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Vorwort zu diesem Lehrgedicht
Freidank's Bescheidenheit
des Hrsg. Ludwig Scheyrer.

Bernhard Freidank nennt sich der Dichter.
Dies vortreffliche Lehrgedicht wurde 1229 abgefaßt und besteht aus ganzen Reihen ähnlicher und verwandter,
mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit an einander gefügter Sprichwörter,
alle Verhältnisse des äußeren und inneren Lebens ungescheut berührend.

Es heißt Bescheidenheit, weil es über die sittlichen, religiösen, öffentlichen und häuslichen Zustände der
Menschheit Bescheid erteilen will.
 

Vom Wucher
 

Gott hat drei Leben1 geschaffen,
Die Bauern, Ritter, Pfaffen.
Das vierte schuf des Teufels List,
Der dieser dreie Meister ist,
Das Leben ist Wucher2 genannt,
Das schlinget Leute und Land.
Fünf Wucher die sind reine,
Und wenig mehr keine.
Das ist Fische, Honig, Holz und Gras;
Obst stets reine Speise was.
Wem Gott derer fünfe gönnte,
Die wachsen ohne Sünde
Und ohne große Arbeit,
Keine Erde reinere Speise beut.

Alsobald die Teilung geschicht,
Sein Teil gäb' ihrer keiner nicht
Um zwei der besten Teile,
Ob sie auch wären feile.
Der Teufel, der hat keinen Mut4
Auf den Leib noch auf das Gut,

 
Des Wuchers Pflug ist so gericht't,
Er erschlaffet und er feiert nicht:
Er gewinnet Nachts also viel
Wie Tages, der es merken will,
Sein Gewinn immer vor sich gat,3
So all die Welt Ruhe hat,
So wie dann ein Wucherer tut,
So wird sein Leib, Seel' und Gut
In drei geteilt, wenn er Tod erleid't.
Die Teile bleiben ohne Streit;
Den Würmern ist der Leib beschert,
Die Seel' dem Teufel Niemand wehrt,
Sein Gut, das nehmen die Herren gar,
Die nicht sorgen, wohin die Seele fahr'.

So ist dem Herren so gewährt,
Daß er Seel' noch Leib begehrt:
So sind die Würmer so bericht't,
Sie begehren Seel' und Gutes nicht,
So kann teilen des Teufels List,
Daß jeglich Teil das liebste ist.

 
1Stände. 2 Wachstum, Frucht, Gewinn, wuchern d. h. üppig wachsen zum Schaden Anderer. 3geht.
4Lust, Begehr.


Von Hoffart

 

Hoffart, der Hölle Königin,
Die will bei allen Leuten sin,1
Wie biederb' oder böse er sei,
Sie läßt nun Niemand's Herze frei;
Hoffart, Habgier und Neid,
Die halten noch fest ihren ersten Streit.
Das zeigte sich an Adamen,
So verdarb sein reiner Samen.
Hoffart steiget manchen Tag,
Bis sie nicht höher kommen mag:
So muß sie danne fallen,
Dies Beispiel sag' ich allen.
Dem Teufel nie was liebers ward
Als Neid, Unzucht und Hoffart:
So ist des Teufels Herzeleid
Demut, Treue, Geduldigkeit.
Armer Hoffart ist ein Spott,
Reicher Demut minnet Gott,
Hoffart verderbet alle Tugend,
So zieret Zucht die edle Jugend
Hoffart, Unminne, Gierigkeit,
Deren jede nun die Krone treit.2
Ich weiß wohl, daß nie Hoffart
Des heil'gen Geistes Genosse ward.
Luzifer verstoßen ward
Vom Himmel durch die Hoffart,
So viel man Herren flehen muß,
So viel man fällt zu ihrem Fuß,
So viel man leistet ihrem Gebot,
So wähnet ein Tor, er sei Gott.

 
Wer Hoffart da vermeiden mag,
Das ist dem Teufel ein großer Schlag.
Hoffart zwinget kurzen Mann,
Daß er muß auf den Zehen gan.3
Hoffart hat Geschicklichkeit:
Sie schliefet in gar armes Kleid,
Und lauert dann darinne
Ohne göttliche Minne.
Durch Hoffart Mancher fällt,
Der sich zu ihr gesellt.
Hoffart war der erste Fall,
Der vom Himmel fiel zu Tal,
Hoffart will des haben Preis,
Sie gehet oft nach Hahnen Weis.
Hoffart öfter straucheln muß,
Sie stehet selten auf den Fuß.
Hoffart nichts mag vermeiden,
Sie müßte Manchen neiden.
Hoffart manche Gebärde hat,
Die weisen Leuten übel stat,4
Hoffart die hat Kranichs Schritte
Und hat viel wandelbare5 Sitte
Hoffart Manchen lehret,
Daß er den Hals verkehret,
Daß er nichts ansehen kann
Gehörig, weder Weib noch Mann.
Hoffart ist der Seele Not:
Sie stirbet ewiglichen Tod.


