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Gedichte 2
 

Alle Vögel sind schon da
Jugend
An einen alten Lehrer
Sonnental
Vor dem Einschlafen
Der Ratgeber
Bekenntnis
Der Reim
Der Irrgarten
Memoiren
Sehnsucht
Auferstehung
Verlöbnis
Phantasie an eine Entrückte
Wollust
An eine Falte
Halbschlaf
Suchen und Finden
Furcht
Ich habe einen Blick gesehn
Grabschrift für ein Hündchen

Alle Vögel sind schon da


Das Zimmer schweigt und vor dem Fenster
brütet der Sonntag seinen Plan,
führt auf dies stumme Ab und An,
die Pantomime der Gespenster.

Und rechts und links in meinem Zimmer
hängt was gewesen an der Wand,
ein toter Freund reicht seine Hand
und was gewesen ist, bleibt immer.

Es schweigt mich an wie eine Sage,
ein jedes Ding von seinem Ort.
Die heimgegangne Göttin dort
ruft des Geschlechtes heilige Klage.

Wie laut wird alles, was da schweigt.
Nun bin ich schon im frühsten Alter.
Da wird die Stille rings zum Psalter,
zu dem des Nachbars Junge geigt.

Des ersten Frühlings Glückerleben
wird wieder mir so greifbar nah.
Ach, "alle Vögel sind schon da"!
Ich seh' sie durch das Zimmer schweben.

Jugend

Da schon die Blätter falb,
will ich nicht säumen,
innen und außerhalb
Frühling zu träumen.

Eh mich umfaßt die Qual
dunkler Gewalten —
o holdes Dazumal,
lasse dich halten.

Wie es von mildem Weh
weht durch die Zeiten!
Will, wenn ich schulwärts geh',
gern mich begleiten.

Hab' vor dem Ziele bang,
nie mich erdreistet.
Wenn es mir auch gelang,
war's doch geleistet.

Länger davor verweilt,
wird es mir lieber —
ach, wie die Zeit enteilt,
ich habe Fieber.

Wie es mich trieb mit Hast
zu Hindernissen,
drückte es wie Zentnerlast
gutes Gewissen.

Nicht ohne Lust ich litt
vieles Versäumnis,
nie ohne Furcht ich schritt
in das Geheimnis.

Glück war es und Beruf,
Glück zu entbehren;
was mir Verehrung schuf,
scheu zu verehren.

Mut aber und Gewalt
vor der Gemeinde,
Sturm ohne Aufenthalt
faßte die Feinde.

Herz, wie du wieder bangst
im weitern Raume,
weckte dich Kinderangst
aus deinem Traume.

Pocht es von altersher,
öffn' ich die Sinne,
daß es wie damals wär',
wo ich beginne.

In trüber Leidenschaft
voller Gefahren
ahn' ich den Gartenduft
aus frühen Jahren.

Ruf' ich's, so ist es da,
daß ich es hege.
Grün, wie ich's nie mehr sah,
wuchs mir am Wege.

Liegt mir die Zeit im Ohr,
um mich zu täuschen,
dringt doch ein Kinderchor
aus den Geräuschen.

Heuer geht's früh aufs Land,
auf blasser Wange
fühle ich deine Hand.
Fort bist du lange.

Fern als ein Leierklang
klingt's in das Leben,
will's einem Leid entlang
spielen und schweben.

Ja dort in Weidlingau,
in jenem Alter,
war mir der Himmel blau,
rot war der Falter.

Bin schon im Herrenbad,
Schwimmeisterstimme,
welch eine Wundertat,
daß ich schon schwimme!

Dann in der Bildung Frohn,
bessrer Berater,
spielt mir den Lebenston
Sommertheater.

Da ward mir frei und froh
vor bunter Szene.
Liebte Madam Angot,
schöne Helene.

Blaubarts Boulotte und,
nicht zu vergessen,
Gerolstein, Trapezunt,
alle Prinzessen.

Und bis zum letzten Lohn
schwebender Wonne
tanzte und schlug den Ton
Gilette von Narbonne.

