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Quelle:

Kelch und Schwert
Moritz Hartmann
Dichtungen

Leipzig 1845
Verlag von I. I. Weber

Der ich komm' aus dem Hussitenlande,
Glaube, daß ich Gottes Blut genossen —
Liebe fühl' ich in mein Herz gegossen,
Lieb' ist Gottes Blut — mein Herz sein Kelch.

 
Der ich komm' aus dem Hussitenlande,
Glaube an die fleischgewordnen Worte,
Daß Gedanken werden zur Kohorte
Und jedwedes Lied ein heilig Schwert.

 

I.
Innere Stimmen

 

Jubel
Auferstehung
Vorbedeutung
An eine Sängerin
Tau
Nachtigallenschlag
Lied in der Nacht
Trauriger Tag
Seit sie gestorben
Nächtlicher Ritt
An T* * *
An die Tote
Von Ihr
Sechs Poetenaugen
An die Mutter
Der Name
Die Heimat
Ein Lied

Jubel


Leb' ich in Dir? — mein Sinn versinkt,
Natur, ein freud'ger Zecher,
Ein Elfkind, das den Tauwein trinkt,
In Deinem Blumenbecher?

Lebst Du in mir? — die Lilie,
Die aus den Meerestiefen
Des Herzens taucht zur sonn'gen Höh',
Wo Lieb' und Geist sie riefen?

Ich lebe nun ein rasches Sein,
Von Innen und von Außen:
Ein freier Fels im Sonnenschein,
Im Herzen Quellenbrausen.

Auferstehung

Öde starrt die alte Burg,
Drinnen nickt auf morschem Lehnstuhl
Des verschlafenen Vogtes Graukopf —
Rost benagt die Eisenrüstung;
Müde Mähren steh'n im Marstall,
Steine fallen aus den Mauern
Und die Wetterfahnen schrillen. —

Aber plötzlich hebt im Saal sich
Aus dem Schoß des starren Vormunds,
Wo er tändelnd eingeschlummert,
Eines Knaben heller Blondkopf;
Blickt um sich — und von den Blicken
Wiederglänzt des Saales Dämm'rung
Wie im Morgensonnenlicht; —
Reißt die Rüstung von den Wänden,
Panzer, Schild und Morgenstern,
Helm und Lanze und den Flammberg
Putzt er glänzend zu Kristallen.
In den Hof ruft er dem Burgvolk:
Knecht und Knappe, Pag' und Troßbub',
Auf! und striegelt eure Rosse,
Schmücket euch mit neuen Schärpen,
Blüh'nden Blumengirlanden,
Stecket auf die grünen Fähnlein,
Laßt erklingen hell das Jagdhorn,
Öffnet schnell das alte Burgtor,
Daß die Minnesänger kommen,
Die schon an der Brücke harren.

Hei! Wie wird es da lebendig!
Waldhornklang und Harfensang,
Roßgestampf und Schilderschwung,
Fähnleinweh'n und Blumenduft.

Nun beginnt der tolle Zug:
Ihm voran der junge Held;
Prasselnd fällt das Burgtor hinten.
Wie der Lenzmond glänzt sein Helm,
Wie die Sonne brennt sein Schild,
Wie der Tannbaum weht sein Helmbusch.

Geht der Zug durch manche Reihen
Blumbekränzter Liebespaare,
Goldfisch, Schwan und Nachtigall,
Die verwunschenen Prinzessen,
Und die Nymphen, aus dem Erdschloß
Alter widerwärt'ger Gnomen
Durch sein Machtwort zu befreien.

* * * * *

Solche Märchen wehten,
Solche Bilder spielten,
Leichte Schmetterlinge,
Mir um Aug' und Stirne,
Als im holden Maimond
Ich von schneeigen Bergen
Niederstieg zu Tale.
Und es schien, ob stürmend
Sich von jedem Schneeberg
Solche Schwärme stürzten
Alabasterblanker
Blondgelockter Ritter.

Doch warum nur mußt' ich
Meine Blicke senden
Nach den Frühlingsbildern
In ein längst verwehtes
Moderndes Jahrhundert? —

Oder ist die Zeit,
Oder ist das Leben
So gar arm an Bildern,
Die dem Frühling gleichen?!


Vorbedeutung

Als ich im Lenz die erste Schwalb' erblickt,
Gleich Ihr die Kunde bracht' ich, lustentzückt.

