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II.
Poesie und Wirklichkeit 1

 

Wie die Leute sagen
Antwort
Das Dichterherz
Stille Liebe
Wunsch
Vorgefühl
Nachgefühl
Schneeglöcklein
Nachts
Morgen ist Feiertag
Erhebung
Gottesgericht
Der Flüchtling
Wechsel
Freudvoll und leidvoll
Manch wundes oft getäuschtes Herz

1.
Wie die Leute sagen

Ein Mann steht draußen vor dem Tor
Und schickt sich an zu rasten,
Es steht ein Schwarm von Leuten vor
Dem buntbemalten Kasten.

D'rin mag es, wenn durch's Glas man schaut,
Viel schöne Bilder geben:
Paläste, Tempel, reich gebaut,
Fremdart'ges Menschenleben.

Für Kinder ist's ein lust'ger Tand,
Die nicht viel Zeit versäumen,
Für Schwärmer, die in fernes Land
Sich gern hinüberträumen.

Wir aber haben in Hof und Haus
Zu schaffen viel und zu sehen;
Ein Stücklein Geld zum Fenster hinaus.
Dann mag er weiter gehen!

2.
Antwort

Wir glückliches Poetenvolk!
Uns kann kein Leid zu tief durchdringen,
Weil wir mit einem frohen Lied
Die Tränen uns vom Auge singen.

Oft hab' ich schmerzlich sie gefühlt
Die Reden der Empfindungslosen,
Ich drückte mir den Dorn in's Herz
Und gab zur Rache — frische Rosen.

Das Dichterherz

Dem Meere gleicht das Dichterherz
Mit seinem dunkeln Grund;
Viel Taucher steigen niederwärts,
Nie wird die Tiefe kund.

Und ob das Herz erklingt in Lust,
Ob es voll Trauer klagt:
Es bleibt doch etwas in der Brust,
Was keine Sprache sagt.

Stille Liebe

Wenn du mir nah'st und schau'st mir stumm errötend
In's Angesicht;
Warum ich zitternd immer dir entfliehe,
Das frag' mich nicht.

Wenn alles schläft, in meinem kleinen Zimmer
Siehst du noch Licht;
Um was ich da so lang, so innig bete,
Das frag' mich nicht.

Der Schlummer naht, und um die Seele spinnt sich
Ein süß Gesicht;
Warum ich Morgens feuchten Blick's dich grüße,
O frag' mich nicht.


Wunsch

Als ich geschaut dir in die Seele,
Da zog mich milde Zaubermacht,
Und schüchtern, halb noch traumumfangen,
Ist junge Liebe leis' erwacht.

Laß mich in deinem dunkeln Herzen
Als lichter Mond am Himmel steh'n,
All' deinen Wegen will ich leuchten
Und ewig nimmer untergeh'n.

Vorgefühl

Frühmorgens ist hellrote Glut
Dort über den Bergen gelegen;
Ich kenne das Zeichen, es ist nicht gut,
Es deutet auf Sturm und Regen.

Ich hab' an meine Liebe gedacht;
Es kam das Lieben und Sehnen
Wie helles Frührot nach dunkler Nacht —
Und brachte mir Leid und Tränen.


Nachgefühl

Wehmütig schweigt des Sees Tiefe,
Der Tag hat Frieden ihm gebracht;
Nur kleine leise Wellen mahnen
An den vergang'nen Sturm der Nacht.

Ringsum die frischen Blüten duften
Im Morgenlicht, das sie bescheint;
Ein Tröpfchen hängt an jeder Blume,
Als hätte heimlich sie geweint.

Sag' immerhin, ich soll vergessen
Vergang'ner Tage bitt're Schmach,
Selbst in den schönsten Stunden zittert
Erinnerung noch leise nach.


Schneeglöcklein

Schneeglöcklein auf dem ersten Grün!
Dem Schnee der Unschuld hold entsprossen,
In das der Himmel, licht und rein,
Die jungen Strahlen hat ergossen.
Nicht Rosenpracht darf sich vermessen
Zu nahen ihm mit Duft und Glüh'n;
Schneeglöcklein auf dem ersten Grün!
Wir können's nimmermehr vergessen.

Nachts

Rings ist es still, es schweigt im Tal
Des Tages lautes Getreibe,
Hoch über die schwarzen Berge steigt
Des Mondes volle Scheibe.

