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Gedichte
Anton von Schullern
Herausgegeben von seinen Freunden

Leipzig 1890.
Verlag von A. G. Liebeskind
Druck von W. Drugulin

An Hedwig
I. Im Bergwald

 
Auszug
Heute saß sie auf der Schwelle
Du junges Herz bewahre
Was duften die süßen Blumen?
Oft will es scheinen sicherlich
Morgens auf die Felsenhöhen
Und süßer, immer süßer
Wie es nur kam?
Die Soirée
Durch einsam grüne Waldespfade
Raff dich auf, du kannst gesunden

 

Auszug

O du Frühlingszeit, o du selige Zeit,
Wie dehnt sich die Welt und die Seele da weit!
Da schlingt sich ein Arm um den andern,
Zu wandern, zu wandern, zu wandern.

Kein Tal ist zu tief und kein Berg ist zu hoch,
Wir dringen doch ein, wir erklimmen ihn doch,
Und sehen die Welt uns zu Füßen,
Und grüßen und grüßen und grüßen.

Was fliegst du dort, Falke? Frei sind wir wie du,
Du Jublerin Lerche, wir jubeln dir zu,
Wir wiegen wie du uns auf Schwingen
Und singen und singen und singen.

Und lugt wo ein Röslein aus Rebengerank,
Da winkt uns ein Kuß und da perlet ein Trank;
Es leben die Rosen und Reben,
Sie leben, sie leben, sie leben!

Und locket uns lieblich ein friedliches Tal,
Da steigen wir nieder und rasten einmal
Und ruh'n unter schattigen Bäumen
Und träumen und träumen und träumen!

O du Jugendtraum, o du seliger Traum
Von der Liebe Glück und der Freiheit Baum.
O mögst du uns golden umschweben
Durch's Leben, durch's Leben, durch's Leben!

Heute saß sie auf der Schwelle

Heute saß sie auf der Schwelle,
Und auf einmal — weiß ich, wie? —
Stand der schüchterne Geselle
Vor ihr da und grüßte sie.

Und sie grüßte lächelnd wieder,
Und mich traf ein Strahl im Flug,
Daß ich nur die dreisten Lider
Süß erschreckt zu Boden schlug.

Was ich sprach — vergebens quäl' ich
Nun mich — ich vergaß es ganz,
Sinnberauscht und doch so selig
Sonnt' ich mich an ihrem Glanz.

Und der Strauß in meinen Händen —
War's sein Duft, der mich verwirrt? —
Hatte wie im Handumwenden
Sich in ihren Schoß verirrt.

Wie sie aufsprang, unbefangen
Dankt' ich mir in's Auge sah —
Ach von Liebreiz ganz gefangen
Stand ich ohne Worte da.

Weiße Achselbänder hielten
Kindlich ihre Schürze fest
Und im Lockengolde spielten
Sonnenblick und Frühlingswest.

Also stand sie, auf der Klinke
Ruhte zögernd ihre Hand
Noch, indes den Blick die Linke
Schirmte vor der Sonne Brand.

Und sie schien so gar nicht spröde,
Kargte nicht mit Blick und Wort;
Doch — der Schäfer war zu blöde
Und die Stunde huschte fort.

Und nun steh ich und am Fädchen
Hält die kleine Hexe mich —
Laß mich los, geliebtes Mädchen,
Ober lieb' mich, wie ich dich!

Du junges Herz bewahre

Du junges Herz bewahre
Dir deine Poesie,
Im fernen Sturm der Jahre
Verlasse sie dich nie!

Hast einmal dich berauschet
An einem milden Licht
Und einen Blick getauschet
Mit holdem Angesicht.

Und ob die Strende übe,
Wenn du nur hin dich gibst;
Und ob sie dich nicht liebe —
Herz, wenn nur du sie liebst!

Dann flieh nur in die Wildnis,
Ob sie auch kalt dich mied,
Und knie vor ihrem Bildnis
Und sing ihr fromm dein Lied.

Klein ist, was du verloren,
Das Beste bleibt zurück:
Aus deinem Schmerz geboren
Wird dir dein schönstes Glück.

