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Gedichte 2
 

Aufschluß
Ruinen
Tiefere Trauer
Hier und dort
Bild der Unschuld
In der Laube
Ghasel
An***
Pygmalion
Sternenlose Nacht
Bestimmung

Francia
Gnomen
Der Pilger
Allerseelentag

 

Aufschluß


     Ihr nennt mich kalt. Ich bin es, ja! und kalt
Wie Gletschereis, an dem umsonst der Strahl
Der Sonne übt die schmelzende Gewalt,
Die Laub und Blüten sich erschafft im Tal.

     Und ungesellig — Ja, ich bin es! gleich
Dem Aar, der horstend in dem Steingeklüft,
Nicht wohnen mag im niedrigen Gesträuch,
Und finster, einsam nur die Luft durchschifft.

     Und bin ich so, so bin ich es mit Recht,
Denn ihr seid wie die Wüste, aber kühl,
Mißkennend, was in mir ist wahr und echt,
Habt ihr gehöhnt, gemißbraucht mein Gefühl.

     Ihr habt die Blüten meiner Brust zerstört,
Und Dornen mir in's öde Herz gesä't,
Zu arger Wallung mir das Blut empört,
Und Wolken mir in's Angesicht geweht.

     Drum laßt mich kalt und ungesellig sein;
Was frommt's mit euch zu leben im Verkehr?
Ich habe Nichts mit eurer Art gemein,
Ich bin für euch, ihr seid für mich zu leer.


Ruinen

     Zerfallen seh' ich der Paläste Pracht,
Gestürzt, zerstückt der Tempel schlanke Säulen:
In schwachen Resten — welche Zaubermacht!
Und welche Schönheit in entstellten Teilen!
Wo ist der Geist, der ihren Bau erdacht?
Gedankensplitter seh' ich nur verweilen,
Was wie unsterblich sich in's Leben hob,
Lallt als sein Grabmal nun des Bildners Lob.

     O Zeit, du nie erweichte Atropos;
Dein Lächeln, glich es nicht dem kalten Hohne?
Als schöner Wahn und Göttermut beschloß,
Daß auch den Stein ein ew'ger Geist bewohne?
Dein Beistand selbst zog ihre Werke groß;
Allein vergebens flehten sie: Verschone!
Zerstörend legst du Hand an ihr Gebild,
Und grausam — nein! ich nenne dich nur mild.

     Das bist du, ja! des Schicksals strenger Schluß,
Er übertrug dir herbe Mutterpflichten,
Und blindlings an der Kinder Überfluß
Sieht man dich lächeln, weinend sie verrichten.
O Schmerz! wenn man sein Liebstes tilgen muß.
Was du erschaffen, mußt du auch vernichten;
Das Leben weckt und pflegt die eine Hand,
Die and're mordet — aber abgewandt.


     Doch wie die Mutter mehr die Söhne liebt,
Die sie zuerst gesäugt, zuerst geboren,
Des Herzens ganze Liebe denen gibt,
Die ihrem Herzen gänzlich sind verloren;
So hast auch du Ruinen, tief betrübt,
Zum teuersten Gedächtnis dir erkoren.
Im schönsten Licht glänzt die Vergangenheit,
Sie ist der Liebling der ergrauten Zeit.

     Du webst der Dichtung schönstes Festgewand
Um Trümmer hin, daß sie als Leiche prangen;
Ein heil'ger Schleier sank aus deiner Hand,
Die todentfärbten Reize zu umfangen;
Du weckst die Blüte, wo die Blüte schwand,
Um Schutt und Bruch muß Epheu kränzend hangen,
Und wo die Wund: klaffend sich entdeckt,
Hast einen frischen Strauß du hingesteckt.

     Ja, hier auch weht noch deiner Liebe Geist,
Belauschen kann ich dein geheimes Weben,
Das zögernd hier vom Stein ein Körnchen reißt
Und dort den Keim läßt an die Sonne streben,
Hier morschen Grund unmerklich weichen heißt,
Und dort den Blütenstrauch sich luftig heben;
Das Säuseln, das die Epheuschlingen regt,
Ein Seufzer ist's, den deine Brust gehegt.


