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VI.
Heimat und Vaterland

 

Fahrt ins Leben
Wandlung
Heimaterde
Der Meilenstein
Vergangenheit
Vergessener Weg
Fernstein

 
Immer das Gleiche
Die alte Tür
Gebet

 

Fahrt ins Leben


Wie trübe ist's, daheim zu sein
In meinen jungen Jahren;
Die schnellsten Renner spann ich ein
Und will ins Leben fahren.

Mit "Hui" und "Hopp" soll's weitergeh'n
Durch aller Länder Straßen;
Wie sich vor mir die Mädeln bläh'n,
Ich will sie sitzen lassen.

Und sprächen sie: "Wir meinen's gut."
Und faßten schon den Zügel,
Versteckten mir den Reisehut
Und hielten mich beim Flügel.

Und wären sie auch noch so jung,
Was kümmern mich die Dinger?
Ich setzte mich erst recht in Schwung
Und rührte keinen Finger.

Hab' wenn ich alt, noch Zeit dazu,
Da mag mir nach dem Schwärmen
Mein kaltes Bett zur Rast und Ruh'
Der Schönsten eine wärmen.

Ein Kuß von einem Lippenpaar
Soll's Höchste sein beim Rasten,
Dann wieder "zum Gefechte klar"
Und in den Rumpelkasten.

So komm' ich rasch die Welt herum,
Schau aller Herren Plunder
Und werd', wenn ich nicht gar zu dumm,
Halb Mystik und halb Wunder.

Drum rasch die Rosse eingespannt,
Den Schimmel und den Braunen;
Will heut' noch weit hinein ins Land
Und in ein Bett von Daunen!

Das meine sticht mich allzuviel
Mit seinen groben Federn.
Und ihr, ihr seid mir gar zu kühl,
Zu stumpf und öd und ledern!

Wandlung

Nach der Heimat trautem Boden
Packt mich Sehnsucht wie ein Fieber;
Alles, was ich mußte roden,
Wallt an mir als Traum vorüber.

Meiner Jugend Paradiese,
Ach, ich konnt' sie nicht umzäunen,
Einst voll Blumen eine Wiese,
Dann ein Feld, besät mit Steinen.

Blatt an Blatt vom Lebensstamm hat
Mir der Tagessturm genommen
Und ich fühl', zur alten Heimat
Kann ich nimmer wieder kommen.

Vorwärts, vorwärts ohne Stocken,
O, wie ging so schnell die Reise!
Einst ein Bub mit blonden Locken,
Schon erschrickt er vor dem Greise.

Heimaterde

Feldung aus der Urzeit Tagen,
Wer auf dir zuerst gereutet,
Vieles, vieles möcht' ich fragen,
Doch die Antwort, sie entgleitet.

War's der Kelte, der die Pflugschar
Hier zuerst durch Erde führte,
War's ein Räter, der dich, urbar,
Dann mit seinem Zaum umschnürte?

Nichts ist uns in Lied und Sage,
Noch so ring, von dir berichtet,
Ungewiß sind selbst die Tage,
Seit dem Deutschen du verpflichtet.

Unzählbar wie Frucht und Samen
Mocht' dich schon ein Fuß beschreiten,
Doch es blieb dein röm'scher Name
Nur zurück als Hall der Zeiten.

Wie ich heut' darübergehe,
Breit' ich betend meine Hände,
Daß sie reich an Früchten stehe
Für noch viele, wenn ich ende.

Der Meilenstein

Es wuchtet in unserem Garten
Uralt ein zerklüfteter Stein,
Den sie aus der Erde scharrten,
Er soll von den Römern sein.

Als Genaun' und Breone vernichtet,
Unsre Ahnen, die hier gestammt,
Sie haben ihn wohl errichtet
Und in den Boden gerammt.

Was drauf geritzt von den Siegern,
Ist stark verwittert und kraus;
Es deutete wohl den Kriegern
Die Meilen unseres Gau's.

Wenn jetzt im Purpurrote
Die Berge loh'n zauberisch,
Dient er beim Abendbrote
Den Männern als Speisetisch.

Da trinkt sich's, aus welschem Süden
Den Becher Weins in der Hand,
So gut im Abendfrieden
Im freien Vaterland.

