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Karl Kraus

Ausgewählte Gedichte

München 1920
Verlag der Schriften von Karl Kraus
(Kurt Wolff)

Gedichte 1
 

Vallorbe
Aus jungen Tagen
Vor einem Springbrunnen
Zwei Läufer
Verwandlung
Wiese im Park
Abschied und Wiederkehr
Grabschrift
Zwei Soldatenlieder
Vision des Erblindeten
Der Bauer, der Hund und der Soldat
Gebet
Wiedersehn mit Schmetterlingen
Flieder
Zuflucht
Abenteuer der Arbeit
Fahrt ins Fextal
Als Bobby starb

Vallorbe

Mai 1917

Du himmlisches Geflecht, du Glockenblumenkorb,
Ursprung der Orbe, der Welt, du unversehrtes Ziel,
du Wonnewort Vallorbe, das in den Mai mir fiel,
du Tal der Täler du, traumtiefes Tal der Orbe!

Du Sonntag der Natur, hier seitab war die Ruh.
Ursprung der Zeit! So hat, da alles war geglückt,
der Schöpfer diesen Kuß der Schöpfung aufgedrückt,
hier saß der Gott am Weg zum guten Lac de Joux.

Du Gnade, die verweht den niebesiegten Wahn,
wie anders war es da, und da entstand die Zeit,
dieweil sie staunend still stand vor der Ewigkeit.
Wie blau ist doch die Welt vom Schöpfer aufgetan!

Aus jungen Tagen

Nie kann es anders sein.
Nun wirft mein Glaube keinen Schatten mehr.
Von deinem großen Lichte kam er her,
von des Geschlechtes rätselhaftem Schein.

Nun bin ich ganz im Licht,
das milde überglänzt mein armes Haupt.
Ich habe lange nicht an Gott geglaubt.
Nun weiß ich um sein letztes Angesicht.

Wie es den Zweifel bannt!
Wie wirst du Holde klar mir ohne Rest.
Wie halt' ich dich in deinem Himmel fest!
Wie hat die Erde deinen Wert verkannt.

Du gabst dich zum Geschenk
der Welt, ich hab es für dich aufbewahrt.
Ich habe Gott den größten Schmerz erspart.
Geliebte, bleibe deiner eingedenk!

Wie glänzt mir deine Pracht.
Dein Menschliches umarmt, der beten will.
Er heiligt es im Kuß. Wie ist sie still
von Sternen, deiner Nächte tiefste Nacht.

Nie soll es anders sein.
Ob alles Irdische zerbricht und stirbt,
nur dein Zerfall ein geistig Glück verdirbt.
Vergib dich an die Erde nicht, sei dein!

Vor einem Springbrunnen
(Villa Torlonia)

Wie doch die Kraft das Wasser hebt!
Es steigt und schwindet, schwillt und schwebt,
es steht im Strahl, es kommt und fällt
in diese nasse Gotteswelt,

die zwecklos wie am ersten Tag
bloß ihrer Lust genügen mag
und von dem holden Überfluß
an keine Pflicht verstatten muß,

nur jener einen Macht sich beugt,
die sie erschuf — zum Himmel steigt
ihr Dank, ein immer, früh und spät,
unendlich rauschendes Gebet.

Das rauscht und raunt, das rinnt und rennt
im daseinsseligen Element;
es fällt empor und steigt herab —
kalt ist die Sonne, heiß das Grab.

Und da es lebt, indem es stirbt,
das Licht noch um das Wasser wirbt:
Der Geist, dem solche Lust gefiel,
dankt ihr ein Regenbogenspiel!

Ob auch die Schale überfließt,
ob Alles sich in nichts ergießt:
der Geist, der es besieht, gewinnt,
und ob auch Lust und Zeit verrinnt.

Und nichts besteht und Alles bleibt,
dem heiligen Geiste einverleibt,
der nah dem Ursprung, treu und echt
fortlebt dem heiligen Geschlecht.