Leben kein Sündenplatz,
Kunst keine Sühne.
Schwerlosen Wissens Schatz
bot mir die Bühne.

Gern den gebührlichen
Dank will bewahren
jenen figürlichen
Achtziger Jahren!

Was ich vereine,
dort schien's gefunden,
und ihrem Scheine
Wesen entbunden.

Wer bliebe ungrührt
von ihren Künsten?
Doch keine Brücke führt
zu euren Dünsten!

Kunst war nicht Nebenbei,
konnte noch gelten,
rief als ein Wolterschrei
tieferen Welten.

Was nun in Dunkelheit
leide und sehne,
weiht jenem bessern Leid
Sonnenthals Träne.

Jünger bin ich als jung,
leb' ich im Alten.
Welche Erneuerung!
Welches Erhalten.

Zieht in der Zeiten Kluft —
ich wohne besser,
bau' ich mir in die Luft
brüchige Schlösser!

Blick' ich nur aus von dort
in eure Fenster,
ruft euch mein Zauberwort:
seid ihr Gespenster!

Neuer ist meine Art,
freier ich wohne.
Es brach die Gegenwart
ein Epigone!

Rückwärts mein Zeitvertreib!
Jugend erst werde!
Länger als ihr verbleib'
ich auf der Erde!

Und weil die Blätter falb,
soll es mich laben,
innen und außerhalb
Frühling zu haben.


An einen alten Lehrer
(Henricus Stephanus Sedlmayer)

Da neulich sah ich wie in der Jugendzeit
Dich weißen Hauptes, irgendwohin den Blick
     Gerichtet nach einer Vokabel,
          Welche ein Schüler verloren hatte.

Ein andrer mußte, nicht auf den Ruf gefaßt,
Eh er sich fassen konnte, sie fassen schon,
     Und war auch er es nicht imstande,
          Nanntest du es eine Seelenroheit.

Von strenger Milde war dieser Unterricht.
Du guter Lehrer hattest den Schüler gern.
     Doch näher deinem reinen Herzen
          Lag wohl das Wohl eines armen Wortes.

Latein und Deutsch: du hast sie mir beigebracht.
Doch dank ich Deutsch dir, weil ich Latein gelernt.
     Wie wurde deutsch mir, als ich deinen
          Lieben Ovidius lesen konnte!

Denn jenes wahrlich machte mir Schwierigkeit.
Mir fehlten Worte, und es gelang mir nicht,
     Den Frühling, den ich erst erlebte,
          In einem Aufsatz auch zu beschreiben.

Ovid ja selber hätte es nicht vermocht,
Und Goethe länger als eine Stund gebraucht —
     Wie sollte es ein Schulbub treffen,
          Wenn er nicht grade ein Journalist war?

Du guter Lehrer wußtest das nur zu gut.
Du übtest Nachsicht und weil ich in Latein
     Doch vorzüglich bestanden hatte,
          Gabst du in Deutsch mir nicht nichtgenügend.

So kam ich durch und besserte später mich,
Weil ich es fühlte, daß ich dir schuldig war,
     Im deutschen Aufsatz nach der Schule
          Deinen Erwartungen zu entsprechen.

Hätt' ich schon damals gleich zwischen acht und neun
So Deutsch geschrieben, wie zwischen zehn und elf
     Latein ich las, wär' diese Ode
          Diese horazische nicht entstanden.

Nimm diese Fleißaufgabe als Jugendgruß.
Denn du stehst milde heute wie einst vor mir.
     In Bild und Wort bist du mir nahe,
          Als ob ich heute noch vor dir säße.

Ich sehe dich, wie du mit der feinen Hand
Die Stirn dir streichst, die sorgende, als ob du
     Ein krankes Wort betreuen müßtest —
          Heilige Pflicht vor profanen Zeugen.

Schneeweiß wie damals, neigend den Kopf, doch hoch
Den Sinn wie damals, traf ich dich auf dem Weg
     Zur Schule neulich und es war mir,
          Daß ich mit dir in die Schule ginge.

Wohin verlor sich, sag mir, dein Altersblick,
Mir unverloren? Lehrest du immer noch
     Verlorner Gegenwart die Sprache?
          Folg mir und lasse die Klasse fallen!

