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Gedichte 2
 

Kinderspiel
Glückseligkeit
Entlarvung
Gesicht
Trost
Phantasie
Geburtstagsgruß
Liebeszauber
Das Neue
Die Törichte
Kling, kling
 
Fang sie!
Mein Reich
Dunkles
Das Letzte
Die Begnadigten
 
Der Gottsucher
Der Sterbende
Sylvesternachtstraum
An dich
Satur
 

Kinderspiel


"Ich hab eine Zither, du ein blaues Band,
komm laß uns werden ein Paar!" . . .
Er faßt nach ihrer braunen Hand
und bietet die Lippen ihr dar.

Sie küssen sich hungrig, sie küssen sich satt,
die Vöglein lauschen sacht;
es rührt sich in den Büschen kein Blatt;
nacktfüßig kommt die Nacht.

Die jüngsten Sterne gucken
neugierig auf die zwei,
ihre goldnen Wimpern zucken . .
zögernd ziehen sie vorbei.

Glückseligkeit

Durch mein Fenster kommt der leise Vollmond,
kommt und küßt mich zärtlich auf die Lippen,
"Törichte, so kalt und lustverschlossen,
willst du nicht von meinem Tranke nippen?

Sieh, schon lange bin ich tot, und dennoch,
helle Friedensströme gießt noch immer
mein erloschen Sein auf deine Menschheit,
denn es stirbt die Saat der Lichten nimmer".

Stirbt sie wirklich nicht, du leiser Vollmond?
Wird dereinstens auch von meinen Bahnen
milder Glanz in müde Seelen träufeln
und sie an ein flammend Leben mahnen?

Aber nein, mein lieber leiser Vollmond,
will nicht denken an den Tod, den herben,
denn, daß ich dir's sag, nicht träumen kann ichs,
und nicht ahnen, wie es ist: zu sterben.

"Wie es ist? So lausche!"
                                  Lautlos schwindet,
wie von kühlen Flügeln fortgetragen,
aus dem Kämmerlein der leise Vollmond,
Finsternisse aneinander jagen . . .

Dunkles Huschen, Flüstern, eisige Hauche.
Mir beengt die Brust ein banges Sorgen . .
Da zerreißt die Nacht, im goldnen Rauche
steigt empor ein siegeslichter Morgen.

Das hieß sterben? Aus dem einen Leuchten
in das andre Leuchten weich versinken?
O mein lieber, weiser, stiller Vollmond,
lasse mich von deinem Glanze trinken! . .

Entlarvung

Im blauen Odinsmantel trat ein Wandrer
vor eine Frau und warb um ihre Seele.
Er warb, wie Herrscher werben. Nicht mit Worten,
und nicht mit Blicken.
                             Seine Rechte glitt
auf ihre Stirn, und, einer goldnen Last gleich,
hat diese Hand aufs Knie das Weib gezwungen.
Wie eine weiße Opfertaube gab sie
die Seele hin dem kühnen Seelenwerber.

Da aber sank der blaue Mantel nieder.
Ein Jüngling, schön wie Evas Erstgeborner,
stand hauptaufreckend vor der Zitternden.

"Hinweg der Trug! Nur Schwachen nahe ich
in Odins Göttermaske. Dir o Weib
zeig ich mich wahr: als Adams nackten Sohn,
der seine Arme streckt nach deinem Leib".

Die Frau entfloh voll Graun. Die Törin die!
Die Perle hat der Trüger ihr geraubt,
was bangt ihr nun die — Schale hinzuwerfen?

Gesicht

Weit, weit . .
weiße Tiefen,
kein Unten, kein Oben,
weit, weit . . .

Nicht Töne, kein Pulsen,
nicht Licht, nicht Schatten,
weit, weit . . .
weiße Tiefen,
ringgleich geschlossen
kein Unten, kein Oben,
weit, weit . . . . .

Aus der Mitte des Kreises
gähnen zwei Höhlen,
Höhlen, spottend
irdischen Raummaßes.
Ungeheuere Höhlen:
Jahves Augen . . .

Brennend quillt aus ihnen
sein Wille hinaus,
sein Wille,
die große Farbe,
in der entsetzlichen Winterlandschaft
die einzige Farbe . . .

Wenn sie sich schlössen
diese Augen? . . .

