Gestalten der Einsamkeit
1841
Ein Weib ist Einsamkeit, ein schönes, das in Schleier
Der dunkeln Lockennacht einhüllet ihre Freier,
Dem dunkle Augen glüh'n, die an die Sterne mahnen,
Die aus kristallner Bahn gestürzt auf dunkle Bahnen.
Sie ist die Königin, die ihre Kron' vergraben,
Wo ihre Augen dann Grabtau geweinet haben.
Sie hat ihr Zeptergold mit Waldesmoos umschlungen,
Und statt mit Purpurpracht mit Nebeln sich umrungen.
Ihr Page ist der Traum, der ihr die Lust kredenzet,
Und ihr die Blume pflückt, wenn ihrem Reich es lenzet, —
Er reicht ihr Nachts den Samt, darauf ihr Haupt zu legen,
Und spricht das "Amen!" ihr bei Früh- und Abendsegen.
Ich lag ein Flehender vergebens ihr zu Füßen: —
Sie hat mich nicht umweht mit ihren Friedensküssen,
Mit ihrem Zepter nicht verscheuchet die Gedanken,
Die, eine Rabenschar, auf's Haupt mir niedersanken.
Es wollen Schatten nicht von meiner Ferse fliehen,
Ich mag durch Waldesnacht, ich mag durch Täler ziehen,
Es hüllt sie Morgengrau'n in trauernde Gewande,
Es bannt sie Mondenschein aus fernem Geisterlande.
Ich seh' an dürren Stamm den Königsaar geschmiedet,
Als wär' sein Fittigschlag vom Sonnenflug ermüdet —
In seinen wilden Ruf ertönt ein nächtig Heulen,
Als wär' ein Uhu er, des Nachts gehöhnt von Eulen.
O Hölderlin! Dein Geist, kann je die Nacht ihn knechten?
Kann Nacht mit Lichte je, kann Licht mit Lichte rechten?
Kann heller Schilderklang, Du edler Frithjofssänger,
Sobald wie Unkenruf vertonen, bang und bänger?
Wird so zu Dornen schnell ein Rosenkranz der Locke?
Und klingt die Abendruh' von Trümmern einer Glocke?
Und wer die Blume pflückt mit lenzigem Entzücken,
Muß Mandragoraruf mit Wahnsinn ihn umstricken?
O bettelarmer Trost, daß doch die Rose leuchtet,
Wenn sie der schwere Tau aus düstrem Aug' befeuchtet!
Und daß, ein armer Mönch, des Menschen Geist muß wallen,
Bis er durch Nacht gelangt zu ew'gen Lichtes Hallen!
An Friedrich Bach
Ich habe Dich erkannt, und manche Blume schoß
In meiner Seele auf, die süßer Tau begoß.
Denn Dein-Erkenntnis war's, das mir im Herzen tief,
Wie erstes Lenzesweh'n, gar manche Lieder rief.
Und könnt' die Blume sich um ihren Stengel dreh'n,
Und dankerfüllt nach ihm, dem frommen Gärtner, seh'n:
Sie könnt' ihm süßer nicht nachsenden ihren Duft,
Als Dich mein tiefstes Lied mit seinem Hauche ruft.
Du hast die Runenschrift der Felsen mich gelehrt,
Und hast den Selam mir der Blütenwelt erklärt;
Und ist Dir auch der Quell des Berggeists Träne nur,
Und klagt Dir auch die Ros' den Dolchstich der Natur;
Und siehst im Leben Du auch nur die Bahn zum Nichts,
Und in dem Blütenflor den Trug des Traumgesichts;
Und hörst Du auch im Strom ein stetes Abschiedslied,
In Falters Flügelschlag die Seele nur, die flieht:
Doch während selber Du vor ew'gem Tode bebst,
Mit Deinem Brüten selbst das All um Dich belebst;
Doch wie Du aus dem Lenz die Todesahnung spinnst,
Gibst Du die Seele ihm, um dessen Tod Du sinnst.
Du hast vor Liebe mich und ihrem Gift gewarnt,
Und Dich, Laokon, hat sie so fest umgarnt. —
Die Poesie ist krank, weist von der Schwelle sie!
Sie sollt' es sein, und stört des Lebens Harmonie.
Und doch stirbst Du dahin, ein einsam schöner Klang,
Wenn nicht des Lebens Puls Dir tief zu Herzen drang.
