Doch verdammt nur Mühlen treiben! —
Stäub' Demanten, Menschengeist!

Ha, wie fest die Sennenhütte,
Steinbeschwert, im Sturm sich hält!
Seht's, ihr Bauherrn, die zum Kitte
Eures Baues Blut ihr wählt!

Seht auch dort das Bergschloß schimmern
Dessen Mörtel lautrer Wein!
Wollt ihr auch so dauernd zimmern,
Nehmt euch Kitt, so frisch und rein!

Horch, ein Knall! Die Felsenadern
Dort am Bergwerk sprengen sie!
Pulver sprengt wohl einzle Quadern,
Doch ein Volk von Felsen nie!

Stolzen Haupts im Silberstrahle
Stehn die Riesen unbesiegt,
Während etwas Staub im Tale
Ihnen von den Sohlen fliegt!

Adler, hoch im Blau dich wiegend,
Lieblingsbild im Fürstentraum,
Doppelt ihrem Stolz kaum gnügend
Und erreicht doch einfach kaum!

Tier, flieg' in die Sonnenauen,
Laß im Staub den Menschen gehn!
Doch ein Lamm in deinen Klauen!
Ha, war's also zu verstehn?

Ferne Abendglocken singen
Frieden ins Gebirg herein,
Und die Alpenhörner klingen
Und die Blumen nicken ein.

Glocke voll der Zauberklänge,
Menschenwort! — O daß so schön
Frieden durch das Tal es sänge,
Wo der Menschheit Hütten stehn! —

Guten Abend, schöne Dirne,
Ei und bringst du Röslein mir?
Eine Maid mit heitrer Stirne
Ist die Freiheit auch, gleich dir!

Ach wann wird sie Rosen pflücken
Aller Welt, so wie du mir?
Wann die Welt ins Aug' ihr blicken
Ach so gerne, wie ich dir?

Alpenblümlein rings im Moose,
Ei was sagt denn ihr dazu?
Alpendirnlein, schön und lose,
Und was meinst denn du?

Kern und Schale

Ein Schenkhaus, draußen schlicht und klein,
Ein dürrer Kranz als Zeichen!
Doch drin voll kühlem, goldnem Wein
Ein Keller sonder Gleichen!

Am Fenster manch zerbrochner Topf,
Drin blühende Rosen schwanken!
Am Schenktisch manch ein ernster Kopf,
Drin fröhliche Gedanken!

Ein Kirchlein, halb verfallen schon,
Die Pforte morsch und enge;
Doch drinnen Andacht, Orgelton
Und Trost und Liederklänge!

Ein blinder Kutscher, lahme Pferd',
Ein alter Karr'n im Sande,
Doch drin im morschen Kasten fährt
Die schönste Maid im Lande!

Ein graues, kahles Felsental,
Drin frische Quellen rinnen!
Ruinen, alt, Verwittert, fahl,
Doch grüner Epheu drinnen?

Ja, seht mich selbst, den Wandersmann,
Gebräunt vom Sonnenbrande,
Mit grauem Kittel angetan,
Beschneit von Staub und Sande!

Doch ist mir in der Brust das Blühn
Des Frühlings aufgegangen,
Mit blauem Himmel, frischem Grün,
Gesang und Blumenprangen!

Ja, zweierlei ist Schal' und Kern!
Den Spruch hab' ich erwandert!
Und zweifelt wer an ihm, ihr Herrn,
Knackt Nüsse oder wandert!

Wandergruß

Dort vorm Bergschloß, daß ich raste,
Lädt der Blütenbaum mich ein,
Freundlich winkt der Vogt zu Gaste
Mit dem vollen Becher Wein.

Den Urahn und seine Gäste
Hat dies Kelchglas schon geletzt,
Und an ihrem Hochzeitfeste
Ahnfrau diesen Baum gesetzt.

Drum wie seinen Blütenregen
Über mich der Baum jetzt streut,
Dünkt's mich wie ein Ahnensegen
Aus der alten fernen Zeit.

Und wie ich, vom Born zu nippen,
Mit dem Glas berührt den Mund,
Ist's, als ob des Ahnherrn Lippen
Böten mir den Gruß zum Bund.

