weiter
 


Die Elegie Gedichtform
 

IX.
Böhmische Elegien

 


                           1.

Unglücklich bist Du und Du schweigst,
Drängst tief in Dich hinein den Kummer,
Wie todesmatte Greise neigst
Dein Haupt Du träumeleerem Schlummer.

Du hast Dich selber einst genannt,
Zur Zeit der rächenden Hussiten,
Das heilige, gelobte Land —
Du hast wie jenes viel gelitten.

Auch Dich, wie jenes, hält die Ruh',
Die starre Ruh' des Todes nieder;
Du Märtyrer der Völker Du,
Wann wirst Du auferstehen wieder?!

Zwar zieh'n, wie Palästina's Kind,
Die Deinen nicht gen Süd und Norden,
Doch in der eignen Heimat sind
Sie heimatlos und fremd geworden.

O Böhmen, armes Mutterherz,
Wie traurig schleichen Deine Söhne,
Im Aug' jahrhundertalten Schmerz,
Doch ohne Wort und ohne Träne.

Zum Walde seh' ich ziehen dort
Den Waidmann mit dem Jagdgehänge —
Er singet, doch so singt nicht Mord —
Wie trauervoll sind diese Klänge! —

Heut bist Du sicher, Hirsch und Reh —
Der jaget wohl nach andrem Wilde,
Er sucht die Spur von seinem Weh
Und jagt nach einem Schattenbilde.

                           2.

Verkannt ist Alles, was Dir blieb,
Verkannt ist Deine Rache,
Verkannt Dein Haß und Deine Lieb',
Verkannt ist Deine Sprache.

Sie ist so wie das Rauschen wild
In Deinen Tannenhainen,
Und wie der Schwestern Klagen mild,
Die Warschaus Fall beweinen;

Schleicht nicht wie Schlangen mit Gezisch
In unbewachte Ohren,
Wie jene, die sich heuchlerisch
Des Zaren Sklav' geboren.

Sie dröhnet wie der eh'rne Fuß
Anstürmender Hussiten,
Und tönet wie das Lied des Huß
Aus seiner Flammen Mitten.

Sie grollet wie die Trommel, dumpf,
Bedeckt von Zizka's Felle,
Und rollet hin wie Thurn's Triumph
An seines Kaisers Schwelle.

O meiner Mutter Wiegenlied,
Das mich in Schlaf gesungen,
Du bebst wie Luft durch's stille Ried
In Abenddämmerungen!

O des Rekruten Kriegsgesang,
Als er das Dorf verlassen —
Du wehst um meine Seele bang,
Wie damals durch die Straßen!

                           3.

Dein Volk ist nicht wie jener Huß,
Der sich den Holzstoß hat erkoren;
Es gleichet dem Hironymus,
Der seinen Glauben abgeschworen.

O Volk, so hast Du durch Verrat
Ein schmachbedecktes Sein gefristet;
Man stahl Dir Deine schönste Tat,
Man hat Dich pfäffisch überlistet.

O Böhmens Volk! — das heil'ge Korn,
Das Du in alle Welt gegossen,
Dir bracht' es rosenlosen Dorn,
Du hast die Früchte nicht genossen.

Aufblüht' es im Cevennenland
Und in den Talen der Provenze,
Der Albigenserstreiter wand
Daraus sich ew'ge Märtyrkränze.

Aufschoß es spät im deutschen Land
Und seine Frucht ward heimgetragen
Von jenes Mönches kühner Hand,
Dem, wie dem Huß, das Herz geschlagen.

Doch Du? — du kniest demütig jetzt
An den entweiheten Altaren,
Dahin mit Hunden man gehetzt
Der Väter geißelwunde Scharen.

O Volk, dem man den Gott geraubt,
Das tausendfacher Fluch getroffen,
Du hast umsonst geliebt, geglaubt,
Wie wagt es noch Dein Herz zu hoffen?

                           4.

Dreimal unselig Volk, Dein Leid
Bewegt kein Herz mehr, daß es weine,
Es ist ein Leid aus alter Zeit
Und gleicht bemoostem Leichensteine.

Beweint wird Polens junges Weh,
Weil es in Warschaus Schutt noch glutet;
Du bist im Wald ein totes Reh,
Das längst und langsam sich verblutet.

O Gott, die Weißenbergerschlacht
Erreicht wohl Ostrolenka's Trauer,
Und die daraus gefolgt, die Nacht
Hat trüb're als Sibiriens Schauer.

Ruhmlos zieht durch die Welt Dein Gram —
Kein Dichter wagt es laut zu trauern,
Er fühlet seiner Knechtschaft Scham —
Die Harfe hängt an öden Mauern.

Musik, Musik, das Mägdlein mild,
Sie blieb allein noch Deinen Söhnen,
Sie zieht in's weiteste Gefild
Und bettelt um des Mitleids Tränen.

Sie machet über Belt und Sund
Und zum Ohio Bettlerreisen,
Und singt und klagt die Herzen wund
Mit den geheimnisvollen Weisen.

Und wenn beim Klang der Normann weint,
Die Wilden sich der Tränen schämen,
Sie wissen nicht, daß sie, vereint,
Nur Dich beklagen, armes Böhmen! —

                           5.

