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Quelle:

Im Sommerwind
Maria Janitschek

Leipzig 1895
Verlag kreisende Ringe
(Max Spohr)

Gedichte 1
 

Am Gipfel
Hurrah, heil!
In Glorie
Vorfrühling
Ein Jahr
Der Ungläubige
Woher?
Das Weib
Mädchenfrage
Du Lose!
Frühlingsnacht
Die Liebestat
Der Gast
Raststätte
Ganz
Abend
Bestimmung
Die verstoßene Seele

Am Gipfel


Frei ist die Aussicht! Fahle Morgennebel
hat flammend fortgeküßt des Mittags Mund;
vor meinen Blicken glänzen goldne Tale,
und tun mir ihre letzten Rätsel kund.

Frei ist die Aussicht! Drüben flattern Kränze
um weiße Marmorurnen . . hier, voll Lust,
verheißungsvoll die roten Lippen regend,
beut mir das Leben seine volle Brust.

Ich aber recke meine Arme aus:
in meinen rechten faß ich euch, ihr Toten,
in meinen linken dich, oh quellend Leben! . . . .

Hurrah, heil!

Rote Locken umflattern mein Angesicht,
hüpfende Flammen.
Hurrah, heil!

Meine schlanken Hüften umgürtet ein Schleier;
wer ihn löst, erblindet.
Hurrah heil!

Brennender Mohn und blaublumiges Giftkraut
sprießt unter meinen Fersen auf.
Hurrah, heil!

Meine Lippen sind heiß wie der Schrei der Lust,
süß wie weinende Sünde.
Hurrah, heil!

Feuer ist mein Hauch, mein Nein der Tod,
mein Ja die wiehernde Hölle.
Hurrah, heil!

Weißt du, weißt du, wer ich bin?
es rauchen die Wälder vor mir,
und die Himmel betrinken sich in meinem Laut:
ich bin die Liebe!

In Glorie

Er kleidete in weiche Seide sich
und trank von Weinen, davon jeder Tropfen
so teuer kam wie eine edle Perle.
Sein Haus, mit Werken hoher Kunst geschmückt,
umgab ein Park, in dem die schönsten Vögel,
die Nord und Süd gebiert, ihr Preislied sangen.

Wo Park und Wald zusammenstießen, lag
ein silberklar Gewässer. Sommernachts,
wenn Mondlicht auf den weichen Fluten spielte
und aus dem Tale sanfte Flöten tönten,
gab er des Leibes heiliges Geheimnis
den Wassern preis, und küßte junge Schwäne,
die, ihre Flügel öffnend, zu ihm schwammen.

Ein zärtlich Lächeln lag um seinen Mund,
in seinen scheuen märchentiefen Augen,
den weichen Kinderaugen; und doch war
ein Tiger dieser Mensch . . der Purpurtrank,
den seine Lippen schlürften: rauchend Blut,
das Haus des Friedens, drin er wie ein Priester
im weißen Kleide hinschritt, aufgebaut
aus Raub und Diebstahl.
                               Mit der Priestermiene
ging er am Sonntag Morgen auf die Flur
und zwang mit seines Willens wilder Kraft
die stillen taubenetzten Sommerblumen,
daß sie ihr innerstes Geheimnis ihm
ins lauschbegierige Ohr bekannten, zwang
das leichtbehufte Roß auf weiter Pußta,
den singenden Delphin in blauer Meerflut,
den lavaroten Krater, weiße Gletscher,
den goldnen Mittag, die Johannisnacht,
die Sphinx: das Weib, daß alle alle sie,
von seinem wilden Wissensdurst bedräut,
ihr letztes heiliges Mysterium
ihm offenbarten.
                      Und er?
                                Schreiend vor Lust,
dem Adler gleich, der die gewonnene Beute
zur Sonne trägt, entfloh in dieses Tal,
und baute aus dem Golde der Erfahrung
sich hier sein Königshaus.
                                 Er war ein Dichter.

Vorfrühling

Als deine Mutter dich empfing,
die Welt in lauter Rosen ging:
drum gleichen deine Lippen einem Rosenpaar,
drum sind deine Augen so blütenklar.

Als deine Mutter dich empfing,
des Sommers Mund an der Erde hing:
deshalb mit so dürstender Gebärde
umschlingst du mich, deine liebe Erde.

