Der Christbaum
Jüngst sah ich einer Mutter treue Hand
Des Christbaums dunkle Zweige sorgend schmücken;
Goldnüsse schwankten da an losem Band,
Und Blumen gab es, Naschwerk allerhand;
Daneben Fruchtgewinde, goldne Brücken
Von Ast zu Ast einladend ausgespannt,
Und zwischen Kerzlein, die sich rings erhoben,
Berittene, Lebkuchen Mann und Tier,
Und Sterne aus buntfärbigem Papier
Mit Meisterhand geflochten und gewoben;
Und zwei der letztern sah zuhöchst ich oben
Umstrahlen golden eines Engels Bild,
Der niedersah, als ob er Wache hielt!
Und als nun Abends Licht für Licht entbrannte
Und Feenpracht den dunklen Baum verklärt,
Und segnend jeder Brust der langverbannte,
Harmlose Traum der Kindheit wiederkehrt,
Da lag auch leuchtend rings aus allen Zügen
Ein Sonnenstrahl von kindlichem Vergnügen,
Nur mich — mich wehte stille Wehmut an;
Still träumend starrt' ich in des Baumes Zweige,
Und als ich spät erwachend mich besann,
Da ging verglimmend schon die Pracht zur Neige,
Und Licht für Licht ward wieder ausgetan!
Zuerst die unten, die der Arm erreichte,
Die höhern wurden bis zuletzt gespart;
Und wie's nun unten immer dunkler ward,
Da sah ich, daß der Flitter mit erbleichte!
Wo Glanz erst war, da lag nun graue Nacht;
Die Blumen lockten nicht mehr sie zu pflücken,
Versunken waren in des Dunkels Schacht
Der üpp'gen Fruchtgewinde goldne Brücken,
Und als das Löschhorn immer höher stieg
Und nur den Wipfel Lichter noch umkränzten,
Bis endlich aus der Dämm'rung vollem Sieg
Ganz oben die zwei Sterne nur mehr glänzten,
Und jener Engel, der dort Wache hielt:
Da war es mir in meinem tiefsten Herzen,
Der Christbaum mit den ausgelöschten Kerzen
Bedeute mir des eignen Lebens Bild!
"Ja Jugend," dacht' ich, "ja, dein goldner Schimmer
Vergoldet rings um dich her Zeit und Raum;
Selbst Fruhling blüht um dich auch Frühling immer
Und jeder Tag ist dir ein Weihnachtsbaum!
Du weißt von jedem Zweig die Frucht zu pflücken.
Denn nah steht jedes Ziel dem leichten Sinn,
Und wenn auch eins unnahbar erst dir schien,
So baut die Hoffnung Regenbogenbrücken,
Und Sehnsucht trägt dich durch die Wolken hin!
Doch will der Jugend Zauber von dir weichen,
Verglimmt dir im verwundeten Gemüt
Der Himmelsfunken, der es hell durchglüht,
Dann siehst du auch den Flitter mit erbleichen;
Wo Glanz erst war, da liegt dann graue Nacht,
Die Blumen locken nicht mehr sie zu pflücken,
Kein Hoffen wölbt dir ferner Nebelbrücken,
Schwankst schwindelnd du an grauser Tiefen Schacht,
Und immer dunkler wird's, die Lüfte schwerer:
Je mehr dein Fuß der Lebensstufen stieg,
Umrauschen dich die Zweige leer und leerer! —
Beglückt, wem in des Dunkels vollen Sieg
Noch leuchtend aus des Wipfels kahlen Ästen
Die letzten Zierden, aber auch die besten,
Wie mir herunterschallen traut und mild:
Zwei lichte Sterne und ein Engelbild!"
Streitfrage
Die Menschheit muß dir groß und heilig sein,
Wie oft die Menschen würdig auch des Spottes;
Der Einzelne sei immer schwach und klein,
Aus der Gesamtheit weht der Atem Gottes!
Grad umgekehrt! — Die Menschheit insgesamt
Umfangen dumpfer Geistesarmut Schranken;
Und nur aus Einzelnen hell leuchtend flammt
Der Gottesfunken ewiger Gedanken!