Trost

Es war ein Mensch voll derber Muskelkraft,
voll steten Hungers, heißer Phantasie,
voll übermütigen Trotzes, wie sie Stärke
erzeugt in dem robust Gesunden.

                                             Dieser
beging im Tage siebenmal so viel Sünden
als ein Gerechter. Mit der starken Faust
zerhieb er seines Nachbars Zaun und nahm sich
aus dessen Garten alle leckern Früchte,
die ihm gefielen.

                      Störte ihn ein Zweiter
bei einer seiner Tollheiten, so schlug er
ihn kurz entschlossen nieder.
                                       Dieser Wilde
erkrankte einst.

                      In langen Fiebernächten,
wenn bei der Lampe Schein die Wärterin
mit halbgeschlossnen Augen schweigend träumte,
da ging ein Schlürfen, Schreiten, heimlich Schleichen
durchs Zimmer hin, und halbvermummt erschienen
all die Verbrechen, die er einstens frevelnd
begangen hatte. Rotverschleiert trat
der Mord zu ihm und fletschte seine Zähne,
der Raub kroch wie ein großer schwarzer Hund
am Boden hin und zog an seiner Decke,
die Prasserei, ein eklig feistes Weib,
trat an sein Bett mit halbverwesten Speisen,
in dunkler Eisenrüstung starrt ein Ritter
mit bleichem Totenkopf ihn an: der Haß.

Und viele andre kamen noch herbei
aus allen Ecken. Schweißgebadet lag
der Kranke da und stöhnte; doch sie ließen
nicht von ihm, grinsend lagerten sie sich
an seiner Seite hin und sahn ihn an.

Und eines Nachts erhob er sich im Bette
mit Augen, die zwei Krallen glichen, die
sich wehren wollen vor Entsetzlichem.

"Ich sterbe . . . dort . . . die rote Hölle . . . dort
. . . sie tut sich rauchend auf . . . schon lecken Flammen
nach mir mit tausend Zungen . . . Hülfe, Hülfe!"

Da legt sich eine Hand wie weißes Licht,
das sich zur Form verdichtet, sanft und stillend
dem Todesangstergriffnen auf die Brust.

"Vergeltung lebt auf Erden nur, sie hat dich
in ihren heißen Feuern schon geläutert;
dort drüben gibt's nur Frieden, keine Hölle."

Phantasie

Wenns wirklich gäb ein jüngst Gericht!
Wenn auf flammendem Wagen,
mit erzenem Gesicht,
die letzte Schlacht zu schlagen
Christus zur Erde führ.

Wenn die heilige Schar
all der Jahrtausende,
Blumen im weißen, moosigen Haar,
für ihre Kinder: die Menschen, zu zeugen,
vor ihn träte.

Wenn zu beiden Seiten des Throns
wie farblose Mauern,
erstarrt in Angst und Schauern
die lautlosen Menschenmillionen stünden!

In ihrer Mitte
ein schmaler Gang,
darauf die gerufene Seele bang
hinwandelte vor sein Frageauge? . . .

Ich hör einen Namen . . .
Wie Halme im Sturm
sind plötzlich diese Lahmen.
Auf dem schmalen Gang
steht ein Weib
mit gesenktem Gesicht.
"Verteidige dich!"
raunt es hinter ihm.
Es verteidigt sich nicht.

Mit niederhängenden Armen
steht es stumm vor dem Richter,
und blickt in seiner Augen glimmende Lichter.

Was liegt in diesem Blick?
Vielleicht das Bekenntnis:
"Herr, zu arm bin ich,
um mich verteidigen zu können!"
Stille . . . . .
Da fällt ein Tropfen
und noch einer, noch einer.
Ein Rieseln und Klopfen . .
es regnen die Augen all der Millionen . . .

Die Flut quillt,
die Flut schwillt,
und von ihr getragen,
steigt die Seele der Sünderin
bis an die Brust des Richters

Wie ein bebend Vöglein
schmiegt sie sich
in die Höhle seiner allmachttragenden Schulter.
Er aber
preßt den Arm an sich,
und lächelt . . .

Geburtstagsgruß

Heut war dein Todestag. Ich konnt nicht beten,
ich konnt nicht weinen; müde schwieg mein Herz.
Zur Nachtzeit war ich in den Wald getreten;
starr lag er da, wie eine Welt von Erz.