Als deine Mutter dich empfing,
über meine Mutter ein Schauer ging.
Mond schien in ihren Mädchentraum,
sah Rosen an einem Lorbeerbaum . . .

Ein Jahr

Träumende Blumen, nickendes Gras,
von Käfern ein gülden Gewimmel,
ein Rauschen wie rieselnder Blätter Fall,
und drüber der blaue Himmel.

Am Boden flimmerndes Silber verstreut,
die Sträucher in weißen Schleiern,
kein Windhauch, kein wachender Vogellaut,
nicht endenwollendes Feiern.

Es klopft wie mit Kinderfingern
ans sonnenlaue Eis,
und in den nassen Zweigen,
da regt sichs fragend leis.

Um Rosen braune Falter,
ein Neigen von Ast zu Ast,
die Blüten voller Honig,
die Nester voll junger Last.

Und wieder träumende Blumen,
der Käfer gülden Gewimmel,
der müden Blätter Rieseln,
und drüber der blaue Himmel.

Der Ungläubige

Sie hatten ihn in seinem Sessel sacht
ans Fenster hingerollt.
                             Die Sonne sank;
auf allen Gärten lag ein Purpurschimmer,
ein strahlend Licht, das jede Kreatur
mit einem goldnen Heiligenschein umwob.
Von Duft berauschte, laue Abendwinde
erhoben sich und brausten durch die Bäume,
und spielten mit dem Schnee der jungen Blüten,
und sträubten kleiner Vögel zart Gefieder,
daß sie mit Jauchzen in das Rot sich stürzten . . .

Der Kranke sah mit weichem Blick hinaus
und faltete die abgezehrten Hände.
"O Gott, du großer, mächtiger Herr und Meister
des Wunderwerkes Welt, du hoher Künstler,
der Frühlinge wie junge Rosen flicht
ums altersgraue Haupt der Ewigkeit,
der in den schwarzen Äther güldene Bälle
hinzauberte, damit sich seine Augen
am Farbenspiel ergötzen, der Musik
in grüne Wälder goß, die Purpurmeere
mit Perlen und mit köstlich reichem Luxus
erfüllte, der den dunklen Schoß der Erde
mit Gold- und Silberschätzen schmückte, du,
du großer Bildner, Hingerissener
von deinen Schöpfungsplänen, du Jehova,
Unauszusprechender, wie, du befaßtest
dich mit dem Schicksal deiner Kreaturen? . .
Du wüßtest, wenn von meinem Haupt ein Haar
zu Boden fällt, wenn Kränkung meine Brust
erschütterte, wenn meine Wünsche eitel,
mein Traum und Hoffen trog?
                                      Du der Gewaltige,
der Große? Ach! du kennst mein Kümmern nicht,
kennst nicht den Schrei, der oftmals meinem Mund
in dunkler Leidensstunde sich entringt. . .
Wie sollt auch . . . du und ich! Vermessenheit,
nach dir zu nennen jene Eintagsfliege,
den Menschen . . ."
                         Draußen waren finster worden
die lichten Gärten. Einsam lag der Kranke.
Er wollte rufen, schreien . . doch sein Odem,
wie ein erfroren Vöglein, blieb ganz stumm
in seiner toten Brust.
                           Ein hoher Jüngling,
mit langen Schwingen, neigte sich auf ihn
und nahm von seinen Lippen seine Seele.
"Du gar zu demütig Bescheidne du,
komm mit zum Herrn!"
                             Und in die weichen Flügel
die scheue Seele hüllend, steigt er auf
in einen unabsehbar weiten Saal.
Milliarden schöner lichtumflossner Menschen,
durchsichtig wie die Luft und schlank wie Blumen,
von denen Jeder eine Krone trägt,
umringen Einen.
                     Furchtbar ist sein Antlitz,
und unbewegt der starren Schläfe Erz.
Doch Brüste, wie sie eine Mutter hat,
verkünden seiner Gnade rinnend Mitleid.

