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VI.
Reiseblätter

 

Wanderung im Gebirge
Die Heidelberger Ruine
Die schöne Sennin
Auf ein Faß zu Öhringen
Der Postillion
Die Rose der Erinnerung
Der Indianerzug
Die drei Indianer

 

Wanderung im Gebirge

                  Erinnerung

Du warst mir ein gar trauter, lieber
Geselle, komm', du schöner Tag,
Zieh noch einmal an mir vorüber,
Daß ich mich dein erfreuen mag!

                  Aufbruch

Des Himmels frohes Antlitz brannte
Schon von des Tages erstem Kuß,
Und durch das Morgensternlein sandte
Die Nacht mir ihren Scheidegruß:

Da griff ich nach dem Wanderstabe,
Sprach meinem Wirte: "Gott vergelt'
Die Ruhestatt, die milde Labe!"
Zog lustig weiter in die Welt.

                  Die Lerche

Froh summte nach der süßen Beute
Die Biene hin am Wiesensteg;
Die Lerche aus den Lüften streute
Mir ihre Lieder auf den Weg.

                  Der Eichwald

Ich trat in einen heilig düstern
Eichwald, da hört' ich leis' und lind
Ein Bächlein unter Blumen flüstern,
Wie das Gebet von einem Kind;

Und mich ergriff ein süßes Grauen,
Es rauscht' der Wald geheimnisvoll,
Als möcht' er mir was anvertrauen,
Das noch mein Herz nicht wissen soll;

Als möcht' er heimlich mir entdecken,
Was Gottes Liebe sinnt und will:
Doch schien er plötzlich zu erschrecken
Vor Gottes Näh' — und wurde still.

                  Der Hirte

Schon zog vom Wald' ich ferne wieder
Auf einer steilen Alpenwand;
Doch blickt' ich oft zu ihm hinnieder,
Bis mir sein letzter Wipfel schwand. —

Da irrten Küh' am Wiesenhange;
Der Hirte unter'm Kieferdach
Hing still bei ihrem Glockenklange
Dem Bilde seines Liebchens nach.

                  Einsamkeit

Schon seh' ich Hirt' und Herde nimmer,
Ein Lüftchen nur ist mein Geleit;
Der steile Pfad wird steiler immer,
Es wächst die wilde Einsamkeit.

Dort stürzt aus dunkler Felsenpforte
Der Quell mit einem bangen Schrei,
Enteilt dem grauenvollen Orte,
Hinab zum freundlich grünen Mai.

Verschwunden ist das letzte Leben,
Hier grünt kein Blatt, kein Vogel ruft,
Und selbst der Pfad scheint hier zu beben,
So zwischen Wand und Todeskluft.

Komm, Gottesleugner, Gott zu fühlen,
Dein Frevel wird auf diesem Rand
Den Todesabgrund tiefer wühlen,
Dir steiler türmen diese Wand! —

                  Die Ferne

Des Berges Gipfel war erschwungen,
Der trotzig in die Tiefe schaut.
Natur, von deinem Reiz durchdrungen,
Wie schlug mein Herz so frei, so laut!

Behaglich streckte dort das Land sich
In Eb'nen aus, weit, endlos weit,
Mit Türmen, Wald und Flur, und wand sich
Der Ströme Zier um's bunte Kleid:

Hier stieg es plötzlich und entschlossen
Empor, stets kühner himmelan,
Mit Eis und Schnee das Haupt umgossen,
Vertrat den Wolken ihre Bahn.

Bald hing mein Auge freudetrunken
Hier an den Felsen, schroff und wild;
Bald war die Seele still versunken
Dort in der Ferne Rätselbild.

Die dunkle Ferne sandte leise
Die Sehnsucht, ihre Schwester, mir,
Und rasch verfolgt' ich meine Reise
Den Berg hinab, zu ihr, zu ihr:

"Wie manchen Zauber mag es geben,
Den die Natur auch dort ersann;
Wie mancher Bied're mag dort leben,
Dem ich die Hand noch drücken kann!"

                  Das Gewitter

Noch immer lag ein tiefes Schweigen
Rings auf den Höh'n; doch plötzlich fuhr
Der Wind nun auf zum wilden Reigen,
Die sausende Gewitterspur.

Am Himmel eilt mit dumpfem Klange
Herauf der finst're Wolkenzug:
So nimmt der Zorn im heißen Drange
Den nächtlichen Gedankenflug. —

Der Himmel donnert seinen Hader;
Auf seiner dunklen Stirne glüht
Der Blitz hervor, die Zornesader,
Die Schrecken auf die Erde sprüht.