Da werden, die längst vergangen,
Nun wieder vor mir erneut.
Den Ahnen in Sklavenspangen
Sei's erste Glas geweiht!

Das zweite dem Heimatherde,
Der tirolisch Blut nie vergißt!
Das dritte der deutschen Erde,
So weit ihr Aar sie mißt!

Vergangenheit

Da, wo die Kapelle jetzt,
Wuchtete ein Stadel,
Von dem Kaiser hingesetzt
Wie ein Mann von Adel.

Hochgegiebelt stand er da,
Vollgestopft mit Waren,
Wie ihn meine Jugend sah
Noch vor sechzig Jahren.

Hei! wie war die Zeit so froh,
Da sie ihn erbauten,
Als im leichten Rokoko
Leicht die Augen schauten.

'S war die lust'ge Fuhrmannszeit,
Da die Tisch' sich bogen
Und die Wirte nicht wie heut
Mit dem "Rötel" trogen.

Tierreich und Botanik rief
Winkend mit dem Schilde;
Wenn der Wagen noch so lief,
Blieb man doch im Bilde.

Kellnerin und Hausknecht sprang,
Wenn es gab Getrappe,
Und der Wirt von weitem schwang
Grüßend schon die Kappe. —

Geißelknall auf Weg und Straß'
Zum Gejauchz der Rosse;
Traf man noch ein Mädel baß,
Herrgott, dann die Posse!

Alles war mit Geld besackt,
Darum das Getümmel,
Selbst der Heil'ge blieb im Takt
An dem Kirchenhimmel.

Doch der Zeitzahn nagt und wetzt
Durch die dickste Schwelle,
Schau, anstatt des Stadels jetzt
Ladet die Kapelle.

Kein Getrapp von Rossen mehr
Auf und ab die Straße,
Keine, keine Wiederkehr,
Aus ist's mit der Rasse.

Wirt und Fuhrleut schliefen ein,
Einmal recht zu rasten,
Wir, die wir nach ihnen sein,
Haben nun die Fasten.

Vergessener Weg

Es führt ein Weg durch den Astlander Wald,
Gar holprig und schlecht, als Straße vergessen,
Und hat auf ihr eines Mächt'gen Gestalt,
Von Dienern getragen, in der Sänfte gesessen.

Es war Kaiser Karl, der Fünfte genannt,
Er wollte nach Augsburg zum Reichstage reisen;
Hier traf ihn ein Bote aus bayrischem Land:
"Die Treue brach Moritz von Sachsen und Meißen!

Schon naht er in Eilmarsch mit Roß dir und Knecht.
Zurück, noch ist's Zeit und fort auf der Stelle,
Er möchte dich fangen trotz Mannwort und Recht,
Dem Schweden verbündet, dem Luther Geselle!"

Es führt ein Weg durch den Astlander Wald,
Gar holprig und schlecht, als Straße vergessen,
Und doch hat auf ihr eines Mächt'gen Gestalt,
Von Sorgen verzehrt, in der Sänfte gesessen.

Kein Stein, keine Tafel, weder Sage noch Reim,
Erinn'rung ertrunken im Fluten der Zeiten
Und doch ein Ereignis, der Zukunft ein Keim,
Für Deutschland und Kaiser von ew'gen Bedeuten.

Fernstein

Durch das Tor des alten Schlosses,
Längst verlassen, zieht die Straße,
Eine halb gergilbte Chronik,
Die ich neu in Worte fasse.

Schwere Wagen, leichte Karren
Zieh'n hinauf, den Fern herunter,
Müde Wandrer, flücht'ge Reiter,
Auch manch Landsknecht trappt darunter.

Immer vorwärts, immer weiter
Ohne Rasten muß die Sippe;
Siehst du den mit hohlen Augen,
Wie er treibt sie mit der Hippe?

Ob Jahrzehnte sie zu fahren,
Ob nur Monde zählt die Reise,
Alle Arbeit, alle Mühe,
Immer gilt's für Brut und Speise.

Alte Straße, nun verlassen,
Langsam saugt dich ein die Erde,
Abseits saust die Zeit vorüber
Jetzt mit ihrem Feuerpferde.

Stöhnen müde von der Bürde,
Da vorüber rann die Welle,
Gras und Blumen dir zum Schmucke,
Neuem Leben bist du Quelle.