Schläfst du denn, Leben? Will sich gar nichts regen?
Mich dünkt, ich selber wär vor Leid versteint.
Es meidet mich der Tränen linder Segen,
und dieser Nacht bleibt selbst ihr Tau verneint.

So still, so ernst, so bleiern! Mitternacht!
Wohin hat sich das Leben denn verkrochen?
Als ob der Tod mit seiner schwarzen Pracht
erdrückt des Erdenherzschlags lautes Pochen.

Da . . . nein, das . . ist . . . o Gott, das ist ja Traum,
das muß ja Traum sein, denn die Wirklichkeit
erdichtet solche Wundertaten kaum . . .

Ein Vogel singt, um Mitternacht! . . ganz leise,
als flüstern liebe Lippen, singt er; schauernd
beugt sich mein Knie der wunderbaren Weise.

Das ist kein Vogel, was da oben singt,
das ist die fleischgewordene Erbarmung
der ewigen Liebe, die den Tod bezwingt
und Starres weckt zu seliger Erwarmung.

Und plötzlich dünkt der Wald mich ganz erhellt,
in weißen Kränzen seh ich Wesen gleiten,
die lichten Söhne einer andern Welt,
die nach der Schwester ihre Arme breiten.

Heut ist dein Todestag! Nun kann ich beten,
nun kann ich weinen . . . Freudentränen weinen . . .

Liebeszauber

Welch schwüle Pracht!
Die Luft voll Funken,
als ob die Sterne vom Himmel gesunken!
Im Gras, dem feuchten,
ein heimlich Leuchten,
ein Blitzen im Walde . .
Auf der Halde
ein Knistern und Knattern,
Flüstern und Flattern,
ein Rauschen in der Luft
wie vergossener Duft . . .
Heute bleibt kein Arm leer . . .
Ave, ave Johannisnacht!

Das Neue

Im summenden Gras,
an der steinernen Ecke
der grauen Felswand
liegt ein Mann und träumt.
Gedankenlos streicheln
seine Hände die Halme.

Er ist müde,
so müde, müde.
Drüben am Goldborn
der Erfahrung
trank er sich satt.
Dort, wo die Berge verflachen
und die Ebene beginnt,
und in ihr die große
rauschende Stadt . .
Dort trank er sich satt.

Gedankenlos streichen
seine Hände
über die summenden Gräser.
Er gähnt.
Gibts denn nichts Neues mehr
in dieser lieben kleinen Welt?

Klipp, klapp . . .
Hinter der Felswand
guckt ein Gesicht hervor.
"Du, Freundchen,
komm mal her,
da um die Ecke.
Will dir was Neues zeigen;
aber hübsch schweigen!"

Ein seltsam Gesicht!
Ein Abenteuer!
Wer weiß!
Tripp, trapp,
der müde Mann
ist aufgestanden.
"Lohnts auch der Mühe?
Ists wirklich was Neues?"

"Komm nur her
und gib mir die Hand,
das Neueste will ich dir zeigen;
aber hübsch . . schweigen!"
Und der am Born der Erfahrung
satt Gewordene
geht um die Ecke
der grauen Felswand,
taumelt zurück . .
und bricht lautlos zusammen . . .
Er hat
dem Tode die Hand gegeben.

Die Törichte

Die nackte Armut gebar sie,
der Herr aber legte
ein Büschel purpurner Rosen
zwischen ihre hüpfenden Brüste

Sie trank Met
aus irdenen Pokalen.
Milde Hände
hielten ihn liebreich an ihre Lippen;
aber der Trank
mundete ihr nicht.

Es träumte ihr,
daß sie einst aus goldenen Kelchen getrunken,
die jungen Fürsten
ihr kniend gereicht.

Er mundete ihr nicht,
der Trank.
In ihrer Armut Blöße,
nur gehüllt in den schimmernden Schleier
der Schönheit,
kehrte sie zu Gott
zurück.

Und sie warf mit stolzer Gebärde
das Büschel purpurner Rosen
vor den Herrn.
"Ich wußte nichts zu beginnen mit ihnen."

Kling, kling

Was soll dies Klopfen
an meiner Tür?
dieses Flüstern vor meinem Fenster?
Welch ein Gesicht
wie Sonnenschein?

"O laß mich ein!
Ich bin das Glück
und will mit dir
aus e i n e m Becher trinken!"

