Der Lebenslauf des Flusses 
				 
				                               Die Quelle 
				 
				Nebel heißt mein Vater, die Mutter nennet sich Felswand; 
				Aber dem Vater nur bin ich im Geiste gefolgt. 
				Ihm gleich treibt's mich hinaus in fremde Täler und Auen, 
				Und in freudiger Hast spring' ich vom Berge herab. 
				 
				                               Das Bächlein 
				 
				Freudig an meinem Rand' erbaut sein Mühlchen der Knabe, 
				Und auf das taumelnde Rad blickt er zufrieden, und lacht. 
				Heimlich will ich's gesteh'n, mich selbst erfreuet das 
				Spielwerk, 
				Und ich treib es mit Lust; bin ja noch selber ein Kind. 
				 
				
				                               Der Bach 
				 
				Welch gewaltiges Rad! — Ei danke, da schleichen wir leise 
				Uns, ihr Wellen! vorbei, leise, sonst hört uns der Schmied. 
				Ach! umsonst! schon erhebe den Hammerriesen ich murrend 
				Als Gesell; doch in Zorn schüttelt mein Schlag das Gefild. 
				 
				                               Der Fluß 
				 
				Stiller bin ich geworden, doch hat die Kraft sich gestählet; 
				Drum auch Last auf Last bürdet das Leben mir auf,— 
				Nimmer werd' ich sie los; nun denn auf willigem Rücken 
				Trag' ich sie schweigend hinfort bis an mein Grab, an das Meer. 
				 
				
				Der Dichter und der 
				Taucher 
				 
				Ihr schaut mich liebend an, und fragt gerührt, 
				Warum sich leis' des Dichters Wimper netze, 
				Warum die Brust, die reich so edle Schätze 
				In sich verschließt, nur Seufzer stets gebiert. 
				 
				O seht hinaus! — dort sinkt mit stillem Grau'n 
				Der Taucher in des Meeres alte Tiefe; 
				Was besser ewig dort verhüllet schliefe, 
				Muß bangend er und neu verwundet schau'n. 
				 
				Was wieget blaß der Schoß der Wasserflur? 
				Weh' ihm! — des Freundes liebe, liebe Leiche; 
				Er schaudert, weint; — euch aber bringt der Bleiche 
				Statt seiner Tränen, — seine Perlen nur. 
				 
				Ein's ist noch tiefer, als die tiefe See, 
				Und hüllt Versunk'nes mehr noch in sein Schweigen: 
				Die Menschenbrust, — und da hinab zu steigen, 
				Ist Dichterpflicht, und — ach! sein stilles Weh'. 
				 
				
				Veilchen auf das Grab 
				 
				Kaum steigt vom heitern Spiel der Engel nieder 
				Die süße Kleine auf die rauhe Erde; 
				So nahet Leiden schon ihr und Beschwerde, 
				Und sie entflieht zur alten Heimat wieder. 
				 
				Da rüttelt heißer Frost der Mutter Glieder, 
				Daß frei von Banden bald die Seele werde, 
				Die leise schon mit sehnender Gebärde, 
				Dem Flüchtling nach, erhebet ihr Gefieder. 
				 
				Und sieh! — der treue Gatte steht in Trä'nen. 
				Sie ist hinweg! — und nur im Blauen oben 
				Schwebt noch das Goldgewölk, das sie erhoben. 
				 
				Nun trauern wohl, die hier nach ihr sich sehnen, 
				Sie aber hält ihr teu'res Kind, entzücket, 
				Das Neugefund'ne — an das Herz gedrückte. 
				 
				Die Köhlertochter 
				 
				Da drinnen zwischen den Bergen 
				In Wald und Felsengraus, 
				Da steht auf einsamer Grüne 
				Ein kleines, rußiges Haus. 
				 
				Da wohnt und schüret ein Köhler, 
				Der ist wohl schwarz und alt; 
				Sein Töchterchen aber, die Else, 
				Ist weiß und jung von Gestalt. 
				 
				
				Jüngst kam ich leis' durch die Felsen, 
				Sie kniete am Bach', und wusch; 
				Da girrte heimlich, und rauschte 
				Ein wildes Täubchen im Busch. 
				 
				Ich legte an, und es knallte; 
				Die Dirne ward blaß. — Ich bot 
				Ihr lächelnd darauf das Täubchen, 
				Da wurde sie wieder rot. 
				 
				Sie nahm es schüchtern, und drückte 
				Es sanft an's Mieder voll Schmerz, 
				Und kos'te das blauliche Hälschen, 
				Und fühlte das zuckende Herz. 
				 
				"Ach! schöner, freundlicher Jäger! 
				Wie mögt ihr so grausam sein?" 
				Ich sah ihr stumm in die Augen, 
				Und schlich in den Forst hinein. 
				 
				Und oben auf stiller Alpe 
				Da saß ich traurig und schwieg, 
				Und starrte hinab, wo vom Walde 
				Der weiße Rauch aufstieg. 
				 
				Nun hab' ich seit jenem Abend 
				Kein Häschen nieder gebrannt, 
				Das Mädel mit ihren Blicken 
				Hat mir die Büchse verbannt. 
				 
