An
J. Klemm
O säume nicht, mit Wein, Gesang und Kosen
Dein Herz zu frischen! sieh, die Jugend flicht
In deinen Strauß schon ihre letzten Rosen,
Bald wendet sie das holde Angesicht,
Und flieht und schwindet tief und tiefer immer
Im Hain Vergangenheit — und kehret nimmer.
Dann gilt's, empor zur Lebenshöh' zu dringen,
Dann hörst du hinter dir im Blütental
Das: "gaudeamus igitur!" verklingen,
Und deine Bahn wird glühend, schroff und kahl:
Am Strauße, den die Jugend dir gewunden,
Ist bald so Duft wie Farbenpracht verschwunden.
Und wall'st du einst zur Abendherberg' nieder,
Tränkt kühler Tau den welken Blumenstrauß,
Dann blüht er neu mit Duft und Farbe wieder;
Du setzest müde dich vor's stille Haus,
Spielst mit dem Strauß, dem Kinde schöner Zeiten,
Und schlummerst ein, — die Blumen dir entgleiten.
Zuflucht
Tut man Kindern was zu Leide,
Flieh'n zur Mutter sie voll Schrecken,
Sich in ihrem Faltenkleide
Vor dem Quäler zu verstecken.
Weiche Herzen bleiben Kinder
All' ihr Leben, und es falle
Ihnen auch das Los gelinder,
Als den Herzen von Metalle.
Jagt sie Unglück, wie zum Fluche,
Flieh'n sie bang und immer bänger,
Bis sie hinter'm Leichentuche
Sich verbergen ihrem Dränger.
Der Greis
Durch Blüten winket der Abendstern,
Ein Lüftchen spielte im Gezweige;
Der Greis genießt im Garten so gern
Des Tages süße Neige.
Dort seine Enkel, sie jagen frisch
Im Grase hin und wieder;
Die Vöglein singen im Gebüsch
Nun ihre Schlummerlieder.
Es lieben Kinder und Vögelein,
— Die Glücklichsten auf Erden! —
Bevor sie Abends schlafen ein,
Noch einmal laut zu werden.
Da schlängelt der schnelle Kinderkreis
Sich blühend durch blühende Bäume,
Sie gaukeln um den stillen Greis
Wie selige Jugendträume.
Sein Auge folgt am Wiesenplan
Der Unschuld fröhlichen Streichen;
Da jauchzt ein Knabe zu ihm heran,
Ihm eine Blume zu reichen.
Der Alte nimmt sie lächelnd hin
Und streichelt den schönen Jungen,
Und will liebkosend ihn näher zieh'n;
Der aber ist wieder entsprungen.
Und wie der Greis nun die Blume hält,
Und ansieht immer genauer,
Ihn ernstes Sinnen überfällt,
Halb Freud' und milde Trauer.
Er hält die Blume so inniglich.
Die ihm das Kind erkoren,
Als hätte seine Seele sich
Ganz in die Blume verloren.
Als fühlt' er sich gar nah verwandt
Der Blume, erdentsprossen,
Als hätte die Blum' ihn leise genannt
Ihren lieben, trauten Genossen.
Schon spürt er im Innern keimen wohl
Das stille Pflanzenleben,
Das bald aus seinem Hügel soll
In Blumen sich erheben.
Unbeständigkeit
Daß ich dies und das beginne,
Heute g'rad und morgen quer,
Gegen das, was heut' ich minne,
Morgen richte Spieß und Speer:
Sollte das so sehr dich wundern,
Du mein konsequenter Mann?!
Keiner von den Erdenplundern
Lange mich behalten kann!
Heute bin ich zum Exempel
Ganz ein Metaphysikus;
Morgen schallt in Themis Tempel
Mein unsteter Menschenfuß.
Heute steh' ich Nachts am Giebel,
Suche Jungfrau, Stier und Bär;
Morgen les' ich in der Bibel,
Übermorgen im Homer.
Blickt mein Geist im Wissensdrange
Durch ein Fenster in die Welt;
O dann paßt er auch nicht lange,
Sieht er d'rinnen nichts erhellt;
Und er guckt zu einem andern
In die finstre Welt hinein;
Muß von hier auch weiter wandern,
Nirgends auch nur Lampenschein!
Freilich, wenn du unabwendig
Starrest in dasselbe Loch,
Wird's vor deinem Blick lebendig,
Dein Ausharren lohnt sich doch;
Denn die Augen dir erlahmen,
Und Gespenster malen sich
In des Fensters leeren Rahmen:
Und man nennt den Weisen dich!
Abendheimkehr
Sein Bündel Holz am Rücken bringt
Der Arme heimgetragen;
Der frohe Knecht die Geißel schwingt
Am erntevollen Wagen.