Der Strom erglänzt, als tauchten auf
Der Nixen spielende Paare,
Es flimmern auf dem dunkeln Grund
Die langen goldenen Haare.

Und die Sorge schläft und das Herz ruht aus,
Und was es geschmerzt und betrogen,
Es steigt zum Himmel, versinkt in den Strom,
In die leise rauschenden Wogen.

Morgen ist Feiertag

Nun ist es still geworden im Haus,
Von der Arbeit ruhen alle aus;
Kein Wagen fährt mehr auf der Straße,
Und in der Schmiede über die Gasse
Rastet der Hammerschlag —
Morgen ist Feiertag!

Ich hab' mich an's offene Fenster gestellt
Und schau' hinaus in die friedliche Welt:
In meiner Brust frägt es beklommen,
Wann endlich wird der Abend kommen,
Da ich zum Herzen sag':
Morgen ist Feiertag!


Erhebung

Im Festschmuck prangen die Altäre
Und schimmern in der Lichter Glanz,
Fromm liegt die Menge auf den Knien
Und betet laut den Rosenkranz.

Ich lehne stumm an einem Pfeiler
Und was sie sagen, hör' ich nicht;
Mein Auge sucht die trüben Fenster,
Durch die der Strahl der Sonne bricht.

Da draußen in dem grünen Walde,
Da singen Vögel den Choral,
Wie Säulen in dem blauen Dome
So heben Berge sich vom Tal.

O großer Gott, du kannst nicht zürnen!
Mein Geist schwingt sich zu dir empor
Stumm wie ein Aar zum Sonnenlichte,
Der unter sich die Welt verlor.

Gottesgericht

Aus armer Hütten Mitte ragt
Des Gutsherrn Hof mit vollen Speichern,
Der Hagel, der die Andern schlägt,
Kann seine Habe nur bereichern.

An seiner Feldmark steht ein Kreuz,
Da kniet ein Weib in schwerem Bangen,
Mitleidig küßt der Windhauch ihr
Die Tränen von den welken Wangen.

"O Herrgott hilf! er nahm mir weg
Die letzte Ziege, die geblieben;"
Und emsig an geweihter Schnur
Sieht man sie Perl' um Perle schieben.

Und wie sie betet, schreibt ein Blitz
An's Haus mit hellen Flammenzeichen
Ein Racheurteil hin von dem,
Des Sonne Armen scheint und Reichen.


Der Flüchtling

Greif' aus, mein Rößlein, greif' aus geschwind,
Wir scheuen das Wetter nicht;
Der Regen strömt, es peitscht der Wind
Die Tropfen in's Gesicht.

Vom Baume fliegt das rote Laub,
Gelb ist das Schilf am See;
Und wo am Berg der Nebel reißt,
Liegt schon der erste Schnee.

Im Dorf da drüben, von jedem Haus
Steigt hoch der blaue Rauch;
Da sitzen wir froh um's Feuer herum
Und schwatzen nach altem Brauch.

Die können lustig und fröhlich sein,
Die Lieb zusammenhält; —
Vorbei, mein Rößlein, vorbei geschwind,
Hinaus in die weite Welt!

Wechsel

Die roten Blätter rauschen
In's welke Grün hinab,
Ein letzter Traum von Rosen,
Die und der Sommer gab.

Der Winter über die Erde
Den Wiegenschleier zieht;
Sturm auf verstimmten Saiten
Spielt ihr das Schlummerlied,

Bis wieder Frühlingssonne
Sie zärtlich grüßen läßt. —
O Liebe, süße Liebe,
Du Auferstehungsfest!


Freudvoll und Leidvoll

                     1.

Ein Sonnenstrahl fiel mir in's Herz;
Nun sproßt mit jedem Schlag
Die Lieb', wie draußen die Saat im März,
Und wächst wie der junge Tag,

Bringt trübe Zeit, bringt helle Lust,
Die jauchzen und singen mich läßt,
Als wäre meine volle Brust
Ein einzig Lerchennest.

                     2.

Er ging vorbei und sah mich nicht!
Du zarte Wolke dort, o hauche
Mir deinen Schnee auf's Angesicht,
Gib mir dein Gold, du Sonnenlicht,
Daß mein Gelock darein ich tauche;

Erdbeeren, glüht auf meinem Mund,
Leih' deinen Wuchs mir, schlanke Tanne,
Ihr Blumen, webt ein Kleid mir bunt
Und prächtig um der Schultern Rund —
Daß ich den Blick des Stolzen banne!

