Der
Lenz
Da kommt der Lenz, der schöne Junge,
Den Alles lieben muß,
Herein mit einem Freudensprunge,
Und lächelt seinen Gruß;
Und schickt sich gleich mit frohem Necken
Zu all' den Streichen an,
Die er auch sonst dem alten Recken,
Dem Winter, angetan.
Er gibt sie frei, die Bächlein alle,
Wie auch der Alte schilt,
Die der in seiner Eisesfalle
So streng gefangen hielt.
Schon zieh'n die Wellen flink von dannen
Mit Tänzen und Geschwätz,
Und spötteln über des Tyrannen
Zerronnenes Gesetz.
Den Jüngling freut es, wie die raschen
Hinlärmen durch's Gefild,
Und wie sie scherzend sich enthaschen
Sein aufgeblühtes Bild.
Froh lächelt seine Mutter Erde
Nach ihrem langen Harm;
Sie schlingt mit jubelnder Gebärde
Das Söhnlein in den Arm.
In ihren Busen greift der Lose
Und zieht ihr schmeichelnd keck
Das sanfte Veilchen und die Rose
Hervor aus dem Versteck.
Und sein geschmeidiges Gesinde
Schickt er zu Berg und Tal:
"Sagt, daß ich da bin, meine Winde,
Den Freunden allzumal!"
Er zieht das Herz an Liebesketten
Rasch über manche Kluft,
Und schleudert seine Singraketen,
Die Lerchen, in die Luft.
Liebesfeier
An ihren bunten Liedern klettert
Die Lerche selig in die Luft;
Ein Jubelchor von Sängern schmettert
Im Walde, voller Blüt' und Duft.
Da sind, so weit die Blicke gleiten,
Altäre festlich aufgebaut,
Und all' die tausend Herzen läuten
Zur Liebesfeier dringend laut.
Der Lenz hat Rosen angezündet
An Leuchtern von Smaragd im Dom;
Und jede Seele schwillt und mündet
Hinüber in den Opferstrom.
Der Gefangene
Was trug er
auch sein Haupt so frei, so stolz!
Wollt' edler sich, als seine Treiber fühlen!
"Der Hirsch" von
Schleifer
Der Frühling ist zu Berg und Tal gekommen,
Sein Freudenruf ist durch die Luft erklungen;
Kaum hat die Erd' im Schlafe ihn vernommen,
Hat sie vom Traume sich emporgerungen,
Der ihren Busen deckte bang und kalt.
In alle Fernen ist der Ruf gedrungen
Mit freundlicher, süßlockender Gewalt,
Daß ihres Nest's die Schwalbe nun gedenket,
Weit über's Meer zur trauten Hütte wallt,
Daß seinen Flug der Storch nun heimwärts lenket.
Verlassend schnell das Schilf im fernen Süden.
Die Blume blüht, der bunte Falter senket
Auf sie die Flügel hin, die wonnemüden;
Mit Blüten haben sich geschmückt die Bäume,
Daß sie zu Lieb' und Sang die Sänger lüden.
Schon singt und bringt uns Paradiesesträume
Im Blütenstrauche dort die Nachtigall;
Melodisch zieht der Bach durch Waldesräume,
Der Hirte flötet und der Widerhall;
Zur grünen Alpe kehrt die Herde wieder,
Weithin ertönt ihr froher Glockenschall.
Der Wildbach stürzt vom Klippenhange nieder,
Ein Freudentränenstrom, dem Lenz entgegen;
Froh sonnen sich der Alpe Felsenglieder
Im warmen Schein, der Frühling klimmt verwegen
Zum Schneeberg auf und ruft ihn jubelnd wach:
Der schüttelt sich den Winter ab, den trägen,
Und schleudert ihm Lawinendonner nach.
Voll Sehnsucht harrt er schon der Alpenrose,
Der holden Freundin, die der Lenz versprach,
Die jährlich ihn beschleicht auf weichem Moose. —
So zieht der Lenz herum in allen Gauen,
Verschwendet rings die schönen Freudenlose;
Doch Einen weiß ich, der ihn darf nicht schauen,
Und nicht, was Gott durch ihn gesandt, genießen,
Weil öde Kerkerwände ihn umgrauen,
Schmachvolle Fesseln ehern ihn umschließen.