Die milchbelad'ne Herde wiegt
Sich in die trauten Ställe;
Mit Scherz und Kuß zur Dirne fliegt
Der lustige Geselle.
Von Feld und Walde pfeift nach Haus
Der Jäger dort, der rasche,
Und Has' und Wachtel guckt heraus,
Zu prahlen, aus der Tasche.
Den Dichter sieht man aus der Nacht
Der Eichen selig schwanken:
Er taumelt heim mit seiner Tracht
Unsterblicher Gedanken.
Vanitas
Eitles Trachten, eitles Ringen
Frißt dein bißchen Leben auf,
Bis die Abendglocken klingen,
Still dann steht der tolle Lauf.
Gastlich bot dir auf der Reise
Die Natur ihr Heiligtum;
Doch du stäudtest fort im Gleise,
Sahst nach ihr dich gar nicht um.
Blütenduft und Nachtigallen,
Mädchenkuß und Freundeswort
Riefen dich in ihre Hallen;
Doch du jagtest fort und fort.
Eine Törin dir zur Seite
Trieb mit dir ein arges Spiel,
Wies dir stets in's graue Weite:
"Siehst du, Freund, dort glänzt das Ziel!"
War es Gold, war's Macht und Ehre,
Was sie schmeichelnd dir verhieß:
Kunstgriff war's nur der Hetäre,
Eitel Tand ist das und dies.
Sieh! noch winkt sie dir in's Weite,
Und du wardst ein alter Knab'!
Nun entschlüpft dir dein Geleite,
Und du stehst allein — am Grab.
Kannst nicht trocknen mehr die Stirne,
Da du mit dem Tode ringst;
Hörst nur ferne noch der Dirne
Hohngelächter — und versinkst!
Fragmente
Der Jüngling
Der Jüngling stoßt vom Strand im leichten Kahne,
Die Sehnsucht hat die Segel ihm gebreitet;
Wie rasch im Fantasien-Ozeane,
Von Westen fortgekost, dahin er gleitet!
Schon weht auf neuen Welten seine Fahne,
Wo selig er durch Paradiese schreitet,
Und Blumen pflückt, wie nimmer sie geboren
Im reichsten Lenz die heimatlichen Horen.
"Willkommen, Jüngling, von der fernen Reise!"
Begrüßt ihn tückisch wieder nun das Leben,
Und kosend naht ein Weib, unmerklich leise
Der Liebe Gaukelmacht um ihn zu weben.
Sie hält ihn festgebannt in ihrem Kreise
Mit Seufzerformeln, heuchelndem Ergeben:
Froh schmückt er ihr mit seinen Traumes-Blüten
Die Brust, um welche Todes-Lüfte brüten.
Der falsche Freund
"O sei mein Freund!" so schallt's vom Heuchelmunde
Dem Falschen, der mit heimlichem Behagen
Den Vorteil überzählt von solchem Bunde.
Du traust ihm, und — schon hast du eingeschlagen,
Ein edler Tor! naht einst die Wetterstunde,
So siehst den Schurken du mit bleichem Zagen
In seines Ich's bequeme Hütte springen,
Hinausgesperrt magst mit dem Sturm du ringen.
Die schlimme Jagd
Das edle Wild der Freiheit scharf zu hetzen,
Durchstöbert eine finst're Jägerbande
Mit Blutgewehren, stillen Meuchelnetzen
Der Wälder Heiligtum im deutschen Lande.
Das Wild mag über Ström' und Klüfte setzen,
Und klettern mag's am steilen Klippenrande:
Der Waidruf schallt durch Felsen, Ström' und Klüfte,
Empört verschleudern ihn die deutschen Lüfte.
Der feile Dichter
Die Muse muß zur Metze sich erniedern,
Der Dichter sendet sie zum Mäzenaten,
Und, frechgeschürzt, mit schaugestellten Gliedern,
Der Göttlichkeit vergessend, tief entraten,
Umtanzt sie ihn mit schnöden Schmeichelliedern,
Liebäugelnd mit den blinkenden Dukaten.
Sie muß den Gott in ihm zum Schlaf betören,
Das Tier zur wilden Glut und Flamm' empören.
Auf einen Professor philosophiae
Seht ihr den Mann mit stäubender Perücke?
Wie sprudelt ihm die hochgelahrte Kehle!
Seht, an der morschen Syllogismen-Krücke
Hinkt Gott in seine Welt; die Menschenseele
Ist ewig, denn sie ist aus einem Stücke;
Und daß der Argumente keines fehle,
Hat er ein weises ergo noch gesprochen:
Der Mensch ist frei, die Fesseln sind gebrochen!
Theismus und Offenbarung
Vom Saatenfeld die Lerche zieht
Froh himmelwärts mit ihrem Lied;
Die Stolze meidet Busch und Baum,
Der Blüten schönen Frühlingstraum
Durch deren säuselndes Gewimmel
Hereinblickt der gebroch'ne Himmel.
