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Gedichte 3
 

An den Schnittlauch
Mit der Uhr in der Hand
Absage
Der sterbende Soldat
Die Raben
Die weiblichen Hilfskräfte
Landschaft
Der tote Wald
Zum ewigen Frieden
Es werde Licht
Der Siebenschläfer
Die Schwärmer
Rückkehr in die Zeit
Traum vom Fliegen
Slowenischer Leierkasten
Vor dem Schlafe
Leben ohne Eitelkeit
Traum
Der sterbende Mensch
Unter dem Wasserfall

 

An den Schnittlauch


O gutes Grün, wie sprichst du mich zärtlich an,
Wie heilig schweigst du von dem Geheimnisse.
     Du letzter Schmuck der armen Mutter,
          Die ihren Schoß mit der Söhne Blut färbt.

Daß du zugleich bist und daß mit dir zugleich
Der Wille lebt, an dem eine Menschheit stirbt —
     Ach, irdisch Unmaß! und dir wird nicht
          Fahler die Farbe, du grüne Hoffnung.

O letztes Leben und wie das Leben auch
Verkannt, du Anbot wahrster Bescheidenheit,
     Du selbstgenügsam stille Pflanze,
          Die nur wie Schnittlauch schmeckt und duftet.

Nach etwas suchend, welches kein andres ist,
Im Kreis des Lebens, das im Ersatz sich lebt,
     Bloß deine gute Gabe sah ich,
          Chemischem Zauber unerreichbar.

Daß gleichwohl, grüne Freundschaft, du eßbar seist,
Wenn auf dem Teller treu du dich hingestreut —
     Es rührt noch von dem alten Hunger.
          Stets hat der Mensch von der Seele gegessen.

Mit der Uhr in der Hand

Berlin, 22. September 1916:
Eines unserer Unterseeboote hat am 17. September im Mittelmeer
einen vollbesetzten feindlichen Truppentransportdampfer versenkt.
Das Schiff sank innerhalb 43 Sekunden.



Dies ist das Aug in Aug der Technik mit dem Tod.
Will Tapferkeit noch Anteil an der Macht?
Hier läuft die Uhr ab, aller Tag wird Nacht.
Du mutiger Schlachtengott, errett uns aus der Not!

Nicht dir, der du da dumpf aus der Maschine kamst,
ein Opfer war es, sondern der Maschine!
Hier stand mit unbewegter Siegermiene
ein stolzer Apparat, dem du die Seele nahmst.

Dort ist ein Mörser. Ihm entrinnt der arme Mann,
der ihn erfand. Er schützt sich in dem Graben.
Weil Zwerge Riesen überwältigt haben,
seht her, die Uhr die Zeit zum Stehen bringen kann!

Geht schlafen, überschlaft's. Gebt Gnade euch und Ruh.
Sonst sitzt euch einst ein Krüppel im Büro,
drückt auf den Taster, hebt das Agio,
denn grad flog London in die Luft, wie geht das zu!

Wie viel war's an der Zeit, als jenes jetzt geschah?
Schlecht sieht das Aug, das giftige Gase beizen.
Doch hört das Ohr, die Uhr schlug eben dreizehn.
Unsichtig Wetter kommt, der Untergang ist nah.

Entwickelt es sich so mit kunterbunten Scherzen —
behüte Gott den Gott, daß er es lese!
Der Fortschritt geht auf Zinsfuß und Prothese,
das Uhrwerk in der Hand, die Glorie im Herzen.

Absage

Wo die Maschine mit dem Menschen rauft,
wo Blutverlust bedeutet Geld-Erraffen,
wo Hunger herrscht und Reichtum Nahrung kauft —
mit solcher Menschheit hab' ich nichts zu schaffen!

Wo Männer ächten, was sie selbst begehrt,
und wo die Sinne zu der Sünde finden,
wo Liebe Schmach bringt und Natur entehrt —
mit solcher Mannheit kann mich nichts verbinden!

Wo Freigeborne jedem Schall und Schein
gehorchen, ewiger Menschenfurcht verschworen,
um als Tyrannen Sklaven noch zu sein,
in solchen Reichen hab' ich nichts verloren.