     O süßer Reiz! der noch um Trümmer schwebt.
Doch was bewegt mich schmerzlich, wie zu Tränen?
Ach jede Saite meines Herzens bebt,
Weil im Verfall selbst Steine sich verschönen;
Die Schönheit aber, die im Menschen lebt,
Sich selten dauernd will an ihn gewöhnen,
Daß er, eh' ihn das Grab noch graß entstellt,
Auch hier sich schon verhäßlicht, wenn er fällt.

     Ich sah Gestalten einst, wie Engel licht,
Und sah nach Jahren wandelnde Ruinen;
Ich sah Verfall im Menschenangesicht,
Und sittliche Verwesung in den Mienen;
Ich sah den Zug, der laut von Sünde spricht,
Ich las Gedanken, die dem Teufel dienen;
Vom Schmutze war geschändet und befleckt
Das schöne Bild, das Reinheit sonst entdeckt.

     Im tiefsten Kern war mein Gefühl verletzt,
Weil mich der Reiz so mächtig einst durchdrungen,
Den, wenn er schwindet, keine Kunst ersetzt,
Den keine Reue noch zurückgezwungen,
Und mich ergriff's mit bitt'rer Wehmut jetzt,
Hier an der Stätte der Erinnerungen,
Wo sich der Geist in ferne Jahre senkt,
Und mancher himmlischen Erscheinung denkt.


     O hätte nie die Unschuld ich erblickt,
Um sie dereinst entwürdigt noch zu sehen!
Genug des Schmerzes! wenn was uns entzückt,
Wie ein Phantom Erfahrung muß verwehen;
Doch wenn noch Schuld den Stempel aufgedrückt,
Wenn statt des Lichtes Schatten nur entstehen,
Dann werden Herz und Auge doppelt wund,
Dann gibt entsetzlich der Ruin sich kund.

Tiefere Trauer

    Die Trauer, die an einem Sarkophage
Um das Geliebte, Frühverlor'ne weint,
Wie herb sie auch dem frohen Blick erscheint,
Was sie auch selbst von ihren Leiden sage:

     Schwelgt doch in der Erinn'rung lichter Tage,
Im Hochgenuß des Glücks, das sie beweint;
In ihr sind Schmerz und Freude schön vereint,
Und durch die Tränen lächelt ihre Klage.

     Doch wo ein tiefes Sehnen angeboren,
Um Freuden trauernd, die es nie besaß,
In dem Gemüt sich seinen Sitz erkoren,


     Das selbst der Hoffnung süßen Trost vergaß:
O! da schlägt unbedauert, tränenlos,
Ein lebend Herz in einer Urne Schoß.

Hier und dort

     Kühn beginnt das Herz zu schlagen
In den blütenreichen Tagen
Uns'rer kurzen Jugendzeit,
Von den wachsenden Entschlüssen
Mächtig immer fortgerissen,
Scheint kein Ziel zu hoch, zu weit.

     Wünsche malen dann so gerne
In die nahgerückte Ferne
Tausend gold'ne Bilder hin,
Über Schranken sich zu schwingen
Will der Hoffnung bald gelingen,
Dieser holden Lügnerin.

     Ohne selbst sich zu genügen,
Wird mit Riesenschritt gestiegen,
Aber ach! die Bahn ist lang.
Hinter uns die kurze Strecke,
Kamen wir doch kaum vom Flecke
Mit dem Riesen-Schneckengang.

     Und so wenig ist gelungen,
Und so wenig ist errungen,
Und wir wollten doch so viel;
Manches war im Keim vernichtet,
Eh' es sich noch aufgerichtet,
Vieles stürzte nah' am Ziel.

     Bitt're Wahrheit! wenn zerronnen
Jene Bilder, und die Sonnen
Ausgelöscht in öder Brust.
Aber, Mensch! was ist das Leben,
Wäre ihm nicht beigegeben
Jene heiße Tatenlust? —

     Spät, zu spät lernst du erfahren,
Daß es doch nur Träume waren,
Die mit Täuschung dich beglückt:
Wenn um dich die Trümmer liegen,
Und nach manchen kleinen Siegen
Eig'ne Schwäche dich erdrückt.