Der Brunnen rauscht, nur ihm vertraut
vom Jauchzen bis zum Klagelaut,
dem ewigen Ton, der ihm nur sagt,
daß hier die Lust die Welt beklagt,

die ihre Lust zum Zweck verdarb,
bis alles Licht des Lebens starb;
die sich die eigene Liebe stahl
und sich bestraft mit Scham und Qual.

Noch fließt ein Quell, noch flammt ein Licht,
noch streben beide zum Gedicht,
noch steigt die Sehnsucht hoch empor,
noch öffnet sich ein Himmelstor —

noch wär' ich auf dem Regenbogen
beinah mit dir dort eingezogen,
daß nie verrinne Lust und Zeit.
O schöne Überflüssigkeit!

Zwei Läufer

Zwei Läufer laufen zeitentlang,
der eine dreist, der andre bang:
Der von Nirgendher sein Ziel erwirbt;
der vom Ursprung kommt und am Wege stirbt.

Der von Nirgendher das Ziel erwarb,
macht Platz dem, der am Wege starb.
Und dieser, den es ewig bangt,
ist stets am Ursprung angelangt.

Verwandlung

Stimme im Herbst, verzichtend über dem Grab
auf deine Welt, du blasse Schwester des Monds,
süße Verlobte des klagenden Windes,
schwebend unter fliehenden Sternen —

raffte der Ruf des Geists dich empor zu dir selbst?
nahm ein Wüstensturm dich in dein Leben zurück?
Siehe, so führt ein erstes Menschenpaar
wieder ein Gott auf die heilige Insel!

Heute ist Frühling. Zitternder Bote des Glücks,
kam durch den Winter der Welt der goldene Falter.
Oh knieet, segnet, hört, wie die Erde schweigt.
Sie allein weiß um Opfer und Träne.

Wiese im Park
(Schloß Janowitz)

Wie wird mir zeitlos. Rückwärts hingebannt
weil' ich und stehe fest im Wiesenplan,
wie in dem grünen Spiegel hier der Schwan.
Und dieses war mein Land.

Die vielen Glockenblumen! Horch und schau!
Wie lange steht er schon auf diesem Stein,
der Admiral. Es muß ein Sonntag sein
und alles läutet blau.

Nicht weiter will ich. Eitler Fuß, mach Halt!
Vor diesem Wunder ende deinen Lauf.
Ein toter Tag schlägt seine Augen auf.
Und alles bleibt so alt.

Abschied und Wiederkehr
Offenbarung

Löst sich die Lust von ihrem letzten Lohn,
so klammert sich ans Herz ein Klageton.

O ewiger Abschied ewiger Wiederkehr —
wohin entrinnst du und wo kommst du her!

Du Echo, das mit einer Nymphe ruft
in der Geschlechter unnennbare Kluft!

Du Stimme, die mit einer Nymphe weint,
weil die Natur so trennt, was sie vereint —

Schmerzvoller Nachhall der Unendlichkeit!
Du Angst des Blickes in die Endlichkeit!

Durch alle Schöpfung blutet dieser Riß —
Echo klagt immer wieder um Narziß.

Hat es der Schöpfer denn gewollt, gewußt?
Lust so von Lust verkürzt, ergibt Verlust.

Lebendige Lust, du klagst am Sarg der Lust,
von deren Tod du selber sterben mußt.

Du Grabwind, Leid und Lied zum eignen Grab,
du willst nicht in den finstem Tag hinab.

So leuchtend war die Nacht; der Tag ist grau.
Entläßt die Nacht den Tag, so weint sie Tau.

Stumm ist die Wonne, der das Wort entspringt.
Lust weckt den Geist, der ihr kein Wort entringt.

Du letzter Laut, der mir von weit her spricht,
mir wird die Sprache, du bist das Gedicht!

Du reichstes Glück, das im Gewinn verlor,
du größte Kraft, die an der Glut erfror,

du Augenblick der Liebestodesangst,
der du dich selber zu verlieren bangst —

verweile Augenblick, du bist so schön!
Ich sag's zu ihm. Ich hab das Aug gesehn!