Wollen und Sollen
Ich will! Das Wort ist mächtig;
Ich soll! Das Wort wiegt schwer!
Das eine spricht der Diener,
Das andre spricht der Herr!
Laß beide Eins dir werden
Im Herzen ohne Groll;
Es gibt kein Glück aus Erden
Als wollen, was man soll!
Lieder ohne Worte
(An
Julie Rettich,
als ich sie im Nebenzimmer eine neue Rolle einüben hörte)
Im Finstern saß ich in einer Ecke,
Hört' aus meinem Lauschverstecke,
Grenzend hart an ihr Gemach,
Wie bewegt sie drinnen sprach!
Flüsternd bald, wie Frühlingshauch
Rauschend spielt im Rosenstrauch,
Langsam wieder ernst und prächtig,
Wie der Strom vorüberrollt,
Schmetternd laut jetzt, wild und mächtig,
Wie der Donner droht und grollt,
Jetzt verschwimmend trüb und trüber,
Wie verhallender Gesang
Kam der lieben Stimme Klang
Durch die Wände mir herüber!
Was sie sprach, zu wem und wie,
Hört' ich nicht, und fragt' ich nie;
War doch, was herüber schallte,
Ob der Worte Klang verhallte,
Voll von Sinn auch ohne sie!
Drang doch Sehnsucht, Furcht und Trauern,
Lieb' und Haß und Lust und Schmerz
Mir so deutlich durch die Mauern,
Wortlos mir so tief in's Herz!
Ach die Töne, die so weich,
Die so warm, so voll, so reich
Damals Dir vom Munde wehten,
Die jetzt zürnten, die jetzt flehten,
Die jetzt Wehmut trüb umflorte,
Ach, noch immer hör' ich sie,
Jene Lieder ohne Worte,
Klang nur, aber Poesie!
An Julie Rettich
(am
Tage der Taufe ihrer Enkelin)
Fern sei uns Mißgunst; was uns selbst Entzücken
Und Labung in des Lebens Dürre gab,
Das mög' nach uns auch Andere beglücken,
Und träufle Tau den Dürstenden herab!
Drum heut am Tage, der zum Christentume,
Zum Leben Deines Kindes Sprößling weiht,
Wünsch' flehend Eins ich nur der zarten Blume,
Und in ihr jetzt noch ungeborner Zeit!
Sie möge Dir in jedem Sinne gleichen,
An Herz und Geist und schöpferischer Glut,
An Trieb und Drang, das Höchste zu erreichen,
An frischer Kraft und nie erschöpftem Mut!
Es mög' Dein Blick in ihrem Auge leben,
Aus ihren Lippen Deiner Stimme Klang,
Und Anmut mög' den Veilchenkranz ihr weben,
Den duftend sie um Deine Stirne schlang!
Was Du uns bist, dazu nach manchen Jahren
Reif' kommenden Geschlechtern sie heran,
Daß jene auch, wie wir durch Dich erfahren,
Was Kunst vermag und was Begeistrung kann.
Und mög' beglückter in der Jahre Schwinden
Die Gley und Rettich einer fernen Zeit
Den Dichter auch, den Du nicht fandest, finden,
Der würd'gen Stoff so hohem Geiste leiht!
Deutsch oder Welsch, Ristori oder Rettich,
Um Heimat und um Sprache frag' ich nicht,
Daß sie Dich wiederhole nur, erbet' ich,
Und Heil dem Volk, des Sprache dann sie spricht!
Ruhm mög' in Strahlen ihren Namen kleiden,
Und wie zu früh in diese Welt sie kam,
So sind' die Welt auch einst bei ihrem Scheiden,
Daß sie zu früh, zu früh nur Abschied nahm.
Die Danaiden
Die fünfzig Töchter des Danaos —
So gebot haßglühend der Vater —
Sollten, in der Brautnacht sollten sie
Ihre Verlobten erschlagen,
Die Vettern, Ägyptos fünfzig
Blühende Söhne erschlagen;
Und sie taten es, taten es Alle.