Er blickt die Seele an . . .
                                 "O Frevlerin
aus zager Demut! Wär ich, der ich bin,
wenn ich nur Großes faßte, Herrliches,
das mir verwandt?
                         Das ist der Allmacht Fülle,
daß sie, die Welten baut, des Wurmes Nerven
in ihren Fingern spürt, daß sie das Rollen
der Sonnen nicht verhindert, zu vernehmen
den Flügelschlag des Schmetterlings.
                                                  Hier komm
und trinke Wissen, Kraft und Schönheit, trinke
mein Blut, das deins ist.
                                Da entfalten sich
der heiligen Scharen goldne Schwingen rings;
ein jauchzendes Tedeum braust gewaltig
durch alle Himmel.
                        Gnadeüberwältigt
hinstürzt die Seele an die Brust des Herrn.

Woher?

Tiefblau der Himmel,
hell glänzt der Firn,
da fällt ein Tropfen
auf meine Stirn.

Ich wend mich um,
und spähe, spähe . .
nicht Wolken, nicht Menschen
in meiner Nähe.

Du schöner Himmel,
von Glanz umwoben,
sag, weinen denn
die auch dort oben?

Das Weib

Es war eine Geige;
unscheinbar und schlicht,
lehnte sie in einer Ecke
des prunkvollen Zimmers.

Ein großer Künstler
besaß die Geige . . . .

Es kamen Schüler
und Herren zu ihm,
um zu lernen
und um ihm zu schmeicheln;
feine Prinzen kamen zu ihm.

Manchmal hielten sie stumm
vor der Pforte des Hauses . .
Hatten die Sterne Stimmen bekommen?
War der Erde Feuer
in eine Seele geflohen
und schlug aus ihr
in tausend jauchzenden
klingenden Flammen?
Posaunten die Kriege
des jüngsten Tages
in erzenen Schreien
nieder?

Und die Lauscher
flogen hinauf in den Saal,
und sie trafen den Meister
mit brennenden Augen
und zitternden Pulsen.

"Wo ist das Werkzeug,
womit du den Himmel betörst?"
riefen sie.

Er aber deutete
gelassen auf alle
die samtenen, güldenen
Kästen, darinnen
auf seidenen Kissen
die kostbaren Geigen
gebettet lagen.

"Es wird wohl eine
von diesen sein".

Und die Schüler warfen sich
über die funkelnden
Instrumente.
Aber keines besaß die Seele,
die sie singen gehört.
Und sie spähten und suchten,
und quälten die Saiten,
aber vergeblich.

Derbe Töne voll irdischen Wohlklangs
entlockte ihr Bogen;
doch jene himmlische,
bacchantisch süße,
tolle, berückende,
wehlüsterne, selige,
glückselige Seele
sang ihnen nicht . . .

Da entdeckte einer
die unscheinbare
in der Ecke lehnende
schlichte Geige.

Und er ergriff sie,
und begann sie zum Tönen
zu bringen.
Doch eine kalte
gefühlleere Antwort
ward seiner glühenden Frage . . .

Nachdenklich sinnend
verließen die Schüler
das Haus ihres Meisters.

Aber als er allein war,
trat er zu jener
unscheinbaren
schlichten Geige . . .

Und er berührte sie;
und es schluchzte und jauchzte
aus ihren Saiten
bei seiner Liebkosung.

Und es schluchzte und jauchzte
bei seiner Liebkosung,
und es schienen Blumen
unter seinen zitternden Fingern zu sprießen,
und wie Lachen
blutig geküßter Lippen,
wie Küsse kleiner unschuldiger Vögel
kams aus den Saiten.

Heil dir Geige!
der nur der Eine
Jauchzen des Himmels entlocken kann.

Mädchenfrage

Als Kind hab ich oft geweint,
wußt nicht, warum,
nun muß ich oft heimlich lachen,
weiß nicht warum.

Es greift in meine Saiten
eine rätselhafte Hand,
ein Fremdes will mich leiten
in ein unbekanntes Land.

Seltsam wunderliche Gedanken,
die mein Wort nicht nennen kann,
baun um mich purpurne Schranken
und halten mich in Zauber und Bann.

Ich fasse dich nicht o Leben,
weiß nicht, wer wir beide sind,
weiß nicht, wohin wir streben,
wo ich mein Ziel wohl find.

Als Kind hab ich oft geweint
wußt nicht, warum . . .
nun muß ich oft heimlich lachen,
weiß nicht, warum.