Legende

Doch ist er fort. Sie hat ihn mitgenommen
beim Abschied ihrer selbst. Ich stand beklommen.

Wie alles Licht in Rauch und Nebel schwand —
ein armes Hündchen plötzlich vor mir stand.

Sah zu mir auf und hatte ihren Blick.
Ließ sie mir ihn als Unterpfand zurück?

Und wie es wimmernd immer zu mir schaut,
so war's ihr Schmerz, so war's ihr Klagelaut.

Ihr Abschied war's und war ihr Wiedersehn —
die Zeit bleibt stehn, ein Wunder ist geschehn.

Dies Auge, diesen Ton hab ich gekannt!
Vergehendes ist in die Zeit gebannt.

Die lustverlorne Göttin ward ein Schall;
er rief mich aller Wände aus dem All.

Nun ruf' ich ihn zurück; ich warte hier —
da ruft er mich verwandelt aus dem Tier.

Wir kennen uns, ich und die Kreatur –
es ist ein Wunder: glaubet, glaubet nur!

Die letzte Spur vom Glück ist neues Glück.
Das Echo ging, ein Echo blieb zurück.

Leid klagt um Lust, ich klage um das Leid;
nun ist es da, so ist die Lust nicht weit.

Verlorner Lust verlorne Klage klingt.
Ich höre nur, daß jetzt ein Engel singt.

Verlorner Lust verlorner Ton ertönt.
Ich sehe eine Seele, die sich sehnt

und wiederkehrt. Der Abschied ist ein Spiel.
Sie ging und suchte, bis sie hin zum Ziel,

vorbei der Menschheit, irdisch unerkannt,
den Weg durch ein verlornes Hündchen fand.

Grabschrift

Der großen Zeit schreib' ich es ins Gesicht:
Weh dem, der sich vermißt, das Angedenken
gefallener Frauen nun gering zu achten!
Sie standen gegen einen größern Feind,
Weib gegen Mann. Nicht Zufall der Maschine,
der grad entkommt, wer ihr nicht grad verfällt,
hat sie geworfen, sondern Aug in Aug,
aus eigenem Geheiß, eins gegen alle,
im Sturm der unerbittlichen Moral
sind sie gefallen. Ehre jenen sei,
die an der Ehre starben, heldische Opfer,
geweiht dem größern Mutterland Natur!

Zwei Soldatenlieder

In einem totenstillen Lied
vom Weh zum Wort die Frage zieht:
Wer weiß wo.

Wer weiß, wo dieses stille Leid
begraben liegt, es lärmt die Zeit
vorüber so.

Sie schweigt nicht vor der Ewigkeit
und stirbt und ist doch nicht bereit
zur letzten Ruh.

In einem lebenslauten Lied
vom Wahn zum Wort die Frage zieht:
Wer weiß, wozu!


Vision des Erblindeten

So, Mutter, Dank! So fühl' ich deine Hand.
Oh, sie befreit von Nacht und Vaterland!
Ich atme Wald und heimatliches Glück.
Wie führst du mich in deinen Schoß zurück.

Nun ist der Donner dieser Nacht verrollt.
Ich weiß es nicht, was sie von mir gewollt.
O Mutter, wie dein guter Morgen taut!
Schon bin ich da, wo Gottes Auge blaut.

Der Bauer, der Hund und der Soldat
(Wolhynien)

"Der Hund ist krank! Was fehlt dem armen Hunde?"
""Er ist verwundet, Herr. Das ist der Krieg,
und davon eben hat er seine Wunde.""
Der Bauer sprach's und streichelt' ihn und schwieg.

"Wie aber, wann und wo empfing die Wunde
der arme Hund? Er kann ja gar nicht gehn!"
""Herr, es ist Krieg und da ist es dem Hunde,
er stand so da, da ist es ihm geschehn.

Der Hund stand da und da kam ein Soldat,
der ging vorbei und stach nach meinem Hunde,
der keinem Menschen was zu leide tat,
nie biß er wen, nun hat er seine Wunde.