Wo Druck in jeder Form die Geister lähmt
und wo die Phrase sich von selbst entzündet,
wo Technik sich dem Tode anbequemt,
in solcher Welt ist nicht mein Glück begründet.

Wo fauler Zauber allen Lebens Zweck
dem schnöden Mittel heimlich längst vermietet,
wie sehn' ich mich aus dieser Wohnung weg,
in der ein Besen mir die Stirne bietet!

Wo Willkür, Wucher, Krankheit, Haß und Schmutz
als die Verbündeten des Schlachtruhms schalten,
da will ich kühn dem Vaterland zum Trutz
mich für den allergrößten Feigling halten!

Wo Wissenschaft den Heldentod erfand,
in Gift und Gas die Glorie sich erneuert,
da hat sich mir das teure Vaterland,
denn Krieg ist Krieg, bedeutend noch verteuert.

Wo statt der Glocken die Kanonen nun
die frommen Christen zum Gebete rufen,
mit solchen hat der Teufel nichts zu tun,
da sie auf Erden schon die Hölle schufen.

Wo Ehre fällt und Schande aufwärts steigt
und heute gilt, wer gestern erst gestohlen —
gern hätt' ich Jenem doch den Weg gezeigt,
daß er mir könnte diese Ordnung holen!

Wo sie vor jedem Sonnenuntergang
durch Wort und Tat ihr Seelenheil verfluchen —
mein Leben und mein weiteres Leben lang
hab' ich bei dem Gelichter nichts zu suchen!

Der sterbende Soldat

Hauptmann, hol her das Standgericht!
Ich sterb' für keinen Kaiser nicht!
Hauptmann, du bist des Kaisers Wicht!
Bin tot ich, salutier' ich nicht!

Wenn ich bei meinem Herren wohn',
ist unter mir des Kaisers Thron,
und hab' für sein Geheiß nur Hohn!
Wo ist mein Dorf? Dort spielt mein Sohn.

Wenn ich in meinem Herrn entschlief,
kommt an mein letzter Feldpostbrief.
Es rief, es rief, es rief, es rief!
Oh, wie ist meine Liebe tief!

Hauptmann, du bist nicht bei Verstand,
daß du mich hast hier gesandt.
Im Feuer ist mein Herz verbrannt.
Ich sterbe für kein Vaterland!

Ihr zwingt mich nicht, ihr zwingt mich nicht!
Seht, wie der Tod die Fessel bricht!
So stellt den Tod vors Standgericht!
Ich sterb', doch für den Kaiser nicht.

Die Raben

Immer waren unsre Nahrung
die hier, die um Ehre starben.
Aber eure Herzenspaarung
macht, daß Raben nimmer darben.

Wir, die wir uns nie bewarben,
Nahrung haben wir erworben.
Ihr nicht, wir nicht dürfen darben,
euch und uns sind sie verdorben.

Ihr und wir vom Siege schnarren,
wenn die Opfer sich vermehren,
weil im Reiche rings die Narren
eurem, unsrem Ruf nicht wehren.

Waren Generale Raben,
schnarrts von Phrasen dort im Saale.
Draußen sind sie unbegraben,
da sind Raben Generale!

Dürft getrost die Schlacht verlieren,
wir und ihr in keinem Falle
müssen uns vor uns genieren:
Kriegsgewinner sind wir alle!

Ja wir sind noch sehr lebendig,
wir sind beide noch die Alten,
und wir freuen uns unbändig,
diese Kriegszeit durchzuhalten.

Während ihr zum Fraß vereinigt,
brauchen wir nicht zu entbehren.
Hunger hat uns nie gepeinigt,
seit wir folgen euren Heeren.

Hunger würd' uns nimmer munden,
und wir stürben an der Schande,
und wir sind euch sehr verbunden,
daß wir nicht im Hinterlande.

Dort ist wahre Not, die Greise
und die Kinder dort verderben,
weil hier auf die andre Weise
uns zum Trost die Männer sterben.

Eure Schlachtbank läßt nie darben
ihre angestellten Kunden.
Raben haben, seit sie starben,
immer Nahrung noch gefunden.

Die weiblichen Hilfskräfte

Wir, die Wehrmacht zu entzücken,
eingerückte Heereshuren,
kehren nunmehr euch den Rücken
als Brigade der Lemuren.