Die in weiter Welt sich mieden,
Einte dieses Glases Kreis;
Was durch Zeit und Land geschieden,
Drückt hier Lipp' an Lippe leis.

Von Geschlechten zu Geschlechten
Schlinge sich der heil'ge Bund!
Fort und fort sein Band zu flechten,
Weiht, o Glas, dich Herz und Mund!

Diesen Kuß, zu fernen Tagen,
Wenn zu Staube längst ich bin,
Sollst du auf die Lippen tragen
Einer späten Enkelin.

Für den Enkel Gruß und Segen
Will ich dir, o Baum, vertraun,
Daß du ihn als Blütenregen
Um sein Haupt magst niedertaun.

Szenerie

Ein Kreis von grünen Bäumen,
Gesträuch und Rasengrün!
Der Pfarrer wandelt betend
Mit dem Brevier dahin.

Die Lüfte blättern dienend
Sanft Blatt für Blatt ihm um;
Ein Strahl der Gnade, leuchtet
Die Sonn' ins Heiligtum. —

Ein Kreis von grünen Bäumen,
Gesträuch und Rasen dabei!
Und jauchzend tafelt drunter
Eine lust'ge Kumpanei.

Die Büsche wölben als Keller
Sich über die Flaschen kühl,
Als Tafelmusik beginnen
Die Vögel im Laub ihr Spiel. —

Ein Kreis von grünen Bäumen
Und Rasen und Gesträuch!
Da wallt, zermalmt von Elend,
Ein Mann gar trüb und bleich.

Er seufzt, — da seufzt das Echo,
Wie eine Stimm' aus dem Grab;
Er weint, — da weinen die Zweige
Den Abendtau herab. —

Ein Kreis von grünen Bäumen,
Gesträuch und Rasenplan!
Es schleicht mit blankem Dolche
Ein Mörder lauernd heran.

Der Büsche dichtes Dunkel
Versteckt den Finstern gut;
Da trieft vom Himmel selber
Das Abendrot als Blut. —

Ein Kreis von grünen Bäumen,
Gesträuch und Rasen bloß!
Da wallt mit Tint' und Feder
Der Amtmann aus dem Schloß.

Als Pult dient ihm ein Baumstamm,
Dran lehnt er die Bogen auf,
Die Zweige schütteln als Streusand
Den Blütenstaub ihm drauf. —

Ein Kreis von grünen Bäumen,
Gesträuch und Rasengrün!
Und Bursch' und Dirne lagern
Sich küssend und kosend hin.

Die Bäume stehen Wache,
Der Rasen ist breit und weich,
Die Nacht senkt still den Vorhang,
Verschwiegen ist das Gesträuch.

Baumpredigt

Um Mitternacht, wenn Schweigen rings,
Beginnt's durch Waldesträume,
Und wo sonst Büsch' und Bäume stehn,
Zu flüstern, rascheln und zu wehn,
Denn Zwiesprach halten die Bäume.

Der Rosenbaum loht lustig auf,
Duft raucht aus seinen Gluten:
"Ein Rosenleben reicht nicht weit!
Drum soll's, je kürzer seine Zeit,
So voller, heller verbluten!"

Die Esche spricht: "Gesunkner Tag,
Mich täuscht nicht Glanz und Flittern!
Dein Sonnenstrahl ist Todesstahl,
Gezückt aufs Rosenherz zumal,
Und bangend muß ich zittern!"

Die schlanke Pappel spricht, und hält
Zum Himmel die Arm' erhoben:
"Dort strömt ein lichter Segensquell,
Der rauscht so süß und glänzt so hell,
Drum wall' ich sehnend nach oben!"

Die Weide blickt zur Erd' und spricht:
"O daß mein Arm dich umwinde!
Mein wallend Haar neig' ich zu dir,
Drein flechte deine Blumen mir,
Wie Mütterlein dem Kinde."

Drauf seufzt der reiche Pflaumenbaum:
"Ach meine Füll' erdrückt mich!
Nehmt doch die Last vom Rücken mein!
Nicht trag' ich sie für mich allein;
Was ihr mir raubt, erquickt mich!"