Eine, Hypermnestra nur,
Menschlicher, weiblicher
Als die grausamen Schwestern,
Rettet den Gatten und flieht
Das fluchbeladene Haus!
Jene im Tartarus nun
Büßen dafür, äonenlang
Schöpfend in's löchrichte Faß,
Ewig bemüht es zu füllen,
Ewig getäuscht, und ewig
Trügrischer Hoffungen voll
Wieder beginnend und wieder
Das vergebliche Werk!
Warne dich, Seele, ihr Los!
Würg' nicht, traurig betört
Von unseligem Wahn
Deiner Jugend Verlobten,
Mord' nicht den Genius Begeistrung,
Erstick' nicht die heilige Flamme
Des Schönen in dir und häufe
Die Asche Gemeinheit darüber!
Warne dich, Seele, ihr Los,
Daß dein Leben dereinst
Nicht gleiche dem löchrichten Faß,
Dessen Inhalt versickert im Sand,
Das leer bleibt, hohlklingend leer,
Ob hinein du auch schöpfest
Wie jene, Tage und Jahre lang,
Endlos, ruhelos schöpfest,
Ewig wieder beginnend
Das vergebliche Werk!
Warne dich, Seele, ihr Los!
Prometheus
Eine Gestalt seh' ich
Auf des Kaukasus Gipfel,
Eine Titanengestalt,
Mit ehernen Klammern
Festgeschmiedet am Fels,
Ewigen Schmerz und ewigen
Trotz in den Zügen,
Vergeblich den Geier
Zu verscheuchen bemüht,
Der rastlos umkreisend
Mit unstillbarer Gier
An der Leber, der ewig
Sich wieder erneuenden
Leber ihm zehrt!
Du bist es, Prometheus,
Der den ewigen Göttern
Uns gleichzustellen, dereinst
Vom Himmel herab
Frevelnd das Feuer
Uns holte, der Gesittung damit
Und Ordnung, Recht und Besitz
Den Sterblichen brachte:
Aber Bedürfnisse auch,
Fremd geblieben den Vätern,
Mangel, Sorgen und Not,
Haarsträubendes Elend
Und verzehrenden Gram!
Dafür büßest du nun,
Und wie du mit ehernen Klammern
An die Steinwand der Not
Die Menschheit geschmiedet,
Und den Geier Entbehrung
Am Mark ihr, am ewig
Erneuten Marke des Lebens
Ihr ewig zu zehren verhängt,
So büßest du, Gleiches erduldend,
Nun die vermessene Tat!
Und so harrest du nun,
Harrst Jahrtausende lang,
Ob nicht die Erde einmal
Aufächzend und spaltend
Des Steines granitene Wand
Aus den ehernen Klammern
Die Menschheit löse und dich,
Ob nicht mit Bogen und Speer
Ein Heros der Liebe dereinst
Rettend vom Himmel hernieder
Dir schwebe und mit sicherem Wurf
Den Geier euch beiden erlege,
Der rastlos umkreisend
Mit unstillbarer Gier
Ewig am Leben euch zehrt!
Wird er je kommen, der glühend
Ersehnte, gesegnete Tag,
Wär's in Jahrtausenden auch,
Wird er je kommen, der Allen leuchtet
Mit gleich erwärmendem Strahl,
Der Licht bringt ohne Schatten,
Wissen ohne Zweifel, Bildung
Ohne Entnervung? Wird er je kommen?
Ganymed
Zagende Seele!
Des Jünglings gedenk,
Den aus dem Kreis der Genossen
Plötzlich der Adler des Zeus
Entraffend hinwegtrug!
Ganymedens gedenk,
Und wie tief in's zuckende Fleisch
Der Adler die Klauen ihm schlug,
Und den Jammernden fortriß;
Aber aus Dunkel empor
Zum Licht, aus irdischem Wirrsal
Zu olympischer Ruh'
Trug den Liebling des Gottes
Sein gewaltiger Griff!
Ganymedens gedenk
Und scheu' nicht des Schmerzes
Läuternde Gluten!
