weiter

Quelle:

Lyrische und epische Dichtungen
Karl Adam Kaltenbrunner

Wien 1838
Wallnerstraße Nr. 269
Bei Peter Rohrmann, k.u.k. Hofbuchhändler

Deines vollen Herzens Triebe,
Gib sie keck im Klange frei!
— — — — — — — — — — —
Singst du nicht dein ganzes Leben,
Sing' doch in der Jugend Drang!
                                     Uhland
 


Gedichte 1
 

Der Nordpol
Veilchenliebe
Der Schwur
Liebchens Gruß in die Ferne
Der Furchtbare
Erstes Morgenrot
Drei
Die Seufzer
Weltbürgerlied
Die Pharisäer
An die Schwalben
An ein Liebesbriefchen
Abendfeier
Die Augen
Dichterwappen
Pilgerlied
Die Festzeit des Lebens
König Ägäus
An den Abendstern
Winter-Frohsinn
Dichter-Trinklied
Irdische Dauer
Stell dich ein
Lied auf dem Friedhofe

Der Nordpol

Wunderbaren Mächten folgend,
Tief geheimnisvoll gebannt,
Zeigt der Kompaß nach dem hohen,
Finstern Norden unverwandt.

Aber Licht und Wärme fliehen,
Grauser Nord, aus deiner Näh',
Und die Nacht, die ewig lange,
Hüllet stumm dein einsam Weh!

Auf aus starrem Wasser bauen
Mußt du äffend eine Welt,
Aus dem einz'gen Elemente,
Das mit Treue an dir hält.

Berg und Tal und Baum und Wiese
Formst du nach aus grünem Eis,
Und bedeckst, als sei'n es Blüten,
Sie mit Flocken blendend weiß.

Mit des Nordlichts kaltem Scheine
Lügst du Rosen auf den Schnee,
Dennoch lockst du keinen Falter,
Keine Bien' in deine Näh'!

Fernab flieht dich alles Leben,
Dessen Wirbeln dich umweht,
Ängstlich flieht es deiner Ruhe
Einsam arme Majestät!

Denn was lebet, sucht auch Leben,
Sehnt nach Wärme sich und Licht,
Doch du, regungsloser Norden,
Kennst ja Lieb' und Leben nicht!

Dennoch gegen Norden immer,
An den finstern Pol gebannt,
Wunderbaren Mächten folgend,
Schaut der Kompaß unverwandt.

Er allein hält seine Richtung
Ewig nach des Nordens Nacht, —
Und so ist kein Punkt der Erde,
Der mit Liebe nicht bedacht!

Veilchenliebe

Der Lenz mit seinen Kindern
Kam in das Tal herab;
Herzliebchen suchte Veilchen,
Und pflückte eines ab.

Es brach von ihren Händen,
Veratmend leisen Hauch;
Doch schien's, als bäten Alle
Mit süßerm Duft: "Mich auch!"

Denn Blümlein lieben zarter,
Als wohl der Menschensinn
Uneigennützig strecken
Sie ihre Köpfchen hin.

Es wissen's ja die Guten:
Die lange, lange Zeit,
Seit Lenz es gibt und Blüten,
Daß sich der Mensch dran freut:

Sie, wenn sie blüh'n zu pflücken;
Und wieder blüh'n sie doch,
Und duften, selbst gebrochen,
Geduldig immer noch.

Wer könnte grausam fragen:
Ob so ein Mädchen liebt?
Ob es so demutsvolle,
So treue Herzen gibt?

Und dennoch, wie die Veilchen,
Bist du, mein Liebchen auch;
Ich weiß, du liebst mich länger,
Als bis zum letzten Hauch! —

Der Schwur
1826

Bei den Blitzen, die du trägst,
Bei den Donnern, die du führest,
Bei den Sternen, die du wägest,
Beim Olymp, den du regierest —

Bei der Macht, die uns zermalmt,
Bei dem Zorn, der uns zerschmettert,
Beim Avern, der ewig qualmt,
Bei dem All, das dich vergöttert —

Schwör' ich, Zeus, dir diesen Schwur, —
Jauchze, Wahrheit wenn ich schwöre!
Und ich schwöre — staunet nur —
"Daß mich nie ein Weib betöre"

Demanthartes, dreifach Erz,
Fest um meine Brust gegossen,
Halte mir das Felsenherz
Bis zum letzten Schlag verschlossen!

Mit der höchsten Manneskraft,
All den Kräften, die mich schwellen
Will ich dieser Leidenschaft
Trotzig mich entgegen stellen!

"Dazusteh'n ein freier Mann,
Über Torenspiel erhaben,
Das zu sein, was Keiner kann" —
Dies Bewußtsein soll mich laben!

Mit dem Geiste, lichterhellt,
Mit der Hoheit seiner Würde
Hat Natur ihn hingestellt,
Als der Schöpfung Glanz und Zierde, —

Das er herrsche streng und kalt,
Nicht ein schmählich Joch soll tragen,
Mit des Siegers Allgewalt
Soll vor allen Wesen ragen!

Aber an des Weibes Brust
Teilt er seine hohen Rechte,
Wird im Rausch der Sinnenlust —
— Ew'ge Schmach! — zum niedern Knechte!