Es spricht die Tanne guten Muts:
"Ob ich an Blüten gleich darbe,
Mein Reichtum ist Beständigkeit;
Ob Sonne scheint, ob's stürmt und schneit,
Nie ändr' ich meine Farbe!"

Der hohe, stolze Eichbaum spricht:
"Ich zittre vor Gottes Blitzen!
Kein Sturm ist mich zu beugen stark,
Kraft ist mein Stamm, und Kraft mein Mark!
Ihr Schwächern, euch will ich schützen!"

Die Epheuranke tat an ihn
Sich inniger nun fügen:
"Wer für sich selbst zu schwach und klein,
Und wer nicht gerne steht allein.
Mag an den Freund sich schmiegen!"

Drauf sprachen sie so Manches noch,
Ich hab' es halb vergessen;
Noch flüsterte manch heimlich Wort,
Es schwiegen nur am Grabe dort
Die trauernden Zypressen.

O daß die leisen Sprüchlein all'
Ein Menschenherz doch trafen!
Was Wunder, wenn sie's trafen nicht!
Die Bäume pred'gen beim Sternenlicht,
Da müssen wir ja schlafen.

Der Ring

Ich saß auf einem Berge
Gar fern dem Heimatland,
Tief unter mir Hügelreihen,
Talgründe, Saatenland!

In stillen Träumen zog ich
Den Ring vom Finger ab,
Den sie, ein Pfand der Liebe,
Beim Lebewohl mir gab.

Ich hielt ihn vor das Auge,
Wie man ein Fernrohr hält,
Und guckte durch das Reifchen
Hernieder auf die Welt:

Ei, lustiggrüne Berge
Und goldnes Saatgefild,
Zu solchem schönen Rahmen
Fürwahr ein schönes Bild!

Hier schmucke Häuschen schimmernd
Am grünen Bergeshang,
Dort Sicheln und Sensen blitzend
Die reiche Flur entlang!

Und weiterhin die Ebne,
Die stolz der Strom durchzieht;
Und fern die blauen Berge,
Grenzwächter von Granit.

Und Städte mit blanken Kuppeln
Und grünes Wälderreich,
Und Wolken, die zur Ferne,
Wohl meiner Sehnsucht, gleich!

Die Erde und den Himmel,
Die Menschen und ihr Land,
Dies alles hielt als Rahmen
Mein goldner Reif umspannt.

O schönes Bild, zu sehen
Vom Ring der Lieb' umspannt
Die Erde und den Himmel,
Die Menschen und ihr Land!


Elfenleiden

In geheimer, stiller Freude
Blickt' ich eine Rose an,
Die im Perl- und Purpurkleide
Schwellend aufzublühn begann.

Bange doch vielleicht zu Mute
War's dem Elfen, klein und traut,
Der in ihrem Kelche ruhte,
Drin sein Häuschen er gebaut.

Wenn ein Knöspchen platzend springet,
Kracht's ihm wohl wie Donnerklang!
Wenn ein West die Rose schwinget,
Macht ihm Erdbeben bang!

Wie ihr Kelch sich auftut Allen,
Schreckt ein Abgrund schwindelnd ihn,
Und des Blütenstaubes Fallen
Stürzt auf ihn als Schneelawin'.

Eine Überschwemmung drohte
Seiner Wohnung, Hab' und Haut;
Als es kühl aus Morgenrote
Perlen in den Kelch getaut.

Als mein Atem freier wehte,
Schien's ihm Sturmwinds Ungestüm,
Und vielleicht gar als Komete
Droht' mein heitrer Blick ob ihm.

Und mit Bangen sondergleichen
Harrt der Kleine ängstlichscheu,
Was wohl all der Schreckenszeichen
Grausenhaftes Ende sei?

Doch mit tiefer, stiller Freude
Blickte ich die Rose an,
Die im Perl- und Purpurkleide
Blütenvoll sich aufgetan.

Elfe und Kobold

Stehn zwei Sennenhütten ferne,
Wo die Alpenwiese lacht;
Ob den Giebeln halten Sterne,
Blumen vor der Schwelle Wacht.

In dem Moos der einen Hütte
Schläft die blonde Sennin leis;
Welches Alpenkind bestritte
Ihr der Schönheit ersten Preis?