Opfernd heldischem Verlangen,
angesteckt von eurem Mute,
Rosen blühn uns auf den Wangen
und die Syphilis im Blute.

Blut und Tränen, Wein und Samen
flossen euch zum Bacchanale,
und was wir von euch bekamen
tragen heim wir zum Spitale.

So verabscheut sind wir heute,
denn uns schlottern die Gewänder,
und wir schleppen unsre Beute
in die fernen Hinterländer.

Doch wir wachsen durch die Zeiten!
Einstens rast ein Landsturm, brausend,
alle Menschheit zu bestreiten,
durch ein schauderndes Jahrtausend!

Landschaft
(Thierfehd am Tödi, 1916)

Thierfehd ist hier: das sagt dem Menschsein ab,
daß er es werde —
wie an der Wand empor zum Himmel reicht
die Erde.
Was hinter uns, war schwer. Hier ist es leicht.
Die Welt verläuft in einem grünen Grab.

Ein Stern riß mich aus jenes Daseins Nacht
in neue Tage.
Fern webt von blutiger Erinnerung
die Sage.
Der weltbefreite Geist ist wieder jung,
nichts über uns vermag die Menschenmacht.

Du Tal des Tödi bist vom Tod der Traum.
Hier ist das Ende.
Die Berge stehen vor der Ewigkeit
wie Wände.
Das Leben löst sich von dem Fluch der Zeit
und hat nur Raum, nur diesen letzten Raum.

Der tote Wald

Durch eure Macht, durch euer Mühn
bin ich ergraut. Einst war ich grün.
Seht meine jetzige Gestalt.
Ich war ein Wald! Ich war ein Wald!

Der Seele war in meinem Dom,
ihr Christen hört, ihr ewges Rom!
In meinem Schweigen war das Wort.
Und euer Tun bedeutet Mord!

Fluch euch, die das mir angetan!
Nie wieder steig' ich himmelan!
Wie war ich grün. Wie bin ich alt.
Ich war ein Wald! Ich war ein Wald!

Zum ewigen Frieden

Nie las ein Blick, von Tränen übermannt,
ein Wort wie dieses von Immanuel Kant.

Bei Gott, kein Trost des Himmels übertrifft
die heilige Hoffnung dieser Grabesschrift.

Dies Grab ist ein erhabener Verzicht:
"Mir wird es finster, und es werde Licht!"

Für alles Werden, das am Menschsein krankt,
stirbt der Unsterbliche. Er glaubt und dankt.

Ihm hellt den Abschied von dem dunklen Tag,
daß dir noch einst die Sonne scheinen mag.

Durchs Höllentor des Heute und Hienieden
vertrauend träumt er hin zum ewigen Frieden.

Er sagt es, und die Welt ist wieder wahr,
und Gottes Herz erschließt sich mit "und zwar".

Urkundlich wird es; nimmt der Glaube Teil,
so widerfährt euch das verheißne Heil.

O rettet aus dem Unheil euch zum Geist,
der euch aus euch die guten Wege weist!

Welch eine Menschheit! Welch ein hehrer Hirt!
Weh dem, den der Entsager nicht beirrt!

Weh, wenn im deutschen Wahn die Welt verschlief
das letzte deutsche Wunder, das sie rief!

Bis an die Sterne reichte einst ein Zwerg.
Sein irdisch Reich war nur ein Königsberg.

Doch über jedes Königs Burg und Wahn
schritt eines Weltalls treuer Untertan.

Sein Wort gebietet über Schwert und Macht
und seine Bürgschaft löst aus Schuld und Nacht.

Und seines Herzens heiliger Morgenröte
Blutschande weicht: daß Mensch den Menschen töte.

Im Weltbrand bleibt das Wort ihr eingebrannt:
Zum ewigen Frieden von Immanuel Kant!

Es werde Licht

Bin so viel Jahre schon und Nacht für Nacht
in einem Unterstand gesessen.
Und habe dennoch nicht vergessen,
daß Gott der Herr den Tag gemacht.