Fürcht' nicht den Adler des Zeus,
Zagende Seele!
Nur die Erwählten des Gottes
Faßt sein gewaltiger Griff,
Und zerdrückt dir die Klaue das Herz,
Trägt zu verklärendem Licht
Dich sein Fittich empor!
Die Römerstraße
Die Sonne sinkt; die Glut des Tages schwand!
Auf denn, Geselle, nimm den Stab zur Hand
Und nach dem Mahl, das labend uns erfrischte,
Folg' nun in jenes Waldes Laubgemach
Der Römerstraße Spuren mit mir nach,
Die längst im Saatgefild der Pflug verwischte!
Wir schreiten, komm nur, erst den Fluß entlang,
Dann rechts hinaus des Weinbergs steilen Hang,
Und wieder links durch den Kartoffelacker!
Da schallt schon, horch, der Wipfel dumpf Gebraus,
Als lachten sie ob unsrer Hast uns aus:
"Ei alte Knaben, lauft ihr noch so wacker?"
O kühler Hauch, der fächelnd uns berührt!
Der Pfad, der breit hier durch die Büsche führt,
Wie lockt er an, frohplaudernd fortzuschreiten!
Doch Nicht'ges nur erringt sich mühelos;
Wir müssen durch des Dickichts rauhen Schoß,
Durch Dorn und Disteln uns den Weg erstreiten!
Frisch auf! Hinein in's grüne Blättermeer,
Und setzt es sich mit Stacheln auch zur Wehr,
Wir dringen durch! — Und sieh, in Waldesmitten
Wallähnlich hebt das Erdreich sich empor;
Wir sind zur Stelle! — Hier ward Busch und Moor
Vom Straßenzug der Römer einst durchschnitten!
Nun wächst Gestrüpp, ja mächt'ges Bauholz drauf;
Des Gießbachs Wut zerriß des Dammes Lauf,
Den stahlgepanzert einst Legionen traten;
Ihr Heerweg war es! — Grabe nur hinein;
Rings triffst du festen, wohlgefügten Stein,
Sie bauten für die Dauer, Roms Legaten!
Der hier im Busche lag, der Meilenstein,
Den mauerten beim Friedhoftor sie ein! —
Du sahst ihn wohl! — Und dort bei den drei Buchen
Dort war ein Brunnen! — Sieh noch heut den Strahl
Durch Steingeröll und Trümmer dünn und schmal,
Im Sand versickernd, sich den Ausweg suchen!
Vor Jahren fand man eine Inschrift dort —
Sie schleppten in's Museum gleich sie fort —
Die angab, Cajus Flavius Carbo hätte,
Ein alter Kriegsmann, diesen Quell gefaßt,
Und Wandrern, müde von des Tages Last,
Ihn fromm geweiht zur kühlen Ruhestätte!
Auch einer Steinbank Reste, Röhrenblei,
Backsteine, Scherben, Münzen allerlei
Grub Forschergier aus diesem Trümmerhaufen;
Die Quelle aber, die mit hellem Klang
In's Marmorbecken einst hier niedersprang,
Die ließen sie wie vor im Sand verlaufen!
Warum auch sollt' sie nicht? — Kein Fußtritt schallt
Mehr aus der Römerstraße durch den Wald;
Verkehr und Handel nahmen andre Wege:
Wer suchte Labung noch an ihrem Rand,
Als nur der Vogel, zieht er über Land,
Das scheue Reh dort aus dem Wildgehege!
Es geht auf Erden eben Alles hin! —
Ich aber unweltläufig, wie ich bin,
Und mehr daheim in Büchern als im Leben,
Ich sitz' hier oft und koste gern vom Quell,
Der niederträuft vom Steine klar und hell,
Und lasse wirre Träume mich umweben!
Und weißt du, was ich oft schon hier gedacht
Und was mir immer wiederkehrt mit Macht,
So oft auf diesen Trümmern ich gesessen?
Der Dichter denk' ich, deren Lieder Schall
Erweckt vordem der Herzen Widerhall,
Und die bis auf den Namen nun vergessen!