Sonnental

Faßt Mut zum Schmerz, daß seine Träne nicht mehr fließt
und dieser große Chor der Jugendbühne stumm ist:
Die Glocke, die Charlotte Wolter hieß;
der Hammer, der mit Lewinskys Rede das Gewissen schlug;
und einer Brandung gleich die Stimme des Zyklopen Gabillon;
Zerlinens Flüstern; und Mitterwurzers Wildstroms Gurgellaune;
eine Tanne im Wintersturm jedoch war Baumeisters Ruf;
und schwebend, eine Lerche, stieg des jungen Hartmann Ton,
vermählt dem warmen Entemnutterlaut Helenens;
und Hagel, der durch schwülen Sommer prasselt, Krastels Sang;
und edlen Herbstes Röcheln Roberts Stimme;
und Sonnenthals: die große Orgel, die das harte Leben löst.
Und all der Sänger Stimme und Manier,
die noch verstimmt, von solchem Geiste war,
daß sie bewahrt sei gegen alles Gleichmaß,
womit die Narren der Szene und der Zeit
die lauten Schellen schlagen.

Vor dem Einschlafen

Wovor ist mir denn bang?
Was soll mir denn geschehen?
Ich werde Neues sehen.
Und bis dahin ist's lang.

Was das nur heute ist.
Es kommt doch immer näher.
Entging' ich doch dem Späher!
Täuscht' ich ihn nur mit List!

Oh das verlorne Glück!
O stände doch die Stunde!
O ging' es in der Runde
zum Anfang doch zurück!

Nehmt alle Uhren fort!
Die Zeit klopft mir im Herzen.
Wie flackern schon die Kerzen.
Wie dunkel wird der Ort.

O gäb's doch Aufenthalt!
Geheimnis, brich dein Siegel.
Zerbrecht mir dort den Spiegel!
Ich trotze der Gewalt!

Schlaf, rett mich vor dem Tod.
Laß mich vom Leben borgen.
Bring wieder mir den Morgen.
Beende diese Not.

Hier neigt sich mir ein Bild,
und durch ein weises Walten
verwandeln sich Gestalten,
es fließt um mich so mild.

Dies alles war einmal.
Jetzt wird die Last mir linder.
Wir waren einmal Kinder.
Ich sinke in mein Tal.

Schon weicht mir das Gesicht.
Es kommen die Gesichter.
Verlösch' ich noch die Lichter,
so wird es wieder licht.

Nun fühle ich schon Mut.
Es schwindet das Bewußtsein.
Ah, es wird eine Lust sein.
Nun wird mir wieder gut.

Der Ratgeber

Was immer sich in meinen Traum gedrängt,
hat stets mit meinem Tage sich vermengt.

Doch nimmt der Traum das Leben leicht in Schutz.
An seinem Dunkel klärt sich aller Schmutz.

Wie sich im Wechsel da die Dinge drehn,
wird Schönes häßlich, Häßliches wird schön.

Schon manche Freundschaft plötzlich mir entschwand,
weil ich durch einen Traum den Freund erkannt.

Schon manche Feindschaft habe ich versäumt,
weil mir einmal vom Feinde hat geträumt.

Der Todfeind, den ich auf der Straße traf,
das war der Freund von meinem letzten Schlaf.

Der freundlich meinem Tage sich genaht,
an meiner Nacht übt heimlich er Verrat.

Tagsüber wüßt' ich nicht, wie mir geschah,
wenn ich den andern andern Augs besah.

Es narrt mich etwas, doch ich weiß nicht was,
da ich des Winks der letzten Nacht vergaß.

Zur nächsten erst hängt wieder an dem Flaum
des Bettes der am Tag vergeßne Traum.

Bekenntnis

Ich bin nur einer von den Epigonen,
die in dem alten Haus der Sprache wohnen.

Doch hab' ich drin mein eigenes Erleben,
ich breche aus und ich zerstöre Theben.

Komm' ich auch nach den alten Meistern, später,
so räch' ich blutig das Geschick der Väter.