Fang sie!

Auf dem Wipfel eines grünen Waldbaums
saß meine goldne Jugend
und rief: Fang mich, fang mich!

Und ich kletterte und strebte,
sie zu erhaschen;
doch lächelnd schwang sie sich
höher und höher . . .

Von der rosenroten Zinne
eines schwebenden Wölkleins
winkte meine goldne Jugend:
Fang mich, fang mich!

Und ich stieg auf einen Berg,
in die Einsamkeit,
wo die Wolken wohnen,
sie zu haschen.

Doch höher und höher
schwang sie sich.

Aus dem tiefgoldnen Glanz
des Morgensterns
sah ich ihr Antlitz
winkend sich neigen:
Fang mich, fang mich!

Auf denn,
auf zu den Sternen!

Mein Reich

Zu meinen Füßen schäumt der rote Strom
des sturmdurchtosten Lebens wild dahin,
ich aber weiß von einer grünen Insel,
die mitten in den Purpurfluten liegt.

O schattenstilles Eiland: Einsamkeit,
smaragdene Dämmerung, in der das Märchen
mit großen offenen Augen ruht und lauscht,
aus deren Blumenkelchen Liebesgeister
zum Himmel flattern und des Herren Antlitz
so zärtlich schmeicheln, bis es sich entschleiert.

Glückselig, wer in solcher Stunde ruht
im Waldesdunkel, und das goldne Wunder
hoch über sich erblickt . . .

                                 Einst glitt ein Strahl
auch über m e i n e Stirne hin . . Seither
hat tiefe Heimatliebe mich ergriffen
zu dir, mein schönes Reich, du leise Insel
im lauten Strom des Lebens, Einsamkeit.

Dunkles

Pfingsttag!
Die Sonne scheint auf die Wege,
die Glocken mit erzenen Mannesstimmen
singen: Ehre sei Gott dem Herrn!
Rosige Pfirsichblüten
taumeln durch die Luft,
von gaukelnden Faltern verfolgt.
Vögel schreien vor Lust,
goldenes Manna der Liebe
speist offne Lippen.

Pfingsttag!
Ein Mensch geht fröhlich dahin,
mit offner Stirne
und kindlichen Augen,
pflückt Blumen
für seinen Hut,
und singt.

Da stockt seine Stimme,
sein Antlitz erbleicht,
er beugt den Nacken,
schleicht,
sieht scheu sich um
und versteckt sich
hinter einem Baum auf der Straße.

Ein Knabe springt lachend einher.
Plötzlich brüllt er auf,
von einem Hervorstürzenden
mit wuchtigem Hiebe erschlagen.

.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .

Die Sonne scheint auf die Wege,
die Glocken mit erzenen Mannesstimmen
singen: Ehre sei Gott dem Herrn!

Am Walde schwankt ein Mensch hin
mit weißem Antlitz
und herabhängenden Händen.
Hinter ihm kommen Nachbarn, lärmend,
und ergreifen ihn,
und schmettern: warum?

Er aber
blickt sie an
wie ein gequältes Kind,
stumpf und dumm,
traurig . . .

Die Sonne scheint auf die Wege . . .
Herr! du bist furchtbar!
Erbarme dich meiner
und führe mich nicht in Versuchung!

Das Letzte

Nimm den Stab und geh und weine nicht!
Bedenke Herz, bedenk es doch,
verlorst du auch den einen Menschen:
die ganze Menschheit bleibt dir noch.

Nimm den Stab und geh und weine nicht!
Solang noch Blumen vor Durst erblassen,
solange noch Leid seine Dornen flicht,
sind deine Hände nicht verlassen.

Nimm den Stab und geh! Laß Morgenwinde
die heiße Stirn dir umfächeln,
wein nicht um dein verlornes Lachen,
dir bleibt das Schönste noch: zu lächeln!

Die Begnadigten

Der Wind war eingeschlummert an der Brust
des blauen Meeres. Ferne Sterne zogen
nachtwandelnd durch den stillen Himmel hin,
und träumend lag ein überirdisch Licht
auf Höhn und Tälern.

                                 Jene Stunde wars,
wo Sonn und Mond dem Angesicht der Menschheit
für eine Spanne Zeit entschwinden, wo
ein kühler Schauer durch die Wesen schleicht,
das Heute stirbt, und fremden Gangs, verschleiert,
der neue Tag einherkommt.