In den Adern sott mein Blut, —
Da ich sah zu Weibesfüßen
Einen Mann vor Liebeswut
In ein sklavisch Nichts zerfließen.

Schleudre deinen Grimm herab!
Schleudre, Zeus, die blinden Wichte
In den Tartarus hinab
Zum verdammenden Gerichte!

Darum schwör' ich, Göttergott!
Hoch erhebend meine Rechte,
Ewiger Verachtung Spott
Dem entmannenden Geschlechte!

Sollt' ich, Zeus, den hohen Schwur
Eine Stunde nur nicht halten —
Wankt' ich im Gedanken nur —
Mag dein schwerster Keil mich spalten!

*  *

— Ist mein Schwur von seltner Art, —
Sang ich euch in rauhen Tönen —
Richtet mich darum nicht hart,
Zürnt mir nicht, ihr holden Schönen!

Was ich jetzt so fest und treu
Einem Heidengott versprochen,
— Ich gesteh' es ohne Scheu —
Hab' ich schon gar oft gebrochen.

Und mein Mädchen weiß es schon,
Wenn sie diesen Schwur wird lesen,
Daß es von dem Musensohn
Nur ein kleiner Scherz gewesen.

Liebchens Gruß in die Ferne
1826

Ihr Lüfte milder Zonen,
Wie lieb' ich euch so sehr!
Vom Ländchen weht ihr her,
Wo meine Lieben wohnen!

O tragt auf euern Flügeln
Zurück, was ich empfand!
Zurück in's Heimatland,
Zu jenen blauen Hügeln!

Bringt, leicht wie Liebestauben,
Hinüber diesen Kuß!
Bringt diesen warmen Gruß
In meiner Heimat Lauben!

O, daß auch ihn ihr fändet,
Der mir im Busen ruht!
Dann weht mit Liebesglut,
Und sagt, wer euch gesendet!

Der Furchtbare
1827

Es geht ein ernster Mann hienieden,
Vor Jeden tritt er ohne Scheu;
Der Düst're bleibt in Krieg und Frieden
Dem altgewohnten Wandel treu.

Ein Diener ist er dem Verhängnis,
Zu allen Stunden geht er aus,
Und immer bricht er ein Gefängnis,
Und ein Gefang'ner tritt heraus.

Obwohl dir graut vor seinen Küssen,
Stellst du doch selbst sein Bildnis dar;
Doch kannst du nur danach es wissen,
Daß er dein treues Abbild war.

Und weil die Menschen vor ihm fliehen;
So ladet er sich selbst zu Gast;
Doch mußt du mit ihm weiter ziehen,
Sobald du ihn empfangen hast.

So wandelt er seit vielen Tagen;
Nicht Einen auch verliert sein Blick;
Fort wird er Jeden von uns tragen,
Doch bringt er Keinen mehr zurück!

Erstes Morgenrot
An Eleonora
1827


Mich hüllte Nacht, wie sehr mein Geist sich mühte,
Daß sich ein Stern dem dunklen Sein geselle; —
Da floß ein Licht aus einer Himmelsquelle
In meine Nacht, das goldne Funken sprühte.

Es war dein Bild, das leuchtend vor mir glühte,
Und aufschloß meiner Brust geheimste Stelle, —
Den starren Schlummer weckte seine Helle —
Und meines Lebens Morgenrot erblühte! —

Des Jünglings Lust durchzückte mir den Busen,
Und rief mich auf zum Götterdienst der Musen,
Gewährend ihrer Liebe erste Wonne.

Wohl sank sie früh, des Himmels neue Sonne;
Doch glänzt, bis einst der Liebe Lied verklungen,
Ein Abendrot noch in Erinnerungen.

Drei
1827

Es löset sich der Geist vom Irdischen frei,
Empor durch die Dreizahl gehoben;
Er schwingt sich zur unerforschlichen Drei,
Im ewigen Eins dort oben!
Und betend im demutragenden Staube,
Bekennt sie der seligmachende Glaube.

Dem Kinde, noch nicht des Sein's bewußt,
Vom liebenden Himmel gegeben,
Erteilt sie an Stirne, an Mund und an Brust
Die sühnende Weihe zum Leben;
Und will es der heiligen Drei sich vertrauen,
So wird es sein Hoffen sicher bauen!

Dem Menschen gesellt sie sich freundlich bei,
Sie tönt ihm ein Klang von drüben;
Die guten Dinge pflegt er mit Drei
Zu nennen und gerne zu üben.
Und wer sich der heiligen Drei ergeben,
Den leitet die ewige Liebe durch's Leben. —

Die Seufzer
1827

Seufzer wohnen, leise schlummernd,
In der Menschenbrust;
Sie erwachen ihren Schmerzen,
Folgen ihrer Lust.

Denn es bildet in dem Herzen
Zweifach sich ein Quell;
Einer schwarz und kalt, der andre
Warm und rosig hell.

