Am Brunnen
Stumm ist die Stadt, und die Straßen leer;
Um des Marktes totes Schweigen
Schläfrig stehen die Häuser her,
Scheinen müd' das Haupt zu neigen;
Schlummer drückt und tieft Ruh'
Ringsum jedes Auge zu,
Nur Eines, weit offen, hell und rein,
Schaut leuchtend der Mond in die Nacht hinein.
Rings selige Stille! — Kein Flüstern stört
Das Herz, das den eignen Pulsschlag hört;
Nur eine Stimme, klar und hell,
Tönt dorther vom Brunnen der plätschernde Quell;
Laut in des Beckens mächtige Schale
Sprudelt er nieder in funkelndem Strahle,
Und mich zwingt es zu weilen; mich zwingt es zu lauschen
Dem Kosen und Flüstern, dem Wogen und Rauschen,
Zu horchen der Wellen tönendem Reigen
In der Mondnacht seligem Schweigen!
Wie sie tönen, wie sie klingen,
Rauschend in's Becken niederspringen,
Wie sich in der Mondnacht Helle
Plaudernd Welle drängt an Welle,
Sich zu erzählen in sprudelndem Klang
Von grünen Matten und Bergeshang,
Vom Walde, wo sie zuerst entsprungen,
Aus Felsengeklüft ans Licht gedrungen,
Von Blätterflüstern und Wipfelrauschen,
Die ihre Kindheit durft' belauschen,
Eh' in der dunklen Röhren Haft
Der Mensch der Heimat sie entrafft!
Waldduft und Freiheit rauschen sie, hauchen sie,
Und in wehmütiges Sehnen tauchen sie
Mir des Herzens schwellende Fülle
In der Mondnacht seligen Stille.
Seltsam! — So oft ich des Weges gekommen,
Nie hatt' ich die Stimme des Brunnens vernommen;
Erst jetzt in der stillen, verschwiegenen Nacht,
Jetzt zieht sie und hält mich mit Macht, mit Macht! —
Tönen deine heiligen Lieder
Mir aus der sprudelnden Quelle wieder?
Warum jetzt erst nur
Sprichst du mir im Drang der Quelle,
Mahnst du mich im Klang der Welle,
Stimme der Natur?
Oder mahntest und riefest du immerdar,
Ich aber nahm des Rufs nicht wahr?
Bin in des Tages Gewirr und Gedränge,
Im Gewühl und Getreibe der wogenden Menge
Träumend vielleicht ich vorbeigerannt
An des plätschernden Brunnen Rand?
Rauschte so stürmisch um mich her
Wildflutend der Gedanken Meer,
Daß von Sinnen und Sorgen befangen
Vergebens die Wellen mir riefen und klangen,
Die jetzt in der stillen, verschwiegenen Nacht
Mich ziehen und halten mit Macht, mit Macht? —
Ja, ja das war's; darum, du Kind der grünen Flur,
Kristallne Quelle,
Tönt jetzt mir erst im Flüstern deiner Welle
Die heil'ge Stimme der Natur!
Traurig, traurig, daß uns durch's Leben
Drängt und forttreibt ein ziellos Streben,
Daß Stunde und Tag wir zu Tode hetzen
Und wissen nicht Stunde noch Tag zu schätzen,
Daß nichtiger Sorgen niemals frei
Uns stets umbraust der Selbstsucht Schrei,
Des Tagewerks Mühlräderknarren,
Des Pöbels Gebrüll, das Gezänke der Narren,
Und daß so selten, zufällig nur
Wir dich vernehmen, du klares, helles,
Melodisches Sprudeln des Lebensquelles,
Dich Friedensstimme der Natur!
Daß uns des Tages Gelärm und Gedränge
Euch abwehrt, heimatwinkende Klänge,
Die den müden, verwelkenden Seelen
Erquickend von Waldduft und Freiheit erzählen!
Traurig, traurig!
Rote, weiße, blaue Blumen
1846
Rote, weiße, blaue Blumen!
Freiheitsfarben aller Orten!