Du Lose!

Meine buhlende Seele, was hast du gesehn?
rote Scheine über deine Züge gehn,
dein Jauchzen, deine psalmende Lust
wie Pfingstgesang aus junger Brust!

Schlichst du in eines Künstlers Traum?
sahst du Vögel sich küssen im Birnenbaum?
hast du einen Sterbenden lächeln gesehn?
sahst du ein Kindlein durch Blumen gehn?

Ist irgend wo eine Welt entbrannt?
hat ein Volk sich zu kühnen Taten ermannt?
hat ein Käfer sein kleines Bräutchen gefreit?
vergaß ein Glücklicher die Zeit?

Meine buhlende Seele, was hast du gesehn?
mußt immer abenteuern gehn,
mußt immer mit durstigen Kinderlippen
an allen Kelchen Gottes nippen.

Wart du Neugier, will dir die Flügel beschneiden!
Wie, was sagst du? auf einer grünen Weiden
fandest du zwei im Grase träumen,
zwei, die in Sehnsucht sich heiß verschäumen? . . .

Und? . . . "Und er glättete ihr das weiße Gewand
und strich durch ihr Haar mit stiller Hand . . ."
und? . . "und . . nichts. Der Becher zum Überfließen
tat keinen Tropfen seines Weines vergießen . . ."

Und darum dein Jubeln, dein heimlich Klingen,
du buhlendes Seelchen mit leichten Schwingen,
und darum dein im Feierkleid Gehn . . .
Warst etwa . . . du's selbst, die du gesehn?

Frühlingsnacht

Auf den stillen Feldern träumt das Mondlicht
seinen weißen Traum und küßt die Blumen,
bis sie blaß und blässer werden. Silbern
glänzt der Teich im Tann; wie schneeige Schleier,
die versteckte Nixen von sich streifen,
blitzt auf seiner spiegelklaren Fläche.

Weiße Rauche dampfen aus den Talen,
wo der Armut Hütten lichtverklärt sind
und vertraute Grüße lautlos wechseln
mit des kleinen Kirchhofs niedern Kreuzen . .

Weißer Friede, weißer weicher Friede . . .

Die Liebestat

Dürftig das Dörfchen, dürftig das Feld,
ein einsamer Baum drauf Wache hält.

Nie hielten sich Zwei in seinem Schatten umpreßt,
nie baute ein Vöglein bei ihm sein Nest.

Auf steinigem Grund lag die Wurzel krank
und wußte dem Dasein wenig Dank.

Es zogen Lenze auf Lenze vorbei,
doch den kranken Baum verschönte kein Mai.

Das bläßliche Haupt zur Erde gesenkt,
glich er dem Bettler, der an sein Elend denkt.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Da, eines Abends war's zur Frühlingszeit,
kam langsam übern Weg ein junger Mensch,
mit Augen weit und voller Herrlichkeit.

Er sah das öde Feld, den Baum, den kranken,
die Zweige, die so ärmlich dürr und nackt,
und sann, von einem strahlenden Gedanken,
von einer göttlichen Idee gepackt.
Der Baum sah still den Mann vorübergehen.

Und einmal nahten viele, viele Menschen,
und drängten heimlich staunend sich um ihn,
als wär ein hohes Wunder hier geschehen.

Und rührige Hände spendeten ihm Trank,
und lockerten das Erdreich um ihn her,
und gruben, hackten, bis er glatt und schlank.

Der Baum, erschüttert bis ins tiefste Mark,
sah selig staunend diese fremden Gäste,
er fühlte sich mit einem Male stark,
und streckte, dehnte seine hagern Äste.

Vor Freude ward er blühend . . .
                                          Eines Morgens
erlebte er das schönste Frühlingsfest:
Zwei Vöglein drangen in sein dichtes Laub,
und bauten sich an seiner Brust ihr Nest.

Weit in die Winde seine Flocken streuend,
daß alle, die ihn sahn, vor Freude lachten,
besann er sich: wie ward mir solches Heil,
mir, dem Verkümmerten, mir, dem Verachten?

Ein heilig Dichterauge, weich und stolz,
hat dich erblickt und Wunder sprießen lassen,
o Baum, aus deinem halbverdorrten Holz!