Der Regen stürzt in lauten Güssen;
Mit Bäumen, die der Sturm zerbrach,
Erbraust der Strom zu meinen Füßen; —
Doch schweigt der Donner allgemach.

Der Sturm läßt seine Flügel sinken,
Der Regen säuselt milde Ruh:
Da sah ich froh ein Hüttlein winken,
Und eilte seiner Pforte zu.

                  Der Schlaf

Ein Greis trat lächelnd mir entgegen,
Bot mir die Hand gedankenvoll,
Und hob sie dann empor zum Segen,
Der sanft vom Himmel niederquoll;

Und ich empfand es tief im Herzen,
Daß Zorn der Donner Gottes nicht;
Daß aus der Weste leichten Scherzen,
Wie aus Gewittern Liebe spricht.

Und einen Labebecher trank ich,
Und schlich, wohin die Ruh' mich rief,
Hinaus zur Scheune, müde sank ich
Hier in des Heues Duft — und schlief.

Was mich erfreut auf meinen Wegen,
Das träumt' ich nun im Schlafe nach,
Und träumend hört' ich, wie der Regen
Sanft niederträufelt' auf das Dach.

Süß träumt es sich in einer Scheune,
Wenn d'rauf der Regen leise klopft:
So mag sich's ruh'n im Totenschreine,
Auf den die Freundeszähre tropft.

                  Der Abend

Die Wolken waren fortgezogen,
Die Sonne strahlt' im Untergang,
Und am Gebirg der Regenbogen,
Als ich von meinem Lager sprang.

Da griff ich nach dem Wanderstabe,
Sprach meinem Wirt' ein herzlich Wort
Für Ruhestatt und milde Labe,
Und zog in stiller Dämm'rung fort.

Die Heidelberger Ruine

Freundlich grünen diese Hügel,
Heimlich rauscht es durch den Hain,
Spielen Laub und Mondenschein,
Weht des Todes leiser Flügel.

Wo nun Gras und Staude beben,
Hat in froher Kraft geblüht,
Ist zu Asche bald verglüht
Manches reiche Menschenleben.

Mag der Hügel noch so grünen;
Was dort die Ruine spricht
Mit verstörtem Angesicht,
Kann er nimmer doch versühnen.

Mit gleichgültiger Gebärde
Spielt die Blum' in Farb' und Duft,
Wo an einer Menschengruft
Ihren Jubel treibt die Erde.

Kann mein Herz vor Groll nicht hüten:
Ob sie holde Düfte weh'n,
Und mit stillem Zauber seh'n:
Kalt und roh sind diese Blüten.

Über ihrer Schwestern Leichen,
Die der rauhe Nord erschlug,
Nehmen sie den Freudenzug,
Gibt der Lenz sein Siegeszeichen.

Der Natur bewegte Kräfte
Eilen fort im Kampfgewühl;
Fremd ist weiches Mitgefühl
Ihrem rüstigen Geschäfte. —

Unten braust der Fluß im Tale,
Und der Häuser bunte Reih'n,
Buntes Leben schließend ein,
Schimmern hell im Mondenstrahle.

Auf den Frohen, der genießet,
Fest die Freude hält im Arm;
Auf den Trüben, der in Harm
Welkt, und Tränen viel vergießet;

Auf der Taten kühnen Fechter
Winkt hinab voll Bitterkeit
Die Ruine dort, der Zeit
Steinern stilles Hohngelächter. —

Doch hier klagt noch eine Seele.
Sei gegrüßt in deinem Strauch!
Sende mir den bangen Hauch,
Wunderbare Philomele!

Wohl verstehst du die Ruine,
Und du klagst es tief und laut,
Daß durch all' die Blüten schaut
Eine kalte Todesmiene;

Folgst dem Lenz auf seinen Zügen;
Treu zu warnen unser Herz
Vor der Täuschung bitt'rem Schmerz,
Straft ihn deine Stimme Lügen.

Doch — nun schweigst du, wie zu lauschen,
Ob in dieser Maiennacht
Heimlich nicht noch And'res wacht,
Als der Lüfte sanftes Rauschen.

Die der Tod hinweggenommen,
Die hier einst so glücklich war,
Der geschied'nen Seelen Schar,
Nachtigall, du hörst sie kommen;

Von den öden Schattenheiden
Rief des Frühlings mächtig Wort
Sie zurück zum schönen Ort
Ihrer frühverlass'nen Freuden.