Daß mein Aug' noch Schönres labe
Müßt' ich wandern wahrlich weit,
Wenn du, schöner Jägerknabe,
Nicht ihr lägest hier zur Seit'!

Und der Elf', der weiße, feine,
Der dies Hüttlein treu bewacht,
Legt zu Häupten ihnen eine
Frische Rosenknospe sacht.

Als das Knöspchen aufgegangen
War zur blühnden Rose kaum,
Hat die Schlummernden umfangen
Gar ein lieblich süßer Traum. —

In dem Moos der andern Hütte
Schläft die braune Alpenmaid;
Welch Gebirgskind wohl bestritte
Ihr den Preis der Häßlichkeit?

Daß Unholdres ich entdecke
Müßt' ich wandern wahrlich weit,
Wenn du Köhler, schwarzer Recke,
Nicht ihr lägest hier zur Seit'!

Der Kobold, der braune Kleine,
Der dies Hüttlein treu bewacht,
Legt zu Häupten ihnen eine
Frische Rosenknospe sacht.

Als das Knöspchen aufgegangen
War zur blühnden Rose kaum,
Hat die Schlafenden umfangen
Gar ein lieblich süßer Traum. —

Morgens als erzählt ihr Träumen
Dieses sich und jenes Paar,
Mocht' es sich gar seltsam reimen,
Daß derselbe Traum es war!

Morgens als im Himmelsgarten
Früh der liebe Gott spaziert,
Seine Blumen mild zu warten,
Deren Pracht sein Haus umziert;

Fand er alle blühn zum Besten,
Sonnenrosen üppig glühn,
Feuerbüsch' in Flammenästen,
Sternenblumen duftig sprühn;

Nur vom blühendsten Gesträuche,
Das ganz voll von Rosen stand,
Kamen Nachts ihm zwei ganz gleiche
Schöne Knospen heut' abhand.

Legende

Auf eines Berges Rücken
Saß einst der liebe Gott,
Und maß mit fröhlichen Blicken
Was rings dem Auge sich bot.

Er sah zu seinen Füßen
Gewalt'ge Berge sich reihn,
Und grüne Wälder sprießen
Und goldne Saaten gedeihn.

Er sah die Quellen springen,
Er atmete Blumenduft,
Und hörte die Vögel singen
In goldner Morgenluft.

Da lächelte zufrieden
Er stille vor sich hin;
Die Menschen im Tal hernieden
Sahn goldner die Berge glühn.

Er sah nun lang mit Freude
Herab auf seine Welt,
Und sprach: Bei meinem Eide,
Das hab' ich wohl bestellt!

Und reichere Blumendüfte
Erquollen bei seinem Wort,
Es rollte durch Erd' und Lüfte
Harmonisches Klingen fort.

Die Welt lag in der Blüte,
Es lächelt des Herrn Gesicht;
Da klang in seinem Gemüte
Empor ein himmlisch Gedicht.

Da wollt' er in Worte kleiden
Und schreiben auf Pergament
All' seine Schöpferfreuden,
Wie nun sein Herz sie kennt.

Doch als er's drauf besehen
Wie's auf dem Blatte steht,
Da war's auch ihm geschehen,
Wie's manchem Dichter geht:

Nicht konnt' er treu berichten
Des Herzens warmen Schlag;
Nicht konnt' er's schöner dichten,
Als rings es vor ihm lag!

Da riß er's zu tausend Stücken
Und gab's den Winden preis,
Sah wieder mit frohen Blicken
Auf seinen Erdenkreis.

Doch wie nun hin und wieder
Der Wind die Stücke weht,
Da ward auf's Tal hernieder
Ein Blütenregen gesät —

Wer Freitags auf der Reise,
Braucht nicht zu fasten dabei;
Wer Sonntags auf der Reise,
Ist von der Messe frei.

So hab' ich dies Lied gesungen
Statt eines Gebetes heut',
Von Sonntagsglocken umklungen,
Von Blüten überschneit.

Der Friedhof im Gebirge

1.
Friedhof der Alpen, deine Hügel schwellen
So friedensgrün am Tannenwald vor mir,
Als schlüge seine leisen, grünen Wellen
Der stille Ozean des Todes hier.