Sie aber sprach: Des Frühlings grünes Buch
Enthält in jedem Zug prophet'schen Spruch.

So sagt die Schwalbe Dir, die einsam war,
Daß Du allein noch bleibst auch dieses Jahr.

Allein! Allein! Das ist das trübe Wort,
Das mir am Herzen naget fort und fort,

Das ist der alte, winterkalte Bann,
In dem die Liebe nicht gedeihen kann.

Wie traurig ist's, wenn Alles singt und sproßt,
Sich selbst verzehren in dem alten Rost!

Vor sich des Jahres grüne Pfade seh'n,
Und sie allein mit vollem Herzen geh'n! —

Doch besser ist der prophezeite Schmerz,
Der mit dem Frühling einzieht in das Herz,

Als eines Kummers unverhofftes Gift,
Das unversöhnt zu Tod die Seele trifft.

So grüß' ich Dich, Du heil'ge Einsamkeit,
Du bist das trübste nicht von allem Leid.

An eine Sängerin

Du singst so schön! Was mag die Seele
So sehr, so wehmutsvoll durchbeben —
Wer fragt, was einem Herzen fehle?
Wer fragt nach einem Liederleben? —

Verbirg Dich tief in Einsamkeiten!
Doch laß aus blühendem Gemüte
Auf's Volk, auf uns herniedergleiten,
Wie Rosenbäume, Duft und Blüte.

Nie soll ein Herz mehr offenbaren
Von seinem schmerzgezwungnen Schweigen,
Als wie der Baum, wenn Herbste fahren
Mit trübem Klang in seinen Zweigen.

Tau

Die Blumenkrone glänzt befeuchtet
Von einer Träne. Bald
Nimmt sie die Sonne, wenn sie leuchtet,
Mit strahlender Gewalt.

Die andre in der Brust der Blume,
Die raubt nicht Sonnenglut,
Die bleibt in ihrem Heiligtume,
Und wird der Blume Blut.

Gibt's Tränen, die der Menschen Freude
Leicht von der Wange küßt;
Gibt's manche noch, die mit dem Leide
Vor keinem Strahl zerfließt. —

Nachtigallenschlag

Gehüllt in tiefe Finsternis
Ruht Feld, und Wald, und Garten,
Vergebens scheinen Blum' und Baum
Auf Mondeskuß zu warten.

Unsichtbar fällt der Tau herab —
Glanzlose Reuezähren,
Wie sie ein schuldvoll Menschenherz
Für langes Leiden nähren.

Am Himmel stehen unbewegt
Gewitterschwere Massen, —
Gedanken, die von Lieb' und Lust
Kein Herz durchdringen lassen.

Da tönt vom nahen Hain zu mir
Ein wundervolles Tönen —
Vergessen, Blume, Wolk' und Baum,
Und unsichtbare Tränen.

Es war im Hain die Nachtigall,
Die sich in Liedern wiegte,
Und allen schweren Traum der Nacht
Durch ihren Klang besiegte.

Und wie sie klagte durch die Nacht
Die seligen Minuten,
War mir's, ob Reu' und Schmerz in mir
Und allen Herzen ruhten.

So als das Nachtigallenlied,
Dein Leben zu mir tönte,
Und meine Nacht und meinen Schmerz
Mit Einem Klang versöhnte!

Nun wurden Wochen, Monde schon
Die seligen Minuten,
Seit mir im Herzen Reu' und Schmerz
Im Zauberschlafe ruhten.

O daß sie nicht verklängen schnell,
Die holden Liebeslieder!
O kling' in Liebe fort, mein Herz!
Sonst wird es dunkel wieder.

Gedanken kehrten wieder bald,
Die wie die Wolken wären,
Und ungeliebte Blumen gäb's
Und unsichtbare Zähren.

Lied in der Nacht

Sind's Leiden, sind's Freuden,
Was in'mir erwacht?
Du hast es gewecket,
Du sollst es entscheiden,
O herrliche Nacht!

Wer kann es bestimmen,
Was Herzen bewegt!
Die Leiden, die Freuden,
Wie leicht sie verschwimmen,
Das weiß, wer sie trägt.

Was frommt es zu lauschen
Der Nachtigall spät
Und den Bäumen, die rauschen;
Sind's Leiden, sind's Freuden,
Ist's Klag', ist's Gebet?

