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Unser tägliches Gift
Krzyzanowski Otfried

Leipzig 1919
Kurt Wolff Verlag

Unser tägliches Gift 1
 

Phantasia Desperans
Frage
Cantate
Abend I.
Erfüllung
Es gibt doch Süße
Ballade
Unlust
Werbung
Spät Nachts
Geständnis
Erinnerung
Morgenträume
Melancholie
Unmut
Der Einsame
Der Individualist
Abend II.
Tanzlied
Morgen
Sorge

Phantasia Desperans


Anmutig, leicht, lebendig!
Einsam auf schneebedecktem Feld:
Doch ist der Hunderthändig
Meines Gedichtes Held.

Der Hunderthändig ohne Kopf!
Doch spielt er mit — einem Schädel.
Macht ihm aus welkem Gras einen Schopf,
Gelb wie der welke Nebel.

Was gilt der Schopf? Nichts gilt der Kopf!
Und ich bin gut und edel.
Der Hunderthändig ohne Kopf
Spielt Ball mit einem Schädel.

Frage

Ist deine Liebe wie eine Herde von Wölfen!
Lautlos rennt sie durch die endlose Steppe;
Ihnen heißt der Himmel, der endlos grau
Über den Wütigen hängt, ihr Hunger.

Oder lauerst du auf Beute:
Im Geröll als Natter verborgen?

Wer bist du? Gib acht: eine flüchtige Katze
Nimmt deine Seele mit sich.

Cantate

Ach, dir gehört die Liebe,
Leichter Flieder!
Und dir gehört die Jugend,
Leben! Tod!

Und zwischen hohen Häusern
Schreiten Mädchen,
Sie schreiten unter blauem
Himmel hin.

Und zwischen grauen Häusern
Spielen Buben.
Dir gelten Mut und Bangen:
Hohe! Welt!

Und dir gehört die Liebe,
Leichter Flieder!
Ach, dir gehört die Jugend,
Leben! Tod!

Abend I

Wenn der Abend uns bezwingt
Und die Klage in uns singt:
Fühlst der bangen Seele Flug,
Weißer Mädchen Atemzug.

Fremd ist Friede, fremd der Streit,
Wann entrinnen wir der Zeit?
Und kein Alter macht uns klug:
Fühlst der Seele Abendflug.

Erfüllung

Was tun? Du Ranke! Danken!
Dir und der Stunde danken.
Das Glück gibt Demut: Fleisch und Brot
Und Wein – und Tod!

Als hätte ich Sehnsucht gelitten,
Machst du mich traurig.
O Gott, die traute Stunde
Verrät mir, wie böse mein Stolz war.

Glück gibt uns Demut: Fleisch und Brot,
Wein, Weib: von Gott kommt Stolz und Tod!
Was tun? Man darf nur danken
Dir und der frohen Stunde.

Es gibt doch Süße

Es brennt die Scham: denn grabhin zieht
Uns Torheit durch die Stunden.
Ich hätte bald ins böse Lied
Ins Urteil mich gefunden.

Es gibt doch Süße! Zu gestehn
Fällt schwer: ein Kind kann zwingen.
Es bleibt die Scham: denn grabhin sehn
Wir Furcht und Klagen schwingen.

Ballade

Ein geschändeter Leichnam
Erschlagen im Walde.

Seinen Feinden wehe zu tun
Hat keiner verstanden wie er.

Nacht war's und einsam der Weg,
Da horcht er: Sie lauern ihm auf.

Narrheit ist Betteln, ist Angst,
Verlangt es die Wölfe nach Blut.

Tauch auf! Es enttauchte der Furcht
Seine Seele und lachte der Kälte.

Enttaucht! Wie lüsternen Grimms
Er nach seinem Dolche griff!

Ein geschändeter Leichnam
Erschlagen im Walde.

Unlust

Die Begierde hat sich schlafen gelegt,
Es bleibt das Fieber.
Der köstliche Mut der Entsagung
Er wäre mir heute gegeben.

Die Liebe aus. Was ich liebte, gelöst.
Die weiblichsten Glieder
Versagend an meiner Ermattung,
Ich sehe sie über mir schweben.

Werbung

Durch Hoffen und durch Warten wird
Der Sinn gemein.
Du Holde! Frag nicht lang!
Will dich befrein.

Auf junge Blüten fällt
Nacht: nicht so wunderbar,
Wie gegen deinen Hals
Dämmert dein Haar.

Dein Auge fragt: Mein Wort
Klang fremd: es klang doch rein.
Oh, ich will ewig fremd
Deinem Bangen sein.

Das Müssen und das Leiden schenkt
Kein Abend so klar.
Demütig reicht die Freude
Den Becher dar.

Spät Nachts

Woher dein Licht, entlaubter Hain?
Du schimmerst in tiefem Blau.
Wie Adern sind Deine Äste.
Ist's von der Stadt: der Widerschein?

Ich kam dorther. Die Nacht war trüb und die Gassen
Klangen vom Regen: beim matten Glanz der Laternen
Und sonst von allem Licht verlassen.
O Hain, du nimmst dein Licht aus weiten Fernen!

Geständnis

Ich hasse vor allen Dingen den Tod
Und will mich töten.
Dies letzte, verzweifelte Wagen
Ist mir bis heute geblieben.