Nicht hast du nach der Städter Art umzogen
Mit blanken Mauern du den Wellenschwall!
Die sanften Hügel, als empörte Wogen,
Durchbrachen, überflutend, bald den Wall!

Auf ihnen wogen nicht im fahlen Schimmer
Steinkreuze, Säulen, Katafalke fort,
Und Urnen, Pyramiden, gleich wie Trümmer
Vom Wrack des Lebensschiffs, gestrandet dort!

Nein, sie verspülen sanft und frei! — Entstiegen
Ist draus ein Kreuz allein, kunstlos und schlicht,
Als Leuchtturm wohl, der, wenn die Sterne schwiegen,
Auf diese dunkle See ausgießt sein Licht.

Der Vollmond quillt durch dunkle Tannenreiser
Und mündet seinen Lichtquell wellenwärts,
Die Waldeswipfel flüstern immer leiser,
Und stiller Meeresfahrt gedenkt das Herz.

Du träumst, dein Haupt verhüllt in Silberschleiern,
Und ahnst, o Tannenbaum, wie du als Kahn
Einst wirst hinaus ein Kind des Friedens steuern
In diesen stillen, grünen Ozean!

2.
O Tod, du warst, Ungleiches auszugleichen,
Doch allzu hart und gar zu eifrig hier!
Ach, keine Inschrift und kein Liebeszeichen,
Nur leises Ahnen nennt die Schläfer mir!

Ein Hirte wohl ruht hier im duft'gen Rasen:
Ich seh' ja frei um seinen grünen Rain
Die Alpenherde in den Kräutern grasen;
Und wo die Herde, muß der Hirte sein!

Ein Jäger träumt da unter kühler Decke:
Mir sagt's das Rehlein, weidend hier bei Nacht,
Als ob es sanft die tote Hand ihm lecke;
Wem wäre sonst so süße Rach' erdacht?

Ein Schnitter schlummert dort am fernen Saume:
Ich seh' es an der Blumen seltnem Tanz,
Als wühle seine Hand darin im Traume,
Zu flechten sie zum heitren Erntekranz! —

Doch will zum Grab des Lieben Liebe wandern,
Auf welches ströme sie den Tränenzoll?
Nun, was verschlägt's, erquickt er einen Andern,
Zu dem vielleicht noch keine Zähre quoll?!

O Trauer, suchst du nur nach Einer Welle!
Und ist das ganze, dunkle Meer doch dein!
Dünkt dir ein einzig Sternlein tröstendhelle!
Dein soll der ganze Strahlenhimmel sein!

O Liebe, spähst du nur nach Einem Halme!
Die ganze Erde fiel dir ja zum Los!
Verletze nicht die Tanne ob der Palme,
Nicht ob des Blumenstrauchs das arme Moos!

Die Muse vor Gericht

Komm, Muse meines Liedes, komm ins wilde
Steinklippental der Urwaldsnacht mit mir!
Vor jener Eichen alter Richtergilde
Dort spräch' ich gern ein ernstes Wort mit dir.

Nicht gnügt's, daß dir der Markt, der leichtentzückte,
Des Lobs Almosen zuwarf manchesmal,
Manch allzumilder Freund die Hand dir drückte,
Und Beifallswort sich seinem Mund entstahl!

Kein Mensch schritt je den Waldpfad, den wir wählen;
Horch, von den Zweigen träuft der Vögel Sang
Wie Frühtau auf die Blumen unsrer Seelen!
Ach, er verstummt bei unsrer Schritte Klang!

Sie sangen nicht, um unsrem Ohr zu dienen,
Und Lerchenweisen lallt der Finke nie:
Mein besser Seelenteil wohl sang aus ihnen!
Sprich, Muse meines Lieds, tatst du wie sie? —

Ein Blütenbaum verlor sich dort zu Eichen,
Die blütenlos, wenn sonst auch schön und grün;
Doch er kann anders nicht, als Blüten reichen,
Nur Axt und Blitz gefährden einst sein Blühn!