Ich habe Dich erkannt — und lernte es versteh'n,
Wie man als eine Welt kann durch die Welten geh'n.
Warum tief im Verlies erklang manch schönes Lied,
Warum auf Trümmerschutt die sinnigste Blume blüht.
Ein Grab zu Töplitz
Eiche zwischen Leichensteinen,
Schwach an Zweigen, arm an Blättern,
Schien mir nur der Tau zu weinen
Und zu predigen den Wettern.
Um die Krone ihr zu schweben
Schien ein Schwarm von Liederseelen,
Und der Baum begann zu leben
Und also mir zu erzählen:
"Lag vielleicht auf fernen Hügeln
Nur ein leichtes Körnlein Samen,
Schwalben, die gezogen kamen,
Trugen mich in ihren Flügeln.
Zog so fort von Ort zu Orte,
Hörte lust'ge Wanderlieder,
Und im Neste Liebesworte,
Bis ich fiel am Grabe nieder.
Meiner Wurzeln feste Klammer
Hält nun einen Sarg zusammen,
Und aus enger Herzenskammer
Freudig meine Zweige stammen.
Denn im Dichterherzen fuß' ich,
Dem mir also nah' verwandten,
Aus dem Herzen rausch' den Gruß ich
Allen Wallern und Verbannten.
Oben rausch' ich Grüße nieder,
Fußend doch im toten Herzen:
Und so waren seine Lieder
Frohe, schwebend über Schmerzen."
Was also zu mir gesprochen,
Dichterherzen war es eigen;
Einen Wanderstab gebrochen
Hab' ich mir von jenen Zweigen.
Solch ein Stab soll mich begleiten —
Tröstende Reliquiengabe! —
Wandern mir und Leben deuten,
Weil er wuchs auf Seume's Grabe.
Der Verkannte
Noch ein Freund ist Mondschein meinem Leben!
Seinen Namen will mein Lied nicht nennen,
Um den heil'gen Schleier nicht zu heben,
Den ihm umwarf märtyrhaft Verkennen.
Der Dreimaster lieget still im Hafen,
Weiß das Volk, wie ihn der Sturm durchwühlte?
Flammenaugen, die in Weh entschlafen,
Künden nicht, wie sie die Träne kühlte.
Wenn er sinnend durch die Gassen schreitet,
Wer erkennt's, daß er nach Liebe suche,
Daß die Träne, die herniedergleitet,
Völker segne, und Tyrannen fluche?
Aber ich darf ihm am Busen liegen,
Seines Herzens Schwerterschlag belauschen,
Hören seiner Träume Aare fliegen,
Und verborgne Wunderquellen rauschen.
Und mir ist's, als wär' ich wegermattet
Hingesunken an des Berges Fuße,
Wo der Geist, von Einsamkeit umschattet,
Hoffend lauscht dem späten Frühlingsgruße.
Daß er aufersteh' aus seinem Banne,
Daß er greife nach des Baumes Schilde,
Gegen Ost und West den Bogen spanne,
Und verscheuche jene Rabengilde.
Bis dahin wird mancher Glaubensarme
Eines Herzens Heiligtum verachten, —
Bis dahin wird mancher Liebeswarme
Seine Gluten zu ersticken trachten.
An meinen Freund
beim Abschiede
So scheiden wir — ich drücke Dir die Hand,
Ich küsse Dich — so scheiden wir,
Ich reiß' mich los von Dir — von ihr,
Vielleicht auf ewig — nimmer Euch zu seh'n,
Und nimmer Hoffnung der Vereinigung!
Und wenn wir sterben? — Du, und sie, und ich?
Du badest Dich, ein Salamander dann,
Im Flammensee, ein Salamanderjüngling —
Berauschest Dich mit glühenden Gesellen
Im Feuerwein, der Dich umströmt! —
Jetzt Deine Lieder — Flammenjungfrau'n
Sind's dann, die Dich umkreisen wild
Im heißen Bajaderentanz;
Jetzt Deine Liebe — dann die rote Kohle,
Darauf Du ruhst, als einem Divan —
Denn tiefer ist des Ätnas Abgrund nicht,
Als Deine Seele!
Und sie? Durch Tod nicht umgewandelt,
Nur umgezaubert, wird sie brechen
Aus scheuer Knosp' auf Persiens Flur;
Als Rost blüh'n vom West umspielt,
Und Duft verhauchen, Lieb' im Dufte,
Mit Lieb' und Duft umspinnend Bülbül,
Wie einstens mich!