Von Rache sprech' ich, will die Sprache rächen
an allen jenen, die die Sprache sprechen.

Bin Epigone, Ahnenwertes Ahner.
Ihr aber seid die kundigen Thebaner!

Der Reim

Der Reim ist nur der Sprache Gunst,
nicht nebenher noch eine Kunst,

Geboren wird er, wo sein Platz,
aus einem Satz mit einem Satz.

Er ist kein eigenwillig Ding,
das in der Form spazieren ging.

Er ist ein Inhalt, ist kein Kleid,
das heute eng und morgen weit.

Er ist nicht Ornament der Leere,
des toten Wortes letzte Ehre.

Nicht Würze ist er, sondern Nahrung,
er ist nicht Reiz, er ist die Paarung.

Er ist das Ufer, wo sie landen,
sind zwei Gedanken einverstanden.

Er ist so seicht und ist so tief
wie jede Sehnsucht, die ihn rief.

Er ist so einfach oder schal
wie der Empfindung Material.

Er ist so neu und ist so alt
wie des Gedichtes Vollgestalt.

Orphischen Liedes Reim, ich wette,
er steht auch in der Operette.

Wenn Worte ihren Wert behalten,
kann nie ein alter Reim veralten.

Fühlt sich am Vers ein Puls, ein Herz,
so fühlt es auch den Reim auf Schmerz.

Aus allgemeinrer Sachlichkeit
glückt neu der Reim von Leid auf Zeit.

Weist mich das Wort in weitere Fernen —
o staunend Wiedersehn mit Sternen!

Der erdensichern Schmach Verbreitung
bedingt dafür die Tageszeitung

und leicht trifft einem irdnen Tropf
der Reim den Nagel auf den Kopf.

Dem Wortbekenner ist das Wort
ein Wunder und ein Gnadenort.

Der Reim, oft nur der Verse Leim,
ist der Gedanken Honigseim.

Hier bietet die Natur den Schatz,
dort Technik süßeren Ersatz.

Ein Wort, das nie am Ursprung lügt,
zugleich auch den Geschmack betrügt.

Dort ist's ein eingemischter Klang,
hier eingeboren in den Drang.

Sei es der Unbedeutung Schall:
ein Schöpfer ruft es aus dem All.

Dort deckt der Reim die innre Lücke
und dient als eine Versfußkrücke.

Hier nimmt er teil am ganzen Muß,
die Fessel eines Genius,

Gebundnes tiefer noch zu binden.
Was sich nicht suchen läßt, nur finden,

was in des Wortglücks Augenblick,
nicht aus Geschick, nur durch Geschick

da ist und was von selbst gelingt,
aus Mutterschaft der Sprache springt:
das ist der Reim. Nicht, was euch singt!

Der Irrgarten

Die Sprache ist, dies glaubt mir auf mein Wort,
ein Zwist, bei dem ein Wort das andre gibt.
Es leben Lust und Zweifel immerfort
im Zwiespalt und es neckt sich, was sich liebt.

Was treibt es nur? Geburt zugleich und Mord
Ich steh' dabei und habe nichts verübt.
Wie kam ich an den zauberischen Ort?
Die Welt ist durch das Sieb des Worts gesiebt.


Memoiren

Bang war das Herz. Mit ahnendem Gemüte
sah ich ins Land, als mir der Frühling blühte.

Vor jedem Schritte stand als Schicksalswende,
ob morgen in der Schule ich bestände.

Soweit die Rätsel von zehn Jahren reichen,
ward alles da von allem mir zum Zeichen.

Als sie zum erstenmal die Liebe nannten,
löst' ich die Gleichung mit der Unbekannten.

Erfüllt von Lust war's, auf die Lust zu warten.
Durch alle Gitter sah ich in den Garten.

Von allen Seiten sah ich in die Stunde:
um ein Geheimnis ging ihr Gang die Runde.

Nachts sitzt ein Ding, das fiebrig mich befühlt,
auf meiner Brust, die sich ins Chaos wühlt.

