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III. Vermischte Gedichte
 

Musik
Auf den Tod meines Vaters
Die Seele und das Glück
An Freundesgrab
Vor einem Gewitter
Der Zwiespalt schon im Morgenhauche!
Als mein Hund Barry starb
Die Freude
Allerseelen
Auf den Tod des 88j. Friedrich U.
Weih-Nacht
Für einst
Befreiung
Treuer Rat
"Leier und Schwert"
Walther von der Vogelweide
Goethe
Odin und Gunnlöd

Musik

Nachhall eines Musikabends

"Nach dem Fall der Welt"
Benennen sie selbst ihr nüchternes Jetzt;
Vordem war Eden,
Sonnenschein, selige Augen,
Liebe voll Frieden
Und Treue.

Sei's! Wir fühlen es nimmer,
Fühlen nur Leiden
Blutige Spur durch zuckende Herzen
Ruhelos pflügen —
Leiden niederen Loses,
Lähmender Schalheit.

Das Reich ist des Alltags;
Blass ist der Himmel, und widerlich sticht
Das Sönnlein Klugheit herab
In der Menschheit trübes Gesicht.

Brot ist ihr Gott
Und Tod ihr Gespenst,
Hohn die andere, große,
Ewige Sonne droben;
Wertlos das milde,
Über die Welt
Mit Mutteraugen geneigte
Antlitz der Nacht.

Seltsam zuweilen nur
Brennt, eine lebende Fackel, Einer —
Innen verzehrt von der Sehnsucht,
Zu schaffen die Welt,
Die nur er sieht,
Sieht und vernimmt.

Einsam geht er,
Wo Weg nicht gebrochen,
Steg nicht der Anderen führt.
Wirr allen Kleinen,
Stürzt ihm Gesang aus der Seele,
Hoch und gewaltig herab,
Flutenbraus gleich aus den Schlünden der Felsen:

Urlaut der Qual,
Wie er dem Chaos entstöhnte,
Knirschen der Geister,
Die in den erzenen Banden
Hangen, brechenden Auges;
Jauchzen Erlöster,
Die aus den Kerkern schweben,
Todüber, anderen Sternen zu,
Und der geruhige, schlichte,
Klar hinschwellende Strom
Furchtloser Stimmen
Gläubigen Mutes.

Nicht, von den hehren Klängen ergriffen,
Feiert der Alltag und will sich besinnen;
Sein ewiger Trott
Stapft unbeirrbar
Zum Tiktak im Kreise.
Einzeln lauscht ein edleres Herz,
Irgendwo heimlich
Tränt ein sinnendes Auge,
Oder im Schatten
Tief an die Brust
Neigt sich entsagend ein Haupt.

Fern aber taucht an den Säumen
Irdischer Welt,
Sichtbar dem Sänger, sein himmlischer Trost
Und erfrischender Anblick,
Ein silberner Strand aus den Fluten,
Weht es von Auen
Kühlevoll her.
Geister, in linde Wehmut versunken,
Hergewandt nicht
Und nicht abgewandt zürnend,
Wandeln vorüber,
Ganz ihres Innern erfüllt:
Brüder, in Eden freundlich-verblieben;
Kinder des Lichtes,
Friedlicher Liebe selig-zufrieden —
Die wir gewesen,
Die wir nicht werden
Wieder auf Erden . . .!

Auf den Tod meines Vaters

                      I.

Ich hielt in meiner Hand die deine,
Auf die der Tau des Todes sank,
Indessen, bleich vom Todesscheine,
Dein Mund den letzten Odem trank.

Und wie die Brust, die Brust sich mühte
Um einen Hauch! O, ich empfand,
Daß er als Liebe noch durchglühte,
Als letzte Liebe meine Hand.

Und daß er rann in meine Adern,
Und daß er stieg in meine Stirn',
Und daß ein Krampf, ein wildes Hadern,
Ein Brand aufschlug in meinem Hirn:

All' diese Qualen nur, daß werde
Ein Staub, den er auf Wucher gab,
Zurückbezahlt dem Geiz der Erde,
In seine off'ne Hand, das Grab . . .!