Wenn der aufgeblühten Jungfrau
Sinnend Köpfchen hängt,
Und herauf aus stillen Tiefen
Sich ein Seufzer drängt:

Deut' ich lauschend den Verräter,
Und ich denke still,
Was der lichte Glutquell sendet,
Was die Sehnsucht will —

"Seufzer! sei ein lindes Lüftchen,
Schwimme zu ihm hin!
Kose liebend ihm das Antlitz,
Kühlend fächle ihn!

Sei ein wonneduftend Wehen,
Bring' ihm meinen Gruß!
Sei ein Hauch mit glüh'nder Wärme,
Küsse meinen Kuß!

Sei ein Laut aus meiner Seele,
Der mich leise nennt, —
Sag' ihm, was ich denke — fühle,
Was mein Herz ersehnt!"

Dreimal selig, wenn geschlungen
Ist der Liebe Bund,
Und gefesselt sind die Seufzer
Tief im Herzensgrund!

Aber ach, — des jungen Glückes
Stern hat ausgebrannt,
Wenn der Hände ewig Bündnis
Sie nicht ewig band!

Sie entsteigen ihrem Busen,
Bleiern ist ihr Gang,
Und es tönt vom Leidensmunde
Bald so schwer und bang:

"Seufzer! Gehe zu den Meinen,
Klage meinen Schmerz!
Dringe, wie du mir entstiegen,
In ein fühlend Herz!

Seufzer! Werde Luft mit Flügeln,
Sei mein Retter du!
Führe mir auf deinen Schwingen
Das Verlorne zu!"

Aber nimmer — o der Armen!
Wird ihr Auge hell;
Denn gelös't von seinem Siegel
Ist der schwarze Quell.

Und er trägt die vielen Schwestern
In die Augen schwer —
Tränen sind es, die dort glänzen,
Nicht die Freude mehr.

Und sie fließen, nie versiegend,
Aus dem tiefen Born;
Und das Herz durchzieh'n die Einen
Mit dem Schmerzensdorn —

Bis dem Leibe, wo sie wohnten,
Durch des Todes Hand
Sich die Seele hat entrungen
In ein freies Land.

Weltbürgerlied
1827

"Seid umschlungen Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Brüder — über'm Sternenzelt
Muß ein guter Vater wohnen!"
                               Schiller


Brüder, drohen hoch im Nord,
Schwarze Brüder tief im Süden!
Ihr in Ost und West — mein Wort
Grüß' euch allesamt in Frieden!
Die ihr wohnt in allen Zonen,
Dreimal seid gegrüßt von mir!
Eines Vaters Kinder wir!
"Seid umschlungen Millionen!"

Flammend sei in uns geschrieben
Jenes Wort aus heil'gem Mund:
"Alle Menschen sollst du lieben,
Brüder in dem Weltenbund!
Möchte drum, was mich beseelt,
Jede Menschenbrust beglücken!
Könnt' ich All' an's Herz euch drücken —
"Diesen Kuß der ganzen Welt!"

Gleiche Pflichten, gleiche Rechte
Teilte in dem großen Haus
Gott dem irdischen Geschlechte,
Jedem seiner Kinder aus.
Deren Nacht sich nicht erhellt,
Deren Not die Hände faltet —
Blickt empor! Die Liebe waltet,
"Brüder — über'm Sternenzelt!"

Seht, am weiten Himmel strahlt
Ihrer Lichter ew'ge Helle!
Eine gute Gottheit malt
Liebend sich in jeder Quelle.
Auf der schönen Erde thronen
Wir beglückten Fürsten gleich!
Über'm gold'nen Sternenreich
"Muß ein guter Vater wohnen!"

Die Pharisäer
1827

Seht ihr schleichen und sich drehen,
Scheinbar üben Pflicht und Recht,
Gleich vermummten Wölfen gehen
Jenes nächtliche Geschlecht?

Die — gesichert vor dem Lichte,
Jeder Schuld entgegen geh'n;
Nie vor ihrem Selbstgerichte
Reuerfüllt als Sünder steh'n.

Wie sie ihre Taten kleiden,
Streng vor euch das Unrecht scheu'n!
Weinen bei der Menschheit Leiden,
Sich bei ihrem Glücke freu'n!

Wenn sie im Gebet entbrennen,
Seht ihr nicht den innern Spott?
Heilig soll die Welt sie nennen —
Und die Selbstsucht ist ihr Gott?

Peinlich, wenn sie nach mir schielen,
Drückt's die Seele — tief in ihr
Wähn' ich, Basilisken zielen
Mit dem Blick voll Gift nach mir.

Wenn die Lippen sie erschließen,
Ist's, als fletsche mich der Zahn
— Der schon manches Herz zerrissen —
Eines blut'gen Tigers an.

Ist's als ob im süßen Klange,
Der dem Honigmund entquillt,
Zische die verborg'ne Schlange,
Die vom Gift des Busens schwillt.

Nennen sie sich meine Freunde,
Fest und treu in Wort und Tat,
Mahnt mich's; "Fliehe vor dem Feinde,
Der verlarvt dir näher trat!"

Drücken sie mir drob die Hände, —
Brennt mich fieberische Glut —
Und des Zornes Feuerbrände
Flammen im empörten Blut!

