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Vermischte Gedichte 2
 

Zweifach ist Liebe
Obstlese
Am Meer
Auf dem Spaziergang
Am Waldbach
Hoffe nur, warte nur
Zu spät
Am Brunnen
Rote, weiße, blaue Blumen

 
Fisch und Fischer
Böse Zeiten
Dämonologisches
Im Herbst

 

Zweifach ist Liebe


Zweifach ist Liebe! — Mag die tolle Welt,
An leeren Tand auch oft den Namen hängen,
Und Mitleid, Neigung, Laune, wie es fällt,
Mit heil'ger Liebe Gluten schnöd vermengen —

Zweifach ist Liebe, eine, die da liebt,
Und will sich selbst dafür zurück erhalten,
Und eine, die die volle Seele gibt,
Und läßt nach Willkür mit der Gabe schalten.

Zweifach ist Liebe, eine die beglückt,
Doch einzig den Geliebten will beglücken,
Und eine, die den Teuren still entzückt
Auch andre Blumen sieht am Wege pflücken!

Zweifach ist Liebe; eine heiß und wild
Voll Lust und Leid, voll Kampf und Sieg und Wunden,
Und eine fromm, nachsichtig, sanft und mild.
Doch wen'ger oder mehr allein empfunden,


Zweifach ist Liebe; eine, die vielleicht
Wir echt wohl seltner finden, als wir meinen,
Und die, die jedes Mutterherz beschleicht,
Vernimmts des Kindes erstes, leises Weinen.

Weh' dem, der keine je von beiden fand.
Der nie der Mutterliebe Huld erfahren,
Der nie geführt von zarter Frauenhand
Verlassen, einsam kam zu hohen Jahren!

Doch Heil dem Glücklichen, den stets geliebt,
Getragen stets von weichen warmen Händen,
Die Mutter der Geliebten übergibt,
Das Werk, das sie begonnen, zu vollenden!


Obstlese

Früchte, Früchte, reiche Fülle!
Unter jeden Blattes Hülle,
Früchte dort und Früchte hier,
Jedes Zweiglein drei und vier,

Nehm' des Herbstes Wind und Wetter
Hin zum Spiel die dürren Blätter,
Doch der Zweige goldne Zier,
Doch die Früchte nehmen wir.

Specht und Drossel laßt das Picken,
Wollen sie schon selber pflücken;
Bittet euch, die uns zur Last,
Beim Wachholderstrauch zu Gast.

Körbe her, und keine Klagen,
Wenn sie allzuschwer zu tragen.
Tragt ihr doch Minuten kaum,
Mondenlange trug der Baum;

Trug für uns die goldnen Gaben,
Die um Weihnacht noch uns laben,
Als des Sommers letzter Gruß,
Als des Jahres Scheidekuß.

Seht, schon lichten sich die Äste,
Lasset, laßt die letzten Reste!
Meisenvolk zieht wohl vorbei.
Halten wir die Wandrer frei!


Am Meer

Wie die Brandung grollt!
Wie die Woge rollt,
Wild jetzt über die Ufer schwillt,
Matt jetzt wieder zurücke quillt,
Wieder sich hinan zu bäumen,
Wieder dann zurückzuschäumen!
Wie die Woge rollt,
Wie die Brandung grollt!

Wie der Möwe Schrei
Schrillt am Strand vorbei!
Bleiern grau das Meer,
Grau der Himmel drüber her,
Und des Windes mächt'ge Töne,
Bald Geheul, bald Schmerzgestöhne!
Wie das mahnt an ein vergebnes Streben,
Wie das mahnt an ein verlornes Leben,
Wie das mahnt an einer Seele Trauern,
Die Bilder gewesenen Glückes durchschauern.

Wenn über das graue Meer
Graue Wolken ziehen her,
Wenn der Möwe Schrei
Einsam schrillt am Strand vorbei!


Auf dem Spaziergang

Die Sonne von Gewölk umfangen
Kehrt sinnend, scheint's, in sich der Strahlen Prangen,
      Und ruht vom Leuchten aus;
Und leiser rauscht der Quell in seinem Falle,
      Es stirbt in grüner Waldeshalle
          Der Wipfel wirr Gebraus,


Und ringsum schweigen alle Lüfte,
Sehnsüchtiger enthaucht die würz'gen Düfte
      Der Wiesen Blumenflur;
Hinbrütend, wie vom eignen Reize trunken,
      In Selbstbetrachtung tief versunken
          Ruht träumend die Natur!