                      II.

Dein Sarg stand neben mir, und vor ihm psalternd
Der Bonzen wohlbezahlte Drei;
Der Eine würdiger, weil selbst schon alternd,
Feist, teilnahmslos die andern Zwei.

Der Alte näselnd, nickend seine Leier,
Die jungen nur auf's Stichwort wach,
Sonst glotzten sie wie fette Felsengeier
Dem Reste ihres Schläfchens nach . . .

Mir sank der Schmerz und stieg die Wut zu Häupten;
Doch wie ich wende mein Gesicht,
Verletzt von diesen biedern Wohlbeleibten,
Erschau' ich knie'n im schrägen Licht,

Das golden niederfällt an dem Altare,
Ein Kind, ein Mädchen, ärmlich, klein,
Großäugig staunend auf die hohe Bahre,
Gefaltet seine Händelein.

Wie jene Kalten, tönend, nicht vermögen,
Das deiner würdige Gebet,
Von dieser Kinderlippen leisem Regen
Zu deinem Sarge weht!

                 III.

Und wieder seh' ich wallen
Die Flocken all' herab,
Sie wallen und sie fallen
Auf meines Vaters Grab.

Sie haben mich geleitet
Nun schon bei manchem Leid
Still-linde d'rauf gebreitet
Das Tuch der Ewigkeit.

Sie bleiben auch schon hangen
Ganz leicht in meinem Haar,
Was ist die Zeit vergangen,
Daß ich ein Knabe war!

Und weiß nur eines eben
Zu sagen: Unser Weh
Wird müssen sein im Leben,
Wie sein muß dieser Schnee.


Die Seele und das Glück

Armseelchen kauert an der Brück',
Es wartet und wartet auf das Glück.

Da kommt ein altes Weib heran,
Das lächelt und deutet die Zeile hinan:

"Lieb' Seelchen, hörst du den himmlischen Klang,
Die Harfen, die Pfeifen, den Elfengesang?

Lieb' Seelchen, nun hebe der Augen Blick,
Nun hebe die Arme entgegen dem Glück!"

Armseelchen, es starret mit Aug' und Ohr
Dem Glücke entgegen, die Giebel empor.

Nun wehet ein Brausen voll Stärke heran,
Es wirbelt das Seelchen aus seiner Bahn.

Das will sich erfassen, es sucht eine Hand,
Es hascht nach der Göttin gold'nem Gewand.

Es findet nicht Halt, ihm entgleitet der Saum,
Es taumelt zu Boden, es schrickt aus dem Traum.

Es richtet sich auf, es wanket zurück;
Verklingend ein Schall noch . . Und das war das Glück!

An Freundesgrab

Nun hebt es an und hört nicht auf,
So will's der Welt gemeiner Lauf:
Begraben Einen um den Andern
Und immer stiller weiter wandern.

Nun hebt es an und hört nicht auf,
So will's der Welt gemeiner Lauf:
Begraben, graben in die Erden,
Und dann in ihr begraben werden —!

Vor einem Gewitter

So schwere Wolkennacht hängt auf die Erde nieder,
Den Adlern selbst sträubt bang sich ihr Gefieder,
Weit ruhlos wallend wogt das Wipfelmeer.
Mir aber blickt des Himmels Antlitz her,
Als ob das Weltall finster sich besänne,
Den einzigen Gedanken spänne,
Den nie sein Anblick sonst verrät:
Wozu das Ew'ge, wenn's nicht Wonne,
Der Schwärme rasen um die Sonne,
Wenn's keinem Ziele zu — dem Schauen geht?!

Der Zwiespalt schon im Morgenhauche!