Froh wiegt er sein Gezweig im Sonnenlichte!
Dem Blitze schlägt sein blumiges Gesträuch,
Die blühnde Waffe, er ins Angesichte!
Sprich, Muse meines Lieds, tust du's ihm gleich? —

Tot morscht am Grund dort eine alte Eiche;
Manch hundert Lenze füllten einst ihr Mark,
Gleichgültig stehn die Brüder um die Leiche,
Sind alle ja noch laubig, grün und stark!

Der Vogel, der des Baumes Lenzgefühle
Von seinem Blatt einst las und statt ihm sang,
Der liederreiche, düngt in Gartenkühle
Jetzt Blumen fern zu Duft und Blütendrang.

In dunkler Nacht, wenn Stern' und Mond nicht glänzen,
Umquillt phosphorisch Licht den morschen Baum:
Traun, ihn umwallt von seinen toten Lenzen
Ein leuchtender und schöner Grabestraum!

Und wird auch mir, wenn einst im Waldesdüstern
Fern und vergessen sich mein Hügel hebt,
Kein lichter Traum von dir es tröstend flüstern,
Daß kein verlornes Leben ich gelebt?

Sprich, wird einst meines Jugendliedes Rose
Dem greisen Haupt nur Flitter, des sich's schämt,
Nicht eine Zierde, gleich dem Kranz von Moose,
Der dort das kahle Felshaupt schön verbrämt? —

Der Wildbach schlägt sich tapfer hier durch Klippen,
Ein Rosenzweig wiegt auf den Wellen sich;
Der wuchs nicht hier aus diesen Felsenrippen,
Und mahnt an schönres Land, das es durchstrich!

Das Bächlein bangt nicht, daß die Klippe zürne,
Wenns es der nackten zeigt, was ihr gebricht,
Und neben ihrer finstern Felsenstirne
Die klaren Sterne spiegelt rein und licht!

Hast du auch frei und ohne Furcht und Lüge
Stets, Muse meines Lieds, geoffenbart
Die Ahnungsrosen deiner Seelenzüge,
Die Glaubenssterne deiner Geisterfahrt?

Blick' in die strengen Felsenangesichter,
Sie sprechen dir dein Urteil unerweicht!
Lies es im grünen Blatt, das dir dein Richter,
Der Waldbaum, wie mit leisem Zittern reicht!

Spricht dich's nicht frei, dann wage nie zu schreiten
In dieses Waldes Dom, des Fluch dich bannt,
Der Sündrin gleich, die einst in alten Zeiten
Im Bußhemd vor der Kirchenpforte stand!

Der Armen reichen im Vorüberschweben
Ehrsame Bürger Mitleidsspenden mild;
Wer kann ihr Reinheit, Ehre wiedergeben,
Und Trost und Segen, der im Dome quillt?


Das Alpenglühen

Das ist im Tal ein Glänzen, Kosen
Von Blumen, Bäumen, Sonnenlicht,
Durch die sich, wie lebend'ge Rosen,
Ein Kranz von blühnden Menschen flicht!

Mit kaltem strengen Angesichte
Blickt nur das Alpenhaupt darein;
Ist's denn nicht auch berührt vom Lichte?
Was mag sein düstres Sinnen sein?

Nacht ist's geworden allzuschnelle
Und Dunkel hüllt des Tales Hag;
Nicht ahnt, wer's sah so froh und helle,
Daß es so finster, stumm sein mag!

Auf allen Wesen, graubeklommen,
Der Finsternis Vernichtung ruht!
Einst als die erste Nacht gekommen,
Wie war es, Mensch, dir da zu Mut?

Den Bäumen bangt und graut im Düstern
Die Zweige tasten schwer im Kreis;
Ihr Dasein noch sich zuzuflüstern
Beginnt's im Laub zu rauschen leis.

Der Rose Glut kann jetzt nicht hellen!
Daß sie der Mensch zertrete nicht,
Läßt sie ihr Duften bange quellen,
Ihr Duft wird Hilfeschrei und Licht!

Der Lichterglanz, der wie mit Sehnen
Im Tal aus Fensteraugen bricht,
Er quillt wie flammenhelle Tränen
Um ein verlornes, größres Licht.

Doch sieh vom Flammenkranz umschlungen
Das Haupt der Alpe, glutumrollt,
Als ob zu sparen ihr gelungen
Ein Teil von ihrem Tagesgold!