An den vollen Blütenzweigen
Zieht dahin der Geisterschwall,
Wo du lauschest, Nachtigall,
Halten sie den stillen Reigen;

Und sie streifen, und sie drängen,
— Dir nur träumerisch bewußt —
Deine weiche, warme Brust,
Rühren sie zu süßen Klängen.

Selber können sie nicht künden,
Seit der Leib im Leichentuch,
Ihren nächtlichen Besuch
Diesen treugeliebten Gründen.

Nun sie wieder müssen eilen
In das öde Schattenreich,
Rufest du so dringend weich
Ihnen nach, sie möchten weilen. —

Blüten seh' ich niederschauern;
Die mein Klagen roh und kalt
Gegen die Gestorb'nen schalt,
Jetzo muß ich sie bedauern;

Denn mich dünkt, ihr frohes Drängen
Ist der Sehnsucht Weiterzieh'n,
Mit den Blüten, die dahin,
Um so bälder sich zu mengen.

Hat die leichten Blütenflocken
Hingeweht der Abendwind?
Ist des Frühlings zartes Kind
An dem Geisterzug erschrocken?

Die schöne Sennin

                       1.

Du Alpenkind, wie mild und klar
Strahlt mir dein blaues Augenpaar!
Wohl ist in diesen Himmelsnähen
Ein stilles Wunder einst geschehen.
In deiner Lämmer frohem Kreise
Hinknietest du, zu beten leise,
In heller Frühlingsmorgenstunde;
Mit Kindesblicken, innigfrommen,
War all dein Herz zu Gott geklommen:
Da sandte, freundlich dir begegnend,
Und deine fromme Seele segnend,
In's holde Auge dir zurück
Der Himmel einen warmen Blick,
Der sich vertieft in seinem Schimmer,
Geblieben ist, und scheidet nimmer.
O Sennin, sterblich! scheidet nimmer? —

                      2.

Als du warst, ein holdes Kind,
Wonniglich geschlafen ein,
Trug die Mutter leis und lind
Dich in jenen Blütenhain.

Dort auf ihrem Schlummerbaum'
Sangen Vöglein Abendsang,
Der in deinen Kindestraum
Sanft und lieblich schläfernd klang.

Und der Frühling nahte sich,
Grüßte dich mit lindem Hauch,
Freundlich segnend küßt' er dich,
Neigend seinen Rosenstrauch.

Seinen gold'nen Abendschein
Goß er dir auf's weiche Haar,
Auf die Lilienwangen dein
Legt' er leis' ein Rosenpaar.

Und der Mutter Augenlicht
Froh an deinem Schlummer hing,
Sah, wie dir am Angesicht
Still das Rosenpaar zerging.

Und des Frühlings Abendglanz
Wuchs am Haupt dir lang und voll,
Der im gold'nen Lockentanz
Auf den Busen niederquoll.

Sennin, o wie reizend blüht
Deine Wange, rosenrot,
D'rauf noch immer freudig glüht
Jener süße Rosentod!

Auf ein Faß zu Öhringen

Ich stand, der höchste, grünste Baum,
Vor Zeiten froh im Waldesraum.
Mir galt der Sonne erster Kuß,
Ich brachte, war sie schon geschieden,
Dem Wanderer zum Abendfrieden
Von ihr noch einen Purpurgruß.

Da sah mich einst der Küfer ragen,
Der kam und hat mich schnell erschlagen.
Ade! Ade! du grüner Hain!
Du Sonnenstrahl und Mondenschein!
Du Vogelsang und Wetterklang,
Der freudig mir zur Wurzel drang!
Die Waldeslust ist nun herum,
Ich wandre nach Elysium.
Ihr Bruderbäume, folgt mir nach
In dieses himmlische Gemach,
O nehmt das Los der Auserkornen
Von all den tausend Waldgebornen,
Das schöne Los, das große Los:
Tief in des Grundes kühlem Schoß
Ein Faß zu sein, ein Faß zu sein,
Nicht so ein still verlaßner Schrein!