Und du schweigst auch? — Wehmütig Bangen
Umhüllt wie Nebelduft dir Aug' und Wangen,
      Lähmt dir des Herzens Schlag!
So heiter sonst, und heut so trüb zu schauen?
      Gibts wohl in dir auch einen grauen
          Tiefstillen Sommertag?


Am Waldbach

Quelle, wohin strömst du?
Quelle, woher kommst du?
Sprich, was eilen deine Wellen!
Laß aus deinen frischen, hellen
Fluten Antwort tönen meiner Frage,
Wie du sahst das Licht der Tage?

"Hoch vom Berge steig' ich,
Tief zum Tale neig' ich
Meiner frischen Wellen Rauschen;
Munter, hinunter, zu vertauschen
Düstrer Höhlen, schwarzer Schlünde Dunkel
Mit des Tages Lichtgefunkel!

Denn im Schacht verkam ich,
Und zu Tage nahm ich
Meine Flucht — Dank gutem Glücke —
Durch geborstner Felsen Lücke,
Die vergessen, schleunig zu verkleistern,
Einer von den Erdengeistern.

Und die Sterne schaut' ich,
Und wie Tränen taut' ich,
Heil'ger Rührung, auf die Schwelle
Meines Kerkers, meine Welle
Bis der Freiheit Taumel, kaum genossen,
Mich verlockt zu Kinderpossen.

Und wie Kinder hüpft' ich,
Und durch Felsen schlüpft' ich,
Schleppte mich mit bunten Kieseln;
Wohlgefällig meinem Rieseln
Horchend, nicht bedenkend meine Richtung,
Rausch' ich durch des Waldes Lichtung.

Freiheit, Freiheit rausch' ich,
Und begeistert lausch' ich,
Wie des Waldes ernste Schatten,
Wie des Bergtals grüne Matten,
Wie des Himmels sterngeschmückte Hallen
Freiheit, Freiheit wiederschallen!" —

Und noch lange saß ich,
Zeit und Ort vergaß ich,
Nacht war schon herabgesunken.
Und noch immer horcht' ich trunken,
Wie es Freiheit, Freiheit aus den Wellen
Rauschte im Vorüberquellen.

Hoffe nur, warte nur

Armes Herz,
Immer betrübt und verzagend,
Immer in Schmerz
Hoffnungslos klagend,
Armes Herz,
    Hoffe nur, warte nur!

Hoch am Baum dein Auge sucht
Sehnsuchtglühend die goldene Frucht!
Hoffe nur, warte nur,
Ob der eigenen Fülle Last
Nicht dir herabbeugt den schwanken Ast,
Ob nicht Windeswehen die Zweige rüttelt,
In den Schoß dir die Reife schüttelt!

Aus des flüchtigen Rehes Spur
Schweifest du, durch Wald und Flur!
Hoffe nur, warte nur,
Ob nicht, wenn der Abend naht,
Weidend auf gewohntem Pfad,
Labung suchend an der Quelle,
Selbst es deinem Schuß sich stelle!

Über Nacht aus der Knospe Haus
Bricht der Rose Glut heraus!
    Hoffe nur, warte nur!
Wie die Rose dir entglommen,
Über Nacht wird sie dir kommen,
Die selige, Alles gewährende,
Des Glückes Füllhorn aufs Haupt dir leerende,
Die Blüten zu Früchten reifende,
Die in des Herzens zuckende Wunde
Dir Balsam träufende,
Die rechte, die gute Stunde! —
    Hoffe nur, warte nur!


Zu spät

Im Frühling war's und ihren Reigen gingen
Die Sterne bei der Nachtigallen Chor,
Im Westen nur zog schwarz Gewölk empor,
Schwarz wie die Träume, die mein Herz umfingen.

Und düstrer ballt das Wetter sich zusammen,
Und Windsbraut heulte durch der Berge Schlucht;
Die Blüten stoben hin in wilder Flucht,
Und schwarze Nacht verschlang der Sterne Flammen.


Mir aber war in meinem tiefsten Herzen,
Als wär' die Welt ein festgeschmückter Saal,
Doch schon vorüber wären Tanz und Mahl,
Und allgemach verlöschten seine Kerzen!

Zur Ruhe wären schon die edlen Gäste,
Die hier gezecht, geschmauset frank und frei,
Wir andern kämen, da das Fest vorbei,
Und müßten uns begnügen mit dem Reste.

