Die
Kronwerber
"O Mutter, siehst Du, was mich quält?
Hilf Deinem ält'sten Sohne —
O Mutter, gib ihm, was ihm fehlt,
O Mutter, eine Krone!
Und weißt Du mir die Krone nicht,
O Mutter! zu erwerben,
So werden mir im Angesicht
Gar bald die Rosen sterben."
Die Mutter dort mit grauem Haar,
Sie hört nicht auf zu spinnen,
Da ihre Lippen wunderbar
Den Märchensang beginnen:
"Im Meeresschoß, im Felsenschloß,
Da ruh'n der Kronen viele,
Die Gnomen alle, klein und groß,
Die werfen sie im Spiele.
Sie haben alle Kronenqual
Und Lust von sich gestoßen;
Und dieser Glaube wird einmal
Dem Erdengrund entsprossen.
Nur eine Kön'gin schleichet doch
In Nacht der Felsenschlüfte,
Von ihrem Haupte glänzet noch
Die Krone durch die Klüfte.
Das ist die Schlangenkönigin —
Wer tritt am Maienmorgen
Mit weißem Tuche vor sie hin,
Sie muß die Kron' ihm borgen."
Der Mutter Jüngster auch vernahm
Das Lied vom Kron-Gewinnen,
Und als der Maienmorgen kam,
Lief er mit weißen Linnen.
Und breitete sie mutig aus,
Und harrte ohne Bangen,
Bis kam aus ihrem Felsenhaus
Die Königin der Schlangen.
Sie bäumte wild ihr giftig Haupt,
Und legt die Krone nieder;
Schnell mit dem Schmuck, den er geraubt,
Lief er zum Meere wieder.
Und warf sie in den nächt'gen Schoß,
Dem flutenden Gewühle;
Die Nymphlein alle, klein und groß,
Die werfen sie im Spiele.
Der Ält'ste kam zu spät heran:
Die Schlange, die verendet,
Fand er des Schmuckes abgetan,
Und seine Kron' entwendet.
Des Ält'sten Weh ist gut bestellt,
Und seine Lust — im Grabe;
Der Jüng're singet durch die Welt
Am leichten Wanderstabe.
Zu spät
Wer schreitet in der Nacht allein? —
Es ist so spät! —
Die Sterne sehen grau'nvoll drein —
Es ist so spät! —
Das ist des Landes roter Sohn,
Der Henker, der zum König geht,
Der macht noch jetzt auf seinem Thron,
Es ist so spät! —
Der Henker spricht: "Die Hand mir bebt,
Das letzte Haar ist bald verweht,
Ich hab' Dir fünfzig Jahr gelebt,
Es ist so spät! —
O König, laß mich ruhen nun
Und laß mich enden mit Gebet;
Du könntest fast ein Gleiches tun,
Es ist so spät!" —
Der König d'rauf: "Fast sprichst Du wahr,
Wie Deine Hand mit Zittern fleht —
Fast mahnt's mich selber an die Bahr'!
Es ist so spät! —
Ich seh' Dein Haar, und denk' an mein's,
Doch gehst Du, ist bald mitverweht
Der letzte Glanz des Kronenschein's;
Es ist so spät! —
Wir müssen stets beisammen sein!
Es ist zu spät schon für's Gebet,
Mein Henker! Laß mich nicht allein;
Es ist zu spät!" —
Der Adlerkönig
Ein König, erzählen die Sagen,
Ein König fiel in der Schlacht —
Die Schlacht, sie ward geschlagen
In düst'rer Urwaldsnacht.
Die Kron' ist ihm entsunken,
Der Purpur flieget ihm fort,
Am Eichenbaume zu prunken,
An Zweigen, die längst verdorrt.
Sein Söhnlein flieht in die Höhle,
Und lebt da nach Klausnerart,
Bis innen ihm aussproßt die Seele,
Um's Kinn der junge Bart.
Da folgt er als Weidmannsgeselle
Dem Reh durch Waldesnacht,
Bis daß er weilt auf der Stelle
Von Vaters Todesschlacht.
Da sieht er die gelbe Krone
Im Busche, wie tief versteckt —
Ein Baldachin ob dem Throne,
Den Purpur darüber gedeckt.
So sieht er im Eichenforste
Des Vaters Erbe bewahrt,
Er sieht, wie zum Adlerhorste
Des Vaters Krone ward.
Den Purpur um den Nacken,
Um's Haupt das güldene Band,
So steigt von den Felsenzacken
Hinab er in's ebene Land.
Ihm folget in blauer Ferne
Umkreisend der Adler Schar,
Sie lassen die Krone nicht gerne,
Die lang' ihre Wohnung war.