Mich hauchst du stärkend an,
Eisiger Morgen;
Doch kenn' ich deinen Hauch:
Aus seiner Kälte haucht der Tod
Und haucht die Zarten mordend an . . .
Der Tod — nicht einmal er!
Das Leben selbst, das mir die Wangen rötet,
Das Leben ist's, das jene grausam tötet!
Grausam nach Menschenwort;
Wir kennen noch die Sprache nicht,
In der Natur die Wahrheit spricht.
Wir wollen halten und gestalten,
Dicht über Liebes uns're Hände falten —
Sie will,
Daß Loses ewig neu sich balle,
Doch ewig auch,
Daß alles Einige zerfalle.

Als mein Hund Barry starb

So ruhe denn, der mit mir ging
Auf allen meinen Wegen,
An mir mit treuen Augen hing
Und für mich war ein Segen!

Denn selten ist zu jeder Frist
Im Tod- und Lebensschwanken
Die Liebe, und noch selt'ner ist
Die Treue ohne Wanken.

Ich danke dir, du kleines Tier,
Das Keinem schön geschienen,
Dein kleines Leben dank' ich dir,
Das mir galt und nicht ihnen!

Mit wahren Zähren dank' ich's dir,
Mit keinen, die ich hehle,
Und trauernd noch bezeug' ich's hier:
Du warst mir eine Seele!

Die Freude

Ich kenn' dich wohl: du bist die Freude!
Wie ich die Liebe kenn', das Glück;
Nur nie das volle, unbereute —
Der nächste Morgen nimmt's zurück.

Ich kenn' dich wohl: du bist der Falter,
Hoch oben wiegend, nie mehr nah',
Den ich in meinem Jugendalter
Auf meinen Blumen ruhen sah.

Nur mehr, wenn Träume mich umschweben,
Senkst du auf meines Lebens Baum
Der hellen Flügel zartes Beben
Und flüchtest wieder mit dem Traum.

Allerseelen

Weißt du ein Herz, das um dich leidet,
Und glühest selbst, dich ihm zu weih'n —
Ob auch die ganze Welt euch scheidet,
Geh' mutig hin und werde sein!

Die Welt hat nichts mehr dir zu geben,
Bereuest du versäumtes Glück . . .
Nur einmal dieses kurze Leben,
Und nicht ein Tag kehrt dir zurück!

Auf den Tod des 88j. Friedrich Ulrich

Achtzig Jahre und acht!
Schon siebzig bestaunet die Menge
Und rühmt den Bejahrten . . .
Dumpfankriechender Tierheit,
Der eine Hufspur voll Regen,
Ein Steindruck im Boden Bezirk,
Der ein Halm schon die Esche des Himmels —
Auch der störrischen Krankheit,
Die hadernd beginnt jedes Tages Pein,
Scheinet's ein Alter.

Doch dem Kenner des ragenden,
Weithinreichenden Lebensgebirges,
Der überirdischen Willens voll
Eine Bahn sich ausmißt,
D'rinnen ihn wahrhaft einmal umkreisen,
Ganz umkreisen die Sonne soll,
Alles Tiefste für sein Aug'
Sengend durchleuchten
Und weither, was kaum der Gedanke erspät,
Wie Flurgrün, wie Seeblitz
Der Seele heranzieh'n —

Klein erscheint ihm die Zahl
Erreichbarer Jahre
Und über ein dummes Genügen
Lächelt er bitter!

Freilich der Greis . .!
Die den Traum nicht erfüllt,
Läßt ihn den Träumer vergessen;
Mitleid dem Menschen
Heuchelt die Ohnmacht der Schöpfung . . .


Wandeln seh' ich dich noch,
Oft an dem herrlichsten,
Blauen Hochsommertag
Um die Beete der Rosen,
Fröstelnd in Sonnenglut,
Ergeben das Haupt gesenkt,
Und den kugligen Käfer schiebst du
Sanft mit dem weichbeschuhten Fuße
Dir aus dem Weg.