Ist die Wies' französisch worden,
Daß mit Rot und Weiß und Blau
Rings uns grüßen Flur und Au!
Rote, weiße, blaue Blumen,
Ja ihr seid der Freiheit Boten,
Doch nicht jener kalten, toten,
Die nach hohlem Wort nur ringt,
Nur mit andern Formen zwingt.
Rote, weiße, blaue Blumen,
Seid der Freiheit Lenzpropheten
Die uns Lerchen eintrompeten,
Deren Charte, Gold auf Blau,
Steht im Himmelszelt zur Schau!
Rote, weiße, blaue Blumen,
Daß der Mensch sich menschlich fühle,
Daß er aus dem Weltgewühle
Flücht' ins weite Weltenhaus,
Darum sandt' Natur euch aus!
Rote, weiße, blaue Blumen,
Daß er fasse, mag im Leben
Kraft der Kraft entgegenstreben,
Tiefer Friede blüh' im All,
Darum blüht ihr überall!
Rote, weiße, blaue Blumen,
Wie ihr blüht aus Tod zum Leben,
Sollt ihr ihm die Lehre geben,
Fesseln trag', was endlich sei,
Nur Natur sei groß und frei!
Fisch und Fischer
Daß der Fischer Fische genießt,
Scheint Fischern völlig angemessen.
Den Fischen dagegen begreiflich ist,
Daß Fische zuweilen den Fischer fressen!
Böse Zeiten
Nach
Walter von der Vogelweide
Der ist aus tugendreichem Stamm, so wie nun steht die Welt,
Der unter zwanzig Vettern einen Freund, der treu und tüchtig
zählt,
Vor Zeiten fanden deren wohl sich unter Fünfen drei.
Drum weh' dir, falsche Welt! Du bist so rügenswerter Sitte,
Daß an Gemüt verarmt, wer treulich bis zum letzten deiner
Schritte
Dir folgt, und stimmt mit Willen stets all deinem Treiben bei!
Daß Greise sterben müssen, ist unsre Klage groß.
Wir könnten besser klagen mit Recht um andre Not,
Daß Treue, Zucht und Ehre nun sind auf Erden tot;
Denn Greisen blühen Erben, die drei sind kinderlos!
Dämonologisches
1.
Der Teufel ist — wir wollen's nicht bestreiten —
Der Teufel ist, doch ist er nur zum Scheine!
Der Herr spielt Schach nur mit sich selbst zu Zeiten,
Und bald gefällt es ihm die schwarzen Steine,
Die weißen bald zu lenken und zu leiten.
Doch wie sein Selbst auch sorgsam er verneine.
Und sich bedränge hart auf allen Seiten,
Bis keine Rettung mehr zu sehen, keine;
Am End' tut Weiß doch stets die besten Züge,
Und setzt Schwarz matt, und bricht die Macht der Lüge!
2.
Es führt der Teufel stets dieselben Waffen,
Und geht geradre Wege als ihr meint;
Ein Kunstgriff nur, nicht tausend wie
es scheint,
Genügt dem Schlauen Unheil rings zu schaffen!
Und soll ich ihn mit einem Wort euch nennen,
Vernehmt, das ist des Bösen ganze List,
Und wird es sein und war's zu jeder
Frist,
Er läßt in uns sich Licht und Wärme trennen!
Bald stiehlt er listig uns des Herzens Schätze,
Und schärft und stählt und waffnet
unsern Geist;
Gefühllos, kalt und darum doppelt dreist
Verstrickt uns Selbstsucht bald in Satans Netze.
Bald lähmt und knickt er uns des Geistes Schwingen,
Und nährt und schürt des Herzens wilde
Glut,
Und vorwärts treibt und drängt in
blinder Wut
Uns Schwärmerei in des Verderbens Schlingen.
Das ist es! Kaltes Licht und dunkle Flammen,
Das ist der Grund, auf dem sein Reich
beruht,
Verstandeshelle ohne Herzensglut,
Glut ohne Einsicht sind's, die uns verdammen.