Seht ihn nur an, es war ein gutes Tier,
er dient mir lang', und in der weiten Runde
der beste Schäferhund, er führte mir
das Vieh allein, nun hat er seine Wunde.

Seht, wie er hinkt. Das tut er seit der Stunde,
da der Soldat vorbeikam, der Soldat,
der stach nach meinem alten Schäferhunde,
der keinen Menschen noch gebissen hat.""

"Und warum, glaubt ihr, bracht' er ihm die Wunde,
der Mann dem Hund die schwere Wunde bei?
Der Hund ist stumm, sein Blick befiehlt dem Munde
für ihn zu sprechen, sprecht nur frank und frei."

""Wir wissen's nicht. Doch wißt ihr's selbst wie wir,
daß Krieg ist. Mir und meinem armen Hunde
und Gott und jedem Kind und auch dem Tier
ist es bekannt, und Krieg schlägt jede Wunde.

Ich sagt's euch Herr, der Mann war ein Soldat
und wer die Waffe hat, der schlägt die Wunde.
Wißt ihr denn nicht, wie viel's geschlagen hat
in dieser gottgesandten Zeit und Stunde?""

"So solltet ihr, daß er vom Schmerz gesunde,
das arme Tier sogleich mit Gift vergeben.
Erschießt ihr ihn, wißt ihr, daß eine Wunde
auch Wohltat sei, und helft ihm aus dem Leben!"

""Ach Herr, ich ließ' es nimmermehr geschehn,
ich kann nur leiden mit dem armen Hunde.
's ist Krieg, ich kann ein Huhn nicht sterben sehn,
's ist Krieg, da, wißt ihr, gibt es manche Wunde.

Der Hund war gut, vorbei ist's mit dem Hunde,
seit der Soldat vorbeiging, 's ist der Krieg.
Man muß es nehmen, was sie bringt die Stunde.""
Der Bauer sprach's und streichelt' ihn und schwieg.


Gebet

Du großer Gott, laß mich nicht Zeuge sein!
Hilf mir hinab ins Unbewußte.
Daß ich nicht sehen muß, wie sie mit Wein
zur Not ersetzen ihre Blutverluste.

Du großer Gott, vertreib mir diese Zeit!
Hilf mir zurück in meine Kindheit.
Der Weg zum Ende ist ja doch so weit,
und wie die Sieger schlage mich mit Blindheit.

Du großer Gott, so mach den Mund mir stumm!
Nicht sprechen will ich ihre Sprache.
Erst machen sie sich tot und dann noch dumm,
es lügt ihr Haß, nimmt an der Wahrheit Rache.

Du großer Gott, der den Gedanken gab,
ihr Wort hat ihm den Rest gegeben.
Ihr Wort ist allem Werte nur ein Grab,
selbst Tat und Tod kam durch das Wort ums Leben.

Du großer Gott, verschließ dem Graus mein Ohr,
die Weltmusik ist ungeheuer!
Dem armen Teufel in der Hölle fror,
er fühlt sich wohl in diesem Trommelfeuer.

Du großer Gott, der die Erfinder schuf
und Odem haucht' in ihre Nasen,
schufst du die Kreatur zu dem Beruf,
daß sie dir dankt mit ihren giftigen Gasen?

Du großer Gott, warum beriefst du mich
in diese gottverlassene Qualzeit?
Strafst du mit Hunger, straflos setzte sich
der Wucher zu der fetten Totenmahlzeit.

Du großer Gott, warum in dieser Frist,
wozu ward ich im blutigen Hause,
wo jeder, der noch nicht getötet ist,
sich fröhlich setzt zu seinem Leichenschmause?

Du großer Gott, dies Land ist ein Plakat,
auf dem sie ihre Feste malen
mit Blut. Ihr Lied übt an dem Leid Verrat,
der Mord muß für die Hetz' die Zeche zahlen.

Du großer Gott, hast du denn aus Gemüt
Vampire dieser Welt erschaffen?
Befrei mich aus der Zeit, aus dem Geblüt,
unseligem Volk von Henkern und Schlaraffen!