Als ob tagüber sie gefangen
Zum Kranz die Rosen all' im Tal;
Als ob bei Tag dir von den Wangen,
Du Volk des Tals, das Rot sie stahl!

Wenn um der Witwe Leib sich senken
Die schwarzen Trauerhüllen dicht,
Glüht oft ein süßes Rückgedenken
Noch fort auf ihrem Angesicht.

Du aber, heitres Herz im Tale,
Nun deine hellen Tage blühn,
Bewahre sorgsam ihre Strahle,
In deinen Nächten nachzuglühn.

Sturm

Es beschaut in Wellenkläre
Sich der Fels, ein schöner Greis,
Durch den See zieht meine Fähre
Leise ihr kristallen Gleis.

Vorn im Schiff, das Ruder rührend,
Scherzt die schlanke Schifferin!
Hinten, fest das Steuer führend,
Starrt ihr Vater ernst dahin.

Vorn am Schiffe scheint zu glimmen
In der Flut ein roter Schein;
Sind es Rosen, die da schwimmen?
Mädchen, sind's die Wangen dein?

Hinten an dem Steuer blinken
Rings die Wellen silberweiß;
Spiegeln sich der Gletscher Zinken?
Ist's dein Lockenschnee, o Greis?

Doch die Wellen werden rege,
Es verschwinden Ros' und Schnee,
Als ob Geisterhand sie zöge
Nieder in den tiefen See.

Weh, sturmlust'ge Winde fallen
Aus der Felsen Hinterhalt!
See, dein schlummernd Kindeslallen
Als Gigantenfeldschrei hallt!

Ungetüme sind die Wellen,
Bäumend hoch den Leib empor,
Ihre Zottenmähnen schwellen,
Und ihr Rachen heult im Chor.

Ungestüm in tollem Satze
Springen schnaubend sie heran,
Haun die grimme, weiße Tatze
In den morschen, schwanken Kahn!

Aber peitschend ihre Flanken
Wild der Greis sein Ruder schwingt,
Bis die Bestienhord' im Schwanken,
Knirschend, heulend, ihm entspringt.

Leis die krausen Schädel streichelnd
Rührt die Maid ihr Ruder nun,
Bis, wie Hündchen, wedelnd, schmeichelnd,
Alle ihr zu Füßen ruhn.

Nimmer sind die Wellen rege,
Wieder schimmern Ros' und Schnee,
Als ob Geisterhand sie lege
Auf den hellen, stillen See. —

War ein Kämpfen das und Kosen,
Abzuringen von dem See,
Mädchen, du die Handvoll Rosen,
Alter, du die Handvoll Schnee!

Des Zechers Grab

Der Bach tief unterm Klippenhang
Rauscht in Sirenensängen,
Daß, hart am Felsrand, schwindelsbang,
Gekrümmt, die Fichten hängen.

Am Kreuz von Holz spricht noch davon
Die Schrift mit trunknem Lallen,
Daß ein bezechter Alpensohn
Sich hier zu Tod gefallen.

Und wie ich lauschend Aug' und Ohr
Geneigt zur Abgrundstiefe,
Da war mir's als ob draus empor
Dumpf eine Stimme riefe:

"Zechbrüderlein, hilf mir doch aus
Dem Felsenkeller wallen!
Sieh, in ein leeres Faß, o Graus,
Bin ich dahier gefallen!

Durchs Spundloch leuchtet karg und gelb
Der Tag in meine Tonne:
Dein Himmel ist mein Faßgewölb,
Mein Spundloch deine Sonne!

Und wenn dies karge Licht verschwand,
Dann funkelt Weinsteinglimmer
An meines Fasses dunkler Wand!
Du nennst es Sternenschimmer!

Was rauscht da? Weinflut hör ich voll
Aus offnen Zapfen jagen!
Dir ist's ein Bach! Nein, Wasser soll
Sich doch zu mir nicht wagen!

Träum' ich im grünen Friedhofraum
Bei Brüdern und Gespielen,
Wo Engel unsrer Stirne Saum
Mit Tannenreisern kühlen?

