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Lieder aus Venedig
 

I.
San Marco

Heil'ger Markus, segne gnädig
Diesen Schwarm von Tagedieben,
Arm und reich, beweibt und ledig,
Häßlich, schön, dumm, durchgetrieben!
Alle, wie sie sich dem Strome
Folgend, aus entfernten Ländern
Herbemüht, vor deinem Dome
Fleißig auf-und abzuschlendern.

Nachts auch wimmeln noch von Betern,
Welche seiner Ehre huld'gen,
Und von frommen Pflastertretern,
Deine Steine, die geduld'gen.
Einsam and're Heil'ge harren,
Doch dir strömen zu die Wand'rer:
Soviel Weise, soviel Narren
Sieht, wie du, bei sich kein And'rer.

II.
Das alte Lied

Kennt ihr vom hehren Venedig
Das alte ewige Lied?
Das werden die Reisebeschreiber
Zu singen nimmer müd.

Ein Demokrit ist der Himmel
Und lächelt das ganze Jahr;
Pomeranzen und Zitronen
Blüh'n wonnig im Januar.

Am Ponte Rialto flittert's
Von Gold und flimmert und flirrt,
Der Markusplatz ist immer
Mit den schönsten Damen garniert.

Auf der Riva wimmelt und wogt es
Lebendig den ganzen Tag,
Matrosen und Gondoliere
Sind ein reizender Menschenschlag.

Doch in den Kanälen und Gassen,
Da löst sich Stein um Stein,
Und fällt melancholisch langsam
In die düstere Flut hinein.

Und in den alten Kirchen
Schreckt Moderduft den Sinn,
Die Dogen auf ihren Gräbern,
Sie haben Alle den Spleen.

Ruinen sind die Paläste,
Die Lagunen ein weites Grab,
Und nur die Fremden spazieren
Gemütlich auf und ab.

So lautet die alte Geschichte,
Sie ist schon lange vorbei;
Doch gibt es nur Reisebeschreiber,
So bleibt sie wohl ewig neu.

III.
Die Poeten

Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Das Meer ist ruhig und rein;
Der Schweif des Markuslöwen
Funkelt im Abendschein.

Ein Rudel Poeten sitzet
Daneben wunderbar;
Die Federn es sich spitzet,
Doch kämmt es sich nicht das Haar.

Es spitzet sich die Federn,
Und singet ein Lied dabei,
Das hat eine wundersame
Langweilige Melodei.

Den Löwen auf seinem Gestelle
Ergreift ein gelindes Weh';
Er wünscht die langweil'gen Poeten
Zum Teufel und starrt in die Höh':

Er blickt, als wollt' er verschlingen
Stadt, Meer und Schiffer und Kahn;
Und das haben mit ihrem Singen
Die Poeten ihm angetan!

IV.
Die Künstler

"Ist es nicht die medizä'sche
Venus, welche dort, o Wonne,
Auf dem Steinwall der Giudecca
Windeln trocknet in der Sonne?

Ach wie sind die guten Kinder
Hier zu Lande gar so lieblich!
Wäre nur das Körbegeben
Hier zu Lande minder üblich!

Hab' ich nicht ein solches Schätzchen
Jüngst verfolgt — o Schwabenstücklein! —
Über vierundzwanzig Plätzchen,
Vierzig Calli, sechzig  Brücklein?

Hab ich nicht am letzten Ponte,
Ohne daß ich sie erbitten,
Oder nur erreichen konnte
Mit den langen Riesenschritten,

In der Eil' zwei alte Weiber
Schließlich auf den Fuß getreten,
Daß sie keifend, tobend, fluchend,
Für die Zukunft sichs verbeten?"

V.
Ein Schimpfvirtuose zur Abwechslung

"Kunstgenüsse gibts hier manche,
Doch es fehlt an gutem Biere,
Und so ist's gar sehr natürlich,
Daß ich schon mich ennuyiere.

Schöne Kirchen sind zu sehen,
Und der Markusplatz ist prächtig;
Aber die Kanäle stinken,
Und das Volk ist niederträchtig.

Und was sind sie, diese Welschen,
Nicht für prahlerische Wichte!
Stets vom eig'nen Ruhme sprudeln
Sie bombastische Gedichte!" —

Ja mein Freund, es pocht der Welsche
Gern auf alten Geistesadel;
Doch er ist nur groß im Selbstlob,
Nicht in fremden Volkes Tadel:

Aus den schmetterndsten Posaunen
Schleudert er des Preises Psalme;
Aber in der Kunst des Schimpfens,
Hermannsenkel, nimm die Palme!