Enttäuschung
O Poesie, du Kinderfrau,
Du hast mich ganz verzogen!
Welch' holde Märchenbilderschau
Hast du mir vorgelogen!
Nun such' ich lebenslang den Glast,
Den du mir einst verheißen hast,
Und bin doch stets betrogen.
Wie oft das Kartenhaus zerfällt
Ob seines Grundes Schwanken,
Ich bau' mir meine Wunderwelt
Stets wieder in Gedanken,
Und rollt das schwere Schicksalsrad
Nicht fort auf dem geträumten Pfad,
So fang' ich an zu zanken.
Und doch aus meines Loses Krug,
Dabei mein Mund muß darben,
Tränk' mancher wohl sich Glücks genug
Und frische Wangenfarben;
Ich aber senke still das Haupt
Und denk' der Märchen, einst geglaubt,
Und meiner Herzensnarben.
Wahl
Da liegt vor mir ein altes Bild
Der Bibel aufgeschlagen:
Der greise Moses schaut vom Berg,
Und seine Blicke tragen
Ihn sehnsuchtsvoll hinein ins Land,
Das Gott verhieß den Erben
Und das er nie betreten sollt',
Um selig dort zu sterben.
Nun sinn' ich nach, was besser sei:
Ob ohne Wunsch ein Leben,
Ein Nebeltag, der Schatten nicht
Noch Licht vermag zu geben —
Ob eine sel'ge Stunde lang
Von höchstem Glück zu wissen
Und, in der Brust der Sehnsucht Dorn,
Es ewig dann zu missen.
Leichter Sinn
Um die rosig runden Wangen,
Mädchen, wie beneid' ich dich!
Um der Lippen frisches Prangen,
D'rauf das Lächeln nie verblich;
Um den Sinn, den falterleichten,
Der von allem Süßen nascht,
Was die Schwingen erst erreichten,
Wieder läßt und Neues hascht.
Während ich, geträumtem Ziele
Folgend, müde mich gehetzt,
All' mein Gut in tollem Spiele
Auf den einen Wurf gesetzt;
Und ein Bettlerdasein habe,
Wenn das Glück mich neidisch flieht — —
Böser Feen Wiegengabe
Ist ein inniges Gemüt.
Verschiedene Wege
Sprecht mir von Blumen, Sommertagen,
Von Farben, Tönen, Modesport,
Vom Gold, nach dem die Menschen jagen,
Nur laßt die Liebe aus dem Wort.
Der Ruf heißt meine Lanzen fliegen,
Bewehrt den Arm mit eh'rnem Schild,
Sie schütz' ich, wie in Glaubenskriegen
Der fromme Christ sein Heil'genbild.
Ihr lacht, ich bete beim Altare,
Ihr pflückt die Lieb', wo's euch gefällt,
Zu Scherz und Spiel, als Schmuck der Jahre,
Mir aber ist sie meine Welt!
Herzensrätsel
Wärst du ein Krösus reich an Gold
Und hättest Kronen zu erben,
Du kannst doch mit dem höchsten Sold
Kein Menschenherz erwerben.
Und sängst du mit süßem Schall
Wie Klang von Harfen und Glocken,
Die Lieb', die freie Nachtigall,
Sie läßt sich nicht erlocken.
Dem Sonntagskind dem naht sie sich,
Kaum braucht's ein holdes Neigen.
O Herz, wie bist du wunderlich,
O Lieb!, wie bist du eigen!
Seltsame Welt
Zwei, sich so fremd im Herzensgrund,
Daß nichts die Kluft kann überbrücken,
Die müssen sich die Hände drücken
Und heuchelnd legen Mund an Mund,
Und wehe, wer sich frech entschlüge
Der strengen Satzung heil'ger Lüge!
Wo aber Seel' zu Seele spricht
Und drängt zu ruhen Herz an Herzen,
Die müssen meiden sich mit Schmerzen
Und senken selbst der Augen Licht,
Damit kein Strahl sie weiter künde
Der reinsten Liebe schöne Sünde.