So stimmet allmälig
Die Seele mit ein
In Leiden und Freuden,
Jetzt traurig, jetzt selig,
Jetzt Beides zu sein.

Du schaffendes Wesen,
Dir sei es vermacht,
Du Zauber der Träume,
Das Rätsel zu lösen.
Wohlan, gute Nacht!


Trauriger Tag

O Gott, wie bin ich traurig heute,
Wie überwältigt es mich wieder:
Es tönt um mich wie Grabgeläute,
Darunter klingen Liebeslieder.

Es tönt um mich, wie jene Glocken,
Als sie Dich trugen von den Deinen,
Als meine Augen starr und trocken —
O Gott, ich konnte ja nicht weinen.

Es tönt um mich, wie jene Lieder,
Die ich gesungen, liebeselig —
Es stieg mit Dir mein Glück hernieder
Und meine Lieder auch allmälig.

Sonst ist es tonlos mir im Innern;
Nur manchmal wehet, so wie heute,
Durch meine Seel' ein Deinerinnern
Als Liebeslied, als Grabgeläute.

So tön' es fort! — In meiner Stube
Will ich mich heimlich heut' verschließen,
Als läg' ich einsam in der Grube;
Und lasse meine Tränen fließen.

Seit sie gestorben

Seit sie gestorben, ist mir Eins gewiß:
Daß es ein Ewiges muß geben,
Denn über meines Herzens Riß
Fühl' ich ein ew'ges Leiden schweben,
Seit sie gestorben.

Seit sie gestorben, bin ich stolz und kühn: —
Ich weiß es nun, was Herzen tragen;
Was sind mir fürder alle Müh'n?
Was gibt es ferner noch zu wagen,
Seit sie gestorben?

Seit sie gestorben, lebt im Herzen mir
Ein Bild der heiligsten Verklärung,
Bin ich ein Baum, den für und für
Die Heil'ge schützet vor Zerstörung,
Seit sie gestorben.

Seit sie gestorben, ist ein fester Wall
Von Einsamkeit um mich gezogen,
Vergebens ist der Überfall
Der Freuden, die mich rings umwogen,
Seit sie gestorben.

Seit sie gestorben, hat die tiefste Ruh'
Sich heimisch in mein Herz gesenket,
Die Seele schließt die Augen zu
Und ahnt und träumt mehr, als sie denket,
Seit sie gestorben.

Nächtlicher Ritt

Ich reite einsam durch die Nacht,
Mein Roß selbst scheint zu fühlen
Des Mondes heil'ge Weihemacht,
Und sich im Tau zu kühlen.

Der tau'ge Nebel steigt im Tal —
Das sind der Erde Tränen,
Die traumhaft mit dem Himmelsstrahl
Sich zu vereinen sehnen.

Und friedvoll Alles, was da sprießt
Im stillen Pflanzenleben;
Die Welle, die um Blumen fließt,
Kann nur in Liebe beben.

Mir aber zeigt der Mondenschein
Ein Ziel, nach dem ich trabe,
Es ist der weiße Leichenstein
Auf einem Mädchengrabe.

O daß es immer hin mich zieht
Nach einem Kirchhoffrieden,
Und daß mich mahnt jedwedes Lied
An's Glück, das längst geschieden!

Daß man's nicht wieder fassen kann,
Was einmal Freuden brachte!
Und daß man nimmer lassen kann,
Was einmal elend machte!

Der ersten Liebe Mondenlicht
Kann keine Macht vernichten;
Es blickt ihr weinend Kindgesicht
Durch Leben und durch Dichten.

Glückselig Jener, dessen Herz
Verlor kein erstes Lieben —
Und dreimal selig, wer im Schmerz
Sich selbst getreu geblieben.

Mein Rößlein, trabe immer zu!
Ich werde nie gesunden —
Die Liebe läßt mir nimmer Ruh'
Mit immer neuen Wunden.

An T* * *

I.
Uns trennen keine Fernen, keine Meere,
Und keine Lasten eines harten Spruchs —
Uns trennt das Leben mit der ganzen Schwere
Des hergebrachten, alten, schalen Fluchs.

So bleibe Du in Deines Hauses Kreisen,
In seiner frommen Stille schlummre Du!
Ich will die Welt kometenhaft durchkreisen,
Und flieh'n und kommen, ohne Rast und Ruh'.