"Verklungen," sprach ich, "sind die frischen Lieder,
Und mit den Liedern starb der frische Sinn,
Des Lebens echte Freudigkeit ist hin,
Die Welt war jung, doch Jugend kehrt nicht wieder!


Zu spät, zu spät sind Alle wir gekommen,
Die hell des Gottes Flamme noch durchglüht,
Wie Blumen, zögernd erst im Herbst erblüht,
Vergehen wir vom Frost hinweggenommen!

Zu spät, zu spät! Der Vorhang ist gefallen,
Und auf die Bühne treten wir hinaus;
Wir sprechen; aber staunend fragt das Haus:
Wo kommt ihr her, was wollt ihr mit dem Allen?

Zu spät, zu spät, ein Arzt am Bett des Kranken,
Des Seele schon des Todes Frost umwand,
Zu spät erschienen wir; Begeistrung schwand,
Wem frommen noch begeisternde Gedanken!


Zu spät erschienen wir, das letzte Flimmern
Des Sternes, eh' ihn Wolkennacht begräbt,
Die letzte Woge, die das Schiff erhebt,
Die nächste aber spielt mit seinen Trümmern!"

 
Am Brunnen

Stumm ist die Stadt, und die Straßen leer;
Um des Marktes totes Schweigen
Schläfrig stehen die Häuser her,
Scheinen müd' das Haupt zu neigen;
Schlummer drückt und tieft Ruh'
Ringsum jedes Auge zu,
Nur Eines, weit offen, hell und rein,
Schaut leuchtend der Mond in die Nacht hinein.

Rings selige Stille! — Kein Flüstern stört
Das Herz, das den eignen Pulsschlag hört;
Nur eine Stimme, klar und hell,
Tönt dorther vom Brunnen der plätschernde Quell;
Laut in des Beckens mächtige Schale
Sprudelt er nieder in funkelndem Strahle,
Und mich zwingt es zu weilen; mich zwingt es zu lauschen
Dem Kosen und Flüstern, dem Wogen und Rauschen,
Zu horchen der Wellen tönendem Reigen
In der Mondnacht seligem Schweigen!

Wie sie tönen, wie sie klingen,
Rauschend in's Becken niederspringen,
Wie sich in der Mondnacht Helle
Plaudernd Welle drängt an Welle,
Sich zu erzählen in sprudelndem Klang
Von grünen Matten und Bergeshang,
Vom Walde, wo sie zuerst entsprungen,
Aus Felsengeklüft ans Licht gedrungen,
Von Blätterflüstern und Wipfelrauschen,
Die ihre Kindheit durft' belauschen,
Eh' in der dunklen Röhren Haft
Der Mensch der Heimat sie entrafft!
Waldduft und Freiheit rauschen sie, hauchen sie,
Und in wehmütiges Sehnen tauchen sie
Mir des Herzens schwellende Fülle
In der Mondnacht seligen Stille.

Seltsam! — So oft ich des Weges gekommen,
Nie hatt' ich die Stimme des Brunnens vernommen;
Erst jetzt in der stillen, verschwiegenen Nacht,
Jetzt zieht sie und hält mich mit Macht, mit Macht! —
Tönen deine heiligen Lieder
Mir aus der sprudelnden Quelle wieder?
Warum jetzt erst nur
Sprichst du mir im Drang der Quelle,
Mahnst du mich im Klang der Welle,
Stimme der Natur?

Oder mahntest und riefest du immerdar,
Ich aber nahm des Rufs nicht wahr?
Bin in des Tages Gewirr und Gedränge,
Im Gewühl und Getreibe der wogenden Menge
Träumend vielleicht ich vorbeigerannt
An des plätschernden Brunnen Rand?
Rauschte so stürmisch um mich her
Wildflutend der Gedanken Meer,
Daß von Sinnen und Sorgen befangen
Vergebens die Wellen mir riefen und klangen,
Die jetzt in der stillen, verschwiegenen Nacht
Mich ziehen und halten mit Macht, mit Macht? —
Ja, ja das war's; darum, du Kind der grünen Flur,
Kristallne Quelle,
Tönt jetzt mir erst im Flüstern deiner Welle
Die heil'ge Stimme der Natur!

