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Quelle:

Sinnen und Minnen
ein Liederbuch von
Robert Hamerling

Prag 1859
Kober & Markgraf
Druck von Rohliček & Sievers in Prag


Prolog
 


Auf Wohllautwogen

Sorglos auf des Wohllauts Wogen
Gaukle, meines Liedes Schwan!
Bis die Jugend abgetan,
Bis ihr süßer Rausch verflogen,
Und ihr goldner Traum zerrann!

Einst wohl sing' ich im Gedichte
Alles Lebens bunte Pracht,
Tauch' ich in der Sage Schacht,
In die Minen der Geschichte,
Und des Gedankens Nacht.

Farbenprächtig auszumalen
Streb' auch ich sodann im Lied,
Was am Meeresgrunde blüht,
Und der Tropensonne Strahlen,
Die dereinst am Pol geglüht.

Doch noch kennt mein tieferregtes
Herz nur sich und seine Qual:
Uns so ists nicht meine Wahl,
Ist mein Sang ein holdbewegtes
Tongewog, kein Bildersaal.

Ach, ein Meer sind meine Lieder,
Das der Hauch der Sehnsucht hebt,
Dessen Welle, sterndurchwebt,
Klangreich wogend auf und nieder,
Hin in goldne Ferne strebt.

Und so scheint wohl arm an Stoffen,
An Gestalten mein Gedicht,
Leer an Inhalt und Gewicht;
Denn das Sehnen, Lieben, Hoffen,
Sinnen, Minnen zählt ja nicht!

Immerhin! Auf Klangeswogen
Gaukle, meines Liedes Schwan!
Bis die Jugend abgetan,
Bis ihr süßer Rausch verflogen,
Und ihr goldner Traum zerrann!