Im Herbst
1848
Erhoben hatt' ich fiebernd mich vom Pfühle,
Auf dem ich, schien mir's,
schlummerlos geruht,
Und war hinaus getreten, daß die
Glut
Der heißen Stirn' mir frischer Lufthauch kühle.
Nacht war es, eine von den Herbstesnächten,
Die mondenhell und wolkenlos und
rein,
Uns heuchelnd täuschen mit des
Frühlings Schein,
Als ob sie seine Blüten wiederbrächten.
Doch nichts von Lenzeshauch war da zu spüren;
Scharf durch die Stoppeln pfiff
der Herbstwind hin.
Und wie der Mond auch leuchtend
niederschien,
Kein Leben war in seines Strahls Berühren.
"Hell, klar, doch kalt!" durchzuckts mein tiefstes Leben
Und scheue Unruh' bohrt sich,
stets vermehrt,
In meine Seele wie ein schneidend
Schwert,
Und Dunkelheit will meinen Blick umweben!
Und Furcht und Angst befällt und scheues Bangen,
Und unerklärte Trauer mir den
Sinn,
Und auf die feuchte Erde sink'
ich hin
Und Ohnmacht hält betäubend mich umfangen.
Da war's, als hört' ich wie aus weiter Ferne
Mich eine Stimme mahnen: Blick
empor!
Und mir zerriß des Auges
Nebelflor,
Und ich erhob den Blick zum Strahl der Sterne.
Aufblickend aber sah ich drei Gestalten
Hinschweben leise durch der Lüfte
Meer,
Und Wohllaut tönt von ihren
Schwingen her,
Und Hymnen wie von Geisterchören schallten!
Die Eine trägt ein Kreuz voll stillem Harme;
Der Schwester eng umschlingend
zugewandt
Ein grünes Palmreis führt der
Zweiten Hand,
Die Dritte folgt ein Saitenspiel im Arme!
So ziehen langsam, langsam sie vorüber,
So schweben leise, leise sie
hinan,
Ein Lichtstreif geht den stillen
Zug voran,
Und hinter ihnen wird es trüb und trüber!
Wohl schweifen noch bedauernd ihre Blicke
Zur dunklen Erde nieder trüb und
bang,
Wohl tönt noch oft wie
Scheidegruß ein Klang
Vom Saitenspiel der Himmlischen zurücke;
Doch höher, weiter seh' ich stets sie streben —
Da wird es mir, als wälzte aus
mein Herz
Erdrückend sich der ganzen
Menschheit Schmerz,
Und jetzt erkenn' ich sie, die da entschweben!
Und flehend auf die Kniee sink' ich nieder,
Und sende händeringend diesen
Schrei
Empor zu ihnen! "Bleibt, ihr
heil'gen Drei,
Verlaßt uns nicht und kehrt zur Erde wieder!
Wer stärkte uns in Drangsal und Beschwerden,
Wenn du nicht, G l a u b e, unsre
Hoffnung nährst,
Und wenn du, L i e b e, zu den
Sternen fährst,
Was soll mit dieser Welt voll Hasses werden?
Und du auch, K u n s t, willst gegen Himmel fliegen?
Hell, klar, doch kalt wie
Herbstes Mondenschein,
Nur Wirklichkeit soll mehr das
Leben sein?
Kein krankes Herz willst du in Schlaf mehr wiegen?
O geht nicht unter, heil'ge Lebenssterne!
Bleibt, rief ich stehend! — Doch sie
hörten nicht,
Und matt verdämmernd wie ein sterbend
Licht
Verschwimmen sie in nebelweiter Ferne!
Da ward es Nacht rings, Nacht, und Donner dröhnte,
Als rief es: "Welt, dein Maß ist voll!
Genug,
Geh unter, deine Todesstunde schlug!"
Und ich sank hin und weinte laut und stöhnte!
Und stöhnend fuhr ich auf — und es war Morgen,
Ein Traum nur war's, in dem ich ächzend
lag!
Nur Traum! — Doch weh' den Zeiten, weh'
dem Tag,
Von dem die Nächte solche Träume borgen!
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