                     3.

Horch, Vögelein im Tannenwald,
Heut' hätt' ich eine Bitte,
Siehst du die vielen Häuser dort
In grüner Talesmitte?

Da nimm das blaue Blümchen hier,
Das ich am Bach jetzt pflücke,
Halt's nur im kleinen Schnabel fest,
Daß dir die Botschaft glücke.

Flieg' zu dem großen alten Haus,
D'rin weiß ich etwas Liebes;
Wenn du dort einen Knaben schaust,
Dem, Vögelein, dem gib es.

Sag: Jemand schickt mich aus der Fern,
Der dich mit Schmerz muß missen,
Läßt dich an diesem Maientag
Die schönsten Grüße wissen.

Wenn er dich freundlich angeblickt
Und will, von wem, dich fragen,
O bitt' dich, flieg' gleich wieder fort,
Das darfst du ihm nicht sagen.

                     4.

Ob ich geliebt schon und geküßt
An unbelauschter Stelle?
Und wär' es so! – Vorfrühling ist
Ein flüchtiger Geselle.

Nun ist geschieden längst der März,
Der kühle halbverschneite,
Und Sommerhimmel liegt allerwärts
Vor dir in sonniger Weite;

Und täglich bringst du mir in's Haus
Glutrote Rosen und Nelken;
Den frühen Anemonenstrauß
Laß bleichen, mein Liebster, laß welken!

                     5.

O hüte, was still wir wissen,
Wie duftender Blüten Pracht
Dem sengenden Tag entrissen
Behütet die dunkle Nacht.

Kein Aug' laß werden es inne,
Halt rauhe Hände fern;
Es brechen die Knospen der Minne
Die Menschen allzugern.

                     6.

Zum tiefsten Dickicht flücht' ich mich,
Zu sichtenverschanzter Laube
Und trage des Liebsten Bild mit mir,
Ein Dieb mit kostbarem Raube.

Hier spürt kein Spähertritt mich auf,
Kein Blick, der Furcht mir schüfe,
Wenn ich den sorglich verhehlten Schatz
Mit seligem Deuten prüfe;

Und zähle jedes liebe Wort
Und jedes traute Grüßen,
Und kichern auch die Elstern im Tann,
So soll's mich nicht verdrießen.

Hab's wie der Sonnenschein, der kost
Mit Erdbeerblüten herinnen;
Er weiß es auch, daß nichts so süß
Als wie verschwiegenes Minnen.

                     7.

Ich hör' es gern, wenn leis' die Wipfel rauschen,
Dann ist es immer mir, als sprächest du;
Wir können heimlich süße Worte tauschen,
Es hört kein fremdes Ohr uns neidisch zu.

Das Bächlein nur auf seinem Plaudergange
Horcht manchmal auf – neugierig wie es ist;
O lausche nur, vergessen hast du's lange,
Bis du in's Tal hinabgekommen bist.

                     8.

Dein Herz ist wie der dunkle Wald,
Nicht jeder dringt in seine Tiefen;
Ich meine doch, daß d'rin versteckt
Viel wundervolle Blüten schliefen.

Es rauscht und braust darin der Sturm,
Doch kommen Sonnenstrahlen wieder,
Blüht manche rote Rose dort,
Singt mancher Vogel seine Lieder.

                     9.

Warum so scheu, mein Liebster, sag'!
Was soll dies stumme Grüßen?
Was denkst du an die bitt're Stund',
Wo wir einst scheiden müssen?

Wer ist der Tor, bei dem der Mai
Verschloss'ne Türen fände,
Weil all' seine holde Herrlichkeit
In Kurzem geht zu Ende?

Und küßt' ein einzigmal das Blau
Voll Duft und Glut die Lande,
Und müßt' dann ewig Buße tun
In grauem Mönchgewande —

Mir wär' zu teuer nicht erkauft
Ein Stündlein stilles Kosen —
O laß uns Herz an Herz erglüh'n,
Zwei frische Junirosen;

Und käm' auch noch so schnell die Stund',
Die das Verwelken brächte,
So bleibt uns doch ein süßer Traum
Für lange Winternächte.

                     10.

