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Gedichte 3
 

Wahre Prophezeiung
Frühlingstod
Seemannssage
Rheinlied
Auf der Alpe
Ein Traumgesicht
Thalia
Lidofahrt
Heimkehr
Dichterrache
Kamoens
Alte Sitte
Die Zigeunerfamilie
Die Obstverkäuferin

Ersatz
Der Savoyardenknabe
Himmelsgegenden — Lebensstufen
Treue
Cythere
Das Ghasel
In frühern Tagen

Aufgegebene Freiheit
Der Scheidebrief

 

Wahre Prophezeiung


Du brachst am Scheidetage
Mit ungestümer Hand
Vom fahlen Nelkenhage
Dein letztes Liebespfand.

Du sprachst: Wie diese Nelken
Verblasse mein Gesicht,
Soll dieser Mund verwelken,
Wenn er die Treue bricht.

Ich bin hinweggegangen,
Und langsam war mein Tritt
Sprich, wie viel Parasangen
Hielt deine Treue Schritt?

Dein Herz war leicht zu rühren,
Und du warst überfroh,
Daß nicht mit deinen Schwüren
Dein Wangenschmelz entfloh.

Ein Mund nur ließ die Farben
Und wurde nie mehr rot;
Denn meine Lippen starben
Den frühen Nelkentod.


Frühlingstod

Der Sommer rüstet sich feindlich,
Zu stürzen des Lenzes Reich,
Wie feige Krieger werden
Die Blumen schreckensbleich.

Vergebens keilt sich in Massen
Die stämmige Eichenarmee —
Die glühenden Winde lichten
Das dichte Laubquarree.

Unlöschbar wie Brandraketen
Fällt sengend der Sonnenstrahl
Auf Halme, Blüten und Blumen,
Und fahl wird Berg und Tal.

Vergebens schlägt sich der Frühling —
Bewältigter Held entflieh!
Schon kracht verderblich vom Himmel
Die Donnerbatterie.


Der Blitz, der gaukelnde Reiter,
Umkreist mit flammendem Speer
Auf schwarzem Wolkenrosse
Das müde Blumenheer!

Flieh, unglückseliger König!
Was starrst du noch himmelwärts?
Schon fährt die tödliche Lanze
Dir tief ins blumige Herz.

Rings liegen geknickte Nelken —
Ist's Blut, das der Rasen trank?
Ist's, Lenz, der Purpurmantel
Der deinen Schultern entsank?


Seemannssage

Kristallenes Eis bedeckt ein ödes Eiland,
Im höchsten Norden wie ein Leichenstein,
Der schaurig Kunde gibt: Hier senkte weiland
Der Frost den schönen König Frühling ein.


Doch wie die Goten Gold und Edelsteine
Und Kronen senkten in ein Königsgrab,
Auf daß ihr Häuptling noch im Totenschreine
Besitzen möge, was sein Glück ihm gab:

So fanden, wie die Sage spricht, Matrosen
Dorthingeführt durch Stürme oder Mut,
Verkohlte Palmen, längstverwelkte Rosen
Im Eis geschmolzen durch des Sommers Glut.


Vergilbten süßen Briefen zu vergleichen,
Die einst der Lenz der jungen Insel schrieb —
Ein Pfand der Liebe, das der altersbleichen
Verschrumpften Braut als letzter Trost verblieb.

Was fragst du noch, seekund'ge Amazone,
Den Busen eingehüllt in dreifach Erz,
Um jenes Eiland in der kalten Zone? —
Dir schwante längst, es sei mein eignes Herz.

Wer aber ist der wagliche Matrose
Vom Sturm getragen an den fernen Strand?
"Vielleicht du selbst." Und jene welke Rose?
"Gewiß ein Brief von deiner lieben Hand."

O lande oft noch an der öden Küste,
Ob sturmverschlagen, ob kolumbuskühn,
Und schleudre in die eisgedielte Wüste
Den letzten goldnen Traum von Lenz und Grün!

Rheinlied

Aus finstrer Felsenspalte
Der Quell sich furchtsam wagt,
Verstohlen wie Liebesblicke,
Wie Waisentränen verzagt.

Bald stört die Waldesstille
Ein leiser murmelnder Bach,
Ein Kind, das mühsam die ersten
Noch sinnlosen Laute sprach.

Rasch stürzt er von Gletscher zu Gletscher,
Ei — was er für Sätze wagt,
Ein schlittschuhlaufender Knabe,
Der über die Teiche jagt.

Wildbäche vereinen sich rauschend
Mit seiner perlenden Flut —
So wächst die Kraft mit den Jahren
Und mit den Jahren der Mut.