Du großer Gott, erobere mir ein Land,
wo Menschen nicht am Gelde sterben,
und wo im ewig irdischen Bestand
sie lachend nicht die reiche Schande erben!

Du großer Gott, kennst du die Mittel nicht,
die diese Automaten trennten,
wenn sie sich trotz dem letzten Kriegsgericht
bedrohen mit Granaten und Prozenten?

Du großer Gott, raff mich aus dem Gewühl!
Führ mich durch diese blutigen Räume.
Verwandle mir die Nacht zu dem Gefühl,
daß ich von deinem jüngsten Tage träume.

Wiedersehn mit Schmetterlingen

Wie nach den Lebensnächten
es prangt in neuen Prächten,
vom Morgentau benetzt!
Was hebet aus den Grüften
und letzt mit linden Lüften
auch mich zuguterletzt?

Es heilt das Herz vom Hirne
und kühlt die kranke Stirne
am jungen Tag gesund.
Das strömt von andern Sternen
und läßt die Liebe lernen
auf einem grünen Grund.

Der Welt war ich ein Riese.
Ein Kind bin ich der Wiese.
Nun ist's wie dazumal.
Dort drüben hinterm Berge,
dort kämpfen feige Zwerge.
Ich spiele in dem Tal.

Hier, fern von Trug und Tadel,
leiht Rittersporn den Adel,
mein Mut ist Löwenzahn!
Die Zeit mir zu begleiten,
erzählt der Bach von Zeiten,
die hat die Zeit vertan.

Und daß ich wieder singe,
erscheinen Schmetterlinge,
o grenzenloses Glück!
Auf einem Sonnenstrahle
die stolzen Admirale,
sie kehren mir zurück!

War's schwer, ihr Papilionen,
auf dieser Welt zu wohnen?
Verlort ihr diese Spur?
Zusammen hier zu rasten,
lockt uns ein Leierkasten,
der spielt "Nur für Natur".

Wir junggewohnten Schwärmer,
wir wurden arm und ärmer
in der papiernen Pein.
So sagt, ihr losen Lieben,
wo wart ihr denn geblieben,
und ließet mich allein?

Der Walzer ist verflossen,
wir waren Zeitgenossen,
bleibt doch ein Weilchen stehn!
Die Zukunft ist begraben,
die fressen schon die Raben.
Wann werden wir uns wiedersehn?


Flieder

Nun weiß ich doch, 's ist Frühling wieder.
Ich sah es nicht vor so viel Nacht
und lange hatt' ich's nicht gedacht.
Nun merk' ich erst, schon blüht der Flieder.

Wie fand ich das Geheimnis wieder?
Man hatte mich darum gebracht.
Was hat die Welt aus uns gemacht!
Ich dreh' mich um, da blüht der Flieder.

Und danke Gott, er schuf mich wieder,
indem er wiederschuf die Pracht.
Sie anzuschauen aufgewacht,
so bleib' ich stehn. Noch blüht der Flieder.

Zuflucht

Hab' ich dein Ohr nur, find' ich schon mein Wort:
wie sollte mir's dann an Gedanken fehlen?
Von zwei einander zugewandten Seelen
ist meine flüchtig, deine ist der Hort.

Ich komme aus dem Leben, jenem Ort,
wo sie mit Leidenschaft das Leben quälen
und sich die Menschen zu der Menschheit zählen,
und technisch meistern sie den Tag zum Tort.

So zwischen Schmach und Schönheit eingesetzt,
rückwärts die Welt und vorwärts einen Garten
ersehend, bleibt die Seele unverletzt.

Fern zeigt das Leben seine blutigen Scharten,
an mir hat es sich selber wundgehetzt.
Öffne dein Ohr, um meines Worts zu warten!

Abenteuer der Arbeit

Was leicht mir in den Schoß fiel,
wie schwer muß ich's erwerben,
bang vor des Worts Verderben.
O daß mir dieses Los fiel!