Und gäb's einen Regen durch's ganze Jahr,
Wär' Wies' und Feld des Schmuckes bar,
Und fielen die grünen Blätter vom Baum,
Und wären die Rosen ein Kindertraum:

Viel lieber lebt' ich jahraus jahrein
So ohne den lieben Sonnenschein
Und ohne den Frühling draußen am Hag,
Als ohne dich einen einzigen Tag!

                     11.

O bleib bei mir in dieser schönen Nacht!
Ringsum ist's still, kein Laut im Wald zu hören,
Nur da und dort durchbricht des Mondes Pracht
Verstohlen das Gezweig der dunkeln Föhren.

Schon rauscht das dürre Laub bei jedem Tritt,
Eins von den Zeichen, die den Herbst bekunden,
Schon hab' ich heute, als ich suchend schritt,
Nicht wilde Rosen mehr zum Strauß gefunden.

Und täglich sinkt der Nebel mehr in's Tal,
Das Feld, der Wald wird langsam sich entkleiden,
O bleib bei mir, ach nur dies eine Mal,
Noch eh' der Sommer und die Blumen scheiden!

                     12.

O Frühlingssonne, bin nicht gesinnt
Wie du, die flüchtig lacht,
Dann wieder schmollt, ein launig Kind,
Das kaum vom Schlaf erwacht.

Es ist meine Lieb' wie Sommerglut,
Die Blüten niedergoß
In's Tal, auf dem ein Himmel ruht
Tiefblau und wolkenlos.

                     13.

Wie sollt' ich auch verwinden,
Was so viel Weh mir schafft,
Wenn Kerkermeister Regen
Mich hält in strenger Hast?

Mir graue Nebelmauern
Rings vor Himmel baut,
Daß wochenlang mein Auge
Nicht Sonn', noch Sterne schaut.

O Wald, du meine Zuflucht,
Wenn Sturm im Herzen tost,
Ach! Sprächen frischgrüne Wipfel
Mir flüsternd milden Trost;

Wie wollt' ich mein Leid abschütteln
Rasch, wie der Vogel im Hag
Die schweren Regentropfen
Mit lustigem Flügelschlag;

Wie wollt' ich all' die Klagen
Vergeblicher Liebespein
Aussingen in den blauen
Sonnenduftigen Himmel hinein!

                     14.

Ach, noch ein langer, langer Tag
Und ich kann nicht zu dir!
Ihr hohen Berge tut euch auf
Und laßt mich fort von hier.

Der Bach, wenn er zum Strome will,
Hält ihn kein Fels mehr auf,
Über Stock und Stein in's Tal hinab
Springt er im raschen Lauf.

Der Vogel schlägt die Flügel hoch,
Reist über Berge fort
Zum fernen Lieb im Waldesgrün
Und baut sein Nestlein dort.

Wie einen Nachen durch die Luft
Trägt Sturm die Wolke weit;
Sie fliegt der andern an das Herz
Und weint vor Seligkeit.

Das arme Menschenherz allein,
Vom Liebsten fort gescheucht,
Muß leiden trostlos festgebannt,
Wird auch das Auge feucht.

                     15.

Du sagtest mir vom Scheiden -
Bei diesem herben Wort
War mir, als sei mit einmal
Mein ganzer Himmel fort.

Als deckten ihn schwarze Wolken,
Als würf' meiner Hoffnung Schiff,
Das stolze, ein wildes Stürmen
Gescheitert an das Riff.

Du aber lachtest sorglos,
Nicht ahnend meine Qual,
Wie auf die Trümmer lächelt
Ein lust'ger Sonnenstrahl.

                     16.

Hattest dir das Glas gefüllt
Mit dem klaren Trank der Reben,
"Angestoßen!" sprachst du kühl,
"Auch die Toten sollen leben."

D'rauf das Glas bis auf den Grund
Leertest du, und um zu nippen
Setzt' auch ich es zitternd stumm
An die schmerzerblaßten Lippen.

Heimlich eine Träne fiel
In den Wein, den purpurroten,
Ach! seit jenem Augenblick
Wein' auch ich um einen Toten.

Manch wundes oft getäuschtes Herz

Manch wundes oft getäuschtes Herz
Schließt schmerzvoll seine Pforte zu;
Um Gotteswillen klopfet an
Und stört die kalte Grabesruh.

Vielleicht, daß tief in seinem Grund
Noch still versteckt ein Funke glüht,
Vielleicht, daß noch am welken Strauch
Im Herbst ein spätes Röslein blüht.