Was ist es nur, das so mit Zentnerlast
mir alle Sinne gleich zusammenfaßt,

daß ein Geräusch mir ein Gesicht erschließt,
Geschmack und Tastsinn mir zusammenfließt?

Das war die Botschaft aus dem neuen Land;
der Teufel war vom Leben vorgesandt.

Will heute ich, daß ich ein Kind noch sei,
schnell, eh' ich einschlaf', ruf’ ich ihn herbei.

Doch aller Ängste heiliges Wunder du —
ich schloß die Hölle mir von innen zu.

Ich schmeckte aller Zweifel Süßigkeit,
ich schuf die Hemmung, wenn das Ziel noch weit.

Daß ich zu ihm mein Leblang nicht gelange,
lud zum Verweilen eine Kletterstange.

Schon vor dem Kuß der Seligkeit entbunden,
hab' nie zur kahlen Endlichkeit gefunden.

Zu eurem Schein, der nur was ist begreift,
ist nie mein Glück der Scheinbarkeit gereift.

Ihr habt nur, was ihr habt, kurz ist die Weile,
dieweil ich mir die Ewigkeit verteile.

Ihr zehrt von des Geschlechtes Proviant.
Verflucht zum Mannsein, seid ihr gleich entmannt.

Verwesung weist mir eures Samens Spur,
verbraucht im Kreuzzug gegen die Natur.

Entweibtes, das im Schlaf ich schauen mußt',
ein Zug von Leichen folgte eurer Lust.

Jetzt tönt die Glocke zu dem Hochgericht,
jetzt blitzt ein Blitz aus tragischem Gesicht.

Im Wolterton unendlich ruft von hinnen
die Klage Shakespearischer Königinnen.

Nicht länger zögernd, Zeuge muß ich sein!
Laßt mich durch dieses Tor zum Richter ein,

daß ich für Gottes Absicht mich verbürge
und endlich doch einmal den Teufel würge!

Viel totes Leben drängt sich an der Pforte,
hier wimmern Weiber und hier weinen Worte.

Wer wehrt mir? Weh, wer stellt mir Hindernisse,
Natur zu heilen von dem blutigen Risse?

Da hat es mich und sitzt mir auf der Brust!
Und macht der armen Kindheit mich bewußt,
im Lohn der Last und in dem Leid der Lust.

Sehnsucht

Es war einmal.
Ich leb' am Tage vom Gedanken,
nachts von der Qual;
oft träum' ich nur vom Traum.
Du gehst dahin und bist dir selbst es kaum.
In meinem Wahn jedoch, dem fieberkranken,
sind deine Wesen ohne Zahl.

Auferstehung

Mein Haupt war Flamme, dem beschwingten Schritt
entstiebten Funken, als ich von dir eilte.
Ich riß mir die Minute mit,
wo uns die Ewigkeit verweilte!

So ist das alte Wunder wieder wahr.
Es half ein Gott die Endlichkeit besiegen.
So ist ein müdes Menschenpaar
zu jungen Tagen aufgestiegen!

Mit beiden Händen trag' ich zitternd mir
dein Herz, das die Vergänglichkeit umfangen.
So werde ich zu dir gelangen!
So bin ich auf dem Weg zu mir!

Verlöbnis

Unendliche, laß dich unsterblich ermessen
und es sei mir dein Fühlen bewußt.
Meines entschwand mir zu höllischer Lust.
Denn der Gedanke bricht ins Vergessen.

Wie dein Gefühl auf steilenden Stufen
immer verweilend den Himmel erzielt —
wissend, hab' ich es nachgefühlt,
und ich will es ins Ohr dir rufen!

Laß es mich denken, wie einer ermattet
an deiner Kraft, in dein schwellendes All
begehrte der irdische Einzelfall,
der das ewige Licht beschattet.

Und die zufriedene Gier läßt die Lüge
dort zurück, wo die Lust vertan.
Und er sah dein Gesicht nicht an,
als sich dir heimlich verklärten die Züge.

Ach, den Verlust am liebenden Leben
hast du ihm, sehnende Nymphe, vertraut.
Aber die Stunde hört nicht den Laut,
wenn vom Leid die Äonen beben.