                                             Durch die Wiesen,
die schlafenden, ging leichten Schritts der Tod.
Er kam von weitem her. Sein weißer Mantel
trug Staub der Sahara an seinem Saum,
und Tropfen Bluts, die hoch im Norden eine
Brunhild um ihren Heldenkönig weinte.

Ein morsch Gemäuer, das am Wege stand,
zog seinen Blick auf sich; still trat er ein.
Am Boden lag, von Wunden überdeckt,
ein elend Tier, ein Esel, dessen Schwären
gefräßig wühlendes Gewürm zerstach.

Und plötzlich hatten sich die zwei erkannt. —

In Rom, am lärmerfüllten Strand des Tiber,
wo Mietskasernen aus dem Boden wuchsen,
dem Tod mit reicher Ernte winkend, daß er
gar häufig jene Gegenden besuchte,
dort schleppte ehmals unter Peitschenhieben,
vor Hunger matt, der Esel seine Lasten.

Der Tod berührte sanft die Kreatur,
die ihre Augen stumm zu ihm erhob
wie flehend um Erlösung.

                                       Langsam zog er
von hinnen, weiter, weiter durch das Grau,
die freigewordne Seele jenes Tieres
in seines Mantels Falten liebevoll bergend.

Er kam an einem stillen Haus vorbei;
die drinnen wohnten, liefen in die Ferne,
das Glück zu suchen. Alle Habe trugen
sie mit sich fort, nur dort am niedern Fenster
den Nelkenstock, den hatten sie vergessen.
Die rote Blume schmachtete vor Durst.
In ihrer leisen, menschenfremden Sprache,
das sterbensmatte Haupt noch einmal hebend,
bat sie den stillen Wandrer um Erlösung.

Er drückte seine Lippen auf die Blume.

Im Osten regte sich ein schwaches Licht
und sah dem Tod ins Antlitz, und entfloh,
um zu erzählen, was es da gelesen. —

Und weiter, weiter zog er schweigend hin,
die zweite Seele zärtlich mit der ersten
verbergend in des weißen Mantels Falten.

Er kam ans Meer. Auf eines Schiffes Trümmern,
die fern her, wo Gewitter grollten, schwammen,
hing halb erstarrt ein Kind.

                                          Der Tod sah gütig
auf das Verwaiste nieder. Da umschlangen
die kleinen Hände furchtlos seine Schultern.
Er drückte seine Wangen auf die Wänglein
des Knaben, und zog weiter.

                                            Und er barg
die dritte Seele froh in seinem Mantel.
Er ging mit leichten Schritten an der Küste.
Der Wind erwachte; leise Töne zogen
von Nord nach Ost. Das Meer begann zu singen,
und aufgewachte Blumen hauchten drein
mit leisen Stimmen.

                                  Und mit einem Male
stand groß und hell die Morgensonne da,
und aus dem Licht sah Gottes Angesicht.

Der Tod erschrak. Er zog den weißen Mantel
mit hastigem Griff zusammen.

                                        Doch der Herr
erkannte seines Dieners Tat

                                      "Was birgst du
so ängstlich, Tod vor mir?"

                                       Und jener drauf:
"Herr, laß mir, was ich liebend mir gewonnen.
Drei Seelen sinds, sie haben mich gerufen,
mich, Herr, gerufen! Bergen will ich sie,
damit der neue Tag sie nicht entdeckt
und wieder weinen lehrt. O laß sie schlafen
in meines Mantels Saum; drei kleine Seelen,
was sind sie dir, Allmächtiger?"

                                       "Drei Seelen —
drei Welten, Tod! Doch weil du also flehst,
sie seien dein, ich schaff mir neue".

                                               Brausend
zum Himmel bäumte sich das goldne Meer,
auf das die Sonne sah.

                                    Glückselig lächelnd,
Gerettetes in seinem Mantel bergend,
ging seinen Weg der Tod.

                                       Und alle, die
an diesem Tage starben, — lächelten . . .

Der Gottsucher

Tubaklänge und Kettengerassel,
auf brauner Sklaven Rücken Peitschengeprassel,
in die Basilika geht’s zum Beten,
wer zum Kreuz nicht kriecht, wird zertreten!
So wills Gott.