Vom König erzählen die Sagen,
Vom Könige, wundersam —
Der, seine Feinde zu schlagen,
Von Adlern begleitet kam.
Den Adlern' soll man es danken,
Daß sie bewahrt seine Kron' —
Dem König, daß seine Gedanken
Wie Adler umkreist seinen Thron.
Zwei Schiffe
Um Mitternacht zwei Schiffe floh'n
Vorüber still wie Särge:
Wer ahnt es hier, daß ein's den Sohn,
Daß ein's die Mutter berge?
Er eilt nach manchem Sturmesbraus
Die Mutter zu umfassen;
Sie hat daheim ihr stilles Haus,
Nach ihm zu späh'n, verlassen.
Sie weiß nicht, wie ihr da geschehen!
Ihr Aug' ist tränentrübe —
Er fühlt ob seinem Herzen weh'n
Den Geist der Mutterliebe.
Und immer weiter, weiter floh'n
Die Schiffe, still wie Särge —
Es ahnt kein Mensch, daß ein's den Sohn,
Daß ein's die Mutter berge.
Drei Söhne
"Sei ruhig, Weib, mag auch ein Pfeil
Im Kampf mich arg verwunden,
Ward mir ein Zauberspruch zu Teil,
Der macht mich schnell gesunden —
Wenn nur mein Sohn den Zauber spricht,
Zerstückten Herzens sterb' ich nicht."
Er zieht zur Schlacht, und kehrt zurück
Und mit zerstücktem Herzen,
Gebrochen fast ist schon der Blick,
Doch scheut er nicht die Schmerzen.
"Dich ehr' ich, Kind, sprich aus geschwind
Den Zauber, eh' die Zeit verrinnt." —
"Soll ich ein Tor sein — soll ein Wort
Mich hindern jetzt zu erben?
Dich traf der Pfeil — es ist kein Mord,
Wenn ich Dich lasse sterben."
Der Ält'ste schwieg, ihm war bekannt
Das Wort, das hätt' den Tod gebannt.
Der Vater ruft: "Zum längsten Fluch
Hab' ich nicht Zeit die Stunde —
Mein Zweiter, komm, sprich Du den Spruch
Ob meine Todeswunde.
Ich war der treu'ste Vater Dir,
Eil', treues Kind, denn weh wird mir."
Der spricht den Spruch mit treuer Hast
Und stets von Neuem wieder,
Doch strömet fort und ärger fast
Der heiße Blutstrom nieder.
O Weib, o Kind, wie matt bin ich,
Der Zauber täuscht mich fürchterlich.
Der täuscht Dich nicht, die Mutter spricht,
Mein Schweigen muß ich brechen:
Der jetzt sprach, ist Dein Same nicht,
Laß Deinen Jüngsten sprechen. —
Verstummen soll er, arges Weib!
Nun fahrt zur Grube, Seel' und Leib!
Das Heidekind
Als ich sah mit offnen Blicken,
Fand ich mich in fremder Welt;
Vater warf mich ab vom Rücken,
Mutter sprach: Auf Gott gestellt
Hab' ich's nun; ich will nicht sehen
Hungernd hier mein Kind vergehen.
Und sie gingen, er zur Linken,
Sie zur Rechten, immer fort; —
Sah nicht mehr sein Messer blinken,
Hörte nicht ihr frommes Wort,
Und so stand mit meinem Leide
Ich allein auf weiter Heide.
Vater, rief ich, Deine Waffe!
Nur Dein Messer gib mir mit,
Daß ich mir mein Essen schaffe
Durch beherzten Stich und Schnitt,
Daß ich nicht vor Hunger sterbe,
Ich, Dein einz'ger Sohn und Erbe.
Mutter, rief ich, die Gebete,
Fromme Worte lehr' mich noch,
Daß ich es vor Gott vertrete,
Denn ein Christ das bin ich doch,
Daß ich mit dem Zug der Frommen
Kann zur Himmelstafel kommen.
Doch sie gingen. — Und Gebete,
Waffen sind's, was mir gebricht;
Daß mich Gott und Mensch zertrete,
Bet' ich nicht und morde nicht,
Steh' unschlüssig zwischen Beiden:
Das ist's, was wir Arme leiden.
Der Klausner
Die Klause leer — der Klausner tot,
Gras wuchert auf der Schwelle,
Drin dorrt sein letztes Mittagsbrot —
Draus rauscht so öd' die Quelle. —
Die Erde scharr' ich betend auf,
Den Klausner hinzulegen;
Ein Kreuz von Eichen stell' ich d'rauf,
Und spreche meinen Segen.