Als noch der Wolf auf Deinem Bühle,
Der Aar gehaust in Deinen Lüften,
Der Bär in Deiner Wälder Kühle,
Da glichst Du noch nicht toten Grüften.

Da wohnten noch die unerschlafften,
Die sittigschlagenden Gedanken
In Deiner Brust, die Leidenschaften,
Die Kraft mit ihren wilden Pranken.

Die Aare sind nun längst verschwunden,
Und Wolf und Bär sind lang' vertrieben,
Die wilde Kraft ist überwunden;
Du armes Land, was ist geblieben?

Nur hie und da in Felsenhöhlen
Wohnt noch der Fuchs mit seinen Tücken,
Und hie und da in armen Seelen
Die Lift mit ihren Heuchlerblicken.

Die List allein! — das Kind der Schande,
Von Tyrannei und Schmach geboren,
Zeigt auf die dürftigen Gewande
Und bettelt vor den gold'nen Toren.

Bedeck' mit Deinem Sterbekleide,
Bedeck', o Böhmen, Deine Augen!
Zu seh'n ihr Kind verderbt im Leide,
Nicht will es einer Mutter taugen.

Doch Not ist eine schlechte Amme,
Und Hunger kann nicht schwelgen sehen;
Gen Wien loht meines Zornes Flamme,
Dir gilt mein Klagen, nicht mein Schmähen.

                           6.

Das stille Prag, Dein Lieblingskind,
Wie hat ihm stolz das Herz geschlagen
In Zeiten, die entschwunden sind:
Jetzt gleicht's dem Bild auf Sarkophagen.

Du hast es mütterlich geschmückt
Mit gold'nem fürstlichen Gewande,
Ihm hundert Kronen aufgedrückt,
Auf daß es glänze durch die Lande.

Ein Kind von fürstlicher Geburt
Trug's Schwert und Zepter in den Händen,
Und wie ein demantreicher Gurt
Schlang sich der Strom um seine Lenden.

Nun ist es worden grau und alt —
Ein Fürst nach zeitiger Entthronung,
Träumt seine traurige Gestalt
Nun in der öden Trümmerwohnung.

An seinen Kronen nagt der Rost,
Die Königskleider sind verblichen —
Nur eine Stadt hat noch der Ost,
Mit der Du schmerzvoll Dich verglichen.

Ein slavisches Jerusalem,
Das bist Du, wie Dein Kind Dich nennet,
O Prag! das Dich von ehedem
Und das in Deinem Gram Dich kennet.

Du bist es; — denn wie der Prophet
Den Engel sah auf Zion trauern,
Seh' ich den Mond, der weinend geht
Und kummerblaß auf Deinen Mauern.

                           7.

O sähe Gott auf Dich hernieder
Und ließe von de n Tränen allen,
Die ich mir träum' um seine Lider,
Auf Dich nur eine einz'ge fallen;

Von jenen heilungsvollen Zähren,
Die trübe Herzen zu ihm senden
Und die in seinem Aug' sich kehren
Zu Balsam, alles Leid zu enden!

Doch fern vom Himmel ist die Erde —
Ein irres Lamm in wald'gen Wüsten
Verhallt Dein Ruf dem Herrn der Herde,
Vergehst Du fern der Mutter Brüsten.

Er hat Dich einsam sterben lassen. —
Der Herde gilt des Hirten Sorgen;
Vergeh' das Lamm auf öden Straßen,
Ist nur die Herde wohl geborgen.

Was hebst Du klagende Beschwerde? —
Vergaßest Du die Interdicte?
Daß aller Fluch der alten Erde
Dein büßend Haupt darniederdrückte?

Sei stolz, daß Dich die Götter hassen!
Ihr Fluch traf stolze Königshäuser,
Titanen, die den Himmel fassen,
St. Peters schwerster Bann traf Kaiser.

Wohl fern vom Himmel ist die Erde
Er hat Dich einsam sterben lassen —
Was hebst Du klagende Beschwerde? —
Sei stolz, daß Dich die Götter hassen!

                           8.

O Böhmen, fremdes grünes Blatt
Von einem fremden Wunderbaume,
Nach dem sich sehnt ein Autokrat
In seinem wüsten Kaisertraume,

Gen Westen kehre Dein Gesicht,
Die Freiheitssonne kommt aus Westen;
Siehst Du das junge Morgenlicht
Wie Rosen über Kron' und Ästen?

Im Osten ist es Nacht und kalt —
Auf einem Thron von Bruderleichen
Sitzt dort die blutige Gestalt
Mit ihrem neuen Kainszeichen.

An Deutschlands Halse wein' Dich aus,
An seinem schmerzverwandten Herzen,
Geöffnet steht sein weites Haus
Für alle großen, heil'gen Schmerzen.

Vergiß, vergiß den alten Groll —
Mein deutsches Herz kann Dir verkünden
Auch Deutschland fühlt, das Maß ist voll
Und büßet seine alten Sünden.

Laß mich Dein treuer Herold sein,
Mein Vaterland, in deutschen Landen,
Laß mich mein treues Lied Dir weih'n
Und Deinem Weh, das ich verstanden.

Jetzt steh' ich ferne Deinem Schmerz,
Doch will's in meiner Seele lenzen,
Schickt Dir sein Lied dies Dichterherz,
Die blasse Stirne Dir zu kränzen.