Er voran, der mitleidlose Gerechte,
eisern die Stirn, zerfetzt vom Gefechte,
das er um Gottes Willen gestritten;
stolze Lippen, die niemals bitten,
fest zusammengepreßt.

Und sie knien und heulen Gesänge,
Weihrauch umflort das heilge Gedränge,
schrille Schreie hallen zum Himmel,
Priestersegen, Glockengebimmel,
Dominus vobiscum!

Sie eilen hinaus an Arbeit und Pflug.
Er aber sinnt über den Teufelstrug:
Wie er auch betet und kreuzigt die Heiden,
sich kasteit durch freiwillige Leiden . . .
er spürt nicht Gott.

Innerlich hart und kalt und düster
ist seine Seele, kein Liebesgeflüster
fühlt sie von oben her zu sich dringen,
sieht keine Engel mit weißen Schwingen
lächelnd sie grüßen.

Und der Gebieter läßt Kirchen bauen,
Ungläubige bluten, peitschen die Lauen,
fasten und beten in seinem Reiche;
er selbst gleicht einer wandelnden Leiche,
aber Gott verspürt er nicht.

Je ärger er schlägt seine eignen Lenden,
um so weiter, dünkt ihn, sieht er wenden
von seinem blutbespritzten Pfade
sich die ersehnte Gottesgnade,
um so einsamer wird sein Herz.

Da erfaßt ihn Verzweiflung. Soll er sterben?
Ob der Tod ihm hälfe Gott zu erwerben?
Draußen die wilde schäumende Brandung,
ob s i e ihm böte himmlische Landung?
Hinein in die gnädige Tiefe!

Und er stürmt davon.
                                   Am buschigen Strand
hält plötzlich sein Fuß wie festgebannt,
aus eines Baumes Schattenschimmer
vernimmt er klägliches Gewimmer,
er lauscht, er bückt sich, er greift . . . .

In seiner Rechten, nackt und bloß,
zappelt ein Vöglein, käfergroß,
aus dem warmen Neste fiels zur Erde,
die Eltern mit ratloser Gebärde
flattern ängstlich umher.

Und der Mann erinnert sich, wie er als Junge
Bäume erklettert; mit sicherem Sprunge
steht er im dichtverzweiten Geäst,
sucht und findet das Nest,
und setzt den Kleinen hinein.

Und wie er vom Aste niederspringt,
etwas in ihm lächelt und klingt:
alte kinderfrohe, harmlose Zeiten;
lichte Erinnerungsträume gleiten
über sein starres Herz.

Langsam schließen sich seine Lider,
er fällt auf die Knie nieder,
er breitet stammelnd die Arme nach oben,
da ist ihm als fühlte er von droben
eine Hand — die ersehnte — auf seinem Haupt.

"Du Tor, du Tor, du großer Tor!
Nicht durch Fasten und Psalmensingen,
kannst du Gott dir erringen,
das winzigste Werk der Liebe
ruft ihn lauter als Geißelhiebe
und aller Glockenklang der Welt."

Der Sterbende

Von fernen Ufern glänzt ein dunkles Meer
ans Land herüber. Immer näher treiben
die wunderlichen Wellen zu mir her.

Von fernen Ufern glänzt ein dunkles Meer
zu mir herüber, rätselhaft und weit.
Aus seiner nächtigen Tiefe steigt ein Stern:
mein Zukunftsstern, aus finstrer Ewigkeit.

Sylvesternachtstraum

Warum ich just in d i e s e r Nacht geträumt,
und just d e n Traum, ich weiß es nicht zu sagen.
Verstimmt schlich ich des Abends in die Kammer,
und dies Erwachen dann!
                                    Heil dir, Neujahr!
Heil mir, der du mit solchem Gruß genaht!

Ein weit Gemach mit hohen weißen Wänden
umfing im Traume mich. Kein Gerät war rings,
kein Vorhang an dem ungeheuren Fenster.
Ein blauer Strom floß draußen majestätisch;
am Ufer jenseits meilenweite Wiesen;
darüber sonniger Himmel.
                                 Und kein Laut,
als dieses Stromes Rauschen.

                                                Mir zu Füßen,
in Linnen eingewickelt, lag ein Leichnam.
Es war, als wärs der Leichnam meines Liebsten.
Ich faßte seine Hand, sie war wie Holz
so hart und fühllos. Sie entglitt der meinen
und schlug zu Boden.