     Wenn du, siech an Leib und Seele,
Überdenkest deine Fehle,
Spricht der Tod zuletzt mit Hohn:
"Armer Wurm der armen Erde!
Träume endlich aus, und werde
Wieder Staub, des Staubes Sohn."

     Aber laß den Mut nicht sinken:
Ew'ge Sterne oben winken,
Du betrittst die neue Bahn;
Hier ist Alles nur Beginnen,
Und Vollendung wird gewinnen
Dort erst, was du hier getan.

Bild der Unschuld

     Seht im Bilde, wie die Tugend
Bei der Unschuld sich gestaltet!
Wie sich in des Jahres Jugend
Still des Veilchens Reiz entfaltet!

     Von des Himmels reinem Blaue
Nimmt es Farbe an, und nähret
Sich bescheiden nur vom Taue,
Der auch Disteln wird gewähret;

     Ist zu wachsen nicht bemühet,
Will sich nicht dem Lichte zeigen;
Aber, wo es heimlich blühet,
Kann's der feine Duft verschweigen?

     In dem Grase tief verborgen,
Haucht es Wohlgeruch von ferne,
Haucht es stets vom frühen Morgen,
Haucht es noch im Licht der Sterne.

     Ist es nicht, als ob zur Erde
Demut nur und Scham es drücken,
Daß es halb nur sichtbar werde,
Um uns freundlich anzublicken!

     Seht! die Bläue, die es schmücket,
Will ja nicht dem Blick gefallen,
Und den Duft, der uns erquicket,
Spendet unbewußt es Allen.

     Und erfreut es alle Sinnen,
Will es Dank damit erstreben?
Will es Lob damit gewinnen?
Scheint es stolzer sich zu heben?

     Nein! es liegt in seinem Wesen,
Unverblendet nicht zu blenden,
Und als wär' es nie gewesen
In der Dunkelheit zu enden.

    Und in seiner schönen Blüte
Ahnt es nichts von seiner Würde,
Und die Last der eig'nen Güte
Ist ihm eine leichte Bürde.

     Daß es nur im Lenz des Jahres,
Ach! nur blüht so wenig Tage,
Ist wohl etwas Traurig-Wahres;
Und auch wert, daß man's beklage.

In der Laube

     Sei mir gegrüßet, schattiges Gemach!
Und nimm gefällig auf den Langbekannten.
Wie oft, wenn heiß des Sommers Strahlen brannten,
Hing ich in dir geliebten Träumen nach!

     Du sahst beglückt mich manchen frohen Tag;
Das ist vorbei. Gleich einem Strengverbannten,
Von dem sich Lust und Liebe treulos wandten,
Nah' ich dir jetzt. Erinnerung wird wach.

     Ich sehe ganz dich wie zum ersten Male:
Noch fällt der Quell herab in seine Schale,
Noch senken sich dieselben Zweige nieder.
Gefroren war die Quelle, nackt der Ast.
Und sieh! er grünt, sie sprudelt ohne Rast.
Kommt das verlorene mir auch noch wieder?

Ghasel

Kein Arzt ist für den Schmerz, der zu verschweigen ist,
Doch Rat ist für die Wunde, die zu zeigen ist;
Ich aber ziehe ratlos durch die Wüste hin,
Wo ohne Klang und Spur der Horen Reigen ist.
Der Stab ist morsch, die Sohlen glüh'n, der Gaumen lechzt,
Wie gut, daß meine Sonne schon im Neigen ist!
O hätt' ich nur zuvor die lichte Höh' erreicht,
Die für den Müden nicht mehr zu ersteigen ist,
Für Schweiß, der Segen wurde, dort den Lohn erlangt,
Der nur ein armer Kranz von grünen Zweigen ist,
Und durch Entbehrung mir den frommen Stolz erkauft,
Wie er dem edlen Baum des Südens eigen ist,
Dem nie der Lenz den heitern Schmuck der Blüten bringt,
Und der doch immer schwer von süßen Feigen ist.

