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VI.
Ghaselen und Sonette
Ghaselen
Sonette
Triffst du auf des Lebens Pfaden
Schminke auf den zarten Wangen
Im Erdengarten
Du schönes Bild
Was deiner milden Schönheit ich verdanke
Welche Rätsel sonder Zahl
Nicht immer ging dein Lebenspfad
Frag' nieJungbrunnen
Im Laufe des Lebens
Rotkehlchen ward gefangen
Ein Armer schaut zur kalten Winterszeit
Zwei Kinder betteln
In weiter Halle sausen die Maschinen
Ghaselen
Triffst du auf des Lebens Pfaden
Triffst du auf des Lebens Pfaden
Einen, der mit Schuld beladen,
Brich den Stab nicht allzustrenge,
Sei ein Richter voller Gnaden!
Leicht ist's gute Früchte bringen,
Wenn den Baum vor Wetterschaden
Treue Hände sorglich hüten;
Und das Korn gibt reiche Schwaden,
Wenn des Himmels Gunst es zeitigt,
Glatt sich spinnt der Schicksalsfaden.
Doch derselbe Bach, drin heute
Friedlich sich die Blumen baden,
Reißt, vom Sturm geschwellt, schon morgen
Haus und Feld von den Gestaden.
Der du laut als Pharisäer
Prahlst mit frommen Worttiraden,
Weißt du, was dein Sein geworden,
Wenn es wär' im dumpfen Gaden
Statt im Sonnenlicht entsprossen?
Sei ein Richter voller Gnaden!
Schminke auf den zarten Wangen
Schminke auf den zarten Wangen,
Statt im eig'nen Reiz zu prangen?
Laß dich warnen, junges Mädchen,
Vor solch' eitlem Unterfangen!
Leicht erscheint die kleine Täuschung,
Doch es kommt die Zeit gegangen,
Da dich läßt die Lust am Scheine
Auch nach falschen Worten langen.
Daß du auf des Lebens Bühne
Seist mit Flitterwerk behangen,
Trägst du bald mit kecker Stirne
Messing statt der gold'nen Spangen
Aus des echten Fühlens Esse.
Mädchen, laß der Lügen Schlangen
Nicht dein reines Herz vergiften,
Nimm die Schminke von den Wangen!
Im Erdengarten
Im Erdengarten, wo bei wechselreichen
Geschicken Menschen aufblüh'n und verbleichen,
Gibt's düstre Pflanzen, deren Keime schon
Behaftet mit des Unglücks Pariazeichen.
Wer dieses trägt, der sieht die Kinderzeit
Als Nebelmorgen trüb vorüberschleichen,
Und wenn der Mai, der Wonnespender, naht,
Wenn Alles blüht, die Rosen und die Eichen,
Steht er verkümmert farb- und formenlos
Und muß den prangenden Genossen weichen.
Kein Auge ruht erfreut auf seinem Wuchs,
Der sich zu Boden krümmt bei Sturmesstreichen,
Bis endlich ihn zermalmt das Schicksalsrad,
Und achtlos drüber wälzt die schweren Speichen.
Nur manchmal grübelt eine Denkerstirn
Und frägt' sich an solch' unbeweinten Leichen:
Wo hält die ewige Gerechtigkeit
Die Waage, solches Unrecht auszugleichen?
Du schönes Bild
Du schönes Bild, das tausend Reize schmücken,
Wie hängt mein staunend Auge voll Entzücken,
Berauscht an deinem stolzen Jugendglanz!
Doch niemals soll mein Fuß dir näher rücken,
Nie, um zu öffnen, will ich meine Hand
Je auf den Schlüssel deiner Seele drücken.
Mir ist so bang, ein Wort aus deinem Mund
Vermöchte all den Zauber zu zerstücken,
Der Götterliebling würd' ein schlichter Mensch
Und nimmer könnt' ich huldigend mich bücken.
Was unerreichbar, das allein bleibt hold,
Die Frucht verliert den zarten Flaum beim Pflücken,
Der Schmetterling im Netz den Schimmerstaub.
Jedwede Schönheit krankt an kleinen Lücken;
Beschaut der Blick sie allzunah und scharf,
So stechen uns der Mängel schlimme Mücken.
D'rum bleib mir fern, du wundersames Bild,
Als Ideal nur still mich zu beglücken.
Was deiner milden Schönheit ich verdanke
Was deiner milden Schönheit ich verdanke?
