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VI.
Vermischte Gedichte

 

Der Frühling
An Meißner
Glaube und Unglaube
Die Schwalbe
Mein ganzes Leben ist ein Traum
An einen Knaben
Warnung
Frühes Alter
An eine Frau

Der Frühling


Es schwebt ein Geist ob der Frühlingspracht,
Ich hab' ihn oft belauscht,
Wenn er herab von den Sternen der Nacht
Mit Seraphsfittig gerauscht.

Er spricht zum Körnlein im Schoß der Lust:
Nach dem Kirchhof nimm Deinen Lauf,
Und fall' auf der Jungfrau grüne Gruft,
Und keim' als Lilie auf.

Er spricht zum Stämmlein, noch dünn und zart:
So sprosse und wachse nur fort,
Ich hab' Dich zum Kreuze aufbewahrt
Im Walde, am nächtlichen Ort.

Er spricht zum Epheu, im Grund versteckt:
Reck' vor Deine grüne Hand,
Daß sie die morschen Trümmer mir deckt,
Bald stürzt diese feste Wand.

Erinnerung, Tod und Liebe weh'n
Herab von den Sternen der Nacht;
Erinnerung, Tod und Liebe geh'n
Vereint durch die Frühlingspracht.

An Meißner

Ich habe nicht, wie Du, erforscht die Tiefen
Der schaffenden Natur, und ihre Kräfte,
Die schon zur Urzeit ihr im Busen schliefen,
Und heut uns nähren noch durch ihre Säfte.

Auf meinem Dorfe trat sie mir entgegen
Als stilles Weib, als eine Hausfrau sittig,
Sie weihte mich durch ihren Muttersegen,
Und lieh mir nur des Traumes Schwanenfittig.

Ich sah's, sie lasse nie im Tod erkalten,
Was einmal sie in ihre Hut genommen;
Ich schwor's, an ihrer Brust mich festzuhalten,
Und in mir ist kein Fünkchen noch verglommen.

D'rum macht's mir Schmerz, seh' ich von Alpenpfaden
Zurück Dich kehren, grollend mit den Bergen,
In trüben Liedern blutend Dich entladen,
Vergleichend grüne Höh'n mit schwarzen Särgen.

Hat manche Glocke nicht aus hundert Tälern
Gepocht an's Herz Dir? — Hättest Du die Pforte
Geöffnet nur den pilgernden Erzählern,
Du hättest Dich erlabt am Pilgerworte.

Die Alpenrose nickte Dir vertraulich,
Doch hast Du nicht ihr duftend Lied genossen?
Der Felsen-Talapoine stand beschaulich —
Was hast Du Deine Seele nicht erschlossen?

O Freund! die Flecken, die das All entstellen,
Die dankt es nur dem hassenden Geschlechte,
Indes Natur mit Blicken sonnenhellen
Durchleuchtet ihre, so wie unsre Nächte.

Glaube und Unglaube

Ein Wand'rer zieht durch Wüstenräume,
Da winkt kein gastlich frohes Haus;
Im Herzen gingen ihm die Träume,
Im Schlauche ging das Wasser aus.

Das Herz ist öd' und wie verrostet,
Der Mund ist dürr, der Leib ist krank;
Ihm ist's, als hätt' er nie gekostet
Des Quelles labevollen Trank.

Vergessen ist, wie er ermattet
Sich einst am Waldquell hat erfrischt;
Vergessen, wie ihm baumbeschattet
Natur einst reichlich aufgetischt.

Doch naht er der Oas' indessen
Mit ihrem quellenreichen Grün,
In ihrer Hut wird er vergessen
Der Wüste arge Reisemüh'n.

Ihm ist's, als hätt' er nie gelitten
Des Durstes markdurchglüh'nden Brand,
Als hätt' er ewig so inmitten
Geruht von einem Friedensland.

Und doch muß er den nächsten Morgen
Schon fürder zieh'n, wo's wüst und fahl,
Und ist genugsam nicht geborgen
Durch seinen Schlauch gen neue Qual.

Der Art gemischte Wandertage
Hat dieses Reiseleben oft,
Da stirbt wie eine Kindheitssage,
Was Du geliebt, geglaubt, gehofft.

D'rauf ruhst Du im Oasenschimmer
Und stolz hebst Du empor Dein Haupt,
Es schlägt Dein Herz, als hält' es immer
Geliebt, gehofft nur und geglaubt.

Denn zu klein ist dies Herz, als müßte
Es tränken Dich zur ganzen Fahrt;
Und groß genug ist keine Wüste,
Daß nicht ein Quell noch Deiner harrt.

Die Schwalbe

Was bist Du anders, armes Herz,
Als wie ein kleines Schwalbennest,
Das, um zu wandern fernenwärts,
So gern die Schwalbe Glück verläßt.

Indes sie flücht'ge, frohe Rast
Genießt in einer Palmenwelt,
Kehrt in das Nest so mancher Gast,
Der eine tolle Wirtschaft hält.

Es kommt der Frost, das kleine Haus
Ist bald zerrissen und verheert;
Dann kommt der Sturm, der wild hinaus
Die letzten weichen Flaumen kehrt.

Und kehrt die Schwalbe in ihr Haus,
Ist es zerrissen und zerwühlt,
Daß in den Trümmern ihres Bau's
Sie nimmermehr sich heimisch fühlt.

Mein ganzes Leben ist ein Traum

Ein Pfeil ist mir in's Herz gesprungen,
Das dröhnt und dröhnt noch jetzt zur Stunde
Und blutet jetzt noch meine Wunde:
Das ist das Lied, das ich gesungen.
Das klingt in wenig Jahren kaum;
Mein Weh und Ach,
Wer singt es nach:
Mein ganzes Leben ist ein Traum.