Nun stürzt er donnernd und brausend
Vom letzten Felsengrat —
Ein Jüngling, der sich lärmend
Hindrängt zur ersten Tat.


Der See mit kristallnen Wogen
Verschlingt den schäumenden Fluß —
So stürzt an's Herz der Geliebten
Der Jüngling zum ersten Kuß.

Von weißem Arm umfangen
Vergißt er sich und die Welt,
Und träumt, daß seinem Glücke
Nur bloß die Ewigkeit fehlt.

Da fällt der Regen in Strömen,
Rasch wächst der Wasserschwall;
Vergebens kittet der Dörfling
Aus Steinen den schirmenden Wall.

Die Felder bedeckt das Wasser,
So weit das Auge schaut —
Sagt, waren allen Dämme
Auf Weibertreue gebaut?

Sprich, bist du, rasender Strudel,
Das Bild unzähmbarer Kraft,
Und schilderst im riesigen Maßstab
Die menschliche Leidenschaft? —

Die Zeit macht alles eben —
Der Fluß wird ruhig und still,
Auf seinem Silberrücken
Schifft sicher, wer schiffen will.

Dort zieht in zierlicher Gondel
Ein froher Studentenschwarm,
Sie haben die Freude im Herzen,
Ihr Mädchen Arm in Arm.

Dort lenken Fruchtverkäufer
Zum Strand ihr ärmliches Floß,
Und preisen die Süße der Träne,
Die perlend die Rebe vergoß.

Dampfbote kommen geflogen
Wie Schwalben frank und frei,
Und bringen fremde Waren
Und fremde Sitten herbei.

Und bringen aus Albions Häfen
Uns Hunde aus fernem Land,
Wo Gummi tropft von den Bäumen
Und Gold sich birgt im Sand.

Wie stolz auf dem Tannenverdecke
Der Mast, der riesige, ruht,
Als ob er sich prahlend rühme:
Ich bin das Zepter der Flut.

O Mannheit, Epoche des Wirkens,
Die Tage nach Taten zählt!
Wie schade, daß dir an Dauer
Die Kimmung die Waage hält!

Weit fliegen zurück die Ufer,
Der Fluß wird breit, aber flach;
Die Wellen fließen langsam
Wie Stunden der Trauer und Schmach.

Versiegen wie Witwentränen,
Versickern allmählig im Sand;
Kaum findet das Auge die Welle,
Wo Fluß und Strömung verschwand.

Was sprichst du am Krückenstabe
Geschwätzig wie ein Kind,
Verkümmerter Greis, von Tagen,
Die längst vergessen sind?

Schon pfühlt man dein Sterbelager,
Und schmerzlos schlummerst du ein —
Von Taten, die du vollbrachtest,
Steht nichts auf dem Leichenstein.

Auf der Alpe

Um Alpenfirnen wehen kalte Lüfte.
Und ihre Rosen wissen nicht um Düfte,
So wie ein Weib, an einen Greis gebunden,
Vergessen lernt der Liebe süße Stunden.

Kein Vogel singt umbraust vom Sturm aus Norden,
Die Lerche selbst ist alpenflüchtig worden,
Und nur ein Wandrer keucht am Wanderstabe:
Ich habe wohl nicht weit zu meinem — Grabe.

Da drängt der Frost sein Blut aus allen Poren —
Er wankt — er sinkt — dumpf schlägt an seine Ohren
Der Glockenklang aus fernem grünen Tale —
Ein Trauerlied an einem Leichenmale.

Ich habe, Alpe, viel mit dir gemeinsam:
Ein Leben rosenduftlos, gletschereinsam,
Und daß mein Blut, aus tiefster Brust entquollen,
Die Menschen oft für Lieder halten wollen.

Ein Traumgesicht

In meine Träume tritt in Mitternächten
Ein schlankes Weib, die Wangen fieberheiß,
Doch kreidebleich, als ob sie Kunde brächten
Von einem Schmerz, der keine Tröstung weiß.

Die Stimme schaurig wie das Angstgeflüster
Am Siechbett, drauf ein Menschenauge bricht,
Das blaue Auge träumrisch, tränendüster —
In Veilchentau gefangnes Mondenlicht.

Ich kenne dich, du warst mein erstes Lieben,
Mein Glück erkrankte, starb an deinem Kuß;
Du hast den Brief der Fehme mir geschrieben,
Dem Leid versippte mich dein Scheidegruß.

Doch längst vergaß ich, Kind, dein Schmerzvermächtnis,
Dein römisch todeskaltes "Paetus nimm!"
Ans Kreuz geschlagen hab' ich mein Gedächtnis,
Denn schuldig sprach es der Pilatus: Grimm.