Indes ob weitem, wüsten Meer
Vom Sturm verjagt, wie einst vom Glücke, —
Der Rose fern, wie einst der Liebe —
Ein Schmetterling so einsam flattert;
Denn leichter Sinn und Jugendträume,
Sein Flügelpaar hat ihn getäuscht. —
Was wäre Seligkeit und Hoffnung
Und Liebe — Einigung im All? —
Getrost! — Jahrhunderte vergeh'n,
Doch Liebe nicht, die Zeiten bannt.
Jahrhunderte verschwinden: — Eine Palme,
Die Glut in sich — den Quell zu Füßen,
Eine Sängerin im schatt'gen Laub —
Ihr Spiegel ist der Quell.
Den freien Fels im Ozean
Umranket der Korallenbaum,
Die Perle träumt in seiner Hut — —
Sehnsucht wird ewig Brücken bau'n.
Ostwärts nach Europa's Küste
Segelt geisterstill ein Schiff;
Betet, daß kein Sturm es störe,
Und es hindere kein Riff! —
Betet nicht; denn die Delphine,
Die Arion unversehrt
In der Heimat Schoß getragen,
Halten dieses Schiff auch wert.
Idole
I.
Der Mann.
Ich neige mich vor Deinen Strahlenaugen,
Wie vor der Sonne sich die Blume neigt,
Wenn Himmelsgluten ihr das Herzblut saugen,
Und Weihrauchdüften ihrer Leich' entsteigt.
Wo bist Du, Mann des Wehes und des Segens,
Der Leben mit sich führt und Blütenmord?
Wie nach dem Wetterschlag des Sommerregens
Ein Baum erblüht, des andern Zweig verdorrt.
Wo weilst Du jetzt, daß sich mein Schmerz vermähle
Mit Deinem Lied — denn Dichter bist Du ja,
Daß ich vor Dir ausströme meine Seele,
Wenn ich den Meergrund Deines Herzens sah.
II.
Das Weib
Werd' ich umsonst nicht nach dem Weibe suchen,
Wie sein ein starkes Männerherz bedarf?
Und werd' ich nie der Kindheit Stunde fluchen,
Die ersten Liebeskeim in's Herz mir warf?
Wo ist das Weib, das wie auf's Blumenbette
Sich in die Arme des Naturgotts wirft,
Sich eng umwindet mit der Rosenkette,
Den Dorn im Herzen, ihre Düfte schlürft?
Das durch die Wogen dieses Lebensschaume
Mit weißer, engelreiner Brust sich ringt,
Das, wie die Flamme um den Stamm des Baumes,
Um Mann und Welt die Glutenarme schlingt?
III.
Der Jüngling
Und werd' ich denn ein einsam stiller Siedler
In dieses Lebens düstrem Walde steh'n?
Und wird mein Lied, als wie der arme Fiedler
Was Not tut bettelnd, durch die Straßen geh'n?
Wenn ich in's Kelchglas meines Weines schaue,
Blickt mir hervor ein blondes Jünglingshaupt;
Es glüht sein Aug', es zucket seine Braue,
Es spricht sein Mund, daß er an Liebe glaubt.
Wenn in mir auf die Freudenflammen glimmen,
Ich fühle sie von sanfter Hand geschürt;
Umstricken mich des Schmerzes düstre Stimmen,
Fühl' ich magnetisch meine Stirn berührt.
* * * * *
Es war mein erster Lebensweg gesegnet,
Denn wie auf eines mächt'gen Zaubers Ruf
Sind alle die Gestalten mir begegnet,
Wie sie die dämmrungsschöne Kindheit schuf.
Des Lebens Weh in Träumen auszusühnen,
Hat Lenau's Lied sich meinem Geist vereint,
Die ew'ge Kindheit lacht mir aus Bettinen,
Gib Du die Hand mir, Du mein blonder Freund!
An Anastasius Grün
1841
Erstandner Lenz bist Du genannt;
Fürwahr es ist auch Frühling worden,
Als Du, ein Held im Sängerorden,
Dein Frühlingslied hinausgesandt.
Es war auch jeder Deiner Klänge
Eine Lerche, die gen Himmel stieg,
Es klang auch jeder Deiner Sänge
Wie Jubelton vor Schlacht und Sieg.
Du warst der erste von den Boten,
Die Auferstehung uns verhießen,
Es hörten's in der Gruft die Toten
Und die Gefangnen in Verließen.