Wohl mir immer warst du geneigt —
Nur wenn du mich sahest,
Den Alpstock fest in felsgriffgieriger Faust,
Nackend das Knie für die Bergfahrt,
Lachend, rücklingsgebogen
Lupfen den lastenden Rucksack,
Legtest du kalt deine Hand auf meine;
Düst'rer, denn sonst,
Sah unter der weißen Braue dein Aug',
Und warntest mich freundlich . . .
Heiß wohl glühte mein Antlitz,
Trunken mein Blick,
Denn du senktest die Stirn',
Und in Murmeln verlor sich dein Wort . . .
In Murmeln:
"Die Gipfel des Lebens sind Traum;
Träuft durch die Wolken goldener Schein,
Lockt er mit göttlicher Macht,
Keiner erreicht die Klarheit;
Wahrheit allein
Ist der Stieg in die Nacht!"

Weih-Nacht

Die Hirten knieten am Lager
Der armen Wöchnerin,
Der Morgenstern wie täglich
Vom blassen Himmel schien.

Die Menschheit schlief und wußte
Noch nichts vom Menschensohn,
Gewölk zog um die Zedern
Des hohen Libanon.

Der Tau fiel von den Wipfeln,
Sie schwankten im Morgenwind,
Ein jeder Baum erbebte
So wie ein schluchzend' Kind.

Und ahnte doch Keiner bange
Zu dieser Stund' den Tag,
An dem er im Marke spürte
Des erz'nen Beiles Schlag.

Und sah noch keiner im Traume
Sich ragen auf andern Höh'n
Und hörte statt Windesbrausen
Noch Keiner das Sterbgestöhn'!

Und spürte noch Keiner statt Taues
Blutige Tropfen sprüh'n,
Und Keiner trug zuckende Glieder
Statt Eppich und ewigem Grün.

Traumlos am Herzen der Mutter
Noch schlief Maria's Sohn,
Und tief im Holz der Zeder
Das Kreuz vom Libanon.

Für einst
Meiner Tochter Melanie in's Stammbuch

Nun mahnst du mich des öftern schon
Mit deinem zärtlich-lieben Ton:
"Geh' Vater, schreib' mir in mein Buch
Recht einen schönen, guten Spruch!"

Und ich vergaß doch wahrlich nicht;
Es ist nur dies, daß mir's gebricht
An einer Weisheit, wie ich wollt',
Daß sie dir dauernd frommen sollt.

In Büchern zwar, in guten, steht
So manches Wort, das nicht vergeht,
Das immer eine Wahrheit bleibt,
Wohin die Zeit ihr Schifflein treibt;

Doch liebt das Leben keine Lehr'
Aus noch so weisen Büchern her,
Das Leben will und will allein
Gelebt von Jedem selber sein.

So lebe denn! das ist mein Spruch
Und frage dann nur dieses Buch,
Wenn dir, in Zweifeln ganz verstrickt,
Das Herz vor'm eig'nen Schlag erschrickt.

Dann lies es hier, was ich dir sag':
An diesem allerschwersten Tag
Tu' das allein, was dem zu Lieb'
Du tätest, der dies Wort dir schrieb!

Befreiung
Einem jungen Mädchen

Aus deines Wesens träumend-tiefer Reinheit
Schlugst du, von Lärm gestört, das Auge auf;
Wie greller Blitz erschreckte dich der Lauf
Der Welt, und du erbebtest der Gemeinheit.

Durchleuchtet lag vor dir in seiner Einheit
Das Riesenreich der Ichsucht: Anbot, Kauf,
Neid, Schmutz, Geheuchel, gieriges Gerauf',
Mordroheit innen und der Masken Feinheit.

Schlag' nicht entsetzt die zarten Wimpern nieder,
Klar, groß laß ruh'n dein Aug' auf diesem Bild;
Dann in dein edles Inn're kehre wieder.

Was Jene höhnen, bleibe: Rein und mild,
Lausch' in dich selbst, lausch' in der Dichtung Lieder,
Und laß den Raben jenes Zankgefild!

Treuer Rat

Nennen sie dich rauh und haarig,
Die nur lügenglatt und fahrig,
Scheinst du manchem Weichling hart —
Wahre deine eigne Art!

Rauhe Schale, reiner Kern;
Starre Wimper schützt den Stern;
Rose selber, zum Vergleiche,
Hat die Dornen aufgestellt,
Daß ihr nicht zum Antlitz reiche
Das Geziefer dieser Welt.