Wie im Aufruhr wird es rege —
Und ergießen möcht' ich mich:
"Pharisäer, aus dem Wege!
Heuchler, ich verachte dich!"

Kaum gehorcht die Wut der Schranke —
Will hinaus in Ton und Blick, —
Nur der sühnende Gedanke
Hält sie in der Brust zurück:

"Gleißner! Früher oder später
Fällt die Larve vom Gesicht,
Und dein eigener Verräter
Trittst du an das Sonnenlicht!

Denn der Schleier wird gehoben,
Den das finstere Geschlecht
Mit der Lüge hat gewoben —
Und die Wahrheit wird gerächt!"

An die Schwalben
1827

Seid mir willkommen
Aus der Fremde!
Fröhliche Boten
Sonniger Tage!
Wieder in blauen,
Heimischen Lüften
Zieht ihr des Fluges
Jubelnden Kreis!

Uns nach des Winters
Trübem Brüten
Kunde zu bringen;
"Frohsinn und Liebe
Sollen die Herzen
Neu erwärmen" —
Sandt' euch der holde
Liebling der Welt!

Boten des Lenzes,
Seid willkommen!
Traulich gesellt euch
Zu den Menschen!
Friedliche Wohnung
Mögt ihr euch bauen
Unter mein gastlich
Schirmendes Dach!

Doch vom Norden
Flüchten sie wieder
Die geliebten
Tage der Milde!
Und von uns scheidend,
Führt ihr nach Südens
Heiteren Auen
Euern Zug!

Seh'n wir euch alle
Ziehen zur Ferne,
Schwellt uns den Busen
Tiefe Sehnsucht, —
Arme und Flügel
Möchte sie breiten,
Möchte so gerne
Wandern mit euch!

An ein Liebesbriefchen
1827

Eile, Briefchen hin zu ihr!
Tausend Grüße melde mir!

Sei mein stiller Bote du;
Stell' ihr tausend Küsse zu!

Wand're, Briefchen, zu ihr hin!
Sage, daß ich glücklich bin.

Wie mein Lied von Liebe singt,
Süß darin ihr Name klingt!

Sag' ihr, Briefchen traut und lieb,
Daß ich meinem Engel schrieb.

Meiner Seele tiefsten Grund,
Gib ihr all' mein Denken kund!

O, wie lauscht' ich still entzückt,
Wenn sie liebend auf dich blickt!

Wenn sie freudig dich erschließt,
Dann dich warm und herzlich küßt.

So, mein Briefchen- wand're hin,
Wo ich stets im Geiste bin.

Lade sie zum "Stell dich ein"
Abends in dem Birkenhain!

Doch, mein Briefchen, sei nicht laut —
Hab' dir Vieles anvertraut!

Schließe dich den Lauschern zu, —
Mein Geheimnis weißt nur du! —

Abendfeier
1827

Der Käfer summt, am Anger zirpt die Grille,
Und sanft erblaßt am Himmel der Azur;
Aus Gold und Rosen webt sich eine Hülle,
Die niedersinkt auf Berg und Tal und Flur;
Die Menschen kehren heim; — des Friedens Stille
Umfängt und füllt den Tempel der Natur;
Der laute Strom des Tages ist verronnen;
Der Abend hat sein stilles Fest begonnen.

Es fühlt der Mensch sich zauberisch umfangen,
Der Macht, die ihn beherrscht, sich nicht bewußt;
Ein unnennbares Sehnen und Verlangen
Ergreift und drängt ihn in der vollen Brust;
Es ist ein süßes Wohl, ein leises Bangen;
Die Teilung ist's in Wehmut und in Lust;
Was ihn bewegt im tiefsten Seelengrunde;
Es gibt hievon der Zunge Laut nicht Kunde.

Die Wolken und der Berge Purpursäume,
Ihr Farbenglanz, zur Wunderpracht erhöht,
Der linde West im Flüsterlaub der Bäume —
Der Friedensgeist, der durch die Schöpfung geht,
Als Geisterhauch, der durch die stillen Räume,
Durchschauernd süß und bang, zum Herzen weht —
Sie füllen ihn in den geheimsten Tiefen,
Als ob ihm leise Jenseits=Stimmen riefen.

Die Wolken sieht er rastlos weiter ziehen,
Die Zeiten mißt er, rechnet und vergleicht:
Wie sie dahin als Dunstgestalten fliehen,
Wie schnell ihr Licht ermattet und erbleicht,
Gleich Bildern seiner Jugendphantasien,
Die er, wie jene Höhen, nie erreicht; —
Er denkt, da auch der letzte Strahl verglommen,
So werde bald auch ihm der Abend kommen!

Erblichen schon ist seines Lenzes Helle, —
In jene Tage blickt er still zurück, —
Und wie die Sonne sank an jener Stelle,
Sank an der Kindheit Grenze so sein Glück!
Und immer stiller, wie in seiner Seele, —
Und immer dunkler, wie vor seinem Blick:
Wird tief und tiefer die geweihte Stille,
Und dichter breitet sich die schwarze Hülle.