Kommt nach hundert Jahren einer,
Sucht vergebens er dich, alte,
Nur ein alter Rabe weiß noch,
Wie versunken du im Walde.

Immer das Gleiche

Es ragt auf felsigem Horste
Geborsten ein Ritterschloß,
Von dem ein Teil schon zum Forste
Im Tal herniederschoß.

Die Raben und Krähen fliegen
In Scharen um Zinne und Turm,
Im Gebälke der Treppen und Stiegen,
Da nagt und klopft der Wurm.

Zerklüftet steh'n Tor und Mauern,
Die Mauern fensterleer;
So wird es nicht lang mehr dauern,
Dann sind auch diese nicht mehr.

Fort sind die Knappen gezogen,
Mit ihnen die Rittersleut,
Und in den Gängen und Bogen
Schaut eine andre Zeit.

So scheint es für ewige Dauer
Vorbei jetzt mit Armbrust und Spieß
Und mit dem eisigen Schauer
Da unten im tiefen Verlies.

Und doch ist noch immer verblieben
Das Alte in seinem Gehalt
Und, wie man es dorten getrieben,
Vor Recht geht List und Gewalt.

Noch immer sind Leiden und Tränen
Für Armut und Mühe der Preis,
Noch immer erpressen Hyänen
Der Armen und Wehrlosen Schweiß.

Statt des Ritters im Koller vom Leder
Mit lautem Geschrei und Gezank
Tut's still jetzt die goldene Feder
Der Herr'n von Börse und Bank.

Die alte Tür

Alte Tür dort mit der Schramme,
Tief ins braune Holz getrieben,
Denkst du noch der Zornesflamme
In des Rotaars Pratzenhieben?

Sieh', die Kerbe in der Blende
Ist mir noch ein glühend Zeichen
Und ich schau' der Ahnfrau Hände
Ihrem Mann den Stutzen reichen.

Ein Franzos' aus nicht'gem Grunde
Warf nach ihm den blanken Degen,
Doch, sich deckend vor dem Hunde,
Flog ins Holzwerk dort sein Segen.

Hei, wie an der Pontlazbrücken
Sie dann bös' ihr Pfeifchen rauchten,
Wie sie wie die Entenküken
Kopf voran ins Wasser tauchten.

Alte Tür, da für die Wunde,
Wie der Ahn' es dir versprochen,
Dreizehnmal tat er zur Stunde
Ein französisch' Herz durchlochen.

Blutigrot ist an dem Tage
Bis zur Nacht der Inn geronnen
Und mit einem Keulenschlage
Stand Tirol frei an der Sonnen.

Gebet

Herr, ich recke meine Arme
Im Gebet zu dir empor,
Wie ich ring' in bitt'rem Harme,
Leih' in Gnaden mir dein Ohr!

Das in gleichen Bitternissen
Einst der Ahn' dir gab zum Pfand,
Sieh', zertrennt zu deinen Füßen
Unser armes, armes Land!

Sieh', im Kampf aus tausend Bronnen
Trank der Tod sein Mannesblut,
Südtirol, du Land der Sonnen,
Ach, umsonst war uns're Hut.

Südtirol, du Land der Reben,
Wo der Schlern wie Rosen brennt,
Du, dem Feinde hingegeben,
Von den Brüdern abgetrennt!

Wo der Deutsche deutsch sich beute,
Fremder Name höhnt und pocht,
Alte Sitten, alte Leute
Fremder Herrschaft unterjocht.

Was im Drang und im Getümmel
Des Jahrhunderts sich erwehrt;
Selbst dein Name, Gott im Himmel,
In der Kinder Mund verkehrt!

Hör; aus hunderttausend Kehlen
Zu dir aufwärts gellt der Schrei,
Hör', aus hunderttausend Seelen
Fleht es brünstig: Mach' uns frei!

Sieh', wir können's nicht vollbringen,
Denn wir sind zu schwach dazu;
Vor dir, Herr, die Riegel springen;
Herr im Himmel, tu' es du!

Nieder mit der Malser Scheide,
Reute aus des Brenners Pfahl,
Inn und Etsch, wie eh'mals, beide
Uns're Flüsse, uns ihr Tal.

Und des Rotaars alte Erde,
Deiner Allmacht zum Symbol,
Eine Sprache, eine Herde,
Ein Land wieder, dein Tirol!