Nicht hört er Vogelsang im Walde tönen,
Nicht sieht er, wie so schön die Blumen sprießen.
Er hört nur seinen eignen Jammer stöhnen,
Für Nachtigallensang und Taubengirren
Hört er die Wand sein Klagen wiederhöhnen,
Und, regt er sich, die Eisenkette klirren.
Kein Strahl des Frühlings konnte mit Erbarmen,
Ein süßer Tröster, sich zu ihm verirren.
Er darf an Gottes Sonne nicht erwarmen,
Die Nacht allein, das schwarze Ungeheuer,
Hat man mit eingesperrt zu diesem Armen.
In seinem Herzen brennt ein wildes Feuer
Von Rache, Schmerz, von unverdienter Schande,
Von Sehnsucht nach so Manchem, das ihm teuer.
Oft springt er auf, gejagt vom innern Brande,
Er flucht, er sucht sein Schwert, er will hinaus:
Doch Hohngelächter rasseln seine Bande,
Und felsenfest verschlossen bleibt das Haus.
Ermattet sinkt er auf das faule Stroh,
Und bitt'rer Wehmut weicht des Zornes Braus;
Dumpfschweigend sitzt er da, und starret so
Das schwarze Ungeheuer an, die Nacht.
Ob Stunde, Mond und Jahr vorüberfloh,
Er konnte dessen haben keine Acht;
Ihm wird in seiner dunkeln Haft die Zeit,
Die Glücklichen enteilt mit Sturmesmacht,
Zur gliederlosen, starren Ewigkeit.
Soll zahlen er sie wohl nach seinen Tränen?
Und messen, wie sie noch vom Grabe weit,
Nach dem Unendlichen, nach seinem Sehnen? —
Er wird sein hart Geschick nicht überdauern,
Und hofft er dies, es ist ein eitles Wähnen;
Denn "sterben soll er in den Kerkermauern!"
So klangen seines Richters finstre Worte,
Des Mannes ohne Mitleid und Bedauern.
Sein Flehen schlägt vergebens an die Pforte:
"Gib mir, o Gott, bevor das Herz mir bricht,
Nur einen Schritt aus diesem Qualenorte,
Nur noch ein Auge voll von deinem Licht!
Dann laß mich sterben immerhin zur Stelle,
Ich klage meiner Todesstunde nicht!
Mag dann mein Leichnam auf der Kerkerschwelle,
O Herr, an deinem Lichte noch sich sonnen!
So wie der müde Wandrer an der Quelle,
Schlaf' ich an deinem süßen Strahlenbronnen,
Und träume, was ich sterbend noch empfunden,
O Freiheit! Freiheit! alle deine Wonnen!" — —
Warum hat der ein solches Los gefunden? —
Er fleht umsonst, er hat zu viel verbrochen,
Hat sich des Allzukühnen unterwunden,
Hat Wahrheit dem Tyrannen laut gesprochen,
Und ihm erzählt der Menschheit bangen Fluch;
Er hat gerüttelt an den blut'gen Jochen.
Darauf verhänget der Gesetze Buch
Den Tod, — der Zwingherr hat es selbst geschrieben —
Ein jedes Blatt der Freiheit Leichentuch!
Und daß der Kühne lebend noch geblieben,
Dankt er allein des Herrschers milder Gnade;
Sie will zu schonen manchmal auch belieben,
Sie tötet ihn nicht plötzlich und gerade. —
Der Tor! er wollte Menschenliebe wagen,
Und wußte doch, daß sie den Donner lade,
Der in die Nacht sein Haupt nun hingeschlagen. —
Unheimlich wird dem Mörder dann zu Mute,
Bringt ihm ein Mahner aus vergang'nen Tagen
Das Kleid des Toten mit der Spur vom Blute,
Und hält ihm vor das bleiche Angesicht,
Was manches Jahr im Grabesdunkel ruhte.