Du bist die Perle in des Meeres Grunde,
Reifst leidend auch entgegen Deinem Glanz —
Ich bin der Mastbaum, der in nächt'ger Stunde
Vorübertreibt auf wildem Wellentanz.

Du bist das Gold, das zwischen Felsenriffen
Ausspendet durch die Nacht sein mildes Licht —
Ich bin das Eisen, das zum Dolch geschliffen
In's Feindes-Herz auf seiner Irrfahrt bricht.

So lebe wohl! Ich sehe bald Dich wieder!
O, daß der Trennung Weh ich fühlen muß,
Daß mir im Herzen klingen Scheidelieder
Bei jedem Wiederseh'n und seinem Kuß!

Enträtselt ist mir nun die alte Klage
Vom tiefsten Weh im höchsten Liebesglück —
Du gabst mir gold'ne, glückdurchstrahlte Tage —
Nun sie entfloh'n — bleibt Nacht und Schmerz zurück.

II.
Ich liebe Dich, und das ist Alles,
Was Dir mein Herz gestehen kann.
Ich rede kurz, denn ich bin Mann,
Was braucht es auch des längern Schalles!

Und noch zu viel — o könnt' ich schweigen,
Und mich verschließen fort und fort,
Und Dir aus keinem einzigen Wort
Das Inn're meines Herzens zeigen.

Wild ist der Sturm und wild mein Leben
Und trüber, als es ahnt Dein Herz —
Ach groß genug ist schon Dein Schmerz,
Was sollst Du noch für Andre beben?

Es ist Dein Herz wie eine Hütte
Im Elend selber ruheschön;
Es soll auflodernd nicht vergeh'n
In meiner Liebe Flammenmitte.

Und nie verzieh' ich's meinem Herzen,
Wär' ich's, der frech heraufbeschwört
Den Geist, der Dich unwürdig stört
In Deinen großen heiligen Schmerzen.

An die Tote

Ich möchte bitter weinen,
Daß Du gestorben bist,
Und doch will es mir scheinen,
Daß es so besser ist.

Es wär' Dein schöner Glaube
Zerfallen in der Welt,
Gleichwie im Herbst zu Staube
Des Frühlings Rose fällt.

Dich hätte jeder Kummer
Leicht wie ein Rohr gebeugt,
Wohl Dir in Deinem Schlummer,
Wo selbst das Träumen schweigt.

Von meinem heißen Lieben,
Das nun für ewig Dein,
Wär' nur Dir übrig blieben
Des Treubruchs Schmerz allein.

Ich möchte bitter weinen,
Daß Du gestorben bist,
Und doch will es mir scheinen,
Daß es so besser ist.

Von Ihr

Fern von Gottes Herzen,
Ihrem Heimatland,
Ist die Seele einsam
An die Welt gebannt.

Ein geheimes Trauern
Winkt ihr himmelwärts,
Doch ihr fehlt Verständnis
Für den eignen Schmerz.

Bis das Lied des Himmels,
Bis sich niedersenkt
Liebe — und die Sehnsucht
Nach der Heimat lenkt.

Liebe ist der Seele,
Was dem Alpenkind
Der verlornen Berge
Ferne Lieder sind.

Darum ist der Seele
Einz'ge Ruhefrist,
Wenn sie ruht, wo einzig
Ihre Heimat ist.

Sechs Poetenaugen
An eine Tanzende

Sechs Poetenaugen,
Die zu morden taugen
Jeden leichten Scherz mit ihrer Glut,
Folgen als Trabanten
Dir, der sie entbrannten,
Und Du tanzest fort im Übermut?

Laß Dich warnen, Kühne!
Dir als Opfersühne
Warfen Dreie hin ihr Lebensheil —
So beglücke Einen,
Laß die Andern weinen,
Weinen um ihr totes Glückesteil.

Dichteraugen weinend
Sind wie Sterne, scheinend
Durch die Nebel nur mit sanfterm Glanz,
Sind wie Beterscharen
In den Bußtalaren,
Und die Tränen sind ihr Rosenkranz.

Doch wie von der Wüste,
Von der öden Küste
Jeder Sonnstrahl rückbebt wie im Schmerz,
Beben so zusammen
Dichteraugenflammen,
Wenn sie fallen in ein ödes Herz.

Sechs Poetenaugen,
Die zu morden taugen
Herz und Blume durch die Macht des Blicks —
Mag Dich Gott behüten,
Daß nicht die verglühten
Werden Totenfackeln Deines Glücks.