Sie sucht den vollen Morgenschein,
Sie will bei ihren Liederfesten.
Dem Himmel auch von Blütenästen,
Entgegen nicht gehalten sein.
Doch sucht die holde Nachtigall
Der Blüten heimliche Verwahrung:
Ihr weckt den süßern Liederschall
Der Liebe Frühlingsoffenbarung.
Abmahnung
Laßt ab, laßt ab, bauwütig rauhe Leute,
Und störet mir die liebe Stelle nimmer,
Wo spielend sich des Städtchens Jugend freute
In seines Glückes flücht'gem Morgenschimmer.
Hier spielten eure Väter, eure Ahnen,
Hier hat sie abgerufen einst das Leben
Aus seines Ernstes dornenvolle Bahnen.
O wollet euch der Stelle fromm begeben!
Wohl heilig ist zu achten solche Stätte,
Wo sich vom Ahn zum fernen Kind gewunden
Der Jugendspiele gold'ne Freudenkette,
Wo viele lebten ihre liebsten Stunden.
Doch wollt ihr bauen, bauet Kirchhofwände,
Daß man den Toten hier zu seinem Grabe,
Zugleich zur Stätte seiner Jugend sende,
Daß er sein Bestes hier beisammen habe! —
Warnung und Wunsch
Lebe nicht so schnell und stürmisch.
Sieh den holden Frühling prangen,
Höre seine Wonnelieder.
Ach, wie bleich sind deine Wangen!
Welkt die Rose, kehrt sie wieder,
Mit den lauen Frühlingswinden
Kehren auch die Nachtigallen;
Werden sie dich wiederfinden? —
"Könnt' ich leben also innig,
Feurig, rasch, und ungebunden,
Wie das Leben jenes Blitzes,
Der dort im Gebirg verschwunden!"
Waldestrost
Im Walde schleicht ein alter Mann,
Allein mit seinem Leid.
Er ist so ärmlich angetan
Mit einem Lodenkleid.
Er blickt so traurig um sich her,
An seinen Stab gelehnt:
Dem Manne ist's im Herzen schwer,
Wonach er wohl sich sehnt?
Den Bäumen nimmt der Herbst das Laub,
Der Tod im Walde tost,
Der Alte starret in den Staub,
Als sucht' er dort sich Trost.
Vom Dickicht rauscht vor ihn ein Reh,
Und hält, und will nicht flieh'n,
Als wär's gerührt von seinem Weh,
Als wollt' es trösten ihn.
Schau tief dem Reh, du armer Mann,
In seinen Kindesblick,
Vielleicht dir dieser lindern kann
Dein trauriges Geschick!
Der Unentbehrliche
Könnt' ich tausendfach mich teilen,
Schnell mit allen Winden eilen,
Überall zugleich zu walten,
Wo's die Welt gilt zu gestalten!
Würden nicht durch meine Kräfte
Rasch gedeih'n der Zeit Geschäfte?
Doch, so läßt mich mein Geschick
Schauen nur im Zeitungsblick
Ohne mich in fernen Reichen
Die verlass'nen Völker schleichen!
Von den Sternen möcht' ich wissen,
Ob sie mich nicht schwer vermissen?
An Fräulein
Charlotte von Bauer
bei
Übersendung meiner Gedichte
Laß dich von dem bunten Häuflein
Meiner Herzenskinder grüßen!
Ist darunter auch ein Teuflein,
Schmiegt es sich zu deinen Füßen.
Wenige davon sind munter,
Und die meisten werden kommen
Ernst und mürrisch, Kopf vorunter;
Doch es fehlt auch nicht an frommen.
Aber wenn dir von dem Völklein
Hier die tollen und verweg'nen,
Dort leichtfertige begegnen,
Wie verblas'ne Pfeifenwölklein;
Oder wenn dir meine Kleinen
Plötzlich oft zusammenschaudern,
Gar zu viel vom Tode plaudern,
Wenn sie dir im Hause weinen:
Greife mächtig in's Klavier,
Zauberin im Klangrevier,
All den Braus mit deinen Tönen
Mildmelodisch zu versöhnen.
Könnt' ich dann dich still belauschen,
Wie der Töne rasche Wellen
Unter deinen Fingern quellen,
Und bewundernd dich umrauschen! —
Schwärmer
Diese Blumen ohne Duft und Farben,
Und von ihr, an deren Brust sie starben,
In den Staub geworfen und vergessen,
Magst du sie noch an die Lippen pressen?
Soll die Blüte ihnen wiederkehren,
Daß du sie betaust mit Liebeszähren?
Schwärmer, den ein welkes Blatt entzückt,
Das im Spiel ein schönes Kind zerknickt!
"Schwärmer! denkst du noch an jene Leiche?