Der Gast

In meiner Kammer,
wo die Sonne es sieht,
Sitzt im weißen Kleide
mein jüngstes Lied.

Sitzt da und lächelt:
nun diene mir,
bin deshalb kommen
so schön zu dir.

Ich aber knie
ganz stumm mich hin,
mir ist, als ob ich
im Himmel bin.

Raststätte

Ich weiß eine Kirche;
hochschlanke Säulen
tragen ihr köstliches Dach.
Nach Ewigkeit riechts
in ihrer Halle,
nach feuchtem Moder
und verborgenen Narzissen.

Liebfromme Sänger
singen Kantaten,
und an den hohen
luftigen Toren
wachen Winde
mit geschlossenen Flügeln.

Über den Säulen aber
Sah ich walten
das herrlichste Gnadenbild:
Die Morgensonne
tränkte die durstigen Wipfel der Bäume
mit frischen Quellen
stärkenden Lichts . . .

O Wald, Wald,
du von heimlichen Liebesworten Gottes
Erklingender!

Ganz

Ein großes Unglück ist geschehn zu Giarre;
das Kruzifix beim Pinienwäldchen dort
ist Zeuge dessen.
                         Nina und Roberta,
zwei Tigerinnen aus Siziliens Brut,
entbrannten beide heiß für einen Mann.

Die eine weich und blond wie Palmas Tochter,
mit einem Lächeln, das die Männer toll,
die Kinder jauchzen machte, launenhaft
wie bei des Monds geheimnisvollem Wachsen
die See, Roberta, hohen Wuchses, braun,
despotisch, rauh, gefürchtet von den Freunden,
gefürchtet selbst von Jenem, der sie liebte.

Er liebte sie, der junge Sohn der Griechin;
besaß sie doch, was ihm, dem Mann, versagt war,
dämonische Willenskraft, tollkühnen Trotz.
Doch Nina, Nina mit dem Venuslächeln,
mit ihren weichen Gliedern, Nina glitt
wie flüsternde Musik durch seine Träume.
Sie war sein Luxus, war der seidne Fächer,
der seiner Seele linde Kühlung gab,
war das Juwel im Ringe seines Lebens,
der Diebstahl seiner trunknen Phantasie.

Roberta ahnte dunkel sein Geheimnis.
Und einmal trat sie drohend vor die Blonde
und nahm sie an der Hand.
                                    "Du, hüte dich,
Ich teile nicht mit dir, ich liebe ganz . .
du oder ich".
                  "Und wenn - ichs wär".

                                                  Roberta
starrt sie mit aufgerissnen Augen an;
dann sinkt ihr Blick zur Erde schicksalsfinster.
"Ich will ihn fragen, will ihn . . höre, ich . .
zur Stund der Ebbe harr ich deiner hier,
entscheide dich und — denke meiner Worte,
denk ihrer, hörst du es? Ich . . . teile nicht".

Die Blonde holt tief Atem. Eisiger Schauer
hat sie erfaßt bei diesem starren Blick.
Sie ahnt Gefahr für jenen, den sie liebt,
den Sohn der Griechin. Ihre heitern Züge
verwandeln sich. Die Zähne tief vergrabend
in ihre roten Lippen, geht sie heim,
und weint und sinnt, und betet zur Madonna.

Am andern Morgen sucht sie zeitlich auf
die Stelle, die Roberta ihr genannt.
Nach nimmer endenwollenden Sekunden
erscheint die Freundin statuenhaft und kalt.

"Ich komme, dir zu künden", spricht sie ruhig,
"daß ich — dort unterm Kreuz wars, ihn getötet,
ich kann nicht teilen . . ."

                                "Und ich" schreit die Blonde,
in ihre Knie brechend, "wollte dir sagen,
daß ich um seiner Ruhe willen mich
entschloß, von ihm zu lassen . . ."
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
                                             Welche wohl
von ihnen beiden, hat ihn mehr geliebt?

Abend

Es ist so seltsam still,
so schwerstill,
steinern . . .
Wenn doch ein einziger Schmetterling
durch die rotbraune Luft flöge!
An den schwarzen Bergen
hängen Nebelfetzen,
wie Spinnengewebe
an Kellermauern.