Zwar wuschen Tränen, Tröstung mir zu schenken,
Die blut'ge Hand, die streng dies Urteil schrieb,
Doch Leiche blieb das bittre Deingedenken —
Drum bleibst du ewig tot für mich, mein Lieb.

Drum tritt nicht bettlerkühn in stiller Stunde
In meine Träume, tu nicht so vertraut;
Des Tales Söhne luden mich zum Bunde,
Und Menschheit heißt des Dichterlehrlings Braut.

Sie frägt um Rosen nicht, sie fordert Saaten,
Übt Gärtnerpflicht an einem Riesenbaum —
Der Baum heißt Wirken, seine Frucht sind Taten;
Drum nochmals, Weib, hinweg aus meinem Traum!

Du zitterst nicht? dein Auge blickt voll Hoheit
Und meines bebt wie ein Rebellenknecht,
Der dreist geprahlt mit angestammter Rohheit,
Und weibisch zagt beim Rufe zum Gefecht.

Die Stimme früher zaghaft, ach! so zaghaft,
Wie kaum ein Sünder fleht am Hochgericht,
Wird plötzlich herrisch, amazonenwaghaft,
Und zürnt mir: "Bleicher Sänger prahle nicht!

Denn wie der Glut des ersten Sonnenstrahles
Im Lenz verpflichtet ist die junge Saat,
So bleibst du mir verschuldet, Sohn des Tales,
Denn ewig bleib' ich deine erste Tat."

Thalia

Mit des Sumpfes grünem Schilfe
Flüstert dumpf der Abendwind,
Fast als riefe bang um Hilfe
Ein verirrtes, scheues Kind.

Und doch will es mich befallen,
Höhnisch strebe Halm und Rohr,
Durch die Welt den Ruf zu hallen:
Midas trägt ein Eselsohr.

Griechin mit dem bittern Lächeln,
Mit dem Blick halb Spott, halb Schmerz,
Ziehst du nicht — ein Westwindfächeln —
Statt durch Schilf, durchs Menschenherz?

Spottest du nicht tausendtönig
Der verkappten Eitelkeit,
Und entlarvst den stolzen König
Midas: Unsinn unsrer Zeit?

Lidofahrt

Die schwarze Gondel schwankt auf den Lagunen,
Gleich einer Wiege, d'rin ein Säugling ruht;
Der blasse Mondstrahl schreibt in Silberrunen
Deutsame Märchen auf die grüne Flut.

Mir ist, als sei ich selbst ein Kind geworden,
Das wundersamen Sagen lauscht und glaubt;
Mir ist, als schwimme an des Schiffes Borden
Ein nasses Weib, die Haare schilfumlaubt.

Ein goldner Ring schmückt seinen weißen Finger,
Ein Ring, geschmückt mit einem Demantstein,
Wie ihn vor grauer Zeit der Seebezwinger
Vom Butentauro warf ins Meer hinein.

Ein trübes Lied entbebt dem roten Munde
Von einem Adler, der zum Meere flog,
Und Südlands weißen Schwan zum Liebesbunde
Aus seinem lauen Elemente zog. —

Von einer Braut karthagischen Geschlechtes,
Die weinend grollt dem nord'schen Bräutigam,
Der seekrank sich begab des Dreizackrechtes,
Das er durch sie als Mitgift überkam.

Ich lausche sangbezaubert — ein Matrose,
Dem sieghaft schmachtend die Sirene winkt;
Da wirft der junge Tag die erste Rose
Auf Strand und Flut — das Wasserweib versinkt.

Nun taucht die Sonne aus dem Ozeane,
Am Lido schießt die Gondel rasch vorbei:
Am Wachthaus schwankt die gelb und schwarze Fahne,
Ein Dolmetsch für das Lied der Wasserfei.

Heimkehr

Ich habe stolze Schönheit viel gelitten,
Seit mich als Bannstrahl traf dein letzter Blick,
Nun ist's vorbei, nun hab' ich rasch durchschritten
Die Wüste schmerzbesandet: Mißgeschick.

Nun kehr' ich heim von meiner langen Reise,
Du blickst mich an, halb grollend, halb gerührt,
Und forderst nun, daß ich den Paß dir weise,
Der selbst Verbrecher in die Heimat führt.

Den bring' ich mit, den hat der Tod geschrieben,
Der kreideweiß auf meine Lippen schlich;
Ich weiß es wohl, du kannst mich nicht mehr lieben;
Doch weinen, weinen darfst du über mich.

So wie am Abend schüchtern die Gazelle
Hinstürzt zum Quell am stillen Bergesschacht,
Und Labung findet in der Silberwelle:
So komm' auch ich vor meiner langen Nacht.