Wo fährst du hin, verfahrener Sinn
Auf polterndem Wagen?
Es müßte in Scham jetzt erröten
Die Wange mir, könnte ich lieben.

Man wirft sich in die Arme des Tods
Noch immer am besten.
Den Bettel den Bettlern lassen.
Den Tod im Sturze noch hassen!

Erinnerung

Es will kein Baum
So wie die Linde blühen!
Und ist: Die Zeit und ist
Der Duft. O Traum.

Es war ein Morgenwind,
Sollt’ ich dich küssen:
Ich hätte weinen müssen
Im Morgenwind!

Morgenträume

Mit der Morgenröte erstem Lohen
Ist ein braunes schlankes Pferd entflohen:
Klingt sein Hufschlag in den hohlen Gassen,
Hat uns alter tiefer Gram verlassen.

Dringt der Hall an unsre Träumerohren,
Weckt er Drang und Lust, die neugeboren
Aller Not entkamen: Ein Versöhnen
Wiegt uns in der Erde dumpfes Dröhnen.

Lassen wir uns wiegen: fort uns tragen –
Fern im Saal, wo Raum und Wände ragen
Wandeln wir dahin mit leichten Schritten,
Alle Schwere ist vom Kleid geglitten.

Melancholie

Ein nacktes Jungfräulein hängt
An einem Galgen: das Blut, das von Mund und Nase
Und sonst herunter geflossen, bildet im Rasen
Eine rote Lache, die mählich schwarz gerinnt
So wie das Blut der lehmigen Pfützen umher
Mit der sterbenden Abendröte vergeht.
Sie sind: die Pfützen, die Augen der Dämmerung.
Doch gegen das weiße ungeküßte Knie des Weibes
Fliegt ein Rabe: Wie unmelodisch
Ein Rabenflügel sich gegen den Rasen zeichnet
Ehe die Dämmerung ganz herein ist.


Unmut

Spart euch den Trost! Der Wahnsinn ist
Der Gläubiger der Geschlagenen.
Und ihm verfällt des Elends wache Brut.
Spart euch den Spott.

Denn wie ein Schiff der sturmzerpeitschten Flut
Sind Worte mir zur Last: verhaßt die Blicke
Der Gütigen.

Ich hasse: wenn weit durch das zitternde Land
Der Frühling mit grünschattenden Pfeilen zielt.
Ich liebe es, wenn um der Männer Stirn
Das Grün des Elends spielt.

Ihr seid mir Brüder: in Todes Hirn
Begraben will ich allen freien Mut.

Der Einsame

Und bald erlischt der Kerze Flackerlicht.
O meine Seele! Jetzt noch ein Gedicht!

Die Welt ist grau und bleiern wog der Tag,
Wie er oft kommt und wie ich ihn nicht mag.

Das Leben ist mir wie die Liebe weit
Und bald umfängt mich tiefe Dunkelheit.

Auf eines Knaben Schulter mein Knabenkuß
Mir Leben noch und Tod durchleuchten muß.

Der Individualist

Ein Weib zu suchen! Wozu? Das Geschäft
Besorgen noch immer hundert und aberhundert.

Sterben! Warum? Die Arbeit
Wird heute von tausend gesunden Männern getan.
Was kann ich Besonderes tun? Ohne Sorge sein.

Abend II

Was wünscht die Seele? Tod zu spenden oder
Sich dem Abend preiszugeben, wie das Rohr
Dem Wind die schwanken Rispen preisgibt: schlanke Rehe
Schmiegen sie sich. Nieder auf sie
Sinkt im Dämmern
Furcht.

Tanzlied

Es gibt kein Schmeichelwort, hold wie dein Tanz.
Und ich muß hier sein, dich zu sehn und frage mich:
Du Schöne, muß ich sein und frage dich
Wie komme ich her? Nicht Leben noch Tod
Ist Trost für mich. Verloren, verloren.
Ich fühle mein Gerippe, hasse mich.
Es gibt kein Wort so traurig wie dein Tanz.

Morgen

Es hebt sich, senkt sich des Windes Flüstern.
In des Morgens ragende Räume
Stechen die goldenen Zweige der Bäume
Unbewegt: so leicht sind die Blätter.
Trinke! Die Kühle des Morgens in durstigen Zügen,
Süß: wie den Vertrauenden betrügen.

Tausend Lockungen
Tanzendes, springendes
Lichtes, strahlendes Gold!
Traue dem Freund nicht!
Alles sind Lügen.
Einsam ist der Genuß,
Ist die Lust am Gold
Allen gemeinsam die Gier, ich bin nach Einsamkeit lüstern.

Sorge

Schwarzgraue Wolken hangen hernieder,
Das Gewicht der Wolken an der Himmelswage
Vermag die Sorge nicht zu heben,
Die Sorge, die mich zermalmen wird.

Und die Gedanken fliehn
Vor der Not in die Irre.
Und ich spreche zum Freunde, zum guten: Wie alt,
Wie alt und gestorben grau diese Wolken sind!
Keine Glut noch Farbe in ihnen. Ein Totenschädel,
Ein alter Schädel, der nicht mehr im Dunkel leuchtet,
Wäre noch hell gegen sie wie der glimmende Mond.