Nein, Weinlaub seh' ich über mir
In Kränzen lieblich schwanken!
Sprich, oder wehn um Klippen hier
Nur lose Epheuranken?

Ach, und zerfiel sich nicht mein Leib
An Klippen und in Lüften?
Wie Weinesblüt' und Most zerstäub'
Er froh in Schaum und Düften! —

Doch du, herabgeneigt zum treu'n
Vasallen mächt'ger Fässer,
Dein Rausch von Lenz und Sonnenschein
Ist er so gar viel besser?

Wohl bist, wo strauchelnd ich geschwankt,
Du sacht vorbeigeglitten;
Doch bin ich oft, wo du gewankt,
Aufrecht und fest geschritten.

O schlürf' ihn ganz, den Goldpokal
Von Frühlingsduft und Rose,
Von Freiheit, Licht und Sonnenstrahl
Und Nachtigallgekose!

Ein süßer Taumel hebt den Schritt
Den Zechern und den Dichtern,
Wo scharfer Kies die Fersen schnitt
Den Armen, die da nüchtern!

In diesen Abgrund sinkst du nicht,
Doch anderswo in einen!
Geb' einen Traum, so schön und licht,
Der Herr dir dann, wie meinen!"

Der Sennerin Heimkehr

Es blinken die Alpenzinnen
In Eis schon silbern ganz,
Der Herbst entlaubt im Tale
Der Bäume grünen Kranz.

Ums Dörflein dort am Hange
Grünt noch die Wiese fort,
Doch auf der Wiese die Blumen
Sind alle schon verdorrt.

Horch, was erklingt vom Berge
Wie voller Glockenklang?
Was tönt zum Tale nieder
Wie süßer Brautgesang?

Das ist mit ihrer Herde
Die junge Sennerin,
Die von den Alpen nieder
Zur Heimat wallt dahin.

Die schönste ihrer Kühe
Mit hellem Glockenlaut,
Voran mit frischem Kranze,
Geschmückt wie eine Braut.

Rings um sie hüpft so fröhlich
Die ganze Herde drein,
Wie treue Jugendgenossen,
Die sich des Festtags freun.

Der schwarze Stier den Festzug
Als würdiger Vater führt,
Er schreitet hin bedächtlich
Wie's solchen Herrn gebührt.

Und vor dem ersten Hause
Jauchzt dreimal hell die Maid,
Daß laut es gellt durchs Dörflein,
Durch Tal und Alpen weit!

Die Mütterlein und Dirnen
Sind flink herbeigerannt,
Die Sennerin drückt allen
So warm und treu die Hand:

"Viel Grüße, schöne, frische,
Von grünen Alpenhöhn!
Wie lange, ach, wie lange,
Daß wir uns nicht gesehn!

Den ganzen langen Sommer
Saß ich so ganz allein
Mit Herden und mit Blümlein,
Mit Sonn' und Mondenschein!"

Sie grüßt die Bursche alle
Mit heitrem Angesicht,
Nur einen, und den schönsten,
Den grüßt sie eben nicht.

Nicht scheint es ihn zu grämen,
Und lächelnd läßt er's geschehn!
Er hat wohl auch die Schöne
So lange nicht gesehn?

Er trägt ein grünes Hütlein
Umsäumt von Rosen dicht. —
Ei solche Alpenrosen
Im Tale blühn sie nicht!

Zwei Heimgekehrte

Zwei Wanderer zogen hinaus zum Tor,
Zur herrlichen Alpenwelt empor.
Der Eine ging, weil's Mode just,
Den Andern trieb der Drang in der Brust.

Und als daheim nun wieder die Zwei,
Da rückt die ganze Sippe herbei,
Da wirbelt's von Fragen ohne Zahl:
"Was habt ihr gesehn? erzählt einmal!"

Der Eine drauf mit Gähnen spricht:
"Was wir gesehn? Viel Rares nicht!
Ach, Bäume, Wiesen, Bach und Hain,
Und blauen Himmel und Sonnenschein!"

Der Andre lächelnd dasselbe spricht,
Doch leuchtenden Blicks, mit verklärtem Gesicht:
"Ei, Bäume, Wiesen, Bach und Hain,
Und blauen Himmel und Sonnenschein!"