Also behagt' es dem Tyrannen nicht,
Daß es gewagt der edle, kühne Tor,
Mit ihm zu gehen zürnend in's Gericht,
Die blut'ge Wahrheit ihm zu halten vor,
Das Kleid, so einst die schöne Freiheit trug,
Als sie gefühlt den vollen Freudenchor,
Eh' des Tyrannen Faust sie frech erschlug.
Da weckt mich einer Quelle nahes Rauschen
Zurück vom nächtlichen Gedankenflug.
Ich seh' das schlanke Reh im Dickicht lauschen,
Nun schrickt es auf, und fort ist seine Spur.
Süß mahnt mich, meinen Schmerz um Lust zu tauschen
Mit Blüten und Gesängen die Natur;
Doch kann ich's meiner Seele nimmer wehren,
Daß sie verfolge Trauerszenen nur,
Und sich für Blumen sammle bitt're Zähren;
Und in den Kerker dort zu Jenem wandre,
Dem Dulder, bis der Tod, sein heiß Begehren,
Aus einer Nacht ihn senket in die andre.
Asyl
Hohe Klippen, ringsgeschlossen,
Wenig kümmerliche Föhren,
Trübe flüsternde Genossen,
Die hier keinen Vogel hören;
Nichts vom lieblichen Gesange
In den schönen Frühlingszeiten,
Geiern wird es hier zu bange,
In so dunklen Einsamkeiten.
Weiches Moos am Felsgesteine,
Schwellend scheint es zu begehren:
Komm, o Wolke, weine, weine
Mir zu die geheimen Zähren!
Winde hauchen hier so leise,
Rätselstimmen tiefer Trauer,
Hier und dort die Blumenwaise
Zittert still im Abendschauer.
Und kein Bach nach diesen Gründen
Darf mit seinem Rauschen kommen,
Darf der Welt verratend künden,
Was er Stilles hier vernommen;
Denn die rauhen Felsen sorgen,
Daß noch eine Stätte bliebe,
Wo ausweinen kann verborgen
Eine unglückliche Liebe.
Trauer
Blumen, Vögel, duftend, singend,
Seid doch nicht so ausgelassen,
Ungestüm an's Herz mir dringend;
Laßt allein mich zieh'n die Straßen!
Vieles ist vorübergangen,
Seit wir uns zuletzt begegnet,
Und es hat von meinen Wangen
Meines Glückes Herbst geregnet.
Winter kam hereingeschlichen
In mein Herz, die Tränen starben,
Und schneeweiß sind mir erblichen
Alle grünen Hoffnungsfarben.
Blumen, Vögel, rings im Haine
All' ihr frohen Bundgenossen,
Mahnt mich nicht, daß ich alleine
Bin vom Frühling ausgeschlossen!
Frühlingsblicke
Durch den Wald, den dunklen, geht
Holde Frühlingsmorgenstunde,
Durch den Wald vom Himmel weht
Eine leise Liebeskunde.
Selig lauscht der grüne Baum,
Und er taucht mit allen Zweigen
In den schönen Frühlingstraum,
In den vollen Lebensreigen.
Blüht ein Blümlein irgendwo,
Wird's vom hellen Tau getränket,
Das einsame zittert froh,
Daß der Himmel sein gedenket.
In geheimer Laubesnacht
Wird des Vogels Herz getroffen
Von der großen Liebesmacht,
Und er singt ein süßes Hoffen.
All' das frohe Lenzgeschick
Nicht ein Wort des Himmels kündet,
Nur sein stummer, warmer Blick
Hat die Seligkeit entzündet.
Also in den Winterharm,
Der die Seele hielt bezwungen,
Ist ein Blick mir, still und warm,
Frühlingsmächtig eingedrungen.
Frühlingsgedränge
Frühlingskinder im bunten Gedränge,
Flatternde Blüten, duftende Hauche,
Schmachtende, jubelnde Liebesgesänge
Stürzen an's Herz mir aus jedem Strauche.