1sein. 2trägt. 3gehn. 4steht. 5tadelnswerte.
 


Von dem Alter

 

Wir wünschen Alters alle Tage,
Und wenn es kommt, ist nichts als Klage.
Alter bringet Arebeit,
Minne sehnendes Herzeleid.
Alter Leute Minne hat
Drei Schmerzen auf ihrem Pfad:
Ihn reuet, daß er's kaufen muß,
Ihn reuet ihr unwerter Gruß,
Ihn reuet, wenn er es versteht,
Daß er die Seel' versündiget.
Wer dem Alter und der Jugend
Ihr Recht bewahret, der hat Tugend:
Die Jugend stets nach Freude strebt,
Mit Sorgen Witz1 und Alter lebt.
Die Alten sehnen sich nach der Jugend,
Die Jungen wünschen Alters Tugend.

 
Haben alte Leute jungen Mut,
Die Jugend alten, das ist nicht gut.
Singen, springen soll die Jugend,
Die Alten walten Alters Tugend.
Wo man lobet alte Sitte,
Da schilt man die neue mite.2
Des Jungen Lob sich mehret,
Wenn er den Alten ehret:
So ist des Alten Bescheidenheit,
Wenn er dem Jungen nichts verleid't.
So jung ist Niemand, noch so alt,
Der seiner selbst habe Gewalt.
Wer seinen Mut hat in Gewalt,
Der mag mit Ehren werden alt.


1Verstand. 2mit.
 


Von Blinden

 

Wer Blinden winket, der ist ein Gauch,1
Mit Stummen raunet,2 der ist es auch.
Der Stumme nichts sprechen mag,
Und kann doch beten all den Tag.
Dem Blinden ist im Träume wohl,
Wachend ist er Leides voll.
Ein blinder gäb' sein Greifen nicht
Drum, daß sein bester Freund sicht.3

 
Mancher hat der Augen nicht,
Des Herze doch viel wohl sicht,
Wie soll der Blinde sich bewahr'n,
Will sein Geleite unrecht fahr'n?
Wo ein Blinder geht dem andern vor,
Die fallen beide leicht ins Moor.
Will sich ein Blinder am andern halten,4
Sie fallen leicht in einen Graben.

 
1Tor. 2flüstert. 3sieht. 4halten.


Vom Sorgen

 

Rost isset Stahl und Eisen,
Also tut Sorge den Weisen.
Sorge machet graue Haar':
So altern Junge ohne Jahr'.
Es ward nicht König noch Königin,
Die konnten ohne Sorge sin.
Ohne Sorge niemand mag
Verleben einen ganzen Tag.

Der Tor, der sorget alle Tage,
Wie er Grütze genug erjage.
Mich grüßen immer Sorgen
Zuerst an jedem Morgen.
Am Morgen sorget mannesgleich,
So ist der Abend freudenreich.

 
Wer alle Ding' besorgen will,
Das ist alles Leides Ziel.
Wer den Andern fürchten muß,
Tut für seine Sorgen Buß'.
Der Fromme1 sorget sehre
Um Leute, Gut und Ehre,
Der Minner um die Minne,
Der Gierige um Gewinne,

Hätt' einer Abends, was er begehrt,
Er wäre tausend Morgen wert.
Wer Sand und auch der Sterne Schein
Will zähl'n, der muß nicht müßig sein.


1Starke, Mächtige.
 


Von den Milden und den Kargen

 

Ich weiß wohl, daß ein milder Mann,
Genug zu geben nie gewann.

Reine Milde nie verdarb,
So Kargheit manche Schand' erwarb.

Wenn ein Frommer missetritt,
So erschrickt ihm jedes Glied.

 
Ein jeder Frommer meidet wohl,
Was er nach Rechte meiden soll:
Das ein schwachgemuter Mann
Nimmer wohl vermeiden kann.

Noch besser ist der Bösen Haß,
Denn ihre Freundschaft, merket das.