An***
Glosse

     Wie oft schon ward ich schroff und kalt genannt,
Wie selten noch — und dann nur halb verstanden!
Kaum weiß ich selbst, ob du mich ganz erkannt,
Ob wir uns nah' und Herz an Herz empfanden.
Doch nie nur scheinen mag ich, was ich bin,
Drum kann ich nie mein wärmstes Fühlen sagen;
Der Zweifel widert meinem stolzen Sinn.
O zürne nicht! und lerne mich beklagen.

     Dir strahlt das Glück mit seinem schönsten Sterne,
Was mir nicht werden soll, besitzest du:
Ein liebend Herz. Wie gern rief ich von ferne
Dir oft auch Gruß und heit're Worte zu!
Doch selbst das Süße wird in mir zum Wermut,
Unfreundlich zeigt, was freundlich mich durchdringt,
Sich mit dem herben Beigeschmack der Schwermut;
Was uns erfüllt, ist's, was im Lied erklingt.

     Vergebens such ich einen reinen Ton,
Wo finst're Stimmen tobend sich bestreiten,
Der Wohllaut ist für immer mir entfloh'n,
Der Mißklang bleibt in den verstimmten Saiten.
Aus einer Brust, in der es heiter tagt,
Ertönt gefällig auch das Lied der Klagen;
Doch wer die Freude schön zu singen wagt,
Der muß sie selbst im finstern Busen tragen.

     O doppelt selig nenn' ich die Beglückten,
Weil ihr Erscheinen jedes Herz erquickt;
Doch doppelt elend sind die Schmerzgedrückten,
Weil ihre Nähe fremde Lust erstickt.
Mißdeut' es nicht, wenn Trauer scheu und spröde
Nicht störend in den Kreis der Freude dringt;
Es suche Herz und Echo in der Öde,
Wer in dem Ton der Eumeniden singt.

Pygmalion

1.
Du wärest leblos, schönes Meisterstück?
Wie, blüht ein Lächeln nicht auf Stirn und Wange?
Ist nicht gefühlvoll dieser süße Blick?
Erschließt sich nicht der Mund wie zum Gesange?
Schwellt diesen Busen nicht geheimes Leben?
Scheint nicht der Fuß im Tanz dahin zu schweben?

     Wahnsinniger! ein ewiges Erblassen
Der Schönheit, nicht ihr Leben siehst du hier,
Den Stein erwärmt kein glühendes Umfassen,
Kein Tränenstrom erweicht den Marmor dir;
An diesen Lippen hang, dein Mund vergebens —
Nie sagen sie in sich den Hauch des Lebens.

     Nein, lüge Seele nicht, du schöne Leiche!
Für solchen Reiz ist noch kein Atem da,
Weh' mir, daß ich dich schuf, daß ich in's bleiche,
Geliebte Antlitz unaufhörlich sah.
Für mich ist nun die Erde abgestorben,
Und ach! mir dir — was hab' ich mir erworben?

     Zum starren Marmor muß ich selber werden,
Denn wer dich sah, beherrscht nicht mehr den Blick;
Von Allem, was entzückend ist auf Erden,
Kehrt unbefriedigt er zu dir zurück;
Und du — es sei! die Qual soll ewig währen,
Du bist zu schön! ich kann dich nicht zerstören.

2.
Beneidet nicht den Mann, beklaget ihn,
Den in der Wiege schon geweiht die Musen,
Dem in der Brust die Himmelsflammen glüh'n.
Er muß, ein armer Fremdling hier, am Busen
Den nimmersatten Geier: Sehnsucht, nähren,
Und wie ein Fluch, muß Segen an ihm zehren.

     Der helle Traum, der ihm allein bescheiden,
Verdrängt die warme, lebende Gestalt,
Er findet nie, was ihm genügt, hienieden,
Und was er schafft, bleibt ewig tot und kalt;
Doch heftiger, als Andere begehren,
Verlangt er, was kein Glück ihm kann gewähren.

     Was soll der Kranz, den ihm auf's Haupt die kalte,
Die lastend schwere Hand des Ruhmes drückt?
Fragt nicht! So will's der finst're Brauch, der alte,
Daß man mit heit'rem Laub die Opfer schmückt,
Die unbeweint vor dem Altare fallen,
Wenn Preis- und Jubelhymnen rings erschallen.