Und seine Armut flieht von dem Feste,
daß sie nicht an der Fülle vergeh'.
Weibsein beruht in Wonne und Weh.
Mann zu sein rettet er seine Reste.

Fällt auch die heilige Welt zusammen
in dem unseligen Unterschied —
ich setze fort dein verlassenes Lied!
Ich will entstehen aus deinen Flammen!

Was immer dir fehle, von dir empfangend,
schöpfend aus deinem lebendigen Quell,
so wird dem Teufel der Himmel hell,
immer doch deine Lust verlangend!

Muß sich der Geist in dir versenken,
reißt ihn aus der Höh' keine irdische Macht.
Verbuhlen wir so diese Lebensnacht!
Unsterblich küssen, unendlich denken!

Phantasie an eine Entrückte

Wie kam's, daß deine Räusche mich berauschen
und deine süße Ohnmacht mich belebt,
die Kraft sich mir an deiner Schwäche hebt —
ich möcht mit keinem deiner Sieger tauschen!

Mit Allen bleibt mir meine Lust verwebt
und Aller Liebesschwüren laß mich lauschen,
und wie die Brunnen deiner Gnade rauschen,
zu deiner Allmacht mein Gedanke strebt.

Nie wird die Zeit mir diese Gluten kühlen,
an fernen Feuern will ich dir erwarmen,
mit dir zu wissen und in dir zu fühlen.

Nun bin ich du, und du bist das Erbarmen,
und läßt mich in gewesenen Wonnen wühlen.
Und Alle halte ich in deinen Armen!

Wollust

O Unterschied im Liebesspiele!
Wie kommt es aus ganz andern Quellen:
bei ihr zu sein,
und sie sich vorzustellen!
Denn sie ist nur ein Schein;
doch wenn sie fern, erwachsen die Gefühle.

Kurz ist die Gier,
und man ist bald am Ziel
und fühlt nur eben, was man fühle;
das ist nicht viel.
Gern wär' man aus dem Spiele,
ist man bei ihr.

Wie bin ich anders aufgewühlt,
ist sie entrückt!
Wie wird sie vielfach neu und nah
und endlos bleibe ich verzückt,
denn sie, sie selbst ist da,
und ich, ich fühle, was sie fühlt!

An eine Falte

Wie Gottes Atem seine Fluren fächelt,
so wird es leicht und licht
in diesem klaren Angesicht.
Es hat die Erde gern
und schwebt ihr fern
und liebt und lächelt.

Und Gottes Finger bildete den Bug
vom Ebenbilde.
Es zieht so milde
hin über alles Leid,
und es verzeiht
der edle Zug.

In dich, o unvergeßlich feine Falte,
betend versanken
meine Gedanken.
Daß diese letzte Spur
seiner Natur
mir Gott erhalte!

Halbschlaf

Bevor ich war und wenn ich nicht mehr bin,
wie war ich da, wie werde ich da sein?
Zuweilen dringen Duft und Rausch und Schein
vom Ende her und von dem Anbeginn.

Hab' ich geschlafen? Eben schlaf' ich ein,
und nun verwaltet mich ein andrer Sinn,
noch bin ich außerhalb, schon bin ich drin,
noch weiß ich es, und füge mich schon drein.

Dies Ding dort ruft, als hätt' ich's oft geschaut,
und dies da blickt wie ein vertrauter Ton,
und an den Wänden wird es bunt und laut.

Dort wartet lang' mein ungeborner Sohn,
hier stellt sich vor die vorbestimmte Braut,
und was ich damals war, das bin ich schon.

Suchen und Finden

Die Dinge sind schon an der Fläche tief,
du mußt sie nur mit Ehrfurcht sagen.
Willst du dich aber weiter wagen,
so weist sich's oft, daß dich kein Rätsel rief.

Beneide nicht, die allen Sinn benagen
und den Gedanken, der da schlief,
eh' er durch ihre Tageszeiten lief,
gefühllos weckten durch ihr lautes Fragen.

Sieh das Gewohnte stets zum ersten Mal.
Dann hat sich alles Suchen dir gelohnt,
das Vorgefundne fügt sich deiner Wahl.