Wie Cäsar nennt bezwungen
Der Dichter, was er sieht;
Im Herzen ist's errungen,
Geschaffen neu im Lied.

Draus blühet ihm zum Lohne,
Wohin er immer zieh,
Liebes und Lebens Krone,
Das Glück der Poesie.

Was duften die süßen Blumen?

Was duften die süßen Blumen?
Was lachet der Morgenschein?
Was dringen mir Duft und Leuchten
So süß in's Herz hinein?

Was lauf' ich in tauiger Frühe
Durch Flur und Wälder dicht,
Und strecke die sehnenden Arme
Entgegen dem rosigen Licht?

Und strecke die sehnenden Arme
Nach Fels und Baum und Tal,
Als säh' ich in ihrer Schönheit
Sie all' zum ersten Mal?

Ach Liebe, du segnende Liebe,
Bist du's, die so selig macht?
O so walte in meinem Herzen
Und üb' deine Süße Macht!

Oft will es scheinen sicherlich

Oft will es scheinen sicherlich,
Ich hasse sie, sie hasset mich.
Zieh'n wir im Schwarm zu Feld hinaus,
Bleibt sie zurück, ich geh voraus.
Und geh ich hinten, ist sie vorn,
Als wären wir voll Groll und Zorn.
Verdrießlich streif' ich durch das Korn,
Da schlüpft sie still durch Busch und Dorn.
Doch sind uns fern die andern Leute,
Und bring ich stumm ihr meine Beute
An schlichtem Wiesenblumenflor:
Schnell zieht sie, mir sie zu bescheren,
Ein Sträußchen süßer Waldesbeeren
Errötend unter'm Schürzchen vor,
Und drückt sie stumm in meine Hände —
Und Groll und Kummer hat ein Ende.

Morgens auf die Felsenhöhen

Morgens auf die Felsenhöhen
Klimm ich auf mit frischem Mut,
In die Welt hinauszusehen,
Und die feige Sehnsucht ruht:

Wo der Blick nur immer gleitet,
Städte, Dörfer, Berg und See'n!
Mir zu Füßen ausgebreitet
Ist ein Paradies zu seh'n.

Wen der gold'ne Wolkenwagen
Der an jenem Firne hält,
Möchte rasch von dannen tragen
Durch die Schöne Gotteswelt!

Was zu wünschen, was zu hoffen
Brauchst du? Warum kamst du her?
Steh'n dir nicht die Pforten offen,
Wand'rer, vom Gebirg zum Meer?

Wo weilst und wo du ziehest,
All die Schönheit, sie ist dein.
Weil du noch in Jugend blühest
Fahre froh in's Land hinein!

Und ich fasse mit Entzücken
Den erprobten Wanderstab,
Gönne einmal noch den Blicken
Einen Flug talauf und ab.

Nieder zu des Tales Klüften
Hab' ich kaum den Blick gewandt —
Seh ich flattern in den Lüften
Tief ein himmelblaues Band.

Ach um einen Strohhut fliegt es,
Der auf goldenen Flechten ruht
Und mit einem Wink besiegt es
Allen meinen Wandermut.

Suche fremder Länder Neuheit,
Wer ihr Auge nie gekannt —
Gerne tausch ich um die Freiheit
Deine Fessel, holdes Band!

Und süßer, immer süßer

Und süßer, immer süßer
Locken die Vöglein,
Und immer heller leuchten
Die Felsen im Morgenschein.
Und immer tiefer ins Herz hinein
Dringt mir die Liebe, die selige Liebe.

Voll gold'ner Lichter blinket
Der grüne Wald in der Rund,
Die Luft so klar, so wohlig,
Die Erde so blütenbunt —
Und immer süßer im Herzensgrund
Wogt mir die Liebe, die selige Liebe.

Mein Auge schwimmt in Tränen
Vor ihrer süßen Gewalt,
Die Arme breit' ich und laufe
Wie trunken durch den Wald —
Und springst du, jauchzendes Herz, nicht bald
Vor Liebe, vor seliger Liebe!