Ein armes Mädchen ward begraben,
Ich hab's geliebt und glaub' noch heute,
Es war ein frohes Brautgeläute,
Das damals sie geläutet haben.
Wie's tönet um den Waldessaum,
Es kam und floh
Die Liebe so:
Mein ganzes Leben ist ein Traum.

Ein Bruderherz schlägt mir entgegen;
Ich liebe Dich und Du bist ferne,
An Deinem Herzen möcht' ich gerne
Mein Haupt zur kurzen Ruhe legen;
Und zwischen uns welch weiter Raum!
Wann kommst Du mir?
Wann komm' ich Dir?
Mein ganzes Leben ist ein Traum,

Du heil'ges Weltmeer, Weltgeschichte!
Ich stieg in Deinen Busen nieder
Und freiheitshoffend kehrt' ich wieder
Und sah begeisternde Gesichte!
Wie? oder war's nur weißer Schaum,
Der kommt und geht
Und schnell verweht?
Mein ganzes Leben ist ein Traum.

An einen Knaben

So frühe schon, Du armes Kind,
Mußt Du die kranken Augen hüten,
Mußt fürchten jeden Frühlingswind
Und scheu'n den Lenz, den lichterglühten.

Du darfst nicht freien Auges seh'n
Den Lenz im sprossenden Gepränge,
Mußt tiefgesenkten Blickes geh'n
Durch Blumen, Blüten und Gesänge.

Des Kindes Recht, mit heitrem Blick
In's Gottesauge, Lenz, zu schauen,
Hast Du verloren; — das Geschick,
Ach! es verdient nicht Dein Vertrauen.

Doch ist zu tragen der Verlust,
So lange noch mit seinem Lichte
Der Frühling wohnt in Deiner Brust,
Die Unschuld mit dem Lenzgesichte.

So lang' Du kannst in Dir erschau'n
Den heitern, ungetrübten Schimmer,
So lange nicht mit frost'gem Grau'n
Dein Auge fällt auf inn're Trümmer.

Mein teures Kind, ich segne Dich,
Daß niemals Deines Geistes Auge
Vor grellem Licht zu schützen sich
Auch eines argen Schirmes brauche;

Daß Du nicht rückbebst vor dem Licht,
Das gern durch unsres Herzens Spalten
Fahl, farblos und enttäuschend bricht,
Wenn seine Mauern schon veralten.

Den einen Schirm nur wahre Dir:
Den Glauben für der Seele Blicke,
Daß Dir verhüllt sei für und für
Der Menschen Trug und kalte Tücke.

Warnung
(An H. L—u.)

Nun ist's vorbei! — nun kommt der Frühling wieder,
Mit allen Winterschmerzen ist es aus!
Berauschen sollen mich der Lerche Lieder,
Beruhigen das Reh im grünen Haus.

Ich war beengt nur von den dumpfen Mauern,
Und meine Seele litt am Winterfrost;
Vergessen will ich nun das alte Trauern
Im grünen Wald, wo Alles singt und sproßt.

Du armer Tor, Du willst Dich selbst betören,
Du kennst den Schmerz und kennst Dich selber schlecht,
Den können Blumen, Lerchen nicht beschwören
Und erst im Frühling blüht und singt er recht.

Wenn alle Blüten, alle Knospen treiben,
Hebt zwischen Blumen er sein Haupt empor;
Wenn Lerchen jubeln, kann er still nicht bleiben,
Du hörest seine Stimme mit im Chor.

Nicht täusche Dich! — Der Frühling kann nur frommen,
Ihm aufzulockern tiefer noch das Herz;
Du fühlst es bald — es wird Dich überkommen
Noch schmerzlicher als Herbst- und Winterschmerz.

Frühes Alter

Ach altern fühl' ich meine Seele,
Ermatten meines Herzens Schlag,
Die schönen Sünden, holden Fehle,
Sie fallen ab mit jedem Tag.

Das bunte Kleid, die Burschenkappe
Vertauscht mein Geist mit ernstem Schnitt;
Die Phantasie, einst wilder Rappe,
Geht einen reisemüden Schritt.

Unwiderruflich welkt die Rose
Und ihre Wiege wird ihr Grab,
Die welken Blätter flattern lose,
Der Jugend Träume fallen ab.

Kein Frühling kehret dem Gemüte,
Der einmal aus dem Herzen schied,
Nur Einmal stand Dein Herz in Blüte,
Nur Einmal sangest Du ein Lied.

Du bist kein Baum, der ein Jahrhundert
Sich stets in neue Ringe schließt,
Den jeder neue Lenz verwundert
Mit Vogelsang und Blüten grüßt.

Kein Frühlingsring, nur starre Rinde
Ist, was die Jugend um Dich zieht —
Ach glaube nicht dem frohen Kinde,
Das bald sich auch betrogen sieht.

Schon blüht ihm noch das letzte Veilchen,
Singt ihm die letzte Nachtigall —
Ach harre noch ein kurzes Weilchen,
Dann fahl und stille überall.

An eine Frau

O eitles Weib, Du hast die Heiligkeit
Von Deinem Schmerz zu leerem Tand entweiht,
Bewahrst mit eitler Sorgfalt krank und blaß
Die Wangen und die Augen tränennaß.

Denn Deiner Seele ist der Schmerz, o Weib,
Was schwarzer Samt ist Deinem schönen Leib;
Was Dir im Lockenhaar die Perlenschnur,
Ist Dir im Augenpaar die Träne nur.

Vergiß Dich nicht! — Ein Pilger ist das Leid
Und herbergt gern, wo ihm ein Haus bereit,
Und weil Du scheinst des Pilgers gastlich Haus,
Kehrt bald er ein und zieht sobald nicht aus.