Gegensatz
Von außen ist's ein prächtig Buch,
In Samt und Seide gebunden,
Doch hat, d'rin blätternd, mein Versuch
Kein Körnlein Gold gefunden.
So lockt uns unterm Menschenschwarm
Manch' Antlitz sonder Fehle,
Doch eng der Sinn, das Herz so arm
Und leer der Schrein der Seele.
Vereinsamt
Spät, wenn längst verrauscht der Tag,
Sitz' ich bei der Lampe Schimmer
Einsam noch im stillen Zimmer;
Ausgelöscht sind rings die Kerzen,
Wach ist nur der Pendelschlag
Und die Sehnsucht, die am Herzen
Rastlos nagt in heißer Pein —
Immer bin ich allein!
Aber weilt' ich auch im Saal,
Wo bei Tanz und Festgepränge
Jubelt die geschmückte Menge,
Hundert Mienen lächelnd nicken
Zu der Worte kluger Wahl,
Händedruck und süßes Blicken — —
Alles Lüge, Alles Schein,
Immer bin ich allein!
Mißklang
Hör' ich aus der Schönheit Mund
Leere aufgeschminkte Phrasen,
Bösen Klatsch der Stadtfraubasen,
Tut's mir weh im Herzensgrund.
Wie aus einer Blume Schoß
Möchten wir aus schönen Augen
Auch den Duft der Seele saugen,
Aber anders fiel das Los:
Manches Herz von echtem Gold
Schmachtet in gemeiner Hülle,
Und was ohne Wert und Fülle,
Zeigt dem Blick sich wunderhold.
O Natur, sonst immer wahr,
Kannst auch du so schnöde brechen
Solch ein liebliches Versprechen?
Bist auch du der Treue bar?
Alltäglichkeit
Immer im Grauen
Geht meine Reise,
Die Nebel tauen
Nur sacht und leise.
Kein Frost, kein Glühen,
Die Luft ist milde,
Doch buntes Blühen
Fehlt dem Bilde.
Ich schaue nimmer
In voller Schöne
Im Sonnenschimmer
Die Farbentöne:
Die gold'nen Felder,
Das Grün der Matten,
Der Tannenwälder
Tiefdunkle Schatten.
Die Wege zeigen
Sich glatt und gerade,
Kein Gipfelersteigen
Auf rauhem Pfade,
Nie blick' aufs Gewimmel
Ich stolz von oben:
So ward im Himmel
Mein Schicksal gewoben.
Genügsam
Herz, lerne dich bescheiden,
Du allbegehrlich Kind,
Der Liebe ward das Leiden
Zum Wiegenangebind'.
Herz, lerne dich vertragen
Mit deinem kargen Los,
Es trägt auch das Entsagen
Ein Glück in seinem Schoß.
Und ist dir auch zerronnen,
Was dich entzückt einmal,
Herz, lern' dich neidlos sonnen
An fremden Glückes Strahl.
Wehrlos
Lieber wund vom Schwerteschlage
Als von hundert Wespenstichen,
Lieber Kampf am off'nen Tage
Als des Nachts mit Fuchsesschlichen.
Gegen Feinde, fest wie Mauern,
Kann der Arm die Lanze heben,
Doch ein feigverstecktes Lauern
Macht die stärksten Herzen beben.
Taufe für den Seelenadel
Ist das Blut aus off'ner Wunde,
Von dem Ritz der gift'gen Nadel
Siecht das Mark im tiefsten Grunde.
Vergeblicher Wunsch
Wenn ich diese schwarze Wolke
Glücklich seh' vorübergleiten,
Weiß ich, daß der blaue Himmel
Sich dahinter würde weiten;
Daß geebnet wär' dann Alles;
Alles, was mich jetzt bedrückte,
Daß mein Leben frisch und grünend,
Wie die Flur, die neugeschmückte;
Daß ich glücklich gleich der Schwalbe
Wäre, die gewiegt vom Weste
Jubelnd zustrebt nach dem lieben
Altgewohnten Heimatneste. —
Doch die Wolke hängt so reglos,
Und so bleiern ruht ihr Schatten
Auf den Trieben meines Herzens,
Die nach Licht gesehnt sich hatten.