                                 Langsam lüftete
ich das Gespinst von seinem starren Antlitz.
Es lag das Fötusgrinsen schon auf ihm,
das Rätsellächeln flüchtigen Zwischenzustands,
das uns auf Totenschädeln so ergreift. —

Ich blickte in das grinsende Gesicht
und suchte sanft das Haupt empor zu richten;
doch polternd schlug es jedesmal zu Boden.
Die Knochenfüße folgten nicht dem Druck,
mit dem ich sie auf ihre Fersen stellte,
sie knickten ein.

                           Und plötzlich flog ein Lachen
durch meine Seele, und es stürzte sich
auf meine Lippen, daß sie wie die Saiten
der Harfe, die der Sturm durchbraust, erklangen.
Und also lachend stand ich vor dem Leichnam.
Lichtfrohe Liebe weckte dich zum Leben,
und später wurdest du des Worts bewußt,
daß erst im "Du" das "Ich" sich selbst erkennt;
so feiertest du selig deinen Tag,
genießend solcher Selbsterkenntnis Glück.

Dann kam der Tod und pflückte deine Seele
und gab sie einem jüngern Bruder hin,
der nun dein jubelndes Hosiannah fortsetzt.
Was hier mich anblickt, ist des Kernes Schale,
ein leeres Haus, daraus der Freund verzogen,
die Larve, die ein Teurer einst trug.
Dein Ich, es küßt mit neuer Jugend Lippen,
es blüht nun neuem Hochzeitsfest entgegen,
es träumt von neuer Gottesreiche Zukunft
und neuen Wundern.

                           O Natur, du Heilige,
Preis dir, ewige Jugendspenderin,
die du den Tod erfandst des Lebens willen,
die du das Leid nicht kennest um den Einen,
weil "Einer" "Alle" heißt, und "Alle "Einer",
weils e i n e Liebe nur hienieden gibt,
die sich in tausendfarbigem Strahle bricht,
weil Eines Lippen i h r e Lippen sind,
sein Kuß der ihre.

                             Allelujah Mensch!
Wein nicht um eines Einzigen Verschwinden,
so lang die Sonne und das Lachen leben,
so lange Hände deine Hände drücken.
Wein um den F u n k e n nicht erloschner Liebe,
so lang ihr F l a m m e n h e r d noch unverglüht.

Der blaue Strom floß breit und still vorüber,
und breit und still hing über ihm der Himmel.
Ich aber faltete die Hände brünstig,
Natur der heiligen zu danken, daß sie
zu ewiger Zukunft liebend mich berufen.

An dich

Meine Augen wie zwei stille Jungfraun,
die vorm Tabernakel knien und beten,
spenden heißer Liebe stumme Grüße,
dir, dem Gottesflammenüberwehten.

Bleib auf deiner gletscherkühlen Höhe,
wo die jungen Adler dich umkreisen,
steige nicht in meines Tales Enge,
einsam sind die Höchsten, die wir preisen.

Schläng ich auch um dich die Arme gerne,
schläferte dich ein mit süßen Weisen,
daß du selig bei mir träumtest, denke:
einsam sind die Höchsten, die wir preisen.

Satur

Mit brennenden Kerzen in den Händen,
und hellen, flatternden Fahnen,
ziehen wir dir entgegen,
neuer Mensch!
        Du König ohne Krone,
        Gesetzgeber ohne Gesetz,
        Tempelunbedürftiger Frommer!
Mit brennenden Kerzen in den Händen,
und hellen, flatternden Fahnen,
ziehen wir dir entgegen,

Du wirst uns mit weißen Kleidern beschenken
und das königliche Lächeln der Reinen
um unsere Lippen legen.
Du wirst unsern Augen die zersplitternde Kraft geben,
die besitzt, wer an sich selbst glaubt.

Das Feuer deines Willens
wird den finstern Sklavenhalter der Menschheit,
den alles knechtenden Riesen: Unrecht,
in heiligen Flammen vernichten.

Wie Kinder Gottes,
nicht zum Guten gepeitscht
durch die Geißeln drohender Gesetze,
werden wir im Garten des Lebens wandeln.

Mit brennenden Kerzen in den Händen,
     und hellen, flatternden Fahnen,
          ziehen wir dir entgegen,
                Neuer Mensch!