Das
Polenlied
Ich war ein Kind, als Polen fiel —
Der Vater kam von fernen Wegen,
Erzählte, wie sie tief und kühl
In's Grab das arme Polen legen.
Von Grochow und der Pragaschlacht
Erzählt' er uns in schlichten Worten,
Mir war's, als läg' ich in der Nacht,
Ein Polenkind, an jenen Orten.
Und Schmerz empfand ich um das Land
Und seine toten Heldensöhne,
Heiß stürzte sich auf meine Hand,
Wie Feuer brennend, Trän' auf Träne.
Ich schwieg, und nahm's als Zeichen an,
Das mir mein kindisch Weinen wehrte:
Sei ruhig, Kind, Du wirst einst Mann,
Und diese Hand greift noch zum Schwerte.
Und weil mir noch die Zeit nicht kam,
Zu hau'n mit Schwertern in die Kette,
Sang ich das Lied in meinem Gram —
Ich wollt', es würde zum Stilette.
Ein Vater
Von Ostrolenka nordenwärts
Im Felde ragt einer Hütte Dach,
Drin pochet ein altes Polenherz,
Es ist in Lieb' und in Schmerzen wach.
Drin glänzt ein Haupt wie nordisches Eis,
Es leuchtet das Auge wie Wachtfeuerglut,
Durch seine Adern rollet es heiß,
Der Tag von Praga erhitzte das Blut.
Der Alte hält in bebender Hand
Die Kugel, die deutet die Erdenwelt:
Zwei Punkte sind es, d'rauf unverwandt
Durch Tränennebel sein Auge fällt.
Er spricht: Das ist Amerika's See,
Da schifft mein Junge auf leichtem Kahn;
Das ist Kamtschatka im ewigen Schnee,
Dort folgt mein Ält'ster des Renntiers Bahn.
Wenn Jener hinaus in die Meere schifft,
Wenn dieser bis an die Küsten hinjagt,
O seliger Tag, der dereint sie trifft!
O Lust, die nimmer dem Alten tagt!
Der Alte schweigt, seine Stirne ruht,
Erhitzt von Gedanken, am Erdensymbol;
Es gießt sich die silberne Lockenflut
Bedeckend, versöhnend von Pol zu Pol.
Wohlan denn! Wer einen Vater glaubt!
Er blicket also auf die Kugel herab,
Es decket die Welle von seinem Haupt
Der Freiheit Land, wie der Freiheit Grab.
Sobiesky
In selber Nacht, da kampfesmatt
Poloma ihr heißes Leben
Verhaucht auf blut'ger Wahlstatt hat,
Und ihre Seele im Entschweben,
Wie um die Sonn' ein Wolkenschild,
Europa's Feld in Nacht gehüllt; —
In selber Nacht, da blutgefärbt
Die Weichsel rauscht in trüben Liedern
Das Weh, das Polen noch vererbt
Im Todeskampf den Völkerbrüdern,
Und da, wie es der Zar geträumt,
Die See vor ihm in Purpur schäumt; —
In selber Nacht, da öd', verwaist,
Die mit der Mutter nicht verblichen,
Von Wölfe-Rudeln rings umkreist,
Von ihrem Leichnam sind gewichen,
Zerstäubt wie Laub des Waldreviers,
Wie Fetzen eines Kriegspaniers; —
In selber Nacht erglänzt die Höh'
Vom schneeverhüllten Kahlenbergs,
Es hat das ew'ge Vaterweh
Gesprengt die alten Heldensärge;
Vor allen hat die blut'ge Nacht
Den Einen Kämpen wach gemacht.
Und der aus seinem Grabe stieg,
Er war's, von diesen Zinnen wetternd,
Der wie Lawinen seinen Sieg
In's Türkenlager warf zerschmetternd
Und so befreit die Christenwelt —
Sobiesky war's, der Polenheld.
Der Geist von dieser Kanzel ruft
Sein Mahnungswort, wie Sturm erbrausend,
Um ihn, die mit ihm aus der Gruft
Gestiegen, seine Achtzehntausend.