Zuerst war's in der Hand mir,
dann wollt' es sich entfernen,
da mußt' ich suchen lernen;
es schwindelt der Verstand mir.

Das Wort hier ist ein Zunder
für das an jener Stelle.
Gleich brennt die ganze Hölle.
Das Wort ist mir ein Wunder.

Wie öffnet es die Lider,
die sonst geschlossen waren.
Hier gibt es nur Gefahren.
Ich kenn’ das Wort nicht wieder.

Tausch' ich es, wird's mich täuschen.
Wie es sich an mich klettet,
seitdem ich es gerettet
aus vielfachen Geräuschen.


Das was mir einfiel, hat mich,
der ich's nie haben werde,
ich steh' auf schwanker Erde
und setze selber matt mich.

Ich wähl' im Zweifelsfalle
von zweien Wegen beide.
Ich röste mich am Leide,
bin in der Teufelsfalle.

Ein unerschrockner Tadler
will ich mir nichts erlauben,
als aus dem reinsten Glauben
zu spielen Kopf und Adler.

Und wenn der Kopf aufs Wort kam,
der Adler fällt getroffen —
so blieb der Zweifel offen,
ich weiß nicht, wie ich fortkam.

Wer mit dem Geist verwandt ist,
in Bildern und in Schemen
die Welt beim Wort zu nehmen —
beim Himmel kein Pedant ist!


In sprachzerfallnen Zeiten
im sichern Satzbau wohnen:
dies letzte Glück bestreiten
noch Interpunktionen.

Wie sie zu rasch sich rühren,
wie sie ins Wort mir zanken —
ein Strich durch den Gedanken
wird mich ins Chaos führen;

obgleich ein Strichpunkt riefe,
dem Komma nicht zu trauen:
ein Doppelpunkt läßt schauen
in eines Abgrunds Tiefe!

Dort droht ein Ausrufzeichen
wie von dem jüngsten Tage.
Und vor ihm kniet die Frage:
Läßt es sich nicht erweichen?

Wie ich es nimmer wage,
und wie ich's immer wende,
ein Werk ist nie zu Ende —
am Ausgang steht die Frage.

Und eh' mein Herz verzage,
den Ausgang zu erreichen,
setz' heimlich ich ein Zeichen —
dem Zeichen folgt die Frage.

Es zündet immer weiter
der Blitz, der mich zerrissen.
Mein eignes besseres Wissen
will Antwort vom Begleiter.

Mit angstverbrannter Miene
stock' ich vor jeder Wendung,
entreiß' mich der Vollendung
durch eine Druckmaschine.

Wie schön ist es gewesen,
am Wege waren Wonnen.
Was heimlich süß begonnen,
nun werden's Leute lesen.

O Glück im Wortverstecke
des unerlösten Denkens,
Versagens und sich Schenkens —
was bog dort um die Ecke?

Noch nicht erseh'n, ersehn' ich's.
Vorweltlich Anverwandtes,
eh' ich's gesetzt hab', stand es,
und nun mir selbst entlehn' ich's.

Entzückung fand der Gaffer
am tausendmal Geschauten.
Aus tagverlornen Lauten
erlöst er die Metapher.

Im Hin- und Wiederfluten
der holden Sprachfiguren
folgt er verbotnen Spuren
posthumer Liebesgluten.

In Hasses Welterbarmung
verschränkt sich Geist und Sache
zu weltverhurter Sprache
chiastischer Umarmung.

Wer sprechen kann, der lache
und spreche von den Dingen.
Mir wird es nie gelingen,
sie bringen mich zur Sprache.

Das Wort trieb mit den Winden
und spielt mit Wahngestalten.
Im Wortspiel sind enthalten
Gedanken, die mich finden.

Wenn ich so weiter fortspiel',
vor solchem kühnen Zaudern
wird es die Nachwelt schaudern.
Denn alles war im Wortspiel.

Dem ewigen Erneuern,
zum Urbild zu gelangen,
entrinn' ich nur, gefangen
in neuen Abenteuern.