				Ich 
				zitter' umher, wie ein Lehrling, 
				Zum Heile für Gems' und Reh', 
				Und soll ich den Hahn abdrücken, 
				So tut's mir im Herzen weh'. 
				 
				Der steirische 
				Alpenjüngling 
				 
				O Vaterland! o Vaterland! 
				Wie hab' ich dich so lieb! 
				Verkenne nicht in deinem Sohn 
				Den ernsten, heil'gen Trieb. 
				 
				Dir weih' ich, was ich hab' und bin, 
				Du bist mein höchstes Gut; 
				Für dich entströmt mein Lied der Brust, 
				Und, tut es Not, — mein Blut. 
				 
				Wie bist du bräutlich angetan 
				Mit duft'gem Blütenschnee, 
				Wie woget, glänzt und rauscht im Tal 
				Der Ähren gold'ner See! 
				 
				Und 
				ha! — wie drängt den Sternen zu 
				Sich keck der Alpen Schar! 
				Ein solcher Thron dem Höchsten nah, 
				Ziemt nur dem deutschen Aar 
				 
				Kein frecher Fremdling trotze sich 
				In diese Kreise ein, 
				Wir dulden's nicht. Wo Berge steh'n, 
				Muß Recht und Freiheit sein. 
				 
				Mit unsern Leichen füllen wir 
				Die engen Felsweg' an, 
				Daß nicht herein der stolze Feind 
				Mit Joch und Ketten kann. 
				 
				D'rum, Vaterland! wenn heimlich du 
				Im Schacht dein Eisen baust, 
				So denke mein, und stähle mir 
				Ein Schwert für meine Faust. 
				 
				Mich lockt nicht, wie ein töricht Kind 
				Der Waffen eitler Glanz, 
				Nach ihrem Klange sehn' ich mich 
				Beim wilden Schwertertanz. 
				 
				Und, wenn in's volle, heiße Herz 
				Der kühle Stahl mir fährt, 
				Jauchz' ich: Willkommen, süßer Tod! 
				Dein hab' ich lang' begehrt. 
				 
				
				Totengräberlied 
				 
				Wie doch so schnell der Mensch vergißt, 
				Daß er aus schlechtem Ton nur ist, 
				Und daß das Krüglein, wie man spricht, 
				Zum Brunnen wandert, bis es bricht. 
				 
				Wohl singt, und schreitet der Kaplan 
				Zum Kirchhof manchem Zug voran, 
				Und wandelt keck einher und hin, 
				Und bleibt am Ende selbst herin. 
				 
				Und ich, — ich grabe manches Grab, 
				Und steig' herauf, und steig' hinab; 
				Zu guter Letzt kommt doch ein Tag, 
				Wo ich nicht mehr heraus vermag. 
				 
				Gott Lob! mein Urteil fürcht' ich nicht; 
				Weil ja die Bibel selber spricht: 
				Wer Gräber denen Toten macht, 
				Der hat ein gutes Werk vollbracht. 
				 
				In Frau Louise W*s 
				Stammbuch 
				
				unter eine gewählte Harfe 
				 
				Sei mir Louise gegrüßt! die als Jungfrau liebte der Knabe, 
				Die als sittige Frau tiefer der Jüngling verehrt, 
				Möge dir niemand je des Lebens Harfe verstimmen, 
				Wie oft die Deinige ich einst als ein tändelndes Kind. 
				 
				
				Der Ertrunkene 
				 
				Als vom Ufer entfernt die stürmische Flut mich umher warf, 
				Glitt in fliegender Hast brausend ein Nachen heran. 
				Froh hin streckt' ich die Hand nach dem Lenker des rettenden 
				Bootes, 
				Weh! — und zu spät erkannt' Charon, den Finsteren, ich. 
				 
				Das Weinen 
				 
				Gar tröstlich kommt geronnen 
				Der Tränen heil'ger Quell 
				Recht wie ein Heilungs- Bronnen, 
				So bitter, heiß und hell. 
				Darum du Brust voll Wunden, 
				Voll Gram und stiller Pein', 
				Und willst du bald gesunden, 
				So tauche, da hinein. 
				 
				Es wohnt in diesen Wellen 
				Geheime Wunderkraft, 
				Die ist für wehe Stellen 
				Ein linder Balsamsaft. 
				Die wächst mit deinen Schmerzen, 
				Und fasset, hebt und rollt 
				Den bösen Stein vom Herzen, 
				Der dich zerdrücken wollt'. 
				 
				Das hab' ich selbst empfunden 
				Hier in dem Trauerland, 
				Wenn ich, vom Flor umwunden, 
				An lieben Gräbern stand. 
				Da schalt in irrem Wähnen 
				Ich selbst auf meinen Gott, 
				Es hielten nur die Tränen 
				Der Hoffnung Schiffchen flott. 
				 
				Drum, halt dich auch umfangen 
				Der Schwermut trübste Nacht, 
				Vertrau' in allem Bangen 
				Der Tränen Zaubermacht. 
				Bald, wenn vom heißen Weinen 
				Dir rot das Auge glüht, 
				Wird neu der Tag erscheinen; 
				Weil schon der Morgen blüht. 
				 
				 
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