Denk' dir in dumpfer Stube eine Kranke,
Die matt an Leib und Geist viel Monde lang
Sich sehnt ins Freie aus der engen Schranke.
Nun gib ihr plötzlich frische Alpenluft,
Zeig ihr das grüne Tal, die Bergesflanke,
Mit Hütten übersät und schneegekrönt,
Zeig' ihr den See, der Schifflein leicht Geschwanke,
Wölb' drüber Himmelsblau und Sonnenschein
Und laß sie, überdacht von Zweiggeranke,
Vor diesem Bilde schwelgen trunk'nen Blicks —
So ward dein Reiz mir zum Genesungstranke.
Noch holder ist als blühende Natur
Das Menschenantlitz, die Gestalt, die schlanke.
Seit du an meinem Aug' vorübergingst,
Lieg' nimmer mit der Schöpfung ich im Zanke;
Die Welt ist gut, das Leben lebenswert,
Weil solche Schönheit nicht bloß ein Gedanke.
Welche Rätsel sonder Zahl
Welche Rätsel sonder Zahl
Birgt doch deines Auges Strahl!
Heut' ist wie der Blick des Kindes
Rein, ein unbetret'ner Saal
Morgen zürnt es allem Bösen,
Blitzend wie geschliff'ner Stahl.
Still und mild gleich Sommernächten
Täumt's von süßer Herzenswahl,
Sucht voll Sehnsucht in der Ferne
Seiner Liebe heil'gen Gral;
Oft wie schwärzlich- blaue feuchte
Wetterwolken überm Tal
Scheint es Tränen zu verhehlen,
Schweres Schicksal, Seelenqual.
Wohl verhüllt solch' dunkle Meerflut
Perlen; schöner als Opal —
In ihr Wellenspiel zu schauen
Drängt's mich immer noch ein Mal!
Nicht immer ging dein Lebenspfad
Nicht immer ging dein Lebenspfad im Lichte,
Doch gibt es Seelen, herrliche Gedichte
Des Schöpfers, deren reinen Himmelsklang
Kein Mißton dieser Erde macht zunichte.
Der Wasserrose gleich, die blendend weiß
Ihr Haupt erhebt aus trüber Schlammesschichte
Und gleich dem Heil'gen, der das Meer durchschritt
Mit trock'nem Fuß, befreit vom Schwergewichte,
Blieb deines Wesens Güte makellos.
Wohl sitzt die fromme Feme zu Gerichte
Und schaut von ihrem Alltags- Tugendthron
Auf dich herab mit hämischem Gesichte,
Trägt selbst des Dünkels Balken in dem Aug'
Und sucht den Splitter, daß sie dich bezichte,
Doch vor dem Blick, der nach der Tiefe forscht,
Bist du der Reine, sie die Bösewichte.
Frag' nie
Frag' nie, durchforschend eines Liedes Falten,
Was vom Geschick des Dichters drin enthalten!
Ein Irrweg ist's, den so dein Fuß betritt
Und täuschend äffen dich nur Truggestalten.
Vielleicht, indes der Sang voll Licht und Glut,
Weilt, der ihn schuf, im Kämmerlein, im kalten,
Und seufzt in weltverlass'ner Einsamkeit,
Statt die zu küssen, der die Lieder galten.
Nur Sehnsucht war's und Wunsch, nicht der Besitz,
Daß also herrlich seine Töne schallten.
Vielleicht ist Schein auch der Titanentrotz,
Indem sich seine Fäuste grimmig ballten,
Denn niemals traf ihn selbst noch herbes Leid.
Der Schmerzenslaut, den seine Lippen lallten,
War Mitgefühl, weil an den weichen Sinn
Des Menschenjammers scharfe Pfeile prallten.
Ein Rätsel bleibt sich selbst der Dichtergeist
Und seiner Schöpferkraft geheimes Walten.
Sonette
Jungbrunnen
Von einen Brunnen kündet uns die Sage,
In dem ein wunderbarer Zauber ruht:
Der Lebensmüde stürzt sich in die Flut
Und kommt als glücklich frohes Kind zu Tage.
Wüßt' ich den Weg dorthin! Ob er mich trage
Durch Dorngestrüpp und durch der Wüste Glut —
Des Eismmeers Grau'n durchschiffte ich mit Mut
Und brächte zu dem Born all' meine Klage.