"Leier und Schwert"

Ehmals hielt ich nur die Leier
Eines stolzen Mannes wert,
Heute ruf' ich zornig-freier:
Führ' die Laute und das Schwert!

Schlag' dem Armen deine Leier,
Ihn umsäus'le Himmelsfeier;
Doch den Trotzigen, den Reichen,
Daß er fühle seine Pflicht,
Triff ihn mit des Schwertes Streichen —
Andern Eingang hat er nicht!

Walther von der Vogelweide

Herr Walther von der Weide
Litt oft an unser'm Leide,
Litt oft an unser'm deutschen Gram,
Daß er zu tief in's Grübeln kam;

Daß ihm vor lauter Leide
Verging die Lebensfreude,
Daß ihm vor allzu vieler Glut
Ergriff die alte Nordlandswut:

Wenn er an allen Orten
Die Pfaffen aller Sorten,
Dompfaffen leider nicht allein —
Die schlechtern sah, voll Wahrheitsschein;

Die Redner großer Quarke,
Mit Taten, arm an Marke;
Die klugen Sänger voll Gesang,
Besorgt nur um der Taschen Klang;

Die hochgelahrten Weisen,
Meist wedelnd mit den Steißen,
Nur hackend mit dem Wackelkopf
Nach irgend einem armen Tropf;


Die Freunde, Heuchler suchend,
Dem off'nen Manne fluchend;
Die Weibelein voll Liebesbrunst,
Doch jede nur um Ringes Gunst!

Da ließ ihn all' sein Eigen,
Sein Sang verrann in Schweigen,
Sein Wesen fiel, als wie in Kot,
Bis an den Hals in arge Not . . .

Und stand er so verlassen
Und durfte Keinen fassen
Und Keinen hauen voll Bedacht,
So lang' der Kerl nur noch kracht' —

So hub er an zu rennen,
Als tät' der Boden brennen,
In einem Zuge rannt' er bald
Bis in den allertiefsten Wald.

Wann dort die Vöglein sangen,
Das alle Himmel klangen,
Ein jedes ohne jeden Zwang,
So wunderschön nach eig'nem Hang:

Da lag er Tag' in Tage,
Bis Leid zu sanfter Klage,
Bis aller heißer Zorn gestillt
Zu lindem Mitleid, neu-gewillt.

D'rum hatt er's wohl besonnen,
Was schuldig er an Wonnen
Den zaubersamen Vöglein ward
Auf seiner ganzen Lebensfahrt;

Und hat mit treuem Fleiße,
Mit letzlichem Geheiße
Gestiftet auf sein steinern Grab
Den Vöglein eine Liebesgab':

"Er selbst, er wolle werden
Gelegt in freie Erden,
Nicht in des Münsters dunklen Raum,
Nein vorne, unter'n Lindenbaum;


Bild: Grabmal für Walther von der Vogelweide im Kreuzgang
des ehemaligen Kollegialstiftes Neumünster in Würzburg.


Und wenn die Vöglein zögen,
Zu seinem Baume flögen —
Sie sollen finden allzeit Korn
Auf seinem Grab und frischen Born!"

Es haben sein Vermächtnis
Sein zärtliches Gedächtnis
Zu Würzeburg die Pfäfflein nicht
Gar lang in Ehren ausgericht'.

Die Körner für die Meisen,
Die täten sie verspeisen
Als Semmeln, sein Profanlegat
Erhöhend so zur frommen Tat.

Und ob die Vöglein dürsten,
Wann nur die Frummen bürsten!
Was Wasser auf den Totenstein,
Wenn's regnet, wird ein's oben sein! . . .

Wär Walther noch am Leben,
Es hätt' ein Wetter geben;
Nun aber, in der ew'gen Ruh',
Weiß Gott, er lächelt nur dazu.

Schon Urkund' muß er haben:
Einst rächen ihn die Raben,
Die fressen Pfaff' und Laien auf,
Wer eignet ohne rechten Kauf;

Und fressen, weiß Herr Walther,
Die bösen Weltzeitalter,
Bis klingelt ohne Leid und Neid
Die Welt, ganz eine Vogelweid'!