Doch — an des Domes Riesenkuppel zündet
Des Vaters Hand viel tausend Lichter an;
Den Kindern, die da wandeln, wird verkündet,
Dem Zweifler wird es leuchtend kund getan:
"In ew'ger Liebe sei ein Gott verbündet
Mit allen Pilgern auf der Erdenbahn!"
Und neu erstehen Glaub' und Hoffnung wieder —
Die Liebe fließt in milden Strahlen nieder.

Das Abendläuten, das mit Feierklängen
Herüber von dem fernen Kirchturm schallt,
Und die Gedanken, die am Staue hängen,
Emporträgt, wie mit heiliger Gewalt —
Stillt in der Brust das ungenannte Drängen,
Einwiegend, wie der letzte Ton verhallt;
Und still geläutert, hat der Geist nach oben,
Anbetend — in Entzückung sich erhoben! —

Die Augen
1827

Geweihte Kraft! begeistere mich
Zum Dank, und Hochgesang!
Du goldnes Licht, es preise dich
Der Lyra Feierklang!

Du Weihelied, o schwinge dich
Von Höh'n zu Höhen fort!
Zur höchsten Höhe schwinge dich,
Und flammend danke dort!

Dem Auge, das der Himmelsquell
Mit goldnem Licht gefüllt,
Dem Glücklichen wird glänzend hell
Die schöne Welt enthüllt, —

Enthüllt die Wunder, hehr und groß,
Die einst der Allmacht Ruf
Im Himmels- und im Erdenschoß
Als Zeugen Gottes schuf.

Du Armer, dem es nimmer tagt,
Dem nie das Licht erwacht,
Der einsam sitzt und sinnt und klagt
In seiner finstern Nacht!

Dem, eh' sein mildes Haupt sich neigt,
Wenn aus sein Leben glimmt.
Das Auge nie — ach, nie gezeigt,
Wovon sein Ohr vernimmt.

O gold'ne Gabe, köstlich Heil!
Du Kleinod reich und zart;
Das so beglückend uns zu Teil
Im Augenlichte ward!

Du Prüfstein, der mir sagen kann;
Wer Freund und redlich mir;
Denn prüfst du einen Biedermann,
In's Auge sieht er dir.

Wenn scheu sein Blick vor meinem bleibt,
Doch heuchelnd spricht sein Mund —
Was wahr in seinem Innern lebt,
Das Auge gibt es kund.

Doch — namenlose Seligkeit,
Die unser Herz umfängt,
O Himmelswonnetrunkenheit, —
Wenn Aug' an Auge hängt!

Denn, was sich Liebe still gesteht,
Das Auge gibt es kund;
Und sicher zu dem Herzen geht
Der Weg durch's Augenrund.

Wenn beider Liebe sich verstand,
Doch schüchtern schwieg der Mund, —
Wenn sich das Herz zum Herzen fand —
Das Auge schloß den Bund.

Du, Sprache, die das Auge spricht,
Tief, innig, treu und klar,
Wirst nicht dem Wort dem Liede nicht,
Dem Blick nur offenbar!

Du Sprache, still und doch so laut!
Ein Wink von ihrem Blick —
Ein kleines Zeichen, still vertraut
Und ich versteh' mein Glück.

Wer nennt, was in den Augen strahlt?
Wer nennt den milden Glanz?
Die unsichtbare Seele malt
Darin sich klar und ganz.

O goldne Gabe, köstlich Heil!
Du Kleinod reich und zart,
Das so beglückend uns zu Teil
Im Augenlichte ward! —

Dichterwappen
1828

Ich wünschte, daß — zwar nicht den schlechten —
Den Dichtern auf der ganzen Erde,
Ein Wappen eigentümlich werde,
Zu führen wie mit Adelsrechten.

Wie ließe sich auf diesen Schildern,
Die nur den Dichtern eigen wären,
Der Felder Sinn so leicht erklären
Aus drei bedeutungsvollen Bildern!

Drei Dinge, welche sie so gerne,
So anmutvoll, so zart besingen —
Drei sind es von den schönsten Dingen:
Das Herz, die Blumen und die Sterne.

Noch nicht vollendet ist das Ganze;
Denn eine Lyra statt des Rahmens,
Umschlinge mit dem Zug des Namens
Den Sänger-Schild mit ihrem Kranze! —

Pilgerlied
1828

Duldet mutig, Millionen!
Duldet für die bess're Welt!
Proben über'm Sternenzelt
Wird ein guter Gott belohnen!
                                Schiller


Trage, leidend Herz, hienieden
In Ergebung dein Geschick!
Keinem ist das goldne Glück,
Das er heiß ersehnt, beschieden!
In den Hütten, wie auf Thronen,
Naht dem Menschen sich der Schmerz;
Brüder, stärkt das bange Herz!
"Duldet mutig Millionen!"

Schwerer Kampf zwar ist das Leben,
Und es will oft untergeh'n;
Doch zum Ringen, zum Besteh'n
Ist ihm höh're Kraft gegeben.
Siegend muß der Glaubensheld
Hier in Leiden sich erproben:
Hebt den Dulderblick noch oben —
"Duldet für die bess're Welt!"