Traurig, traurig, daß uns durch's Leben
Drängt und forttreibt ein ziellos Streben,
Daß Stunde und Tag wir zu Tode hetzen
Und wissen nicht Stunde noch Tag zu schätzen,
Daß nichtiger Sorgen niemals frei
Uns stets umbraust der Selbstsucht Schrei,
Des Tagewerks Mühlräderknarren,
Des Pöbels Gebrüll, das Gezänke der Narren,
Und daß so selten, zufällig nur
Wir dich vernehmen, du klares, helles,
Melodisches Sprudeln des Lebensquelles,
Dich Friedensstimme der Natur!
Daß uns des Tages Gelärm und Gedränge
Euch abwehrt, heimatwinkende Klänge,
Die den müden, verwelkenden Seelen
Erquickend von Waldduft und Freiheit erzählen!
Traurig, traurig!

Rote, weiße, blaue Blumen
1846

Rote, weiße, blaue Blumen!
Freiheitsfarben aller Orten!
Ist die Wies' französisch worden,
Daß mit Rot und Weiß und Blau
Rings uns grüßen Flur und Au!

Rote, weiße, blaue Blumen,
Ja ihr seid der Freiheit Boten,
Doch nicht jener kalten, toten,
Die nach hohlem Wort nur ringt,
Nur mit andern Formen zwingt.

Rote, weiße, blaue Blumen,
Seid der Freiheit Lenzpropheten
Die uns Lerchen eintrompeten,
Deren Charte, Gold auf Blau,
Steht im Himmelszelt zur Schau!

Rote, weiße, blaue Blumen,
Daß der Mensch sich menschlich fühle,
Daß er aus dem Weltgewühle
Flücht' ins weite Weltenhaus,
Darum sandt' Natur euch aus!

Rote, weiße, blaue Blumen,
Daß er fasse, mag im Leben
Kraft der Kraft entgegenstreben,
Tiefer Friede blüh' im All,
Darum blüht ihr überall!

Rote, weiße, blaue Blumen,
Wie ihr blüht aus Tod zum Leben,
Sollt ihr ihm die Lehre geben,
Fesseln trag', was endlich sei,
Nur Natur sei groß und frei!

Fisch und Fischer

Daß der Fischer Fische genießt,
Scheint Fischern völlig angemessen.
Den Fischen dagegen begreiflich ist,
Daß Fische zuweilen den Fischer fressen!

Böse Zeiten
Nach Walter von der Vogelweide

Der ist aus tugendreichem Stamm, so wie nun steht die Welt,
Der unter zwanzig Vettern einen Freund, der treu und tüchtig zählt,
Vor Zeiten fanden deren wohl sich unter Fünfen drei.

Drum weh' dir, falsche Welt! Du bist so rügenswerter Sitte,
Daß an Gemüt verarmt, wer treulich bis zum letzten deiner Schritte
Dir folgt, und stimmt mit Willen stets all deinem Treiben bei!

Daß Greise sterben müssen, ist unsre Klage groß.
Wir könnten besser klagen mit Recht um andre Not,
Daß Treue, Zucht und Ehre nun sind auf Erden tot;
Denn Greisen blühen Erben, die drei sind kinderlos!

Dämonologisches

1.
Der Teufel ist — wir wollen's nicht bestreiten —
Der Teufel ist, doch ist er nur zum Scheine!
Der Herr spielt Schach nur mit sich selbst zu Zeiten,
Und bald gefällt es ihm die schwarzen Steine,
Die weißen bald zu lenken und zu leiten.
Doch wie sein Selbst auch sorgsam er verneine.
Und sich bedränge hart auf allen Seiten,
Bis keine Rettung mehr zu sehen, keine;
Am End' tut Weiß doch stets die besten Züge,
Und setzt Schwarz matt, und bricht die Macht der Lüge!

2.
Es führt der Teufel stets dieselben Waffen,
     Und geht geradre Wege als ihr meint;
     Ein Kunstgriff nur, nicht tausend wie es scheint,
Genügt dem Schlauen Unheil rings zu schaffen!

Und soll ich ihn mit einem Wort euch nennen,
     Vernehmt, das ist des Bösen ganze List,
     Und wird es sein und war's zu jeder Frist,
Er läßt in uns sich Licht und Wärme trennen!

Bald stiehlt er listig uns des Herzens Schätze,
     Und schärft und stählt und waffnet unsern Geist;
     Gefühllos, kalt und darum doppelt dreist
Verstrickt uns Selbstsucht bald in Satans Netze.

Bald lähmt und knickt er uns des Geistes Schwingen,
     Und nährt und schürt des Herzens wilde Glut,
     Und vorwärts treibt und drängt in blinder Wut
Uns Schwärmerei in des Verderbens Schlingen.