Goethe
zu seinem 150. Geburtstag

Du, der nichts Menschlichem mehr zu vergleichen,
Wie es ein Reicher einzeln besitzt,
Du nur den heiligen Strömen vergleichbar,
Wie sie vom Ewigenschneegebirg' geh'n,
Leuchtende Bahnen,
Segen und Kraft,
Tränkende, nährende,
Führend die Menschen!

Dir an der Quelle stehen wir heute —
Ob dich ein Eintag hätte geboren,
Ob dich nicht so, wie in Felsenschalen,
Wie mit den grünen, hochgehobenen Matten
Durch die Jahrtausende
Sammeln die Berge
Himmlischen Tau,
Ihre Quellen zu speisen,
Ob dich nicht also in sich getragen,
Lange, bevor dich die Mutter geboren,
Schon deine größere Mutter, die Menschheit.

Stromquelle, quellender Strom,
Menschheitssohn!
Nicht der Tag, da ein Name dir ward,
Hat dich geboren,
Und keinem Sterblichen gleich
Hat dich ein Tod uns geraubt;
Hochhergerauscht, wogenreich,
Weithinentrauschend
Fällst du in's Menschenmeer,
Quellend und mündend,
Mündend und wieder erquillend,
Leben in's Leben,
Immer der gleiche,
Immer der reiche,
Niemals versiegende, ruhige Strom!

In dir vereinend, was Ströme der Menschheit
Zu dir geflutet:
Mächtige, alte, voll goldenem Glanze,
Breither von Aufgang;
Schönher, schimmernd, voll Glätte
Südlicher Zweistrom;
Heimlich, in dunklen Adern,
Sagenhaft raunend,
Reifiger, rauchender
Urborn der Heimat.

Namen- und zeitlos,
Zeitenvoller, wärst du derselbe!
Einziger Jubel, vor dir berechtigt:
Fremd nicht wärst du zu denken!
Was du auch Fremdes umschließest,
Deutsch bist du, deutsch!

Deutsch ist die Zeit, und erfüllt ist die Welt,
Wo sie dem Geiste horchet, von deutscher Gewalt!
Irgend ein Szepter,
Wo es ein  anderes Volk
Noch über das Meer streckt
Oder die Lande,
Ist es ein altes, innen vermorschtes,
Oder ein grünes, lichtes,
Kommendes Reis, das sich nähret
Und aufhebt im deutschen Lichte,
In unserer Sonne,
Getränkt von den tiefen
Märchenwaldbronnen
Unserer Heimat.

Wonnevoll, innigkeitzitternd,
Sagen wir jubelnd:
Deutsch ist die Welt,
Wölbig gebaut, felsengefestigt,
Kristallenwändig und lichtvoll —
Ein Haus, dir am Ufer, dein!
Denn du hast verjüngt das heimische Tal,
Alles, was einzeln gesickert,
Bronnen und Fäden
Hast du gebracht,
Der vor dem Schwerte
Einherging, ein Stromgott,
Die Geister stärkte mit Firnewein,
Die Herzen erfrischte mit urdeutschem Quell.

Aufgebaut ist nun unser Haus
Und bauet sich selber aus,
Lebende Bögen spannend
Über die Völker,
Ragend im Welttal,
Ein Geistespalast!
Und mittendurch rauschest
Die Welt hinab
Du leuchtender Weltstrom!

An deinen Borden wandeln
Menschen — starke, gesunde,
Lichte, reine, mit heiteren Stirnen,
Neue, verjüngte, die strotzenden Lenden
Voll kommender Jugend:
Menschen, wie keine gewandelt vorher,
Ehe die Menschheit,
Tief in dich tauchend,
Durstigen Zuges genoß
Deiner heiligen Flut!