     Und muß es sein, bin ich dazu erkoren,
Und bin zum Tod des Lebens ich geweiht,
Und ist auch Alles, Alles mir verloren,
Was eine Brust, aus Staub gebaut, erfreut!
Ich sah das Höchste, wollte es erfassen —
Und seinen Schatten kann ich nun nicht lassen.

Sternenlose Nacht

     Wie ohne Spur die Tage mir verschweben!
Auch dieser, unbeklagt, sank in die Fluten;
Er glich den andern. Kommen noch die guten?
Ich will zur Nacht mein Auge fragend heben.

     Beglückter! ach, sie zeigt mir nur dein Leben:
Wie Sterne leuchten selige Minuten
An deinem Himmel fort mit ew'gen Gluten.
O, wär' mir dein Erinnern nur gegeben.

     Kein Trost, kein Hoffen! Nachtigallen singen —
Wie Jubel mag's in frohe Herzen dringen;
Mir aber soll es nur wie Jammer klingen.

     Und lockt mich auch ein schmeichelndes Gekose;
Die Dornen nur ergreif' ich statt der Rose,
Denn meine Nacht ist eine sternenlose.


Bestimmung

     Ich lebte froh; die Muse sprach: Entsage!
Und zog mich fort in ihre Einsamkeit;
Dahin war Alles, was mein Herz erfreut,
Nur die Erinn'rung blieb an helle Tage.

     Da brach ich aus in unmutvolle Klage:
Und hast du alle Freuden mir verbeut,
Nimm auch die Bilder der Vergangenheit,
Nimm das Verlangen, meine schärfste Plage.

     "Das darf ich nicht!" erwiderte sie strenge,
"Reich sollst du sein an Sehnen, Lieben, Hoffen,
Der Traum sei dein, nie des Besitzes Glanz."

     Da ward ich blaß, der Busen leer und enge,
Als hätte mich des Todes Pfeil getroffen;
Sie aber wies mir einen fernen Kranz.

Francia

Die in der Bildergalerie zu Bologna befindliche "Cäcilie" von
Raphael wurde für eine dortige Kirche gemalt, und von Rom an
Francia mit der Bitte geschickt, nachzuhelfen, wenn er einen
Fehler oder eine Beschädigung wahrnehmen sollte.
Francia, von der hohen Trefflichkeit dieses Gemäldes mächtig
ergriffen, soll kurze Zeit nach dessen Empfang verschieden sein.


     "Spät noch kehrt aus fernen Tagen
Mir ein holder Traum zurück,
Und die trägen Pulse schlagen
Selig überrascht vom Glück.
Ja so waren die Gebilde
Meiner jungen Fantasie,
Deren Glut zugleich und Milde
Meines Lebens Frühling lieh.
O, wie rang ich, sie zu halten,
Sie zu fesseln auf der Flucht!
Ach! sie blieben Luftgestalten,
Die mich unbemerkt besucht.
Aber du hast sie bemeistert
Mit der zarten, starken Hand,
Und was heimlich dich begeistert,
Ist verkörpert, hat Bestand.
Sieger schon beim ersten Schritte,
Schreitest du den Meistern vor,
Schwingst dich leicht aus uns'rer Mitte
Zu bestaunter Höh' empor."

     Also sprach, den lang schon schmückte
Ein noch unbestritt'ner Kranz,
Als der Blick ihm, der entzückte,
Überwältigt ward von Glanz.
Doch nach langem, ernstem Schauen
Schlich ihm Wehmut tief in's Herz,
Und es zuckte in den Brauen,
Und zu Tränen schmolz der Schmerz.
"Armer Francia! redlich strebend
Bist du in der Kunst ergraut,
Fromm in Farben wiedergebend,
Was dein reiner Blick geschaut:
Unschuld, Andacht und Ergebung,
Tugend, schlicht und ungeschminkt,
Und die gläubige Erhebung,
Die zum Zweifel nicht mehr sinkt.
Und du kamst zu hohen Ehren,
Keiner hatte dich erreicht;
Jetzt kann dich ein Knabe lehren,
Sagen, daß ihm Francia weicht."

