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Gesammelte Werke
Franz Kranewitter

Herausgegeben von der Adolf-Pichler-Gemeinde in Innsbruck
Im Verlag "Das Berglandbuch"
1933
gefunden bei ©ALO

I.
Aus den
"Lyrischen Fresken"

 

Erscheinung
Auch du
Schatzblüten
Himmelfahrt
Gelehrtenstreit
Der Führer
Dein Bildnis
Unrecht Gut
Der heilige Veit
Weißdorn
Frage
Ikarus
Abendstunde
Bergkreuz

 
Kain
Kleopatra
Das letzte Wort
Klagelied der Erde

 

Erscheinung


Aus dem Dornbusch in der Wüste
Sprach der Herr, lehrt unser Glaube; —
Du erschienst mir heute lächelnd
Drüben in der Geißblattlaube.

Wie ein zweiter Mose bin ich
Betend auf das Knie gesunken,
Aber statt der grünen Hecke
Stob mein Herz von Feuerfunken!

Auch du

Liebe heißt die große Leiter,
Welche reicht ans Himmelszelt;
Jovis hehre Töchter stiegen
Einst von ihr hinab zur Welt.

Stehst du da mit deinem
Liliengleichen, süßen Leib,
Faßt mich oft ein schaurig Ahnen,
Daß auch du kein irdisch Weib.

Schatzblüten

Du stiegst in meines Busens Schacht
Und hobst das Gold aus seiner Nacht.

Mein Lieben prägt's in Lieder um,
Die gehen im weiten Land herum;

Die zeigen all' dein süßes Bild
Und sagen, wie du gut und mild.

Himmelfahrt

Es steigen im Felde die Lerchen,
Zu großen Zügen geschart,
Sie feiern mit Singen und Klingen
Mariä Himmelfahrt.

Mir ist's, als schaut' ich geöffnet
Den Himmel über der Au,
Als hört' ich es locken und laden
Aus seinem tiefdunkelen Blau.

Mir ist's, als sollt' ich dich nehmen
Auf meine Schultern auf
Und hoch und höher dich tragen
Bis in den Himmel hinauf.

Gelehrtenstreit

Schon streiten sich die Weisen
Herum seit Tag und Jahr,
Ob wirklich eine Woche
Die Zeit der Schöpfung war.

Ich weiß, mein Lieb, von allem
Nur dieses eine Stück:
"In meiner Brust erschufest
Du sie mit einem Blick!"

Der Führer

Allgemach ist auf den Straßen
Nun der letzte Ton verhallt,
Und zu einem Gartenhause
Reißt der Mond mich mit Gewalt.

Hinter den geschloßenen Fenstern
Schlummert meines Lebens Licht,
Doch die Seufzer, die ich sende,
Öffnen ihre Riegel nicht.

Mit umflortem Auge steh ich,
Wo mein Führer stieg empor,
Zwischen den Gardinen blickt er
Lachenden Gesichts hervor.

Dein Bildnis

Muß zu deinem Hause eilen,
Liebe Taube, früh und spät;
Amor sitzt in meinem Herzen
Und will malen dein Porträt.

Durch die Jalousien erspähen
Soll ich ihm bald das, bald dies:
Bald das Rot von deinem Munde,
Bald der Augen Paradies.

Manchmal will er gar, ich löste
Dir das Mieder von dem Leib —
Ach, der Narr wird mich noch töten,
Wirst du, Kind, nicht bald mein Weib!

Unrecht Gut

Du hast mein Herz genommen
Mit einem einz'gen Blick,
Geduld! du bringst es selber
Mir gerne noch zurück.

Ein Sprichwort sagt: "Gedeihen
Bringt niemals unrecht Gut" —
Besonders, wenn wie deines
Es Feuer nur und Glut.

Der heilige Veit

Im stillen Waldesdunkel
Steht drauß' der heilige Veit,
Der hatte viel zu helfen —
Das war vor alter Zeit.

Heut ging ich dran vorüber,
Wollt weinen ungestört —
Da hab' ich ihn dreimal seufzen
Vernehmlich gar gehört:

"Er prunkt in Samt und Seide
Und ist ein junger Fant,
Hat Ringe an den Fingern
Und nicht gar viel Verstand; —

Du, Menschlein, willst nicht vergessen,
Was dir Feinlieb getan,
Sieh her, ich armer Heil'ger
Bin nicht viel besser dran.

Seitdem mir gegenüber
Der Kapistran logiert,
Hat sich kein einziger Beter
Mehr her zu mir verirrt.

Doch weiß er süß zu plappern
Und Wunder tut er auch, —
Ja nun, und zu vergessen,
Was alt, — ist Weltenbrauch!"

Weißdorn

Ein Weißdorn auf der Mütze
Ist gegen Blitzschlag gut. —
O hätt' ich doch genommen
Mein Herz vor dir in Hut!