Nicht jene Großen, die da Strömen gleich
Fortrauschen ewig durch der Bildung Reich,
Des Ideals unsterbliche Propheten;
Die mein' ich, die da waren, was wir sind,
Die Ruhm erwarben und auch Ruhm verdient,
Doch, Kinder ihrer Zeit, mit ihr verwehten!
Die, wie der Quell hier, Tausenden vielleicht
Von müden Wandrern Labung mild gereicht,
So lange Wandrer noch des Weges kamen,
Und die versiegt, wie hier der Quell, im Sand,
Seit andre Ziele Geist und Bildung fand,
Und Zeit und Leben andre Wege nahmen!
Die, wie der Quell hier, bricht auch dünn und schmal
Aus Schutt und Steingeröll nur mehr sein Strahl,
Erquicken könnte heute noch und laben,
Wär' nur zerstört die Römerstraße nicht,
Wär' nur des Waldes Dickicht nicht so dicht,
Wär's anderswo nur leichter nicht zu haben!
Das ist es! Wen die Zeit trägt, reißt sie fort!
Heut geht die Straße hier und morgen dort,
Dort öffnet sie, verschüttet hier die Quellen! —
"Heut grüner Lorbeer, morgen dürres Laub,
Heut frische Rose, morgen welker Staub!"
So rauscht es, Zeitenstrom, aus deinen Wellen!
"Leb' heut, streb' heut, sieg' heute," rauschen sie;
"Was du nicht heute hast, das hast du nie!
Gebrechen dir des Genius höchste Gaben,
So brauch', die dir geworden, wie ein Mann,
Genieße was dein Streben dir gewann,
Und frage nicht was wird, wenn du begraben!" —
Das ist es, was so oft ich hier gedacht
Am Römerbrunnen in des Dickichts Nacht;
Hier lernt' ich still mein Haupt dem Schicksal neigen! —
Doch komm nun — Abend dämmert um uns her,
Und über'm Moor wallt Nebel grau und schwer —
Komm, laß' in's Tal gemach uns niedersteigen! —
An —
(mit
dem Manuskripte des dramatischen Gedichtes:
'Der Sohn der Wildnis').
Es ist vollbracht! — Der Lenz, der Sommer schwand
Und wenn Dein Lächeln froh den Keim begrüßte,
Dein Blick die Blüten aus der Knospe küßte,
Nun liegt die reife Frucht in Deiner Hand!
Mag's Schlehe nun, mag's Pomeranze sein,
Ich weiß nicht, was ich in den Schoß Dir lege;
Ich weiß nur, sie gedieh in Deiner Pflege,
Dir trug sie meine Seele, sie ist Dein!
Ich aber blick' zurück, den Tagen nach,
Den langen Nächten, ruhlos mir verronnen,
Da träumend meine Schöpfung ich begonnen! —
Sie ist vollendet und ihr Zauber brach.
Wo kaum noch Leben blühend mir erschien,
Füllt tote Schrift mir nun der Blätter Räume;
Es sind nur mehr die Leichen meiner Träume —
Die Worte blieben, doch ihr Trost ist hin!
Im Busen tief erwacht der alte Schmerz,
Der diese Bilder all' zur Welt geboren;
Ach! sie gebärend hab' ich sie verloren,
Und wieder einsam ward das wunde Herz!
Der Born versiegte, der mir Kühlung gab,
Und wie ich still von seinem Rand mich wende,
Drückt nur der Freund des toten Freundes Hände,
Geht nur die Mutter von des Kindes Grab!
Starb doch auch mir dies meiner Liebe Kind,
Und scheint's auch Andern Atem noch zu haben,
Und lebt's noch Jahre — mir ist's tot, begraben
Mit jenen Tagen, die vergangen sind!
Du aber, die des Bornes reichen Strahl
Mit Deinem Blick aus meiner Brust geschlagen,
Du, deren Lächeln mild mich hingetragen,
Wenn banger Zweifel Mut und Kraft mir stahl,
Laß, fleh' ich, Dein Gemüt den Himmel sein,
Wohin sich seine Kinderseele flüchtet,
Die Seele, die das Aug' der Welt nicht richtet,
Die Seele, die nur Du kennst, Du allein!