Aufjauchzend würf' ich in die Tiefe mich,
Schlöß' Wog' an Wog' an meine kranke Brust,
Bis, wie durchströmt von Zaubersäften, sich
Ins Mark ergösse frische Lebenslust;
Versenkt läg' Hassen, Lieben, Leid und Wonne,
Und neugeboren stieg' ich auf zur Sonne.
Im Laufe des Lebens
Im Laufe des Lebens gibt es Sonnentage,
Die eingeprägt im gleichbeschrieb'nen Grund
Mit Lettern stehen, leuchtend farbenbunt,
Und es verklären wie mit einem Schlage.
Ihr Vollgewicht fällt siegend in die Waage,
Daß hoch sich hebt der Erdenmühsal Pfund,
Um ihretwillen murrt nicht mehr der Mund
Und schleppen willig weiter wir die Plage.
Nicht nach dem Gang der Monde, wie's genehm,
Nicht nach dem Zeitenwechsel zähl' die Jahre,
Nach schönen Stunden miß des Lebens Wert;
Wer sich von ihrer Götterkost genährt,
Der hat gelebt; er gleicht Methusalem,
Und läg' er auch als Jüngling auf der Bahre.
Rotkehlchen ward gefangen
Rotkehlchen ward gefangen in den Schlingen;
In eines Käfigs zierlichen Palast
Mit reichem Futter sperrte man den Gast,
Da sollt' es fröhlich seine Triller singen.
Doch traurig saß es und mit matten Schwingen,
Nur wenn der Morgenstrahl den gold'nen Glast
Durchs off'ne Fenster warf, da schien es fast,
Als wollt' ein süßes Lied ihm neu gelingen;
Ein Lied voll Sehnsucht nach dem schattenkühlen
Tiefdunkeln Wald, nach Luft und Sonnenschein,
Auf seine Weise will es glücklich sein.
Der Schmerz, die Freude folgt nicht dem Befehle,
Entsagen, still sich fügen kann die Seele,
Doch nie, weil es Gebot, sich glücklich fühlen.
Ein Armer schaut zur kalten Winterszeit
Ein Armer schaut zur kalten Winterszeit
In eines Reichen lichtdurchstrahltes Zimmer,
Was er erblickt, scheint alles Pracht und Schimmer,
Behagen, Wärme, Glück und Seligkeit.
Vielleicht, säß' er da drin im schönen Kleid
Beim leckern Mahl, er fände unterm Flimmer
Ein Herzenselend, tausendmal noch schlimmer
Als Not und säh' zum Bettler hin mit Neid.
So aber flucht er grollend dem Geschick
Und klagt, die Faust geballt, den Himmel an,
Der solches Erdengut ihm streng versagt.
O Glück, du bist ein Gaukelbild, ein Wahn!
Dich sucht der Mensch in ruhlos wilder Jagd,
Und greift er dich, zerrinnst du vor dem Blick.
Zwei Kinder betteln
Zwei Kinder betteln an der Straßenwende,
Das eine rosig, blondgelockt das Haar,
Das andre siech, mit bleichem Wangenpaar,
Und strecken gabenflehend aus die Hände.
Und sieh! bald fließet rings des Mitleids Spende,
Dem schönen Kinde gibt gerührt die Schar,
Das häßliche, das ärmer doch fürwahr,
Es hofft vergebens, daß es Hilfe fände.
So ist's. Nie schenkt sich nach Verdienst die Liebe,
Der Glanz, die Schönheit ist das Götterbild,
Vor dem die Menschen knie'n in blindem Triebe.
Und wessen Sinn verachtet das Gemeine,
Wem Poesie verlieh den Wappenschild,
Der hängt nur doppelt an dem schönen Scheine.
In weiter Halle sausen die Maschinen
In weiter Halle sausen die Maschinen,
Die Riesenräder dreh'n sich ohne Rast,
Dazwischen tummeln sich in ems'ger Hast
Vielhundert Menschen wie ein Schwarm von Bienen.
Sie wachen sorgsam, mit geschäft'gen Mienen,
Daß jeder Teil genau ins Ganze paßt,
Die kleinste Schraube, unbemerkbar fast,
Sie muß dem großen Werke fördernd dienen.
Ihr gleichest du, bescheid'nes Menschenleben,
So gehst du still im eng beschränkten Gleise
Und übst des Tages Pflicht in schlichter Weise;
Und bist so nötig doch mit deinem Streben,
Um das Geschick der Menschheit fortzuweben,
Wie Jener, der da Völker lenkt im Kreise.