 


Von Trunkenheit
 

Trunkenheit ist selten gut:
Sie tobet und fälschet weisen Mut;
Sie ist ein Raub der Tugenden gar,
Des Todes Bild; nehmt es wahr.
Wo trunkne Leut' und tobende sind,
Wer die nicht fürchtet, der ist ein Kind.
Trunkenheit ist selten frei,
Daß nicht bei der Sünde Schande, Schade sei.
Sorge, Zorn und Trunkenheit
Tun den Siechen öfter Leid.
So der Wein kommt in das Haupt,
So ist's der Armut beraubt.
Wer seine Sünd' beweinen mag,
So er trunken wird, das ist Weines Schlag.1
Dem sollte zu jeder Stunde
Der Becher sein am Munde.
Ein Vieh, das wenig Sinne hat,
Wenn es zum Dorf vom Felde gaht,
So erkennet jegliches wohl
Haus und Hof, wohin's kommen soll:
Doch trinket leider mancher Mann,
Daß er nicht Haus noch Hof erkennen kann,
Dies Laster vielen Leuten geschicht,
Und geschiehet doch dem Tiere nicht,
Es trinken tausend eh' den Tod,
Denn einer stirbt in Durstes Not:
Met und Wein sind beide gut
Für Sorge, Durst und Armut.
Für Durst mag nichts bessres sein,
Denn Wasser, Bier, Met oder Wein;
Auch ist gut für Hungers Not,
Fische, Fleisch, Käse und Brot.
Wer die zusammen bringen mag,
Der gewinnet manchen guten Tag.
Gehört eines Dinges mehr dazu,
Das ist wohl, daß man das tu'.
Unmäßig Essen, Trank dazu,
Tun schlechter als mäß'ger Hunger tu'.

1Wirkung
 


Von Minne und Weiben

 

Wie fest ein Weib gehütet sei,
Dennoch sind ihre Gedanken frei.
Es ist kein Hut also gut,
Als die ein Weib sich selber tut.
Der bösen Weib man hüten soll,
Die frommen hüten ihrer selber wohl.
Unrechte Hute
Kommt selten zu Gute.

 
Erzwungene Liebe
Wird oftmals zum Diebe.
Wer der Weibe Tugenden erkennen kann,
Dem sind sie teuer, denn beim Mann.
Sie schämen sich mancher Missetat,
Darauf der Mann keine Acht hat.
Weibes Schöne Manchen hat
Verleitet zu großer Missetat.

 


Von Erkenntnis

 

Mancher wähnt zu kennen mich,
Der selber nie erkannte sich;
Erkennte sich ein jeglich' Mann,
Er löge den andern selten an.

Wer übel gegen1 übel tut,
Das ist menschlicher Mut.
Wer gut wider übel tut,
Das ist göttlicher Mut.
Wer tut übel wider gut,
Das ist teuflischer Mut.

Die mit sich selbst zu aller Zeit
Fechten, das ist harter Streit.

Wer zwei Werk' mit einander tut,
Die werden selten beide gut.

Die Bande mag Niemand finden,
Die meine Gedanken binden.

Wer sich zu den Kletten mischet,
Beschwerlich er herab sie wischet:
Niemand Frommer mische sich
Mit bösen Leuten, das rate ich.

Ein Mann soll steigen in der Jugend
Von einer Tugend zur andern Tugend.

1für.
Ein jeglich' Kind sich darnach sehnt,
Als es die Mutter hat gewöhnt.

Einem jeglichen dünket gut,
Was er allergernest tut.

Viel oftmals mir da lieb geschah,
Wo ich mich liebes nicht versah;
Manchem auch da Leid geschieht,
Wer sich Leides nicht versieht.

Ich weiß von Niemanden so viel
Als von mir selbst, doch bin ich still.

Ich ersah nie guten Bolz
Ohne Feder und ohne Holz.

Was euch ist lieb, das man euch tu',
Das tut auch ihr, das gehört dazu.

Darum sind die Gedanken frei,
Daß die Welt nicht müßig sei.

Stäche jeglich Eid als ein Dorn,
So würden ihrer nicht so viel' geschwor'n.

Ich kann mit allen Sinnen
Mir selber nicht entrinnen.

 


Vom Hunger

 

Der Hunger ist der beste Koch,
Der jemals war und sein wird noch.

 
Der ist dumm, der seiner Kinder Brot
Den Hunden gibt in Hungers Not.

 


Vom Wahne

 

Was mit Farbe ist überzogen,
Davon wird man leicht betrogen.

 
Es wähnet oft eine Äffin,
Sie sei schöner denn die Königin.

 


Vom Guten und Übeln

 

Mein Herz im Traume Wunder1 sieht,
Das nie geschah und nimmer geschieht.