Das ist es! Kaltes Licht und dunkle Flammen,
     Das ist der Grund, auf dem sein Reich beruht,
     Verstandeshelle ohne Herzensglut,
Glut ohne Einsicht sind's, die uns verdammen.

Im Herbst
1848

Erhoben hatt' ich fiebernd mich vom Pfühle,
      Auf dem ich, schien mir's, schlummerlos geruht,
      Und war hinaus getreten, daß die Glut
Der heißen Stirn' mir frischer Lufthauch kühle.

Nacht war es, eine von den Herbstesnächten,
      Die mondenhell und wolkenlos und rein,
      Uns heuchelnd täuschen mit des Frühlings Schein,
Als ob sie seine Blüten wiederbrächten.

Doch nichts von Lenzeshauch war da zu spüren;
      Scharf durch die Stoppeln pfiff der Herbstwind hin.
      Und wie der Mond auch leuchtend niederschien,
Kein Leben war in seines Strahls Berühren.

"Hell, klar, doch kalt!" durchzuckts mein tiefstes Leben
      Und scheue Unruh' bohrt sich, stets vermehrt,
      In meine Seele wie ein schneidend Schwert,
Und Dunkelheit will meinen Blick umweben!

Und Furcht und Angst befällt und scheues Bangen,
      Und unerklärte Trauer mir den Sinn,
      Und auf die feuchte Erde sink' ich hin
Und Ohnmacht hält betäubend mich umfangen.

Da war's, als hört' ich wie aus weiter Ferne
      Mich eine Stimme mahnen: Blick empor!
      Und mir zerriß des Auges Nebelflor,
Und ich erhob den Blick zum Strahl der Sterne.

Aufblickend aber sah ich drei Gestalten
      Hinschweben leise durch der Lüfte Meer,
      Und Wohllaut tönt von ihren Schwingen her,
Und Hymnen wie von Geisterchören schallten!

Die Eine trägt ein Kreuz voll stillem Harme;
      Der Schwester eng umschlingend zugewandt
      Ein grünes Palmreis führt der Zweiten Hand,
Die Dritte folgt ein Saitenspiel im Arme!

So ziehen langsam, langsam sie vorüber,
      So schweben leise, leise sie hinan,
      Ein Lichtstreif geht den stillen Zug voran,
Und hinter ihnen wird es trüb und trüber!

Wohl schweifen noch bedauernd ihre Blicke
      Zur dunklen Erde nieder trüb und bang,
      Wohl tönt noch oft wie Scheidegruß ein Klang
Vom Saitenspiel der Himmlischen zurücke;

Doch höher, weiter seh' ich stets sie streben —
      Da wird es mir, als wälzte aus mein Herz
      Erdrückend sich der ganzen Menschheit Schmerz,
Und jetzt erkenn' ich sie, die da entschweben!

Und flehend auf die Kniee sink' ich nieder,
      Und sende händeringend diesen Schrei
      Empor zu ihnen! "Bleibt, ihr heil'gen Drei,
Verlaßt uns nicht und kehrt zur Erde wieder!

Wer stärkte uns in Drangsal und Beschwerden,
      Wenn du nicht, G l a u b e, unsre Hoffnung nährst,
      Und wenn du, L i e b e, zu den Sternen fährst,
Was soll mit dieser Welt voll Hasses werden?

Und du auch, K u n s t, willst gegen Himmel fliegen?
      Hell, klar, doch kalt wie Herbstes Mondenschein,
      Nur Wirklichkeit soll mehr das Leben sein?
Kein krankes Herz willst du in Schlaf mehr wiegen?

O geht nicht unter, heil'ge Lebenssterne!
     Bleibt, rief ich stehend! — Doch sie hörten nicht,
     Und matt verdämmernd wie ein sterbend Licht
Verschwimmen sie in nebelweiter Ferne!

Da ward es Nacht rings, Nacht, und Donner dröhnte,
     Als rief es: "Welt, dein Maß ist voll! Genug,
     Geh unter, deine Todesstunde schlug!"
Und ich sank hin und weinte laut und stöhnte!

Und stöhnend fuhr ich auf — und es war Morgen,
     Ein Traum nur war's, in dem ich ächzend lag!
     Nur Traum! — Doch weh' den Zeiten, weh' dem Tag,
Von dem die Nächte solche Träume borgen!