Dafür laß ich die Klause mir
Mit ihrem stillen Weben,
Und lebe bis zum Tode hier
Ein dumpfes Träumerleben.
Dann kommt ein Jüngling wohl heran,
Von Gram hinausgetrieben,
Der in der Welt sich umgetan,
Mit Sehnen, Hoffen, Lieben —
Der nehm' die Sandelschuh' mir ab
Und meinen Muschelkragen,
Von Kreuzdornholz, den krummen Stab
Soll er zu Lehen tragen.
Der nehme meine Hütte dann,
Nur dieser soll sie haben —
Der soll so fromm, wie ich's getan,
Den frühem Herrn begraben!
Auch dieser wird ein ehrlich Grab
Im Waldesgrund' erwerben. —
Ein Vierter kommt und löst ihn ab
Im Leben, wie im Sterben.
Die Brautfahrt
Zwei fremde Ritter sitzen im Kahn,
Sie fahren hinab die wallende Bahn;
Der Rhein ist still, der Rhein ist tief,
Ob drin manch verzaubertes Nixlein schlief.
Da spricht der Eine mit goldenem Bart:
"Beim Himmel! das ist eine lustige Fahrt!
Ich fahre hinab nach Köln am Rhein,
Des Bischofs blauäugige Nichte zu frei'n."
Da ruft der Andere mit schwarzem Haar:
"Das ist Deine letzte Fahrt fürwahr!" —
Sie zogen die Schwerter, das Eisen blinkt,
Und in die Wellen der Blonde sinkt.
Allein sitzt der Schwarze auf's Schwert gestützt,
Unheimlich sein düsteres Auge blitzt.
Und fährt er hinab nach Köln am Rhein,
Schwimmt langsam die Leiche hinterdrein.
Der Müde
Wohin, wohin mein Weg?
Ich frage mich selber vergebens.
Ach könnt' ich finden den kürzesten Steg
Aus dem Wirrsal meines Lebens!
Ich zieh' als Wandrer durch's Land
Allein mit meinem Stabe;
Er starrt in der zitternden Hand,
Als trüg' ich ein Kreuz zum Grabe.
Ich sitz' auf meinem Roß;
Es rennt durch die Dämmerungen,
Als hätte ein tückischer Geistertroß
Die nächtigen Pfade umrungen.
Wie bin ich matt, wie bin ich müd'!
Von wannen soll Hilfe kommen?
Gebet und Wein, und Lieb' und Lied,
Sie wollen nimmer frommen.
Wo soll ich hin, wo find' ich Ruh'?
Laß, Mutter, mich aus den Armen,
Dann schließ' ich gern die Augen zu
Und der Tod, der Tod hat Erbarmen.
Der Irrwisch
Ein Irrwisch taucht aus dem dunklen Moor,
Er geht als ein weinendes Kind hervor.
Sein Haar ist naß vom nächtlichen Reif,
Um's Hälschen zieht sich ein blutiger Streif,
Ja, ja,
Um's Hälschen zieht sich ein blutiger Streif.
Es schwebt und tanzt über Moor und Ried —
Im Dorfe tönt des Nachtwächters Lied.
Das Kindlein tanzt durch die Nacht hin, stumm,
Und tanzt um des Wächters Hütte herum.
Drin schläft ein Mägdlein, schön und bleich,
Und seufzt und träumt von dem tiefen Teich.
Das Kindlein singt draußen: O Mutter, komm!
Es wartet Dein Kindlein, still und fromm,
Komm, komm!
Es wartet Dein Kindlein still und fromm.
Das Mägdlein schläft weiter und träumet vom Teich,
Sie ist die Mutter, schön und bleich —
Teich, Teich —
Es ächzet das Mägdlein schön und bleich.
Schön Anna wacht auf aus dem wüsten Traum,
Sie geht vor die Türe, sie hält sich kaum.
Sie seufzt in die kalte Nacht hinein:
Nachtwächters Töchter sind Nachts allein,
Ja, ja —
Nachtwächters Töchter sind Nachts allein.
Ein Irrwisch flackert und tanzt ihr vor:
Er geht nach Haus in den Teich am Moor.
Im Dorfe tönt Nachtwächters Lied —
Der Irrwisch führt sie zum Teich in das Ried,
Lied, Lied,
Der Irrwisch führt sie zum Teich in das Ried.
Herr Walther erzählt sie dem jungen Blut.
Herr Walther weiß die Geschichte gut:
Blut, Blut,
Herr Walther weiß die Geschichte gut.
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