Blind sah ich dir ins Auge,
Ich Narr, und dachte nicht,
Daß aus dem blau'sten Himmel
Der hellste Blitzstrahl bricht.

Frage

Nun ist der Tag gegangen,
Stumm liegt die Stadt und leer;
Der Mond allein, der Träumer,
Schleicht einsam noch umher.

Wohin ich immer wandle,
Bedrängt er stets mein Ohr
Und frägt mich um zwei Sterne,
Die längst ich schon verlor.

Ikarus

Ikarus, den kühnen Segler,
Preis' ich glücklicher als mich;
Nach der Sonne Anblick nahm ihn
Mitleidsvoll das Meer zu sich.

Mir vergönnt kein Gott zu sterben;
Todesmatt und flügellahm
Muß ich täglich jene schauen,
Die mir meine Ruhe nahm!

Abendstunde

Kaum ein Atmen mehr im Baum
Und der Tag sinkt müde;
Rot hängt der Erinnerung Traum
Noch auf seinem Lide.

Mählich löst des Abends Hauch
Ihn in gold'ne Sterne;
O, wie möchte träumen auch
Meine Seele gerne!

Bergkreuz

Mitten in der Felsenwildnis
Steht ein uralt heilig Bildnis:
An dem Kreuze Gottes Sohn.
Von des Tales verworrnem Schallen
Hört in diese Öde hallen
Nie der Geier einen Ton. —

"Schmerzgeprüfter Geist, hier senke
Dein Gefieder,
Nahe deinem Gott wie nirgends
Laß dich nieder!"

Kain

Motto: Kain soll niemand töten,
Und er machte auf seine Stirne ein Zeichen.
                                                   Genesis.


An den Weg auf dieser Erde
Baute manches Haus die Zeit.
Alle seine Herren sanken
Längst dahin im grimmen Streit.

Auch des Hauses Mauern fielen,
Altersmorsch und altersgrau, —
Ich alleine schau noch immer
Ungebeugt ins Himmelblau.

Denn mich traf der Herr der Welten
Mit des Daseins größtem Fluch,
Unzählbare Blätter bilden
Meines Lebens düst'res Buch.

Ach, was mocht mich auch verführen,
Das ich meinen Bruder schlug,
Der auf seinem blonden Scheitel,
Jahve, deine Liebe trug?

Auf der Stirn das Mal des Fluches
Redet stets und wird nicht stumm
Und die Keule, die ich führte,
Schlepp' ich heute noch herum.

Wo mein Blick, der scheue, haftet,
Werden Gräser dürr und bleich;
Saaten welken auf dem Felde
Und der Fisch vergeht im Teich.

Aus den Lüften stürzt der Vogel
Und der Mensch stirbt in dem Zelt.
Angsterfüllt mit Grausen nennet
Meinen Namen schon die Welt.

Seh' ich auf zum Morgenhimmel,
Welkt daran das junge Rot,
Wie ein Schauer wandelt's d'rüber,
Schauernd spricht's: "Das ist der Tod."

Ja, der Tod! Wie Rutenhiebe
Peitscht mich dieser Ton vom Ort;
Doch da rufen unter mir schon
Wieder neue Leichen: "Mord!"

Ach, ich neid' sie um ihr Schicksal,
Denn nie enden wird mein Weh',
Stürzt' ich auch von tausend Felsen
Tausendmal mich in die See.

Einstens stand ich unter'm Kreuze
Dran der weise Raabi hing,
An den schon aus meiner Eltern
Mund ein stetig Mahnen ging.

Als zu ihm ich voll Verzweiflung
Hob den scheuen Blick empor,
Drang aus seinem Aug' ein Tropfen
Purpurroten Bluts hervor.

Fühlt' ihn auf dem Haupte glühen,
So wie's Feuer nimmer tut;
Gleich an Abel muß't ich denken
Da bei seiner Höllenglut.

Vor dem Geist lag aufgeschlagen,
Was vergangen, wie ein Buch:
Hoch empor sein Opfer lohte,
Und auf meinem lag der Fluch.

Und aufs neu', statt daß ich flehte,
Hob sich meine Faust mit Macht,
Als es laut vom Kreuze tönte:
"Jetzo, Vater, ist's vollbracht."

Wie noch kaum das Wort verklungen,
Barst die Erde gähnend auf,
Berge bebten, Felsen sprangen,
Und der Strom hielt ein im Lauf.

Endlich, glaubt' ich, könnt' ich sterben!
Doch da rief es: "Kain stirbt nie!
Ihm soll auch mein Fluch noch dauern,
Wenn schon allen ich verzieh;

Weil zuerst sein Arm getötet,
Tausendfach nun schlag' er fort,
Tausendfach vor jedem Sarge
Leid' er neu für seinen Mord!

Leide, bis die alte Erde
Endlich hält in ihrem Lauf,
Bis sich tut das alte, finst're,
Schwarze Chaos wieder auf!"

Kleopatra

Flötenbläser, Zimbelnschläger
Lasset ein mir in den Saal
Und mit grünem Laub umwindet
Festlich heut' den Goldpokal.