Wie es nur kam?

Wie es nur kam?
Wollte ein Weilchen des süßen
Lieblichen Anblicks genießen:
Nun ihr zu Füßen
Lieb ich in Liebesgram —

Wie es nur kam?
Blumen gepflückt und gebunden,
Kränze zusammen gewunden
Wenige Stunden —
Ach und nun — wundersam!
Wie es nur kam?

Die Soirée

Des Abends in ihrem Stübchen
Wird immer musiziert.
Hei, wie da der lange Geiger
Kühn seinen Bogen führt!

Mit hochgeschwungenem Haupte
Gibt er dazu den Takt,
Indes die behäbige Mutter
Das Pianoforte hackt.

Der Bruder streicht das Cello,
Der hat das Handwerk los,
Ein langbehaarter Jüngling,
Geboren als Virtuos.

Und hinterm Tisch im Winkel
Da sitzet mein Liebchen fein
Und klimpert auf der Gitarre
Mit ihren Fingerlein.

Und aufmerksam in Andacht
Sitzt rings als Publikum
Die ganze Badegesellschaft
Im weiten Kreise herum.

Zwei alte Mütterchen nicken,
Sie denken wohl alter Zeit,
Hochwürden hält eine Prise
Zwischen den Fingern bereit.

Ein junges Mädchen kichert
Und hält sich das Tüchlein vor,
Sein Ordensbändchen glättet
Der pensionierte Major.

Ich lehn' an der Wand und höre
Vom Spiele kaum einen Ton,
Ich kann kein Auge verwenden
Von der allerliebsten Person.

Wie arbeiten emsig die Finger,
Und das ganze Seelchen mit!
Kaum hält sie dem fliegenden Bogen
Des grausamen Vaters Schritt.

Man sieht auch gar zu wenig
Bei dem kleinen Stümpfchen Licht,
Die goldenen Löcklein fliegen
Um das erhitzte Gesicht.

Und blickt sie einmal herüber,
Wie wird da das Köpfchen verwirrt,
Wie da ängstlich suchend das Händchen
Über die Saiten irrt!

Der Alte brummt und drohet,
Er hat gar ein feines Gehör —
Sie aber blicket noch einmal
Ruhig und selig her.

Als sagte sie mir im Stillen
Mit triumphierendem Blick:
"Du weißts' ja, um Deinetwillen
Büß' ich mein Ungeschick."

Durch einsam grüne Waldespfade

Durch einsam grüne Waldespfade
Entwandelt' ich heut kummerschwer —
Da winkte mir ein Bild der Gnade
Mildlächelnd von dem Felsen her.

O Mutter du der höchsten Gnaden,
O nimm auch meine Bitte hin!
Denn allen, die da schwerbeladen,
Bist du ja Trost und Retterin.

Und bei des Abends Glockenschlage
Lag ich zu ihren Füßen noch —
War es Gebet, war's Liebesklage,
Was da durch meine Seele zog?

Und als ich mein Gebet beendet
Und wollte trauernd weiter geh'n,
Sah ich, den Blick nach mir gewendet,
Den frommen Klausner vor mir steh'n.

Ich eile wie beschämt von hinnen,
Sein Auge folgt mir ernst und still:
Mitleidig scheint er nachzusinnen,
Was hier der wilde Knabe will.

Ach was ich will? — ich will dem Herzen,
Dem ringenden, erflehen Ruh'.
In Starkmut wandeln meine Schmerzen
Und dann — verzichten, Mann, wie du!

Raff dich auf, du kannst gesunden

Raff dich auf, du kannst gesunden,
Denn es heilen alle Wunden.
Ach, doch wird auch diese heilen?
Wie von tausend Pfeilen
Ist das Herz zerrissen.
Ach ein Leben voll von Tränen —
Ewig meiden, ewig missen,
Fort und fort in Finsternissen —
Herz, wie kannst du das gewöhnen?
So mit liebem Blick und Küssen
Eng verbunden
Noch vor wenig Stunden —
Herz, an diesen Wunden
Wirst du wohl verbluten müssen!