Ihr aber habt geschlafen unterdessen.
Ich aber habe nur gewacht,
und hab' darüber nachgedacht,
daß ihr geschaffen wurdet, um zu essen.

Wir werden niemals mehr zusammenkommen,
ich unten, ihr am sichern Herde.
Ich bin verdammt und ihr, ihr seid die Frommen.

Und steig' ich auf, und ihr seid auf der Erde,
so bleibt uns die Verständigung genommen.
Ihr lobet Gott; ich weiß, wie Licht es werde.

Der Siebenschläfer

Lieg' ich im Bett, so deck' ich mich
bis an die Ohren zu.
So habe ich doch sicherlich
von euren Plagen Ruh.

Dann aber bricht der Tag herein,
ich hab's ihm nicht geschafft.
So früh schon ihm gewachsen sein,
dazu fehlt mir die Kraft.

Der Teufel weckte mich und war
bei mir mit einem Brief.
Nur wachen Augen droht Gefahr,
wie gut war's, als ich schlief.

Zu meiner Nacht hin wend' ich mich,
leg' mich aufs andre Ohr.
Das ist ein wahres Glück, daß ich
den Traum noch nicht verlor.

Das hätt' mich allzu früh verbraucht,
was ich für euch gemußt.
So bleibt's in halben Schlaf getaucht
und halb wird es bewußt.

Bleibt auch das Glück nur halb gespürt,
das damals ich erfuhr,
so hat durch rauhen Tag geführt
des Traumes weiche Spur.

Und endet niemals eure Qual
und schafft der Tod erst Ruh,
und lieg' ich auf dem Bett einmal,
so deckt mich tüchtig zu!

Die Schwärmer

Als ich in der Nacht mein Werk geschrieben,
sind an meinem Licht
viele Mücken hängen geblieben.
Und ihr Summen stört mein Gedicht.
So müssen, will ich weiter schreiben,
fortan meine Fenster geschlossen bleiben.

     Nun sitzen sie an den Fenstern
     und sehen mir zu.
     Nun ist keine Ruh
     vor den Nachtgespenstern.

Rückkehr in die Zeit

Mein Zeiger ist zurückgewendet,
nie ist Gewesnes mir vollendet
und anders steh' ich in der Zeit.
In welche Zukunft ich auch schweife
und was ich immer erst ergreife,
es wird mir zur Vergangenheit.

Und allem, was an Schmach und Schöne
als Bilder ich bewahr' und Töne,
dem bin ich ewig untertan.
Ich sitze bei der Schicksalsspinne
und was sie immer mir beginne,
ich seh' es mir von außen an.

Bin meines Werdegangs Behälter
und schaue alle Jüngern älter
und fühle in den Tod mich jung.
Und ich entwirre das Gewebe
und was ich immer noch erlebe,
erleb' ich als Erinnerung.

Ich bin mein treuester Begleiter
und lebe das Gelebte weiter,
und Neues kann mir nicht geschehn.
Von einem Urbild war gesegnet,
was mir zum erstenmal begegnet,
und ist mir wie ein Wiedersehn.

Bei einem nie gehörten Klange
wird mir nach meiner Vorzeit bange,
wird Niegesehnes nahe sein.
Und wenn ich einmal auf der Bahre
in unbekannte Länder fahre,
dann tret' ich in das Leben ein.

Traum vom Fliegen

Und wieder mir träumte, ich wäre geflogen,
und diesesmal war es doch sicherlich wahr,
denn ich hatte so leicht wie die Luft ja gewogen
und hatte die Knie an den Körper gezogen,
und es ging wie im Flug, im beherztesten Bogen
hoch über der schwergewichtigen Schar,
es war keine Täuschung, ich war nicht betrogen,
es flogen die Stunden, die Tage, das Jahr.

Mit fliegenden Hoffnungen vollgesogen,
so wach' ich mit müderen Gliedern auf.
Zu Lande ist Leben; und angelogen,
vom leichtesten Trug an der Nase gezogen,
aus allen Himmeln zur Erde geflogen,
da lieg' ich, da liegen die Lügen zuhauf.
Und trotzdem bleib' ich dem Traume gewogen,
so läuft er sich leichter, der Lebenslauf.