Tauchen in der Erde höchste
Wonne will ich meinen Leib.
Enden will ich, wie ich lebte,
Noch im Tod ein freies Weib.

Eurer lach' ich, stolze Römer,
Spottend eurer Kerker Graus,
Hauch' ich frei noch meine Seele
In die freien Winde aus.

Wandeln wird sie durch die Straßen
Eurer Stadt, dem Zeus verlobt,
Welche sonst nur Waffentosen,
Siegesrufen wild durchtobt.

Mit dem Duft der Rosenbüsche,
Mit dem Duft vom Jasminstrauch
Mischen wird sie sich und beben
Werdet ihr bei ihrem Hauch.
768a
Nicht Antonius nur, der schlaffe,
Wird ihr dienen dann allein:
Rom, das große, das gewalt'ge,
Selber wird ihr Sklave sein.

Salben wird es sich die Haare,
Weiter gürten das Gewand.
Schwert und Panzer werden trauern
Und verrosten an der Wand.

Wenn sein Fuß dann schlaff und müde
Und die Arme kraftlos, matt
Und in Wollust siech gesogen
Ganz ihr Herz die alte Stadt,

Reißt sich von den Höh'n der Alpen
Donnernd nieder Stein auf Stein,
Bricht's auf sie wie Schloßenwetter
Unaufhaltsam wild herein.

Bald von Hand zu Hand geschleudert,
Wird es gleichen einem Ball,
Ja, ich sehe schon sich neigen
Selbst die Götter aus Metall.

Ja, ich hör' den Wind schon fahren
Ungehemmt, in seinem Staub
Und durch alle Erdenzonen
Wirbelnd tragen seinen Raub.

Knabe, horch! sind's ihre Waffen,
Die schon tönen durch das Haus?
Wohl, so gilt's! Nicht länger hindern
Will ich, Freundin, dich im Strauß.

Hier am heißen Busen haben
Sollst du nun ein weich'res Pfühl;
Deine Freundin aber schreitet
Zu den Königen am Nil.

Das letzte Wort

Als einst am Stamm des Kreuzes
Das letzte Wort verhallt,
Kam sausend es gezogen
Zum dunklen deutschen Wald.

Dem Wald fuhr's in die Wipfel,
Daß mächtig er gerauscht. —
Was mochte nur erfassen
Die Scharen, die gelauscht?

Im Süden stand als Szepter
Ein Stern am Himmelsdom. —
Sie schlugen an die Schwerter
Und sprachen: Auf nach Rom!

Klagelied der Erde

Innerhalb von Ewigkeiten
Wogt der Zeiten dunkles Meer,
Mag ich draus mit Tonnen schöpfen
Alle Tage, wird's nicht leer.

Mag ich draus mit Tonnen schöpfen —
Ein Jahrtausend jeder Zug, —
Hör' ich's niemals doch erschallen:
"Ruhe nun! es ist genug."

Schmerzlich muß ich täglich schenken
Millionen dieser Welt,
Millionen Kinder sterben
Sehen, wenn die Sonne fällt.

Täglich fließt ihr Blut in Strömen,
Färbt sich rot mein schwarzes Kleid,
Doch ans taube Ohr der Söhne
Tönt umsonst der Mutter Leid.

Fluchen sollt' ich dir, o Stunde,
Die verführt mein weiches Herz,
Daß ich gab zum Schmuck des Lebens,
Nicht zum Schwerte hin das Erz.

Ach, dich traf's zum ersten Male
Mit dem heißen Augenpaar,
Holde Babel, die die Liebste
Mir von allen Töchtern war.

Deinen Würger fraß es wieder;
Persis fiel durch Hella's Hand
Und die Säulen von Korinthus
Rieb ein Römer dann zu Sand.

Auf den Wolf am Strand des Tiber
Stürzte sich der deutsche Aar;
Spät nicht auch nach seinem Horste
Gierig schon ein Geierpaar?

Brächen sie ihm einst die Schwingen,
Die im Blau so stolz gethront,
Dürften sie doch nimmer hoffen,
Daß sie selbst das Erz verschont.

Kaum berührt's die Hand der Völker,
Reizt sie schon des Mordes Lust,
Und so berg' ich Leich an Leiche
Traurig an der Mutterbrust.

Die entstellten Züge schauend,
Bin ich alles Trostes bloß
Und ein Strom von heißen Tränen
Ringt sich von den Augen los.

Ihre bitt'ren Fluten bilden
Eine uferlose See,
Klagend aus den Wasserwogen
Ruft zum Sternenchor mein Weh.

Flehend ruft's empor zur Sonne,
Unablässig, ohne Ruh:
"Schling um mich, o Weltenleuchte,
Deine warmen Arme du!

Laß mein Herz zu Asche werden
In den Wogen deines Lichts,
Laß, o laß mich wieder gehen
Endlich in das Nichts."