Von der Sterne lichten Bahnen
Klingt der Stimme Trost herab:
"Herrlich über Zeit und Grab
Wird erfüllt des Menschen Ahnen!"
Drum im Dulden soll dir, Welt,
Mut der hohe Glaube geben:
Unser harrt ein schön'res Leben
"Droben über'm Sternenzelt!"

Für das schmerzliche Entsagen,
Für die Wünsche, nie gestillt!
Für die Stunden, gramerfüllt, —
Für die Last, die wir getragen,
Reift dort, wo die Sel'gen wohnen,
Ewig lohnend uns're Saat:
Duldet! Jede gute Tat
"Wird ein guter Gott belohnen!"

Die Festzeit des Lebens
1828

O zarte Sehnsucht, zartes Hoffen,
Der ersten Liebe goldne Zeit!
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit!
O daß sie immer grünen bliebe
Die schöne Zeit der jungen Liebe!
                                      Schiller


Zur Ferne blickt der Jüngling hin,
So tief, so wohl und bang ergriffen;
Mit jenen Wolken möcht' er schiffen,
Mit diesen Lüften möcht' er zieh'n.
Hast du nicht Flügel, heißer Drang?
Dort steht des Glückes Tempel offen!
O Glutgefühl, so süß — so bang,
"O, zarte Sehnsucht, süßes Hoffen!"

Was ihn begleitet still und treu,
Er sieht es wachend, sieht's im Traume
Das teure Bild, in jedem Raume
Nur sie, die Göttin heil'ger Scheu!
Hast du gefühlt, was ihn durchzückt?
O, kennst du sie, die Seligkeit?
Die jetzt noch reine Brust beglückt
"Der ersten Liebe goldne Zeit!"

Wie glänzt sein Aug' in einer Wonne,
Die keines Volkes Sprache nennt,
Im Abglanz einer innern Sonne,
Die mild in seiner Seele brennt.
Was willst du, Herz, noch fürder hoffen?
Dein goldner Frühling ist erwacht!
Die Erde schwimmt in Purpurpracht —
"Das Auge sieht den Himmel offen!"

Mag auf der Andern Jubel rauschen,
Er stört ihm nicht die inn're Welt;
Und nicht um Kronen würd' er tauschen,
Wenn ihn der neue Gott beseelt.
O, flieh' nicht, Himmelstrunkenheit,
O, daure ewig, süßes Träumen!
Er schwebt dahin in schönern Räumen —
"Es schwelgt das Herz in Seligkeit!"

Doch, ach, es eilt der Mai vorüber!
Im Busen stirbt die heiße Glut;
Das Herz wird kalt, die Sehnsucht ruht —
Der Himmel wird am Abend trüber!
Es seufzt der Mensch das kurze Glück
Der gold'nen Jugend sich zurück:
"O daß sie immer grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe!"

König Ägäus
1828

Es steht am attischen Strande,
Das Haupt von Sorgen schwer,
Der alte König Ägäus,
Und schaut hinaus ins Meer.

Am Ufer sieht ihn der Morgen,
Dort findet der Abend ihn;
Er schaut ja in Schmerz und Sehnsucht
Nach Kreta's Gegend hin.

Hinab in die Wellen ruft er:
"Wann bringt ihr des Vaters Glück?
Wann führt ihr in Siegesfeier
Mir meinen Sohn zurück?

Wann flieht ihr, Nächte des Kummers?
Wann kommst du, glücklicher Tag?
Wann ruft mir Theseus entgegen;
Der Minotaurus erlag!

Ihr Götter, seid barmherzig!
Ägäus ist alt und schwach,
Zu schwer ist die Last des Unglücks,
Zu tief ist meine Schmach!

O, laßt dem Sohne gelingen,
Was nicht der Vater vermocht,
Da er im traurigen Kampfe
Mit Minos von Kreta focht!

Erlöset mein Volk vom Jammer,
Vom Leiden unnennbar,
Der Jünglinge sieben opfernd
Nach Kreta mit jedem Jahr!

Erhört mich, ewige Mächte!
Gerechtigkeit wohnet bei euch!
Beschützet die Stadt Athenens!
Beschirmt mein Haus, mein Reich!

Und ihr, o Fluten, behütet,
Was euch die Götter vertrau'n!
O lasset mit weißen Segeln
Des Sohnes Schiff mich erschau'n!"

Und lange noch schaut er schmerzlich
In's weite Meer hinaus —
Und lange noch stöhnt er Seufzer
Von tiefer Brust heraus.

Schon will seinem letzten Hoffen
Entsagen der müde Greis, —
Da zeigt sich ein Schiff in der Ferne —
Und Freude durchglüht ihn heiß.

Und größer wird es und größer —
"Es ist's! Es trägt meinen Sohn!"
Doch weh! — der König erblasset —
Ein Trugbild sprach ihm Hohn.

Theseus, der kehrende Sieger,
Vergißt in des Jubels Rausch,
Das Zeichen, das er versprochen,
Der schwarzen Segel Tausch.

Der König sieht von den Masten
Die Farbe der Trauer weh'n, —
Er schreit: "Mein Sohn ist gefallen!
Mein Leben soll untergeh'n!"