An die Mutter

1. Ein Abend

Aus frühster Kindheit ein Erinnern
Ist mir vor allen andern lieb —
Das mir in meinem trüben Innern
Ein lichter Stern noch hangen blieb.

Die Mutter saß bei spätem Lichte,
Das kranke Schwesterlein im Schoß —
Von ihrem blassen Angesichte
Hernieder Trän' auf Träne floß.

Es war ein kummerstilles Weinen —
Noch wußt' ich Nichts von Niobe,
Doch fühlt' ich, wie sich kann versteinen
Ein Mutterherz bei solchem Weh.

Ich saß im Winkel tief verborgen
Und sah sie an bei'm Lampenschein,
Und fühlte Neid um all die Sorgen
Der Mutter für mein Schwesterlein.

So wollt' ich ruh'n in ihrem Schoße,
Bestrahlt von ihrem nassen Aug' —
Die Mutterlieb', die heil'ge, große,
Empfinden in des Seufzers Hauch. —

Mein Schwesterlein war bald genesen,
Und mit mir ward der Glaube groß,
Daß ihr wie Balsam sei gewesen
Der Tränen Tau, der für sie floß.

Des Knaben Wunsch und Glaube — beide,
Sie haben später sich bewährt —
Ich hab' mit manchem tiefen Leide
Der Mutter Herz für mich genährt.

Und je mehr Tränen da geflossen,
So liebevoller schlug ihr Herz;
Und Linderung hat sie gegossen,
Genesung, in so manchen Schmerz.

2. Nach der Krankheit der Mutter

Krank warst Du, krank! — Und siegergroß
Stand schon der Tod an Deinem Bette,
Indes im warmen Lebensschoß
Ich mich gewiegt an ferner Stätte.

Ich schwelgte in der Sternenpracht,
Die heilungsvoll mein Herz durchzückte:
Es war dieselbe Mitternacht,
Die Dich mit Leiden fast erdrückte.

O nimmermehr vergeb' ich's mir,
Daß ich in Ahnung nicht erkrankte,
Und daß ich nicht dem Tod mit Dir,
Wenn auch entfernt, entgegen schwankte.

Und Sünde scheint mir, daß ich nicht
Mit Dir geduldet in der Ferne,
Und daß mir nicht wie Grabeslicht
Geleuchtet damals alle Sterne.

Und daß es mir nicht vorwurfsvoll
Herabgeweht von Busch und Bäumen,
Auf daß ich weinen, weinen soll —
Daß ich nicht starb in hundert Träumen.

Nicht eher ist die Schuld gesühnt.
Bis daß ich lieg' in Deinen Annen,
Bis daß ich wieder unverdient
Am Mutterherzen darf erwarmen.

3. Der Ring

Den gab zum Angedenken
Die Mutter, als wir schieden;
Ich konnt' nur Tränen schenken,
Und sie, sie war zufrieden.

Rubin, der mild und dunkel
Sein blutend Licht verglühet,
Ist von Demantgefunkel
Rechts so wie links umsprühet.

Du gleichst dem Mutterherzen,
Rubin, das bangt und blutet,
Indes die Welt mit Scherzen
Und Glanz ihr Kind umflutet.

Und als sie ihn gegeben,
Von Tränen unterbrochen,
Mit Herz- und Lippenbeben,
Hat sie zu mir gesprochen:

"Den Ring — am Sterbebette
Gab mir schon im Erblassen
Die Mutter, und ich hätte
Ihn nicht von mir gelassen,

Wär' nicht ein jedes Scheiden
Aus meines Kindes Nähe
Ein neues Sterbeleiden,
Ein neues Grabeswehe.

Drum höre auch die Worte,
Die ich von ihr empfangen:
Stets bleibt am selben Orte,
Wer liebend fortgegangen.

Der schwächste von den Ringen
Ist der, die Dich umwinden,
Und kann mit Macht nicht zwingen
Und mit Gewalt nicht binden;

Denn ist die Kraft entschwunden,
Daß er nicht hält gemeinsam,
Dann ist nur Ein's gebunden,
In Kerkerschmerz und einsam! —

Du hast nicht meinem Herzen,
O Sohn! dies Los beschieden!" —
Seitdem gab ich ihr Schmerzen,
Und sie — sie war zufrieden. —

Der Name

Des teuern Namens Lettern schnitt ich
In unsers Waldes schönsten Baum,
Dann tränbenetzten Auges schritt ich
Aus meinem liebdurchseelten Raum.