Wen das Schießen nicht verdrießet,
Wie übel er auch schießet,
Er trifft doch einmal das Ziel;
Also ist, wer zu Gott flehen will;
Er erhört ihn zu irgend einer Zeit,
Daß er ihm seine Huld verleiht.

Es ist manch' Weib und Mann,
Das nichts gutes reden kann,
Und kann von üblen Dingen
Wohl sagen und singen.


1eine Menge.
 
Wen man findet ohne Wehr,
Den überreit't ein krankes Heer.
Fänd' ich ohne Wehr ein Land,
Das zwäng' ich wohl mit einer Hand.

Lautrer Wein rein und gut
Verjünget alter Leute Mut.

Mein Auge mancherlei ersieht,
Das mich nicht gelüstete, säh' ich's nit.

Wer malen will, der entwirft eh'
Und merket, wie sein Bilde steh'.

Zwei gleiche harte Steine
Mahlen selten reine.

 

Von Unkunde


Die Nessel alsbald wird erkannt,
Der sie nimmt in bloße Hand.
Mancher mir die Straße wehrt,
Die er doch selber gerne fährt.

 

Von Tieren
 

Wer Wölfe nimmt zum Ratgeben,
Der geht den Schafen an das Leben.

Daß zwei Hunde ein Bein nagen
Ohne Zank, höre ich selten sagen.

Kommt ein Ochs in fremde Land',
Er wird doch für ein Rind erkannt.

Wer lobt der Schnecke Springen
Und des Ochsen Singen,
Der kam nie hin, wo der Leopard sprang
Und wo die Nachtigall sang.

Wo ein Esel den andern sicht
Fallen, dahin geht er nicht.
Nu seht, das ist ein dummes Tier,
Und ist doch weiser denn wir.

 
Man siehet selten reiches Haus
Ohne Dieb und ohne Maus.

Die Frösche tun sich selbst schaden,
Wollen sie den Storch zum Mahle laden.

Sich badet die Krähe mit allem Fleiß,
Und wird durch das doch nimmer weiß.

Des Falken Ding nicht eben steht,
Wenn er zur Maus nach Speise geht.

Die Fliege ist, wird der Sommer heiß,
Der kühnste Vogel, den ich weiß.

Ein Weißfisch ist besser auf dem Tisch,
Als in der Woge ein großer Fisch.


 


Vom Schatze und Pfennige

 

Minne, Schatz und groß' Gewinn
Verkehren gutes Mannes Sinn.

 
Begrabner Schatz, verborg'ner Sinn,
Von denen hat Niemand Gewinn.

 
Pfennigsalbe Wunder tut:
Sie weichet manchen harten Mut.

 


Von der Zunge

 

Die Zunge reizt in manche Not,
Die Niemand wendet als der Tod.
Die Zunge Manchen schändet,
Sie verstümmelt und sie blendet.
Die Zunge hat kein Bein
Und bricht Bein und Stein.
Die Zunge störet manches Land,
Sie reizt zu Raub und Brand.

 
Von der Zunge das erging,
Daß Christus an dem Kreuze hing.

Die üble Zunge scheiden kann
Liebes Weib und lieben Mann.

Manche Zunge müßt' kürzer sein,
Stünd' es an dem Willen mein.

 


Von Lügen und Trügen

 

Lügen und Trügen haben den Preis,
Ohne sie dünket Niemand weis'.

Lügen Trügen tun so wohl,
Daß ihrer die Welt ist alle voll.

Lügen Trügen fügen das,
Daß Vater wird dem Kind gehaß.1

Lügen Trügen ist ein Bote
Zu allen Herren außer zu Gotte.

Lügen Trügen sind zwei Ding',
Sie fälschen manchen Jüngeling.

Lügen Trügen dringen für
Zu Papstes und des Kaisers Tür.

Lügen Trügen ist ein Pflug,
Der hat Ackerleute g'nug.

Lügen Trügen sind so alt,
Deß2 ist ihre Kunst mannigfalt.



 
Niemand kann betrügen
Den Andern ohne Lügen.
Den Niemand kann betrügen:
Dem sollte auch Niemand lügen,
Wie oft vor Gott wird gelogen,
Er ist doch immer unbetrogen.

Wer setzt ein ungewisses Pfand,
Der muß lügen gleich zuhand.
Der Schild währt keine Frist,
Der von Lüge gemachet ist.
Kostete jede Lüge ein Pfund,
So löge man nicht zu jeder Stund'.

Wenn ich gerne lügen will,
So mache ich süßer Rede viel.

Wenn einst kommt die Frist,
Daß dieser Welt ein Ende ist,
So mag auch aus der Erden
Lügens und Trügens ein Ende werden.


1verhasst. 2darum.