Nun sagen sie, Du hast's verschmäht
Dem Bauer auf der Flur zu künden,
Daß, wie er jetzt die Halme mäht,
Der Herr bald durch die Länder geht,
Zu mäh'n die Saat der alten Sünden.
Nun sagen sie, daß Dich die Scham
So niedern Treibens überkam,
Daß unser holde Trost, Dein Lied,
Betrübt aus Deinem Busen schied;
Daß Du nicht mehr dem wahren Gott
Zu Ehren singst der Pfaffen Spott,
Und daß Dein Flügel nun verläßt
Auf freiem Feld das niedre Nest; —
Und daß, o Lerchengeist! vernimm's!
Daß Du nun Deine Wohnung bau'st
An altergraues Schloßgesims
Und gläubig in die Fenster schau'st.
Sie sagen's, doch die Gläub'gen, wir,
Wir glauben, daß Du nimmer schweigest,
Daß Du nur immer höher steigest
In's hohe himmlische Revier.
Bald wirst, Du singend wiederkehren,
Dann werden wir vom Himmel hören;
Doch kehre bald mit Deinem Sang —
Fürwahr die Stille macht uns bang.
An die Freunde
Am Strand des Meeres sitz' ich allein,
Am Strand der schönen Adria —
Ich höre das dumpfe mystische Brausen,
Sein Kommen und Fliehen ohne Unterlaß,
Sein stolzes Rauschen erwachender Flut,
Sein klagendes Murmeln demütiger Ebbe,
Sein Seufzen und Jubeln in Sturmesnot —
Und ich empfind' es in tiefster Seele:
Ein fühlendes, weltumfassendes Herz
Mit redender Stimme und lebendem Pulsschlag
Will sprechen zu einem Menschenherzen.
Es spricht wie des Himmels nächtliche Bläue
Mit ihren Sternen zum Herzen spricht —
Es ist wie des Hohenpriesters Gewand,
Daraus die heiligen Zeichen glänzen.
Und doch, Du schönes, herrliches Meer,
Du unnahbares, undenklich großes,
Du himmlisch reines, herzenbekehrendes,
Doch bist auch Du vom Schicksal geknechtet
Und bist befleckt durch Deine Knechtschaft.
Wohl schmücken Dich völkerbefreiende Flotten,
Doch mußt Du auch tragen das Sklavenschiff;
Wohl wiegst Du des Fischers Unschuldsegel,
Doch auch des Korsaren blutige Wimpel;
Wohl tönt Dir das Liebeslied des Matrosen,
Doch auch der Galeere, des Bagno Fluch.
Dein Frühlingstraum, Dein Lenzgedanke,
Er wird in Dir zum Hain von Korallen,
In Perlen blüht und reift Dein Schmerz;
Doch wird gestört Dein Frühlingsglück
Durch Schlangen, Polyp und häßlich Gewürm.
Und doch, Du hohes, heiliges Meer,
Doch sonnt sich mit trübem und stolzem Bewußtsein
In Deinem Bilde gern meine Seele —
Euch ruf ich's zu, Ihr fernen Freunde,
Die Ihr mit Zweifeln verfolgt mein Herz,
Gespäht nach jedem Flecken der Seele
Und die Ihr nur mit flüchtigen Blicken,
Wie Vögel über die herbstliche Heide,
Dahinfuhrt über die schönsten Stellen
In meinem Herzen und meinem Leben; —
Euch ruf ich's zu, sei's wie das Brausen,
Sei's wie das Seufzen und Klagen des Meers,
Sei's wie die Mahnung erwachender Fluch,
Sei's wie das Murmeln demütiger Ebbe: —
Was Großes und Schönes die Völker verbindet.
Was Herzen bewegt und was sich wieget
In der Einsamkeit ureigener Schönheit,
Zu tragen bereit ist's die kleine Welle
Des großen Weltmeers, meine Seele,
Wie seine Flotten das Weltmeer trägt,
Sein Fischersegel, sein Liebeslied.
Und was darüber — das ist die Last
Tyrannischer Willkür und ewiger Knechtschaft,
Vom Leben und Schicksal uns aufgebürdet
Und die wir zu tragen verdammt sind — Alle.
O kommt an's Meer und seht in die Bläue,
Der Himmel blickt aus seinen Tiefen —
Trotz ihrer ewigen Befleckung,
Aus Meer und Herzen blicket der Himmel.
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