Frühlingskinder mein Herz umschwärmen,
Flüstern hinein mit schmeichelnden Worten,
Rufen hinein mit trunkenem Lärmen,
Rütteln an längst verschlossenen Pforten.
Frühlingskinder, mein Herz umringend,
Was doch sucht ihr darin so dringend?
Hab' ich's verraten euch jüngst im Traume,
Schlummernd unter dem Blütenbaume?
Brachten euch Morgenwinde die Sage,
Daß ich im Herzen eingeschlossen
Euren lieblichen Spielgenossen,
Heimlich und selig — ihr Bildnis trage?
Liebe und Vermählung
Erste Stimme
Sieh' dort den Berg mit seinem Wiesenhange,
Die Sonne hat verzehrend ihn durchglüht,
Und Strahl auf Strahl noch immer niedersprüht;
Wie sehnt er nach der Wolke sich so bange!
Dort schwebt sie schon in ihrem luft'gen Gange,
Auf deren Kuß die Blumenfreude blüht;
Wie flehend sich um ihre Neigung müht
Der Berg, daß sie sein Felsenarm umfange!
Sie kommt, sie naht, sie wird herniedersinken,
Er aber die Erquickungsreiche tief
Hinab in seinen heißen Busen trinken.
Und auferblüh'n in wonniger Beseelung
Wird, was an schönen Blüten in ihm schlief,
Ein treues Bild der Liebe, der Vermählung!
Zweite Stimme
Sieh' hier den Bach, anbei die Waldesrose.
Sie mögen dir vom Lieben und Vermählen
Die wandelbaren, täuschungsvollen Lose
Getreuer viel, als Berg und Wolk' erzählen.
Die Rose lauscht in's liebliche Getose,
Umsungen von des Haines süßen Kehlen,
Und ihr zu Füßen weint der Ruhelose,
Der immer naht, ihr immer doch zu fehlen.
Ein schönes Spiel! so lang der Frühling säumt,
Die Rose hold zum Bach hinunterträumt,
So lang ihr Bild in seinen Wellen zittert.
Wenn Sommersgluten sie vom Strauche jagen,
Wenn sie vom Bache wird davongetragen,
Dann ist sie welk, der Zauber ist verwittert!
Der Baum der Erinnerung
Ja, du bist es, blütenreicher
Baum, das ist dein süßer Hauch!
Ich auch bin's, nur etwas bleicher,
Etwas trauriger wohl auch.
Hinter deinen Blütenzweigen
Tönte Nachtigallenschlag,
Und die Holde war mein eigen,
Die an meinem Herzen lag.
Und wir meinten selig beide,
Und ich meint' es bis zur Stund',
Daß so herrlich du vor Freude
Blühtest über unsern Bund.
Treulos hat sie mich verlassen;
Doch du blüh'st wie dazumal,
Kannst dich freilich nicht befassen
Mit der fremden Liebesqual.
"Allzulieblich scheint die Sonne,
Weht der linde Maienwind,
Und das Blühen und die Wonne
Allzubald vergangen sind!"
Mahnend säuselnd mir die Lehre
Deine frohen Blüten zu;
Doch ungläubig fließt die Zähre,
Und mein Herz verlor die Ruh'.
Frühlings Tod
Warum, o Lüfte, flüstert ihr so bang?
Durch alle Haine weht die Trauerkunde,
Und störrisch klagt der trüben Welle Gang:
Das ist des holden Frühlings Todesstunde!
Der Himmel, finster und gewitterschwül,
Umhüllt sich tief, daß er sein Leid verhehle,
Und an des Lenzes grünem Sterbepfühl
Weint noch sein Kind, sein liebstes, Philomele.
Wenn so der Lenz frohlocket, schmerzlich ahnt
Das Herz sein Paradies, das uns verloren,
Und weil er uns zu laut daran gemahnt,
Mußt' ihn der heiße Sonnenpfeil durchbohren.
Der Himmel blitzt und Donnerwolken flieh'n,
Die lauten Stürme durch die Haine tosen;
Doch lächelnd stirbt der holde Lenz dahin,
Sein Herzblut still verströmend, seine Rosen.
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