Zur Zeugenschaft braust mit der Strom,
Hebt sich in Nacht Sankt Stephans Dom:
Habsburg! Noch prangst Du stolz und hoch,
Weil Polens Schwert zerhieb die Kette,
Und das Dich zwang, das Türkenjoch.
Nun ist's an Dir, nun rette! rette!
Der wieder Dir Dein Zepter gab,
Steigt flehend aus dem alten Grab.
Auf! wappne Dich, sonst fällt in Staub
Ein Heldenleib, und Rußlands Geier
Schlägt seine Krallen in den Raub;
Daß nicht als schnöder Leich-Entweiher
Der Zar mit blut'gem Siegerschritt
Polonia's edlen Nacken tritt.
Dem Ungarn ist ein nacktes Schwert,
Ein Blitz, in Kämpfen frei und bieder,
Dein Böhmen ist des Blutens wert,
Bluträchend seine Slavenbrüder,
Und Österreich ist ein Lanzenschaft,
Tirol zerbricht Tyrannenkraft.
Erheb' Dich, Habsburg! bis erfüllt,
Was Du gelobt mir, zu vergelten,
Und rette Dir den eig'nen Schild,
Den bald von Zarenfaust zerschellten,
Und laß Dich warnen, Kaiserblut!
Und rette Dir die eig'ne Hut! —
Die Nacht entschwand, mit ihr der Geist;
Es stieg empor die Wintersonne —
Von trübem Nebeldunst umkreist,
Wie eine tief verhüllte Nonne,
Die selber schwach und sterbensalt
Zu einem Sterbelager wallt.
Denn Polen ist gestorben nun, —
Die Geister alle sind verschwunden,
Und in der Kaiserstadt, da ruh'n,
Für die sie trugen Todeswunden.
Still bleibt's — Kein waches Ohr ja traf
Sobiesky's Ruf — Wien liegt in Schlaf.
Die Drei
Im Ungarland', bei einem Pustawirte,
Da sitzen drei in Sturm und Nacht Verirrte,
Im Ungarlande, wo des Zufalls Wind
Zusammentreibt verschiedner Länder Kind.
Ihr Augenlicht — verschiedner Flammen Gluten,
Ihr Lockenhaar — verschiedner Ströme Fluten,
Doch ihre Herzen, ihre wunden Herzen
Die Tränenurnen fast derselben Schmerzen.
Der Eine ruft: "Ihr schweigsamen Gesellen,
Soll kein Toast der Zecher Trinklust schwellen?
Ich bring' es Euch — dem Vaterland! wohlan!
Es lebe frei und groß — Stoßt an! Stoßt an!
Dem Vaterland! Ich aber selbst bin Einer,
Der sein's nicht kennt, denn ich bin ein Zigeuner,
Mein Vaterland liegt in der Sagenwelt,
Im Geigenton, von Schmerz und Sturm geschwellt.
Ich ziehe schwärmend über Heid' und Puste
Und denke nach dem schmerzlichen Verluste;
Doch bin ich längst der Heimatlust entwöhnt,
Und denk' Ägyptens, wenn das Cymbal tönt."
Der Zweite d'rauf: "Bringst Du's dem Vaterlande,
So trink' ich nicht, ich tränke meine Schande,
Denn Jakobs Same ist ein fliegend Laub,
Und faßt nicht Wurzel in der Knechtschaft Staub.
Laß erst des müden Armes Fessel sinken,
Dann komm heran, dann will ich heiter trinken,
Vergessen dann das eingebrannte Mal —
Bis dorthin sitz' ich stumm am Lustpokal."
Dem Dritten starrt die Lipp' am Becherrande,
Er fragt sich still: "Trink' ich dem Vaterlande?
Lebt Polen noch? Ist es gestorben schon?
Bin ich wie die ein mutterloser Sohn?"
Und wieder sitzen stumm die düstern Zecher,
Vor ihnen steh'n die unberührten Becher —
Sie sprechen alle Drei kein einzig Wort,
Sie sind zusammen nur Ein Wehakkord.