Ein dumpfes, klagend Rauschen schickte
Der Tiefverwundete mir nach,
Und als ich wieder rückwärts blickte,
Durchfuhr mein Herz ein schweres Ach.

Denn große Tränen rollten nieder
Aus seiner Wund', dem Namenszug —
Es weinte, der bis jetzt nur Lieder
Und klangumwehte Blüten trug.

Ich wollte Dir das Schönste geben,
Das ich vom Dasein noch erkannt,
Und habe in Dein Blütenleben
Mit Einem Wort den Schmerz gebannt.

Ich kann Dein Schicksal nach dem meinen
Dir, armer Baum! nun prophezei'n:
Du wirst mit jedem Frühling weinen,
Und Dich am Herbste nur erfreu'n.

Die Heimat

Die vermorschte Hütte meines Vaters,
Und die Zelle unsers frommen Paters,
Und im ganzen Dorf jedwede Hütte,
Mit den schwanken Kreuzen in der Mitte.
Das uralte Schloß, des Fähnlein schrillen,
Kreischend nach des Wind-Despoten Willen
Mit der alten Uhr, im ew'gen Schlummer,
Deren Zeiger stets nach einer Nummer,
Täglich einmal doch die rechte deutet,
Und nicht fort von der Verblaßten schreitet,
Ob er mahnend gäbe ernste Kunde,
Die Jedwedem kommt, der Lebensstunde —
Und daß jede glüh'nd in Lieb' und Hasse
In der Zeit verstumme und verblasse —
Vaters Haus, und Dorf und Schloß, und Zelle
Stehn alle auf geweihter Stelle! —

Und die Blume, die die Schwester pflückt,
Die zum Tanz die braunen Locken schmückt,
Ihre Ahnfrau mußt' mit Witwenzähren,
Statt des Taues, ihre Blüten nähren —
Denn ein Kirchhof war vor hundert Jahren,
Wo sich unsers Dorfes Hütten scharen.
Darum, als ich mich des Lebens Welle
Gab dahin, und überschritt die Schwelle,
Die einmal ein Leichenstein gewesen,
Mußt' ich nicht erst Weltgeschichten lesen,
Zu erforschen all der Dinge Wesen,
Und als ich dahinschritt an dem Stabe,
Den vom Grabesbaum geraubt ich habe,
Rief ich selbst mir zu des Trostes Labe:
Mensch, Du bist entkeimt geweihtem Boden;
Mag Dich immerhin Dein Schicksal tragen,
Blühst doch fort, umweht vom Kirchhof-Odem
Nur in Herzen mußt Du Wurzel schlagen.

Ein Lied

Ein einzig Lied nur möcht' ich singen,
Darin mein ganzes Fühlen ruht —
Darein mein ganzes Leben zwingen,
Dann wäre Alles, Alles gut.

Dann wäre doch das Wort gefunden,
Der Zauber wäre dann erspäht,
Der alle Wunden macht gesunden,
Und friedvoll um die Seele weht.

So dünkt nur ein zerbroch'ner Becher
Das Lied mir, das ich sang bis jetzt —
Ich schlürfe d'raus, ein durst'ger Zecher,
Vergebens, was die Seele letzt.

So soll ihm nie der Rausch entsteigen,
Wie's immer mir im Herzen schäumt —
Soll's nimmer Paradiese zeigen,
Und Houris, wie's der Zecher träumt?

Natur! ich stand an Deiner Pforte:
Sie tat sich auf — wenn ich gewacht —
So gib mir nun das Wort der Worte,
Daß ich es rufe durch die Nacht.

Ich habe, Liebe! Dir geblutet,
Vertrau' mir der Erkenntnis Wort,
Das tief verborgen in mir flutet
Und das mich dränget fort und fort.

Was kann denn mehr, ein Lied zu singen,
Die arme Dichterseele tun?
Als selber sich zum Opfer bringen,
Und in der Liebe nimmer ruh'n?

Ich leide, bis ich ausgelitten,
Ich liebe, bis ich ausgelebt,
Dann kommt die Zeit wohl — wo inmitten
Von Lieb' und Schmerz ein Lied entschwebt.