Kritische Tage
Tage gibt es ohne Segen,
Wo mißraten alle Dinge,
Wo sich Bleigewichte legen
Lähmend auf des Geistes Schwinge;
Wo aus allen dunklen Ecken
Grinsen höhnende Gestalten,
Die besudeln das mit Flecken,
Was wir heilig sonst gehalten.
Hilflos werden wir nicht Meister
Des Gedankenalps, des bösen,
Bis die schadenfrohen Geister
Kampfesmüd ihn selber lösen.
Unverstanden
Wie oft hab' ich als Kind zu Nacht
Mit gläubigem Sinn an Gott gedacht
Und fromm gefaltet die Hände:
"Gib eine selige Sterbestund' "
Hieß des Gebetleins Ende,
Dann schloß der Schlaf den kleinen Mund.
Ach, damals ahnt' ich's nicht im Traum
Wie viele Blüten vom Lebensbaum
Erst müssen verwehen, verderben,
Eh' wir mit Freuden sterben!
Ermunterung
O Herz, so wirst du nimmer klug!
Was spähst du in der Wolken Zug
Mit ängstlich bangen Fragen?
Droht dir auch heut' ein herb Geschick,
Ein frischer Wind, ein Sonnenblick
Kann all' dein Leid verjagen.
Wohl Mancher, dessen Träne rann,
Ward über Nacht ein sel'ger Mann,
D'rum, Herz, laß' ab zu sorgen;
Ein Tor, wer künftig' Leid beweint,
Denn anders, als wir heut' gemeint,
Erscheint gar oft das Morgen.
Eigenart
Und ist es trotz'ger Tannen Art
Sich mit dem Sturm zu messen —
Ich bin die Blume nur, die zart
Im Gras ruht stillvergessen.
Ich muß den weiten Himmel blau
Und grün die Erde sehen,
Ich haß' des Winters farblos Grau
Und seines Odems Wehen.
Ihr bändigt nimmermehr mein Blut
Mit der Entsagung Fesseln,
Mein Dogma ist: Das Glück macht gut,
Das Unglück zeugt nur Nesseln.
Genußfreudigkeit
So lange noch am Lebensbaume
Ein Knöspchen lächelt, brich's beherzt,
Daß nicht dereinst am Grabessaume
Dich reuvoll dein Entsagen schmerzt.
Genieße, bis sich grau verdüsternd
Zu Ende neigt dies kurze Fest,
Dann geh' auch du, wie Abschied flüsternd
Das welke Blatt den Baum verläßt.
Unheilbar
O glaube nicht, unheilbar sei dein Leid,
So lang' noch währt des Lebens Frühlingszeit!
Raubt heut' die Rosen dir des Sturmes Wüten,
Steht morgen schon der Strauch voll junger Blüten;
Der Stamm bleibt frisch — und Tränenguß im Mai
Wäscht nur das Auge, daß es heller sei.
Was heute dir verschlang der Erde Schlund,
Du baust es wieder und auf festern Grund. —
Doch wenn im Herbst des Unglücks Meute naht
Und rauh zertritt die vollgereifte Saat,
Und wenn ein Baum mit hundertjähr'gen Ringen
Gebrochen liegt — da winkt kein neu Gelingen.
Wen spät mit grauem Haar solch' Schicksal traf,
Den heilt kein Balsam, nur der ew'ge Schlaf.
Warnung
Stolze, schlanke Edelfichte,
Strebend hoch zum Himmelslichte,
Schöner Baum, o laß dein Prunken!
Stämme, die wie du es wagen
Aus dem niedern Wald zu ragen,
Locken an den Blitzesfunken.
Und die Stürme freut's, mit Brausen
Ihre Krone zu zerzausen,
Bis die Äste geh'n in Splitter;
Krumme Föhren, kluge Zwerge,
Kriechend an dem Hang der Berge,
Sind gesichert im Gewitter.
Kennst du nicht die alten Sagen,
Die vom Neid der Götter klagen?