Odin und Gunnlöd

Waldsausen, der Riese, in Schlummer lag,
Als Odin, der Ase, einherschritt zum Hag;
Träumend vor des Hauses Tore
Saß des Riesen Tochter da,
Drang kein Schritt zu ihrem Ohre,
Plötzlich stand der Ase nah':
"Glut erfüllet Wald und Tale,
Brütet über Höh'n und Sunk,
Gunnlöd, reich' mir deine Schale,
Gunnlöd, reich' mir einen Trunk!"

Erschrocken vor dem Asen steht
Die Maid, ihre Brust im Sturme geht.
Nicht den Gott der Götter kennt sie,
Sie umblendet nur sein Schein,
Seiner Augen Blaublitz brennt sie
Bis in's tiefste Herz hinein:
"Herr, hier suche keine Bronnen,
Der ein irdisch Wasser blinkt;
Was uns träufelt Trunkes Wonnen —
Wehe, wenn's ein And'rer trinkt!"

"So hab' ich erwandert den richtigen Ort,
Du hütest des heiligen Metes Hort?
Metes, der aus Tod und Leben,
Aller Blumen Honigsaft,
D'rüber Gottes Bienen schweben,
Und aus aller Gifte Kraft,
Der gemengt aus Glut und Blute,
Sonnenstärke, Mondendunst,
Der allein zum höchsten Mute,
Der entflammt zu aller Kunst!"

Noch bleicher vor Odin stehet die Maid:
"O schweige, du sinnst mir bitteres Leid!
Zu der gold'nen Schale Füßen
Schlummert jetzt mein Vater dort;
Soll ich's mit dem Tode büßen,
Wenn er aufwacht deinem Wort?
Wär' er selbst im Walde weilend,
Wär' in meiner Hut der Born,
Gleich auf Sturmesflügeln eilend,
Tödlich träfe mich sein Zorn!"

Der Gott tritt ihr näher, er flüstert ihr zu,
Weißmittag umwebt sie mit schwüler Ruh:
"Laß mich doch von Gnade nippen,
Stille meiner Sehnsucht Brand,
Still' ihn denn mit deiner Lippen
Kühlem, unberührten Rand!
Grämend irrt' ich lange Wege,
Nun verlockt mich Wonnetraum,
Daß ich meiner Seele lege
Ganz in deiner Hände Flaum."

Er schweigt und er blickt und er beugt sich herab,
Die Maid ihrer Lippen Gruß ihm ergab.
Und der Ase lächelt trunken:
"Ei, nun weig're mir nichts mehr,
Bist du an mein Herz gesunken,
Ist nun dein auch sein Begehr.
Nur die Schale laß mich schauen,
D'rinnen die ersehnte Flut,
Dem Erblicker Gier und Grauen,
Wie ein zitternd' Leben ruht!"


Ihr streicht über's Haar seines Odems Glut,
Bezwingend sein Aug' in dem ihrem ruht.
"Komm denn, wann der Abend scheidet,
Wann der Vater fern im Wald,
Wann der Mond die Schäfchen weidet,
Komm' denn abends, komme bald! . . ."
Jäh' verstummend, voll Verlangen,
Sein Nacken sie umflicht,
Dicht an seiner Brust in Bangen,
Glühend birgt sie ihr Gesicht.

So scheidet denn dreimal der schillernde Tag,
Es hegen drei Nächte den heimlichen Hag.
Selig schwelgt im Liebesrausche
Jetzt der Gott, in Götterlust;
Wahrlich erst im Seelentausche
Seiner Gottheit sich bewußt.
Dreimal seine Freude würzt er
Mit des heil'gen Metes Trank,
Nacht um Nacht die Schale stürzt er
In des Lebens Überschwang!

Doch als er empfand, nun weile das Glück
Hoch oben auf schwankendem Augenblick,
Hüllt er sich in Adlerflaume,
Schwingt er jauchzend sich empor;
Eh' sie aufwacht aus dem Traume,
Weilt der Gott im Götterchor.
Sehnend zwischen Erd' und Sonne
Irrt ihr Klagen unversöhnt;
Aller Dichtung höchste Wonne
Nur aus tiefstem Leide tönt!