Der Riese
Im Norden liegt ein forstumhüllter Riese,
Und brütet heiß in seines Winters Banne,
Träumt vom Demant auf seinem Bett von Kiese,
Und von der Palme unter'm Dach der Tanne.
Im Eispalast der Königin des Nordens,
Wo ein gefallenes Geschlecht ihn zeugte,
Wuchs er heran, beim Anblick ew'gen Mordens,
Den Wolfsmilch, keine Mutterbrust je saugte.
Das Nordlicht setzt ihm auf die rote Krone,
Mit Hermelin hat ihn der Frost umschlossen,
Den öden Ursels schuf er sich zum Throne,
Und zum Purpur ist Bruderblut geflossen.
Fast tritt den Süden seines Fußes Sohle,
Indes der Nord ihm kühlt die heiße Stirne;
Doch ewig Ein Gedank' ist's, wie der Stern am Pole,
Der leise glutet in des Riesen Hirne.
Er heißt: "Nach Süden!" Weh Euch dann, ihr Brüder!
Wenn ausgeträumt, wenn auf sich rafft der Starke
Und wenn er steigt aus seiner Eisburg nieder,
Sich neu zu stärken an des Südens Marke:
Da seufzt die Erde schwer in ihren Achsen,
Mit jedem Schritt wird er ein Volk ersticken,
Mit jedem Völkermord scheint er zu wachsen,
Bis in die Sterne seine Augen blicken.
Da wird es frostig durch die Eichen wehen,
Und Millionen Herzen werden zittern
Und bluten bei des Riesen Auferstehen,
Und manches Große wird in Nichts zersplittern.
Dann ist es Zeit, ihr Könige der Länder!
Als Kampfespriester vor dem Volk zu schreiten,
Für Gott und Geist gen jenen Völkerschänder
Bis auf des Herzens letzten Schlag zu streiten.
Die Harfe laß, du edle Dichtergilde!
Sing' mit dem Schwert ein Freiheitslied dem Würger
Den Spaten fort, und greife nach dem Schilde,
Und ernte auf dem Schlachtfeld, stiller Bürger!
Verlaßt dann Eure Klausen, staub'ge Weise!
Werft aus das edle Korn zu edlern Saaten!
Noch einmal zu den Krücken greift, ihr Greise!
Und sprecht und zeuget von der Väter Taten!
Dann endlich ist es Zeit, daß Eure Fahnen
Das Eine Wort auf ihren Stirnen tragen,
Das Eine Wort, das Eure Herzen ahnen,
Bei dessen Klang sie wild und wilder schlagen.
Das Eine Wort, das sich wie Felsen wälze
Auf jenes Riesen Brust und sie erdrücke,
Das seine Glieder, seine Kraft zerschmelze
Wie Sonnenfeuer nord'sche Eisesstücke.
Es ist das Wort der Fluch des nord'schen Riesen,
Es löscht ihn weg aus aller Zeit Geschichten;
Ihr müßt es Euch zum Talisman erkiesen,
Euch bringt es Sieg, und Ihn — wird es vernichten.
Einer schönen Polin
Du darfst nur lächeln — lachen nicht
Du darfst Dich nie des Leids entbinden
Auf einem Polenangesicht
Gleicht Lachen unheilvollen Sünden.
Du darfst nur seufzen — weinen nie
Das darf nur Glückliche beglücken —
Doch nimmer Helden, nimmer die,
Die noch die Sklavenfesseln drücken.
Dein schwarzes Haar, Dein dunkler Blick,
Sie müssen einem Bahrtuch gleichen
Auf einem toten Lebensglück,
Grablichtern um geliebte Leichen.
Und küssest Du, so soll Dein Kuß
Ein Handgeld sein, und Kämpfer werben,
Sein Gluthauch dem Geliebten muß
Die Wange schlachtenglühend färben.
Und tanzest Du, so tanze nur
Nach Weisen, die wie Schlachtruf glühen,
Daß Dir genüber die Mazur
Macht Spor'n und Säbel Funken sprühen.
Daß Du des Elends halbe Last
Mir müßtest auf die Schulter legen,
Du Polenmädchen, könnt' ich fast
Dich lieben Deines Hasses wegen.
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