Bleibt nur, was ruht, von deinem Drang verschont,
so wird dir das Entlegene banal,
und neu das Nahe und wie ungewohnt!

Furcht

Vor Tönen, Formen, halb erwachten Träumen
wird mir im innern Herzen bang.
Ich lebe in dem Untergang
und wohne in bedrohten Räumen.

Nicht fürcht' ich mich vor irdischen Gewittern
und bin für jeden Donner taub.
Doch zittert wo ein Espenlaub,
so werde ich mit ihm erzittern.

Ich wahre vor Gefahren nicht mein Leben
und spotte ihrer Gegenwart.
Doch wenn es an den Wänden knarrt,
so kann ich wie ein Kind erbeben.

Ich fliehe nicht vor Räubern oder Recken
und spreche den Gewalten Hohn.
Doch kann vor einem Menschenton
ich wie am jüngsten Tag erschrecken.

Mich faßt so bald kein ängstevolles Zaudern
und hab' der Feinde nie zu viel.
Jedoch vor einem Mienenspiel
wird's mich wie vor der Hölle schaudern.

Und solche Furcht erregt in mir den Dichter
und ich erfülle die Figur
und brauche etwas Asche nur
für die lebendigsten Gesichter.

Und so erwachse ich im Widerstreiten,
und seit ich so den Mut verlor,
gewannen Auge mir und Ohr
die Herrschaft in zerfallnen Zeiten.

Ich habe einen Blick gesehn

Ich habe einen Blick gesehn und werde
an meinem letzten Tag ihm nicht entgehn.
Erbebt nicht diese schuldbeladne Erde,
seitdem ich diesen Blick gesehn?

An einer Lastenstraße, staubgeboren,
im Frühjahr allzu kümmerlich erblüht,
steht ein Gesträuch, in eine Welt verloren,
für die sich Gott vergebens müht.

Und vor dem Strauch ist eine Frau gestanden,
und ich stand auch und sah nur ihren Blick.
Wie wurde mir! Wie hielt mit heiligen Banden
allhier ein Wunder mich zurück.

Der Blick, so arm, aus blassem Angesichte,
verlebt, verdorrt von Marter, Mangel, Mühn —
da wird vor so viel irdischem Verzichte
die ganze Welt auf einmal grün!

Was immer ihr das Leben vorenthalten,
seit sie das Schicksal in das Dunkel wies:
nun ist es da und vor dem Blick der Alten
wird das Gestrüpp zum Paradies.

Kein Gärtner hütet zärtlicher die Reiser
als diese Abendsonne dieses Blicks.
Kein Himmelsstern grüßt gnädiger und weiser
die Fülle abgewandten Glücks.

Ich habe einen Blick gesehn und werde
an meinem letzten Tag ihm nicht entgehn.
Erbebt nicht diese schuldbeladne Erde,
seitdem ich diesen Blick gesehn?

Grabschrift für ein Hündchen
(Woodie, gestorben 22. Mai 1913)

Ein kleiner Hund mit langem Haar, den ich persönlich kannte,
er lachte, wenn man zu ihm sprach, er weinte, weil er stumm war,
sein Blick war Dank der Kreatur, für sich und für die andern.
Da kam ein Wagen ohne Pferd und tötete das Hündchen.

Wer hatte es so eilig, ach, wer hatte es so eilig.
Wie wenig Raum hat der Passant für sich gebraucht im Leben.
Wie eine Schlange konnte er, wenn du ihm pfiffst, erscheinen.
Wer füllt die schmale Stelle aus? Unwürdige sind am Leben,
sie brauchen mehr und dennoch bleibt der Würdige unersetzlich.

Und auch sein Beispiel bessert nicht, sein Opfer nicht die andern,
die immer allzu übrig sind. Der dort ging seines Weges
und starb daran. Die kleine Frau, sie sah sich um und rief ihn,
sie rief und rief und sah ihn nicht, da lag er in der Sonne.
So wenig Stelle nahm er ein. Und so viel Stille bleibet,
          wo Leben keine Worte hat.