Ein Faß, dem lieben Wein ergeben,
Der Erde heil'ges Herzblut hüllend,
Ein Trunk das ganze lange Leben,
Den Zecher durch und durch erfüllend!
Komm, komm, bewegter Erdengast,
Und halte hier vergnügte Rast.
Mach' dir das Herz im Weine flott,
Schenk ein! trink aus! merkst du den Gott?
Braust dir der Geist durch's Innre hin,
Von dem ich selber trunken bin?
Er ist so feurig, süß und stark:
O schlürf ihn ein in's tiefste Mark! —

Nun, Wandrer, wandre selig heiter
Von Faß zu Faß forttrinkend weiter!
Schon tauchen dir im Rosenlichte
Herauf gar liebliche Gesichte:
Manch teures längstverlor'nes Gut,
Die Träum' aus deinen Jugendjahren,
Sie kommen dir auf Weinesflut
Gar frisch und froh herangefahren.

Schenk ein! — Du fühlst die alten Triebe
Zu kühner Tat hinaus! hinaus!
Du gibst den ersten Kuß der Liebe;
Schenk ein! — Du stehst im Vaterhaus.
Wohl dir! wohl dir! schon bist du trunken,
Und Gram und Sorgen all' versunken;

Wir schützen dich, hier packt dich nicht
Ihr freches, quälendes Gezücht.
Wir stehen Faß an Faß zusammen
Und lassen unsre Waffen flammen,
Und heimlich hinter unsern Bäuchen
Muß dir die Zeit vorüberschleichen.

Schenk ein, schenk ein, nur immer zu!
Und hat der Gott dich ganz durchflossen,
Laß tragen dich von flinken Rossen
Nach dem Hesperien: Friedrichsruh.
Dort schwanke unter grünen Bäumen
Mit deiner Last von Himmelsträumen,
Und lausche dort den Harmonien,
Die durch den Zaubergarten fliehen.
Ein voller, stürmischer Akkord
Nimmt dich an seinen Geisterbord,
Irrt weit mit dir von hinnen, weit,
In's tiefe Meer der Trunkenheit! —

Der Postillion

Lieblich war die Maiennacht,
Silberwölklein flogen,
Ob der holden Frühlingspracht
Freudig hingezogen.

Schlummernd lagen Wies' und Hain,
Jeder Pfad verlassen;
Niemand als der Mondenschein
Wachte auf der Straßen.

Leise nur das Lüftchen sprach,
Und es zog gelinder
Durch das stille Schlafgemach
All der Frühlingskinder.

Heimlich nur das Bächlein schlich,
Denn der Blüten Träume
Dufteten gar wonniglich
Durch die stillen Räume.

Rauher war mein Postillion,
Ließ die Geißel knallen,
Über Berg und Tal davon
Frisch sein Horn erschallen.

Und von flinken Rossen vier
Scholl der Hufe Schlagen,
Die durch's blühende Revier
Trabten mit Behagen.

Wald und Flur im schnellen Zug
Kaum gegrüßt — gemieden;
Und vorbei, wie Traumesflug
Schwand der Dörfer Frieden.

Mitten in dem Maienglück
Lag ein Kirchhof innen,
Der den raschen Wanderblick
Hielt zu ernstem Sinnen.

Hingelehnt an Bergesrand
War die bleiche Mauer,
Und das Kreuzbild Gottes stand
Hoch, in stummer Trauer.

Schwager ritt auf seiner Bahn
Stiller jetzt und trüber;
Und die Rosse hielt er an,
Sah zum Kreuz hinüber:

"Halten muß hier Roß und Rad,
Mag's euch nicht gefährden:
D'rüben liegt mein Kamerad
In der kühlen Erden!

Ein gar herzlieber Gesell!
Herr 's ist ewig Schade!
Keiner blies das Horn so hell,
Wie mein Kamerade!

Hier ich immer halten muß,
Dem dort unter'm Rasen
Zum getreuen Brudergruß
Sein Leiblied zu blasen!"

Und dem Kirchhof sandt' er zu
Frohe Wandersänge,
Daß es in die Grabesruh'
Seinem Bruder dränge.

Und des Hornes heller Ton
Klang vom Berge wieder,
Ob der tote Postillion
Stimmt in seine Lieder. —

Weiter ging's durch Feld und Hag
Mit verhängtem Zügel;
Lang mir noch im Ohre lag
Jener Klang vom Hügel.