O wie mochtest du die welke, bleiche
Überweinen und zur Lippe pressen!
War sie nicht verlassen und vergessen
Von der schönen Seel' in flücht'ger Eile,
Die damit gespielet kurze Weile?" —
An einen Langweiligen
Unnahbar sind die Mächte, unbezwingbar,
Die dir getreu, gleich Sklaven, schwerbejochten,
An deine Ferse, deinen Wink geflochten,
Zu mächtig schier, als daß sie mir besingbar.
Mein Saitenspiel auch darf nur zagend hoffen,
Von ihrem Sieg zu bleiben ungetroffen.
Doch Tyrannei ist Mutter der Empörung;
D'rum wagt' ich einst mit lustigen Gesellen,
Gemacht, den Kater Cato selbst zu prellen
Um einen Schwank, — wir wagten die Verschwörung,
Uns in der Schenk' an deinen Tisch zu setzen,
Mit Scherz und Witz dich einmal scharf zu hetzen.
Weh uns! da quoll der Murmelbach der Rede
Hervor aus deines Kopfes finst'rer Nacht,
Und uns're plänkelnde Vorpostenwacht,
Der Scherz, der Witz erlagen in der Fehde;
Von Wassergeistern ward der Witz umnebelt,
Von ihnen ward im Hui! der Scherz geknebelt.
Da trat, für uns zu Schmach und argem Spotte,
Die hohe Fürstin der Dämonenschar,
Mit faulen Schritten, trägem Zottelhaar,
Es trat aus deines Hirnes Felsengrotte
Die Langeweile, griff uns ohne Gnade,
Des Murmelbaches gähnende Najade.
Stille Sicherheit
Horch, wie still es wird im dunkeln Hain,
Mädchen, wir sind sicher und allein.
Still versäuselt hier am Wiesenhang
Schon der Abendglocke müder Klang.
Auf den Blumen, die sich dir verneigt,
Schlief das letzte Lüftchen ein und schweigt.
Sagen darf ich dir, wir sind allein,
Daß mein Herz ist ewig, ewig dein!
Waldgang
Ich ging an deiner Seite
In einem Buchenhaine;
Ein störendes Geleite
Ließ nimmer uns alleine.
Und mußten wir zurücke
In's Herz die Worte pressen,
Uns sagten uns're Blicke,
Daß wir uns nicht vergessen.
Und seh'n wir uns nicht wieder
In diesem Erdenleben,
Dich werden meine Lieder
Verherrlichend umschweben.
Das Bächlein trieb hinunter
Der Wellen rasche Tänze,
Und rauschend flocht und bunter
Der Herbst der Wehmut Kränze.
Doch aus des Wald's Verdüstern,
Den Stimmen des Vergehens,
Hört' ich die Hoffnung flüstern
Des ew'gen Wiedersehens.
Scheideblick
Als ein unergründlich Wonnemeer
Strahlte mir dein tiefer Seelenblick;
Scheiden mußt' ich ohne Wiederkehr,
Und ich habe scheidend all mein Glück
Still versenkt in dieses tiefe Meer.
Bestattung
Schöner Jüngling, bist als Held gefallen,
Sieg und Ruhm in deiner letzten Stunde
Fächeln dir die heiße Todeswunde,
D'raus die Seele muß von hinnen wallen.
An den Schultern narbenvolle Viere
Tragen dich auf deinen Grabeswegen,
Zu der Trommel trauerdumpfen Schlägen
Folgen finster deine Grenadiere.
Schöner Jüngling, dir am Grabe schallen
Ehrend die Kanonen ihr Geschmetter,
Wie im Walde sommerschwüle Wetter
Auf den toten Frühling niederhallen!
Lebewohl an Eugenie
Lebewohl! ach, jene Abendstunde,
Und mein Glück ist schnell verrauscht,
Wie das holde Wort aus deinem Munde,
Dem mein zitternd Herz gelauscht,
Wie der Wellen dunkle Sprachen,
Die umbrausten unsern Nachen.
Lebewohl! kein räuberisch Geschicke
Meinem Herzen rauben kann,
Wie in deinem seelentiefen Blicke
Auf mein Glück der Himmel sann.
Stund' und Welle rauschten nieder,
Und wir sehen uns nicht wieder!
Aus!
Ob jeder Freude seh' ich schweben
Neu Geier bald, der sie bedroht.
Was ich geliebt, gesucht im Leben,
Es ist verloren, oder tot.
Fortriß der Tod in seinem Grimme
Von meinem Glück die letzte Spur:
Das Menschenherz hat keine Stimme
Im finstern Rate der Natur.
Ich will nicht länger töricht haschen
Nach trüber Fluten hellem Schaum,
Hab' aus den Augen mir gewaschen
Mit Tränen scharf den letzten Traum.
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