Gunst verkehrt sich leicht in Tücke;
Was noch heut' mit Glanz umkleidet,
Ihnen morgen ist verleidet,
Und sie schlagen es in Stücke.
Zwiespalt
Stets fühl' ich seltsam mich bewegt,
Wenn Einen man zu Grabe trägt.
Zwei Stimmen, immerdar entzweit,
Erheben in der Brust den Streit.
Die erste spricht: "Nur eitler Wahn
Ist irdisch Gut, häng' dich nicht dran.
Heut' bringst du Schätze dir ins Haus
Und morgen jagt der Tod dich aus.
Auf Erdenglück verzichten lern',
Das ist der Weisheit tiefster Kern."
Die zweite lächelnd lockt: "Sei klug!
Der Freude Falter hasch' im Flug.
Das Leben ist ein leck'res Mahl,
Verlaß nicht hungrig noch den Saal.
Und weil es flüchtig, greife zu,
Dann schlägst dem Tod ein Schnippchen du."
Nun frag' ich, was ist bess're Lehr?
Es schwankt die Waage hin und her
Und wird wohl schwanken Tag für Tag,
Bis still mein eig'ner Herzensschlag.
An meinen Knaben
1.
Als ich zum erstenmale hielt umfangen
Mein liebes Kind, entsproß dem Herzensgrunde
Ein still Gelöbnis und mit heißem Munde
Schrieb ich es küssend auf des Kleinen Wangen:
Um diese Stern, der neu mir aufgegangen,
Ihr Schicksalsmächte, biet' ich euch zur Stunde
Versöhnung ob der nie verheilten Wunde,
Die einst mir schlug ein ungestillt Verlangen.
In dieser Kinderaugen blauen See
Will ich zu ewigem Vergessen senken
Mein lang gehegtes und gepflegtes Weh;
Und diese frische Rosenknospe soll
Für so viel Leid ein wohlverdienter Zoll
Mir einen neuen goldnen Frühling schenken.
2.
Kind meines Herzens! Wie verweilt auf dir
So gern mein Blick, von sel'gem Stolze trunken!
Die Törin freut's mit buntem Tand zu prunken —
Du bist mir mehr als Gold und Flitterzier!
Wollt' mir die Flamme zehren Haus und Gut —
Und müßt' ich blutig schaffen meine Hände —
Noch wär' ich reich, wenn nur am Tagesende
Dein lockig Köpfchen mir im Arme ruht'.
Und doch — dein off'nes Kinderantlitz weckt
Oft in der Brust mir namenloses Bangen —
Ach, lieber säh' ich deine Rosenwangen
Verwelkt, zu ew'gen Schlaf dich hingestreckt,
Als daß, gereift zum Mann, dein Fühlen nicht
Der Menschheit warm, dem kleinen Ich nur schlüge,
Daß Nacht dein Denken und dein Wahlspruch Lüge,
Indes der Freunde Schar um Freiheit ficht.
Kämpf' mit mein Sohn! Und wär's als Knappe nur,
Wirst du zum Bannerträger nicht befunden,
Kämpf' mit! Daß um die kleinste der Sekunden
Du nicht verziehst den Gang der Zeitenuhr.
Dann drück' ich erst mit voller Mutterlust
Dich an mein Herz, vor stolzem Glücke wallend
Sei es als Sieger oder sei es fallend
Auf deinen Schild, die Wunden auf der Brust.
3.
Oft inmitten heit'rer Tage,
Wann die Lust aufschäumt in Wogen,
Kommt mir wie ein Geistergrüßen
Leis ein Schatten mir angeflogen.
Wie ein Ton aus fernen Zeiten
Mahnt es tief in meiner Seele:
Mutter, kannst du Blumen pflücken,
Wenn ich, deine Rose, fehle?
Feucht umflort sich meine Wimper,
Einsam in dem frohen Schwarme
Faßt mich Sehnsucht nach der Stimme,
Nach dem Druck der kleinen Arme.
Mit dem Bündel wollt' ich wandern
Bettelarm und unverdrossen,
Fänd' ich wo die Kinderaugen,
Die sich mir zu früh geschlossen.
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