Die Rose der Erinnerung

Als treulos ich das teure Land verließ,
Wo mir, wie nirgend sonst, die Freude blühte,
Mich selbst verstoßend aus dem Paradies
Voll Freundesliebe, holder Frauengüte;

Und als ich stand zum ernsten Scheidegruß
An meiner Freuden maiengrünem Saume,
Als mir im Auge quoll der Tränenguß,
Wie warmer Regen nach dem Frühlingstraume:

Da bog sich mir zum Lebewohl herab
Der reichsten einer von den Blütenzweigen,
Der freundlich mir noch eine Rose gab:
Mein Herz verstand sein liebevolles Schweigen.

"Nicht in den Staub, o Freund, hier weine hin,
Hier auf die weichen Blätter dieser Rose!"
Das war der stummen Gabe milder Sinn;
Und schmerzlich rasch folgt' ich dem Wanderlose.

In fremde Welten fuhr mich der Pilot,
Vom teuren Lande trennen mich nun Meere;
Und wie mir einst das Lebewohl gebot,
Netz' ich die Blume mit getreuer Zähre.

Der Rose inniglicher Duft entschwand,
Es ging die frische Farbenglut verbleichen;
Sie ruht so blaß und starr in meiner Hand,
Des Unverwelklichen ein welkes Zeichen.

Des Unverwelklichen? — sie rauscht so bang,
Will meine Hand die Rose wiederwecken;
Als wär' es ein prophetisch trüber Klang,
Hör' ich den Laut mit heimlichem Erschrecken.

O Rose, der Erinnerung geweiht!
Mir dünket deiner welken Blätter Rauschen
Ein leises Schreiten der Vergänglichkeit,
Hörbar geworden plötzlich meinem Lauschen!

Der Indianerzug

                           1.

Wehklage hallt am Susquehannah-Ufer,
Der Wandrer fühlt sie tief sein Herz durchschneiden.
Wer sind die lauten, wildbewegten Rufer?
Indianer sind's, die von der Heimat scheiden.

Doch plötzlich ihre lauten Klagen stocken.
Der Häuptling naht mit heftig raschem Tritte,
Ein Greis von finstern Augen, bleichen Locken,
Und also tönt sein Wort in ihrer Mitte:

"Stets weiter drängen uns, als ihre Herde,
Stets weiter, weiter, die verfluchten Weißen,
Die kommen sind, uns von der Muttererde
Und von den alten Göttern fortzureißen.

Mir ist es klar, ich seh's im Licht der Flamme,
Die mir das Herz verbrennt mit wildem Nagen:
Sie brachten uns das Heil am Kreuzesstamme,
Den Mut zur Rache an das Kreuz zu schlagen.

Den Wald, wo wir den Kindesschlaf genossen,
Verlassen wir, der uns sein Wild geboten;
Wo liebend wir ein teures Weib umschlossen;
Den Wald, wo wir begraben unsre Toten.

Naht ihr den Gräbern euch von euren Ahnen,
Sei still von euch die Hügelschar beschlichen,
Die Toten nicht zu wecken und zu mahnen,
Daß wir von ihrem Glauben sind gewichen.

Der Hohn wird kommen, früher oder später,
Der gier'ge Pflug wird in die Gräber dringen;
Dann muß die heil'ge Asche unsrer Väter
Des tiefverhaßten Feindes Saaten düngen!" —

Nun feiern sie der Toten Angedenken;
Die Sonn' im Westen wandelt ihre Neige,
Die Gräber noch bestrahlend, und sie senken
Viel Tränen d'rauf und grüne Tannenzweige.

Da bricht die Wehmut plötzlich ihre Hemmung,
Sie strömet laut und lauter in die Lüfte,
Schon braust des Schmerzes volle Überschwemmung
In wilden Klagen um die stummen Grüfte.

Nun wenden sich zur Wandrung die Vertriebnen,
Oft grüßend noch zurück mit finst'rem Sehnen
Die teuren Hügel der Zurückgebliebnen,
Bestreuend ihre Bahn mit Flüchen, Tränen.

Wie sie vorüberwandern an den Bäumen,
Umarmend viele an die Stämme fallen,
Zum Scheidegruß den trauten Waldesräumen
Läßt jeder einmal noch die Flinte knallen. —

Der Flintenruf, der Ruf gerührter Kehlen
Ist an den Hügeln allgemach verrauschet,
Wo nur dem Klagehauch der Totenseelen
Die Dämmerung, die stille, tiefe, lauschet.

                           2.

Viel Meilen schon sind sie dahingezogen,
Der Susquehannah treibt an ihrer Seite
Mit heimatlichem Rauschen seine Wogen,
Der treue Freund gab ihnen sein Geleite.