Slowenischer Leierkasten

Das ist ein Sonntagabend,
wo ich in fernem Land
vor rotem Himmelstore
verlorner Liebe stand.
O Melodie, im Ohre
den Gram der Welt begrabend.

Das ist die wehe Wunde,
des guten Volkes Leid,
Erkennungsmal der Herzen
in angstgebundner Zeit.
O armer Schall der Schmerzen
um eine Heimatstunde!

Wie in verirrtem Klange
verhallt das alte Glück,
kehrt wieder mit Erbarmen
uns aller Harm zurück.
Wie wird den guten Armen
um Land und Liebe bange!

Was ich zum ersten Male
schon hundertmal gehört,
hat die entschlafnen Wonnen
zu Qualen aufgestört.
O Hingang aller Sonnen
in einem Tränentale.

Vor dem Schlafe

So spät ist es, so späte,
was werden wird, ich weiß es nicht.
Es dauert nicht mehr lange,
mir wird so bange,
und seh' in der Tapete
ein klagendes Gesicht.

Allein bin ich, alleine,
was außerhalb, ich weiß es nicht.
Ach, daß mir's noch gelänge,
mir wird so enge,
und seh' in jedem Scheine
ein fragendes Gesicht.

Nun bin ich schon entrissen,
was da und dann, ich weiß es nicht,
ich kann sie nicht behalten
die Wahngestalten
und fühl' in Finsternissen
das sagende Gesicht.

Leben ohne Eitelkeit

Sieh, mein Außenbild ist fügsam,
sieh, mein Haben, so genügsam,
achtet wohl des Gleichgewichts.
Hat es wenig, dankt für viel es,
wahrt des Weges, Maßes, Zieles
                    und Verzichts.

Doch mein Innensein verzichtet,
eh es sich genügsam richtet,
achtet nicht des Gleichgewichts.
Immer steig' es oder fall' es,
hat es vieles, will es alles
                    oder nichts!

Traum

Stunden gibt es, wo
mich der eigne Schritt
übereilt und nimmt
meine Seele mit.

Könnt' ich halten sie,
würd' ich selig sein.
Ach, zuweilen glänzt
in den Tag der Schein.

Weiß dann, wie es war,
seh' ein lichtes Land,
eh' ich in die Zeit
wurde umgewandt.

Staunend stand ich da
und ein Bergbach rinnt
und das ganze Tal
war mir wohlgesinnt.

Und der Wind befiehlt,
damit leichtbeschwingt
alles in der Luft
heute mir gelingt.

Habe jedes Glück
schon im Flug ereilt.
Alles ist Geschlecht,
wir sind ungeteilt.

Alles, er und sie
und ein jeglich Ding
mir in dieser Nacht
an die Sinne ging.

Wie sie vollends mich,
wie sie sich vergaß,
und mein Todfeind ach
ihr zur Seite saß —

unvergeßlich Bild
unverlorner Spur
von der Übermacht
schwacher Weibnatur!

Elfenbeine sinds:
sagt ins Ohr der Traum,
und die ganze Welt
ist ein Zwischenraum.

Sie verduftet mir
durch die Sphären hin,
immer ist es so,
wie wenn Pappeln blühn.

Wie dein Stern zerbrach,
weiß nicht, wie's geschah.
Deiner Erde doch
bleib' ich ewig nah.

Immer heißer wird's
mir auf dieser Bahn,
viele Pforten sind
schon mir aufgetan.

Eh mir noch verläuft
dieser Lebenslauf,
ruf' ich was es gab
mir zum Zeugen auf.

Alles wird Gesicht,
jedes Ding ein Mund.
Welche bunte Welt!
Plötzlich spricht ein Hund.

Grundlos leben wir,
reichen bis zum Mond.
Einer zeigt mein Grab,
das noch unbewohnt.

Einer führt ein Buch
und trägt Sünden ein —
alle retten sich,
alle trinken Wein.

Eine Glocke schrillt,
daß die Decke birst.
Wenn du heute nur
nicht gerufen wirst!

Schon betäubt der Tag
das verlorne Ohr;
noch umfängt den Blick
jener grüne Flor.

Wär' mein Tag vorbei!
Wieder umgewandt
kehrt' ich aus der Zeit
in das lichte Land!