     Und er starrte trüb zur Erde,
Eifersucht und Neid durchzog
Und entstellte die Gebärde,
Wo das Selbstgefühl verflog.
"Falsches Glück! Was half mein Ringen?
Meide nur den satten Greis!
Einem gibst du das Gelingen,
Und dem Andern nur den Fleiß.
Nimm den Kranz, der schwer errungen
Mir das Silberhaar umlaubt,
Nimm und drücke ihn dem Jungen
Unerkämpft auf's stolze Haupt!
Nimm ihn! Raub am Freudelosen,
Sei Geschenk nun auch für ihn,
Dem der Jugend frische Rosen
In den dunkeln Locken glüh'n."

     Lange, lange sah er nieder,
Mit dem eig'nen Groll im Streit;
Endlich fiel sein Auge wieder
Auf des Bildes Herrlichkeit;
Plötzlich war in seinen Blicken
Wieder sanft're Glut erwacht,
Wieder strahlte das Entzücken
Aus der Leidenschaften Nacht.
"O, wie kannst du grämlich schelten,
Da dich Himmelsglanz bestrahlt!
Soll es Raphael entgelten,
Weil er wie ein Engel malt?
Unschuld ist die höchste Tugend,
Das Verdienst erreicht sie nie,
Und das Schönste zeigt die Jugend,
Allen Schmuck verdunkelt sie.
Alle Himmelsgaben werden
Nicht durch sauern Schweiß erlangt;
Zürne nicht! wenn so auf Erden
Willenlos das Schöne prangt."
Also floß von seinem Munde
Nun die Honigrede hin:
Doch im Herzen war die Wunde,
Und der Stachel blieb darin.
Und wie scharf er ihn gestochen,
Sah man am Entseelten bald;
Denn das Herz war ihm gebrochen
Vor der himmlischen Gestalt.

Gnomen

     Nimm dankbar jedes Gut vom Glücke,
Doch als Geschenk betracht' es nie,
Und denk', es fordert einst zurücke
Mit hohem Zins, was es nur lieh. —

     Nur auf dich selber sei gegründet,
Nur auf dich selbst vertraue fest!
Die Hilfe Anderer verschwindet,
Wenn eig'ne Stütze dich verläßt. —

     Und drücken dich auch Not und Sorgen,
Und läßt der Schmerz dich weinen kaum,
So denke nur: bald ist es Morgen,
Und ausgeträumt der Lebenstraum. —

     Du willst das Glück erzwingen? Tor!
Nur der ist glücklich hier auf Erden,
Der nichts ersehnte, nichts verlor;
Man kann nur glücklich sein, nicht werden.

     Bescheidenheit schmückt auch den Besten.
Laß Demut deine Zierde sein!
Vergleichst du dich nur mit dem Größten,
O, wie erscheinst du dir dann klein! —

     Such' nicht zu sehr nach einem Namen,
Es rühmt sich selbst die gute Tat;
Und streue immer guten Samen,
Gedeiht auch oft nicht deine Saat. —

    Sei wie die Sonne, Freund! und stehe
Am rechten Fleck, und harre aus;
Zieh' Erden rings in deine Nähe,
Und spende Licht und Wärme aus. —

     Allmächtig ist der Wahrheit Schimmer;
Die Geister unterdrückt ihr nicht,
Dreht an der Pflanze, drehet immer,
Es kehrt sich jedes Blatt zum Licht. —

     Langsam eilende Zeit! du bleichest nicht Wange und Haar nur,
Auch von Geist und Gemüt streifst du das Dunkle hinweg. —

     Ach wir lernen und lernen, mit Eifer und Mühe und rastlos
Was zu lernen und wie — lernen wir leider zuletzt. —

Der Pilger

     Als ich die Hand euch scheinend gab,
Als Herz am Herzen ruhte,
Und ich dann hastig griff zum Stab
Und zu dem Muschelhute;
Da rührte euch mein letzter Blick,
Ein schnell von Nacht verschlungenes Licht —
Doch bei euch weilen kann ich nicht:
Fort trieb den Pilger sein Geschick.