An die Freunde
(mit
dem Manuskript eines dramatischen Werkes)
Der Dichter träumt und Engel kommen, gehen,
Und Himmelslieder singen sie ihm vor,
Und wie die Klänge kosend ihn umwehen,
So faßt's ihn an, als fühlt' er sie entstehen,
Als drängen sie aus seiner Brust hervor,
Als wären seinem Geiste sie entsprungen!
Und selig fährt er aus dem Traum empor,
Und horcht entzückt noch — doch sie sind verklungen!
Und Monden sitzt er dann und Jahre lange
Und sinnt den ew'gen Melodien nach,
Und hascht nach einem Ton, nach einem Klange,
Wie damals ihn durchzuckt im Fieberdrange,
Wie damals in der Seele Nacht ihm brach,
Und ringt und strebt und Lieder schafft er — Lieder;
Doch jene, deren Klang zu ihm einst sprach,
Die Himmlischen, sie kehren ihm nicht wieder!
Und Scham und Schmerz will ihn zu Boden drücken
Da spricht ihn Euer Zuruf tröstend an,
Und milde Rührung sieht er mit Entzücken
Und Mitgefühl in Euren treuen Blicken,
Und von ihm weicht des Zweifels finstrer Wahn! —
Gab auch nicht ganz er jene Töne wieder,
Es lebt im Lied, das Euer Lob gewann
Ein Widerhall doch jener ew'gen Lieder!
Und so empfangt dies Buch aus seinen Händen,
Denn Euer ist's und Euch gehört es an;
Denn Ihr, Ihr saht's entstehen und vollenden,
Und habt's geliebt beim ersten Blätterwenden!
Die laute Welt verfahre, wie sie kann,
Mit Lied und Dichter, huldvoll oder strenge;
Ihr winkt mir zu, mein Tagwerk ist getan,
Und wenig acht' ich auf den Schrei der Menge!
Späte Liebe
(an
Lilly)
Nein, Alter schützt vor Torheit nicht;
Selbst mußt' ich es erfahren!
Jung bleibt die Seele, Reiz besticht
Die Herzen trotz den Jahren!
Gepanzert wähnt' ich meine Brust
Fortan vor Eros Tücke,
Doch Er, den Unheil schaffen Lust,
Ersah sich eine Lücke.
Er hat mein arglos Herz verstrick
In blonder Locken Schlingen,
Er ließ ein Aug', das Unschuld blickt,
Mit Gluten mich durchdringen!
O blaues Auge, licht und klar,
Du hast mich überwunden,
Du hältst mich, blondes Ringelhaar,
Gefesselt und gebunden!
O kirschenroter Purpurmund,
Wie lausch' ich deinen Tönen,
Wie jubl' ich, will zur guten Stund'
Ein Lächeln dich verschönen!
So leb' ich hin, mich still beglück
An ihrem Reize weidend,
Die Blum', die sie im Spiel zerpflückt,
Um ihren Tod beneidend!
So leb' ich hin und wünsche nichts
Als nur ihr Glück zu mehren,
Als nur mit Fluten Sonnenlichts
Ihr Leben zu verklären!
Erwiderung fordr' ich, hoff' ich nicht;
Denn meine Sterne dunkeln,
Wenn ihre hell und demantlicht
Ihr überm Haupte funkeln!
Nur Eines hoff ich still und fromm:
Daß sie im Flug der Jahre
Mein Angedenken, was auch komm',
Im Herzen sich bewahre!
O später Liebe herbes Los,
Ich weiß, du heißt: Entsagen,
Du heißt der Blume warten bloß,
Nicht sie am Herzen tragen! —
So sprach ich jüngst gerührt sie an;
Sie hört's mit trocknen Augen,
Und führt zum Mund ihr Händchen dann,
Recht herzhaft dran zu saugen!
Ihr starrt mich an, als wie im Traum,
Betroffen und verwundert!
Nun ja, sie zählt zehn Monden kaum
Und ich ein halb Jahrhundert!
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