Der sterbende Mensch

                      Der Mensch
Nun ists genug. Es hat mich nicht gefreut,
Und Neues wird es auch wohl nicht mehr geben.

                      Das Gewissen
In einer Stunde endet sich dein Leben,
Und du hast nichts gesühnt und nichts bereut.

                      Der Mensch
Bereuen kann man nur, was man getan.
Ich habe nichts erfüllt und nichts versprochen.

                      Die Erinnerung
Ich war dein Zeitvertreib. So wurden Wochen
Aus Jahren. Denkst du noch? Sieh mich nur an!

                      Der Mensch
Ich sah stets hinter mich, und du warst da.
Warst du nicht da, so schloß ich gern die Augen.

                      Die Welt
Ich schien dir nicht in deine Welt zu taugen.
Du sahst nur alles Ferne immer nah.

                      Der Mensch
Und alles Nahe fern. Bleib mir vom Geist!
Stell dich nicht vor, ich stell' dich besser vor.

                      Der Geist
Wenn sie dich plagt, was leihst du ihr dein Ohr?
Von mir hast du, von ihr nicht, was du weißt!

                      Der Mensch
Was weiß ich, was ich weiß! Ich weiß es nicht.
Ich glaube, zweifle, hoffe, fürchte, schwebe.

                      Der Zweifel
Du fällst nicht, Freund, wenn ich dich höher hebe.
Verlaß dich auf mein ehrliches Gesicht.

                      Der Mensch
Ich kenne dich. Du hast durch manche Nacht
Mir eingeheizt und manches Wort gespalten.

                      Der Glaube
Ich aber, glaub mir, hab' es dir gehalten,
Mit meinem Atem dir die Glut entfacht.

                      Der Mensch
Zu viel, ich hab' die Seele mir verbrannt.
Oft wars wie Hölle, oft wars wie der Blitz —

                      Der Witz
Da bin ich schon. Im Ernst, ich bin der Witz.
Ich bins im Ernst, und doch als Spaß verkannt.

                      Der Mensch
Wer wäre, was er ist, wo Trug und Wesen
Die Welt vertauscht in jämmerlicher Wahl!

                      Der Hund
Ich bin ein Hund und kann nicht Zeitung lesen.

                      Der Bürger
Ich bin der Herr und wähle liberal.

                      Die Hure
Ich, weil ich Weib bin, von der Welt verachtet.

                      Der Bürger
Weil ich kein Mann bin, von der Welt geehrt.

                      Der Mensch
Nach ihrer Ehre hab' ich nicht geschmachtet.
Und ihre Liebe hat mich nicht verzehrt.

                      Gott
Im Dunkel gehend, wußtest du ums Licht.
Nun bist du da und siehst mir ins Gesicht.
Sahst hinter dich und suchtest meinen Garten.
Du bliebst am Ursprung. Ursprung ist das Ziel.
Du, unverloren an das Lebensspiel,
Nun mußt, mein Mensch, du länger nicht mehr warten.

Unter dem Wasserfall

Wer vor mir ließ von diesem Wasserfall,
von dieser Sonne sich begnaden!
Wer vor mir stand, das Haupt im All,
stolz an der Ewigkeit Gestaden!

Von Gott bin ich hier eingeladen,
so hoch in Gunst wie jedes Tier,
und hier ist niemand außer mir,
hier will ich frei von mir mich baden!

Was ich mir selbst schuf, nahm mich selbst nicht auf,
und Wort und Weib, sie wiesen nach den Schatten
und alles Leben wurde ein Ermatten,
zurück in mich lief meiner Welten Lauf.

Nun bin ich zu den Wundern heimgegangen
und auf der Gotteswelt allein.
Hier dieser Sonnenstrahl ist mein.
Wie hat die Schöpfung festlich mich empfangen!

Lust ohne Leiden, Liebe ohne Last,
Naturdrang ohne Scham und Schranken —
ich bin an Gottes goldnem Tisch zu Gast
und hab' mir nichts mehr zu verdanken!

Weit hinter mir ist alles Weh und Wanken.
Wie hat der Wasserfall Bestand!
Wie segnet dieses Sonnenland
vor meiner Nacht mir die Gedanken!