     Denn sein Geschick ist winterkalt,
Wie sein Gesang verdüstert,
Der wilder von den Saiten hallt,
Wo Liebe zärtlich flüstert.
Vergebt ihm, was sein Blick nur sprach,
Vergebt dem schmerzgebeugten Mann,
Der sich mit euch nicht freuen kann;
Dem Manches sank und brach.

     Es sank und brach, und auf der Flucht
Vor dem, was noch geblieben,
Fand er bei euch, was er gesucht,
Doch fort hat's ihn getrieben.
O! denkt an seinen Scheideblick,
Denn er enthüllt sein tiefstes Ich;
Er nahm den innern Kampf mit sich,
Er ließ den Frieden euch zurück.

     Und euch zurück blieb all sein Licht,
Der Reichtum seiner Liebe,
Ihm leuchten Mond und Sterne nicht,
Denn seine Nacht ist trübe;
Und wie der wilde Regenbach
Die Blume mit zum Abgrund reißt,
Treibt rastlos ihn der finst're Geist, —
Wünscht ihm den Frieden nach!

Allerseelentag

     Ich denk' an euch, ihr hingeschwundnen Lieben!
Bei deren Grab nicht trauern kann mein Herz,
Von denen mir kein and'res Pfand geblieben,
Als der Erinn'rung Freude — nein, ihr Schmerz.
Ich denk' an euch, an jede bange Stunde,
In welcher mir ein Aug' voll Liebe brach,
Und an den Kuß von manchem stummen Munde,
Verstummt schon, als er gern noch kosend sprach.

     Und bitter muß ich lächeln, wenn ich denke,
Wie euer Herz an einem Leben hing,
Von dem es keine glänzenden Geschenke,
Nein, wahrlich, Bettlerspenden nur empfing.
Doch wie den Kindern, wurde zum Kleinode
Euch jeder gleißend trügerische Tand,
Den, überschätzter noch im nahen Tode,
Sich schwer entreißen ließ die kalte Hand.


     Ihr Glücklichen! nur ich war zu beklagen,
Gestiftet zur Erfahrung für die Welt,
Die uns den größten Teil von unsern Tagen
Mit gräßlicher Beleuchtung scharf erhellt.
Kein teures Gut ward mir fortan geboten,
Entrissen viel, und was noch blieb — verderbt,
Bis ich mit Neid sogar verfolgt die Toten,
Das Leben selbst zur Leiche sah entfärbt.

     Mit euch, die nach und nach von mir geschieden,
Bis mich die Last der Einsamkeit erdrückt,
Hat mehr und mehr die Freude mich gemieden, —
Umsonst hab' ich um Trost umher geblickt.
Nie hat seitdem ein Herz mir mehr geschlagen,
Wie manches einst, eh' es noch stille stand,
Und viel noch war's, daß in den Folgetagen
Ich hier und da ein karges Mitleid fand.

     Ein Fremdling muß ich unter Fremden stehen,
Und mißverstanden, oder ganz verkannt,
Ihr abgeschmacktes, schales Treiben sehen,
Fort aus dem Kreis der Besseren gebannt,
Muß ängstlich ringen mit gemeinsten Sorgen,
Wie leid'ge Lüge flieh'n der Hoffnung Wahn,
Mit frischer Kraft erwachen jeden Morgen,
Um ausgemüdet dumpfem Schlaf zu nah'n.

     Wie gut, daß ihr entkommen solchem Leben,
Und unverdient nicht tragt so hartes Los,
Daß ihr den eklen Atem aufgegeben,
Und friedlich schlummert in der Erde Schoß!
Nicht mit Verzweiflung teile ich den Glauben,
Daß mit dem Leib das ganze Sein verwes't,
Doch wahrlich! könnte Tod auch dieses rauben,
Ich werf' es hin, bin gern davon erlös't.

     Ach, euer Grab ist fern! Wo gähnt das meine?
Versunken sind wohl eure Hügel schon —
Zwar drückten sie nicht schwere Leichensteine,
Doch manches trübe Jahr ist schon entflohn.
Ruht sanft! Und naht vielleicht ein Lebensmüder,
Sich ein Verwais'ter eurem Staube heut',
So streu' er weinend Blumen auf euch nieder,
Es sei so viel, als ob i c h  sie gestreut.