So seltsam still,
so schwerstill,
steinern . . .
Horch, ein Ton! . . .
Aus der Talschlucht
das Sterbeglöcklein . . .
Wer wohl dort geht?

Bestimmung

Ein Felsen starrt zum Himmel wild und nackt,
zerfurcht, zerrissen, fahl, wie schartig Eisen,
an dem der Sommer sich verbluten muß.

Kaum daß in seinen schmalen Ritzen sich
der Schnee anklammern kann mit steifem Trotz,
der weiße, kalte, stille, tote Schnee,
das Leichentuch, das herb die Ewigkeit
um ihres stummen Sohnes Leib geschlungen.

O diese Ewigkeit mit ihrem Zwang
ins Große, ins Empfindungslose, Starre,
darin in purpurnem Geheimnisdunkel
die Gottheit brütet!

                            Reglos stand der Wächter
der Erde da und sah in grimmen Schweigen
die eigne kalte Unvergänglichkeit
indes zu seinen Füßen bunt die Zeit
in holdem Wechselspiele froh dahinzog.
Er sah das kleine Blühn des Lenzes, alle
die goldnen Schmetterlinge, Menschen, Blumen,
die ihres Mais sich freuten, sah die Quellen,
die munter sprangen; und in seine Stille
drang jubelnder Gesang der Wälder, drang
des Meeres majestätischer Choral,
der Winde leises Kichern . . . Und der alte
ergraute Sohn der dunklen Zwingerin,
der finstern Ewigkeit, erglühte heiß
vor Sehnsucht nach dem bunten Blumenleben,
vor Sehnsucht nach des Lenzes weicher Torheit,
den goldnen Vögeln, der Musik, den Menschen,
den schönen, lichten Menschen.
                                           "Kommt zu mir!"
verkündete die rosenrote Glorie,
die von der Sonne er sich lieh, zu locken
die Warmersehnten. Doch kein Einziger
vermochte auf zu ihm.
                              Er war zu hoch
zu unerreichbar für die Menschenkinder.

"So will ich denn mich unter eure Fersen
hinbreiten, daß ihr wandelnd euern Fuß
auf meinen Nacken setzt".

                                    Und donnernd, daß
die Erde bebte, stürzte er zusammen . . .

Da aber fuhr im Wirbelsturm herbei
Jehova, und er blies mit zornigen Nüstern
in dieses Phönix Asche.

                                Himmelan
erheben Wolken aufgescheuchten Schuttes
sich brausend, daß die Sonne sich verfinstert,
und hinter ihnen treibt mit Flammenruten
der eifersüchtige Gott.

                              "Fort aus dem Tal,
hinauf, hinauf!"
                     Auf gelben weiten Flügeln
hinrasen die Atome des Gestürzten
den Sternen wieder zu . . .

                                  "O Mai! du sanfter,
glückseliger Mai dort unten!" . . .

Die verstoßene Seele

Lange Zeiten waren hingegangen . .
einförmig in weiten stillen Triften,
wo im Lichte eines bleichen Mondes
keiner Blume Kelch sich öffnen mochte,
keiner Quelle muntrer Sang ertönte,
keiner Morgenröte festlich Leuchten
frohe Stunden kündete, da wohnte
mit Gefährten stumm und düstern Sinnes
eine Seele.

               Unbefleckt glänzte
ihr Gefieder, nur ein kleines Fleckchen,
nah dem Herzen, schimmerte noch dunkel.
Dieses Fleckchen war ihr Schmerz, ihr Kummer;
war es fort, dann durfte sie zum Heiland,
zu den Freunden, die ganz weiß und herrlich
goldne Harfen rührten, ihm zum Preise.