Und dumpf verzweifelnd, stürzt sich,
Vom Felsen hoch hinab —
Noch segelt das Schiff zu ferne —
Der greise König in's Grab.

Und seit dem Tage rauschet
Wie Klageruf die Flut
Des düstern ägäischen Meeres,
Wo tief der König ruht. —

An den Abendstern
1828

Du Friedensbote, innigster der Sterne,
In jener Welten unerklärtem Bunde!
Mit Sehnsucht harr' ich dein zur Abendstunde,
Mein sinnend Auge blickt nach dir so gerne!

Zur Seele sprichst du traulich aus der Ferne,
Und gibst ihr still von deiner Sendung Kunde;
Betrachtung weckst du ihr im tiefsten Grunde,
Auf daß der Jüngling frühe Weisheit lerne.

Der gold'ne Tag, — vor Kurzem sang er Lieder, —
Jetzt zeigst du auf sein dunkles Grab hernieder!
Der Tag versank, — so wird in schnellem Scheiden
Die Jugend flieh'n mit allen ihren Freuden!
Doch blickt am Abendhimmel, mild wie du,
Erinn'rung uns aus klarer Ferne zu!

Winter-Frohsinn
1828

Klagt nicht den Winter an,
Daß er euch Leid's getan!
Bringt nicht sein scharfer Hauch
Frohes Vergnügen auch?

Ziert nicht sein Silberkleid
Funkelndes Eisgeschmeid?
Blendend auf Berg und Land
Legt er sein Schneegewand.

Arg ist der Menschenspruch:
"Sehet das Leichentuch!"
Deckt es nicht warm und still
Leben, das ruhen will?

Willst du jetzt Röschen seh'n
Mußt vor den Spiegel geh'n;
Mädchen, die Wangenzier
Frischet der Winter dir!

Ist dir, mein Mädchen, bang
Wohl um den Lerchensang?
Liebchen, kein Winter ist,
Wenn du am Flügel bist!

Wonniger Zauberklang,
Glühender Herzensdrang!
Können im Frühlingshain
Süßere Sänger sein?

Schweigt auch die Nachtigall,
Lärmt doch der Maskenball;
Strahlender Kerzenglanz,
Lockender Reihentanz!

Fühlt ihr dann wärmer noch,
Preis't ihr den Winter hoch;
Stillt nicht sein Carneval
Heimliche Liebesqual?

Fragst du noch, wo und wie?
Schlingst ja den Arm um sie!
Bist ihr so wonnig nah,
Wie es sonst nie geschah!

— Fehlt euch der Fischerkahn?
Säuselnde Wasserbahn?
Murret nicht: "Teich und See
Starren in Eis und Schnee!"

Dürft nicht am Ofen ruh'n,
Fahret mit Schlittenschuh'n!
Flieht nicht die Gegenwart
Auch bei der Schellenfahrt?

Seht, wie sie lustig flieh'n
Über das Land dahin!
Sausender Peitschenknall,
Fröhlicher Widerhall!

Wollt ihr nicht draußen sein,
Schließt euch ins Stübchen ein!
Plaudert mit Freunden d'rin
Sorglos die Stunden hin!

Setzt euch am Tisch herum,
Traulich Collegium!
Feurige Lebenskraft
Gibt euch der Rebensaft!

— Bin ich allein zu Haus,
Nehm' ich ein Buch heraus,
Finde für Herz und Sinn
Labende Nahrung d'rin.

Hast du nicht Sinn dafür,
Wand're hinaus zur Tür;
Schön ist die Winterwelt
Draußen im Mannafeld.

Ist denn nicht Gottes Bau
Schön auch in Weiß und Grau?
Mindert sein Schmuck sich zwar,
Herrlich doch immerdar!

Hold, wenn der Lenz erblüht,
Schön, wenn der Sommer glüht,
Früchte der Herbst uns beut,
Flocken der Winter streut.

Darum nicht, Glossen, Freund!
Sei nicht des Winters Feind!
Jegliche Jahreszeit
Bietet Zufriedenheit.

Dichter-Trinklied
1828

"Schenke dem Dichter, Hebe nur ein!
Netz ihm die Augen mit himmlischem Taue,
Daß er den Styx, den verhaßten nicht schaue,
Einer der Unsern sich dünke zu sein!"
                                                      Schiller


Jünger Apoll's auf den irdischen Wegen!
Wein ist die Weihe! Schlürfet den Segen,
Der den Lyäischen Beeren entfließt,
Feurige Lust in die Adern gießt!
Mitten in Jupiters Himmel hinein
Steigen wir auf der Begeisterung Stufen!
Hört ihr den bärtigen Donnerer rufen:
"Schenke dem Dichter, Hebe nur ein!"

"Mundschenk! Zwei der gewaltigsten Becher!
Zeus und der Dichter sind heute die Zecher;
Denn nicht allein durch kristallenen Quell
Werde sein Auge zur Götterschau hell!
Daß er des Wassers nicht allzuviel schaue,
Reich' ihm des Nektars sprudelnden Schaum!
Laß' ihn vergessen den irdischen Raum,
Netz ihm die Augen mit himmlischem Taue!"