Durch jedes Tonfalls Fessel
gehemmt aus freien Stücken,
erlebt sich das Entrücken
auf einem Schreibtischsessel.

Was leicht mir in den Schoß
wie schwer muß ich's erwerben,
bang vor des Worts Verderben.
O daß mir dieses Los fiel!


Fahrt ins Fextal

Als deine Sonne meinen Schnee beschien,
ein Sonntag wars im blauen Engadin.

Der Winter glühte und der Frost war heiß,
unendlich sprühten Funken aus dem Eis.

Knirschend ergab sich alle Gegenwart,
Licht tanzte zur Musik der Schlittenfahrt.

Wir fuhren jenseits aller Jahreszeit
irgendwohin in die Vergangenheit.

Was rauh begonnen war, verlief uns hold,
ein Tag von Silber dankt dem Strahl von Gold.

Der Zauber führt in ein versunknes Reich.
Wie bettet Kindertraum das Leben weich!

Voll alter Spiele ist das weiße Tal;
die Berge sammeln wir wie Bergkristall.

Trennt heut die Elemente keine Kluft?
Ein Feuerfluß verbindet Erd' und Luft.

Wir leben anders. Wenns so weiter geht,
ist dies hier schon der andere Planet!

Ins Helle schwebend schwindet aller Raum.
So schwerlos gleitet nach dem Tod der Traum.

Nicht birgt die Zeit im Vorrat uns ein Weh.
Bleicht sich das Haar, so gibt es guten Schnee.

Uns wärmt der Winter. Leben ist ein Tag,
da Silvaplanas Wind selbst ruhen mag.

Nicht Ziel, nur Rast ist's, die das Glück sich gab,
hält einmal dieser Schlitten vor dem Grab.

Als Bobby starb
(22. Februar 1917)

Der große Hund ist tot. O Herz steh still,
das diese Trauerbotschaft fassen will!

Das stolze Aug, der stummen Gottheit Pfand,
das Licht der Liebe ist nun ausgebrannt.

Wie lautlos lebte er vorbei dem Streit.
Würdig und weise schritt er durch die Zeit.

Wir andern leben auf des Glaubens Grab.
Sein Auge dankte, daß es andre gab.

Die Not des Tages lehrt' ihn keine List
und nur im Traum bestand er unsern Zwist.

Oh Freude, wenn ihn seine Herrin rief!
Oh Wirrsal, wenn er ihr zu Füßen schlief.

Doch eh' er schlief, des Hundes Majestät
sich um sich selbst herum im Kreise dreht.

Wenn er die Stelle fand, hier auszuruhn,
so hatt' er es mit manchem Feind zu tun.

Mag wacher Haß die Hundeseele schelten:
im Schlaf nur lebt der Hund in unsern Welten.

Im Wachen wendet Wahn die Menschenseele,
daß sie sich um den eignen Vorteil quäle.

Kein Wort, kein Handschlag waren zu Gebote
dem Glauben je wie diese gute Pfote.

Verlorner Einfalt letztes Lebenszeichen
war dieses greisen Hunds beflißnes Keuchen.

Nie hat der Hund die Ansicht uns verhehlt.
Er zeigt sich eifrig, hat er was verfehlt.

Was er verfehlt hat, tat ihm ehrlich leid.
Wedelnd bewährt sich Ehrenhaftigkeit.

Ein Tanz vor uns war seines Eifers Dank.
Aus Sehnsucht wird die Hundeseele krank.

Das Menschenherz kennt Hunger nur aus Haß.
Verlaß den Hund, und er verläßt den Fraß.

Dem hier ruf' nach ich's in die Ewigkeit:
Er hungerte aus einer Trennung Leid!

Nun aber, da das Schicksal sich verkehrte,
er selber uns die Sehnsucht kennen lehrte.

In Tränenschrift sei's darum aufgeschrieben:
Er ist dahin und wir sind hinterblieben!

Und abschiedsvoller schlägt mir jede Stund',
nun du noch stummer bist, du großer Hund.