Und die Seele warf sich hin und flehte:
"Christus, Gott der Milde, neig dein Ohr mir
und erhöre meine heiße Bitte.
Leihe mir der Menschen Form und Antlitz,
daß ich durch ein neues reines Leben
jenen Fleck von meinem Herzen tilge".
Und der Herr vernahm den Wunsch der Seele.
"Magst du jenen Dornenweg durchwandeln;
suche Eltern dir und geh zur Erde".
Selig breitete die kleinen Flügel
nach der Erde aus die frohe Seele.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Schlank und wonnig, alle Welt bezaubernd,
angebetet von dem jungen Gatten,
blühte eine Frau in Spaniens Hauptstadt.
eines Morgens, als sie tändelnd spielte
vor dem goldnen Spiegel, sich berauschte
an der eignen Schönheit, pochte schüchtern
an ihr Herz ein heimlich fragend Stimmchen:
"Möchtest du, o Frau, mit deiner Holdheit
Überfluß ein kleines Seelchen kleiden,
Form ihm geben, Form von deinen Formen?
O dir blieb genug noch, dich zu freuen
an der Gnadenschönheit deines Leibes".

Tief errötend fuhr die junge Frau auf,
raufte sich das Haar in heißem Abscheu:
"Wie, ich sollte als die Ältre weichen
einem neuen Stern, der mich als Nahrung
seines Glanzes nur benützte? Nimmer!
Eher töt ich mich mit eignen Händen".

Und das Seelchen flog bestürzt von dannen,
kam zu einem hagern, ernsten Weibe,
das vertieft in einen Folianten
brütend dasaß. "Holtest du nicht lieber,
statt aus alten Blättern, aus den Augen
deines Kindes letzte Weisheit dir?
"Welcher törichte Gedankensprung!"
Mürrisch fuhr die Frau sich übers Antlitz.
"Was wohl aus den Schätzen werden möchte,
die ich einst der Welt zu geben hoffe,
müßt ich "Huckepack und "kochen" spielen?
Lieber als zur Kindsmagd mich erniedern,
lieber — Gift verschläng ich auf der Stelle".

Traurig schlich das kleine Seelchen weiter,
ratlos. Wo, wo lag die milde Herberg,
wo das Herz, das sich ihm aufschloß?

                                                  Tannen
dufteten mit süßem Atem würzig
in das stille Zimmer, dessen Boden
schwere Teppiche bedeckten. Flüsternd
gingen leise Diener, Ärzte, Zofen,
aus und ein. Am Sofa lag, in Spitzen
halb verborgen eine blasse Dame,
und verhüllte weinend sich das Antlitz.
"Dieses Leben! Nichts als Schmerzen, Schmerzen.
Eben zerrt die Vene da, die Nerven
zappeln wieder, in den Schläfen brennt es . . ."
Ungeduldig schleudert sie die Decke
von sich ab.
                 "O möchtest du nicht, Liebe,
statt so unablässig zu belauschen
deiner Pulse leiseste Bewegung,
wachen über eine kleine, junge
Menschenpflanze, die aus dir erblüht ist?"
"Ich ein Kind? Ha, schon das bloße Denken,
daß ich einem Kind das Leben schenkte,
macht mich krank, ich, die so Zarte, Schwache,
nein, ein Selbstmord wär's, ein frevler Selbstmord,
lieber wahnsinnig, als Mutter werden . . ."

Müde sank das Seelchen hin; dann nochmals,
galt es ja soviel, die ganze Zukunft, —
rafft sichs auf, und wandert weiter.

                                                Schäkernd
neckt mit ihrem Manne sich ein Frauchen,
während sie zu Zahlen hinfügt Zahlen.
"Du, wenn wir noch sparen, hörst du, sparen,
wird das schöne Haus am Walde unser.
Höchstens noch drei Jahre, dann: Madame,
nennt man mich, und du, du bist ein Hausherr,
aber: sparen, sparen".
                               "Möchtest du nicht,
lieber als ein Haus, das Flammen fressen,
Wasser von der Erde tilgen können,
Stürme schädigen, als ein totes Steinhaus,
ein lebendig Herz voll warmer Liebe,
die nicht Sturm noch Feuer töten kann,
ein geliebtes Kind dein eigen nennen?"
Und die junge Frau fährt sich erschrocken
vor die Stirne.
                    "Wenn wir zwei . . allein,
wenn allein wir bleiben, wird es langen,
nur . . kein drittes, . . . dann verwandelte
in ein eitles Luftschloß sich mein Häuschen,
nur kein . . . drittes . . Hassen würd ichs, hassen".

Da erhob das kleine Seelchen weinend,
flugbereit die müdgewordnen Schwingen.
"Herr, mit meinem Flecken kehr ich wieder,
denn ich fand auf Erden keine Mutter."