Den heißen Trieb, vom Feinde, dem verhaßten,
Fort, fort zu flieh'n mit wilden Fluchesklängen,
Kann nur der müde Schlaf zu kurzem Rasten
Aus ihren Gliedern allgemach verdrängen.

Ihr Feuer brennt im Dunkel hoher Eichen,
Da ruh'n die Gäste rings der Waldeswüste,
Da legt der Mann sich hin, dem Schlaf zu weichen,
Die Mutter ihren Säugling an die Brüste.

Schon sinkt das Feuer, und die sommerschwülen
Nachtlüfte sich im Eichenlaub verfangen,
Und frei durch's lange Haar der Weiber wühlen,
Die schlafend ihren Säugling überhangen.

Der graue Führer nur verbannt den Schlummer,
Und einer noch der ältesten vom Stamme;
Die sprechen lange noch von ihrem Kummer,
Von Zeit zu Zeit nachschürend an der Flamme.

Sie schau'n durch's dünnere Gedräng' der Bäume
Zurück nach dem verlornen Mutterlande,
Und zürnend schau'n sie dort die Himmelsräume
Rotglühend hell von einem Waldesbrande.

Und also spricht der Häuptling zum Gefährten:
"Siehst du sie morden dort in unsre Wälder?
Getrost in unsres Unglücks frische Fährten
Zieh'n sie den Pflug für ihre Segensfelder.

Sie haben frech die Nacht vom Schlaf empöret,
Daß sie sich mit dem Flammenkleide schürzet:
Hoch brennt der Wald, vom Lager aufgestöret,
Das Wild verzweifelnd aus den Gluten stürzet.

Gewecket von des Wildes Wehgeheule,
Und von dem falschen Tageslicht betrogen,
Kommt schwirrend rings heran mit trunk'ner Eile
Der Vögel Schwarm in seinen Tod geflogen.

Gewiß, gewiß, mit ihren Saaten wuchern
Die Wünsche auch, die sie darunter streuen
Von ihren unversöhnlichen Verfluchern;
Es wird sie noch an spätem Tag gereuen!"

Noch starren die Betrübten, Tieferbosten
Hinüber nach des Brandes rotem Scheine,
Als der zerfließt im Morgenrot von Osten,
Und schon die Wipfel glüh'n im regen Haine.

Die drei Indianer

Mächtig zürnt der Himmel im Gewitter,
Schmettert manche Rieseneich' in Splitter,
Übertönt des Niagara Stimme,
Und mit seiner Blitze Flammenruten
Peitscht er schneller die beschäumten Fluten,
Daß sie stürzen mit empörtem Grimme.

Indianer steh'n am lauten Strande,
Lauschen nach dem wilden Wogenbrande,
Nach des Waldes bangem Sterbgestöhne;
Greis der eine, mit ergrautem Haare,
Aufrecht überragend seine Jahre,
Die zwei andern seine starken Söhne.

Seine Söhne jetzt der Greis betrachtet,
Und sein Blick sich dunkler jetzt umnachtet,
Als die Wolken, die den Himmel schwärzen,
Und sein Aug' versendet wild're Blitze,
Als das Wetter durch die Wolkenritze,
Und er spricht aus tief empörtem Herzen:

"Fluch den Weißen! ihren letzten Spuren!
Jeder Welle Fluch, worauf sie fuhren,
Die einst Bettler unsern Strand erklettert!
Fluch dem Windhauch, dienstbar ihrem Schiffe!
Hundert Flüche jedem Felsenriffe,
Der sie nicht hat in den Grund geschmettert!

Täglich über's Meer in wilder Eile
Fliegen ihre Schiffe, gift'ge Pfeile,
Treffen unsre Küste mit Verderben.
Nichts hat uns die Räuberbrut gelassen,
Als im Herzen tödlich bittres Hassen:
Kommt, ihr Kinder, kommt, wir wollen sterben!"

Also sprach der Alte, und sie schneiden
Ihren Nachen von des Ufers Weiden,
D'rauf sie nach des Stromes Mitte ringen;
Und nun werfen sie weithin die Ruder,
Armverschlungen Vater, Sohn und Bruder
Stimmen an, ihr Sterbelied zu singen.
Laut ununterbroch'ne Donner krachen,
Blitze flattern: um den Todesnachen,
Ihn umtaumeln Möwen, sturmesmunter;
Und die Männer kommen festentschlossen
Singend schon dem Falle zugeschossen,
Stürzen jetzt den Katarakt hinunter.