"Mögen die Tropfen ihn glühend durchrinnen,
Tage des Jubels dem Sänger beginnen,
Wie er sie unten im sterblichen Land
Nimmer genossen und nimmer geahnt!
Daß er den Göttern, den gnädigen, traue,
Mische des Trankes purpurnen Glanz!
Meine Unsterblichkeit sticht ihm den Kranz,
Daß er den Styx, den verhaßten nicht schaue!"

"Ewige Jugend! Freundliche Hebe,
Weih' dich ihm selber im Geiste der Rebe,
Daß ihn der Göttererfreuende Saft
Schwellend erfülle mit unserer Kraft!
Jupiter gönnt ihm den himmlischen Wein,
Daß ihm die Binde des Staubes entfalle,
Daß er, ein Gast in olympischer Halle,
Einer der Unsern sich dünke zu sein!"

Irdische Dauer
1828

Wenn's Erde trägt, verschwindet's bald;
Der Blütenast am Quell verdirbt;
Im Freundesbusen wird es kalt,
Und ach, das treue Mädchen stirbt!
                                              Jacobi


Bald welken deiner Jugend Kränze,
Und deine Freuden sterben mit;
Was dich beseligte im Lenze,
Sieh, wie es schnell von hinnen flieht!
Noch blüht die Flur! noch grünt der Wald,
Des Frohsinns helle Laute tönen, —
Entsagen mußt du all dem Schönen,
"Wenn's Erde trägt, verschwindet's bald."

Und kälter, sinnender und trüber
Betrachten wir der Dinge Lauf;
Die schönen Träume flieh'n vorüber,
Und zum Erkennen wachst du auf!
Sieh hin, wie schon der Baum erstirbt,
Der treu dein Vaterhaus umzweigte!
Die Blume, die die Krone neigte,
"Der Blütenast am Quell verdirbt."

Und wie die Zeit des Blütenschmuckes,
Des Lebens goldne Maienzeit,
So endet auch des Händedruckes,
Des Bruderkusses Innigkeit.
Den Freund, den du mit Glut umschlungen,
Erfaßt des Herzens Winter bald;
Du weckst umsonst Erinnerungen, —
"Im Freundesbusen wird es kalt."

Wenn du ein süßes Glück errungen,
O, glaube nicht auf immerdar!
Entsage den Beseligungen,
Die dich durchzücken unnennbar!
O, drücke nur in deine Arme,
Was junge Liebe dir erwirbt;
Das Herz erliegt oft stillem Harme —
"Und ach, das treue Mädchen stirbt."

Stell dich ein
1828

Liebes Mädchen stell dich ein,
Bei der alten Linde!
Denn der Gott, der blinde,
Will in dunkler Laube sein.

Flimmt des Mondes Zauberschein,
Flüstern süß und linde
Leise Abendwinde,
Nenn' ich dich so selig mein!

Komm! o Dämmerlicht, so graulich,
Für die Liebenden so traulich,
So gewogen ihrem Bunde!

Sehnend harr' ich jener Stunde, —
Du und ich so still allein —
Liebes Mädchen stell dich ein!

Lied auf dem Friedhofe
1828

Sanfte Gräberkühle!
Lind'rung gibst du mir!
Aus dem Weltgewühle
Flücht ich mich zu dir!
Fromm ergibt mein Wille
Sich in deiner Stille!

Ernste Vorbereitung
Sucht der Jüngling hier;
Und des Lebens Deutung
Liegt enthüllt vor mir.
Luft wird bald zu Trauer —
Jenseits nur ist Dauer!

Von der Erde Dingen
Reißt das Herz sich los;
Alles eitle Ringen
Ruht im Grabesschoß.
Schlummert sanft, ihr Lieben,
Friede nur ist drüben!

Alle Differenzen
Gleichen hier sich aus;
Bettler — Excellenzen
Ruh'n in einem Haus;
Denn wir werden Brüder
Erst im Grabe wieder.

Die in Haß sich schieden,
Feindlich sich verhöhnt,
Sind vereint in Frieden,
Denn der Tod versöhnt.
Nur ein selig Lieben,
Rache herrscht nicht drüben.

An dem Todesorte
Bricht das harte Herz,
Und die Grabespforte
Öffnet heißer Schmerz,
Männer seh' ich weinen
Bei den Leichensteinen.

Greife seh' ich treten
An der Gräber Ranft,
Leise hör' ich beten:
"Brüder, ruhet sanft!
Bald, wie ihr da drinnen,
Zieh'n auch wir von hinnen!"

Eilig flieh'n die Jahre,
Müde sinkt das Haupt;
Näher ist die Bahre,
Als der Mensch es glaubt.
Früher Staub muß werden,
Was da lebt auf Erden.

Das auch darf nicht bleiben,
Was die Asche barg;
Alles muß zerstäuben,
Hügel! Kreuz und Sarg.
Wo die Sterne schweben,
Dort nur ist das Leben!

D'rum bei heil'gem Düstern
Weil' ich gerne hier;
Die Zypressen flüstern
Süße Tröstung mir:
"Harre deiner Lieben,
Wiederseh'n ist drüben!"