So laß' mich stürzen durch die blauen Augen
In deine Seele, eh' ich scheiden muß,
Von deinen frommen Lippen laß mich saugen
Die letzte Ölung — einen letzten Kuß!

Dichterrache

Laub bedeckt die Waldesräume,
Und die Nacht wird kühl und lang,
Aber durch der Rose Träume
Hallt noch oft ein trüber Klang
Bang wie Nachtigallensang.

Wenn die Nächte kühl und lang,
Schmuggelt in der Rose Träume
Die Erinn'rung diesen Klang,
Wenn auch längst nicht Lied noch Sang
Flüstert durch die Waldesräume.

Blasses Kind, durch deine Träume
Hallt wohl auch ein trüber Klang;
Bang wie Nachtigallensang
Zieht durch stille Waldesräume,
Eh die Nächte kühl und lang.

Kennst du meiner Stimme Klang,
Meines Herzens trüben Sang,
Der durch ferne Waldesräume
Rauscht und doch oft Nächtelang
Schreckhaft bebt durch deine Träume?

Bang, wie Nachtigallensang
Zieht durch stille Waldesräume,
Soll durchs Herz dir lebenslang
Wie ein Nachhall böser Träume
Zittern meiner Stimme Klang.

Kamoens

Wer bist du, kranker Mann mit hundert Falten,
Mit Wangen, deren Röte längst verblich?
Fast möcht' ich sie für einen Fehmbrief halten,
Drauf Freude schrieb: Hinweg! Ich ächte dich!

Die welke Hand ruht kraftlos auf der Krücke,
Und höhnisch fragt der grübelnde Verstand:
Ist dies der Wanderstab, dem flücht'gen Glücke
Zu folgen über alles Meer und Land?

Die Augen blicken furchtsam und verstohlen
Wie ein Spion, der kaum der Haft entrann;
Sie sagten gern der Sonne: Gottbefohlen,
Die ihre Tränen nicht mehr trocknen kann.

Und dennoch siehst du auf die klugen Leute
Verächtlich, wie der kranke Löwe blickt,
Wenn ängstlich belfernd eine feige Meute
Ihm schnöde Drohung aus der Ferne schickt.

"Was kümmert euch des Fremden tiefes Leiden
Und sein verweintes, trübes Angesicht?
Wer, was er liebte, trauernd mußte meiden,
Den kümmern's wenig, was der Pöbel spricht.

Ich war ein Dichter in vergangnen Tagen,
Und meine Lieder sang man allerwärts,
Bis mir das Schicksal in der Brust zerschlagen
Das süße Saitenspiel — das warme Herz.

Siehst du im Fichtenwalde dort die Eiche,
Noch immer ragt sie hoch und stolz empor,
Obgleich sie schlimmversengt vom Wetterstreiche
Ihr grünes Blut, ihr frisches Laub verlor.

Da steht sie nun so freudenlos und einsam
Mit morschen Zweigen, längst vergilbtem Blatt,
Und doch zufrieden, daß sie nichts gemeinsam
Mit jenem schwanken Nadelholze hat."

Alte Sitte

Bunte Straußenfederkronen
Schenken Negernationen
Kühnen Häuptern ihres Krals.
Rajah's, die am Indus thronen,
Winden um den Turban Shwals.
Des Chinesen Tat belohnen
Mützenknöpfe bunt und hell;
In den schneebedeckten Zonen
Ziert als Putz das Renntierfell.
In dem Wigwam des Huronen
Dient die Schädelhaut als Schmuck.
Stämme, die in Wüsten wohnen,
Rühmen wie der Mameluk
Bei dem Trank der braunen Bohnen
Ihrer Pfeifenrohre Pracht.
Alte Sitte muß man schonen:
Spötter nimm dich d'rum in Acht,
"Orden" höhnisch zu betonen!

Die Zigeunerfamilie

Den Himmel räumt die Wolkenkarawane
Dem Beispiel folgsam, das die Sonne gab;
Nur eine Wolke prangt als Trauerfahne
In Westen auf des toten Tages Grab.

Der Vogelsang verstummt im Waldgefilde,
Im Walde schwankt der Eiche Riesenast,
Daß sich aus Laub die grüne Wiege bilde,
Drin Fink und Meise pflegt der nächtgen Rast.

Im Grase summt ein froher Schwarm Zikaden
Das Lied: "wir leben in den Tag hinein;"
Im Moose lagern friedlich die Nomaden,
Als wollten sie Zikadenbrüder sein.

Die gelbe Mutter kauert vor der Hürde,
Und kocht, was sie erwarb durch Trug und List,
Und weist in Haltung und Gesicht die Würde,
Die alten Blocksbergschwestern eigen ist.

Der jüngste Bube stahl des Vaters Pfeife,
Und schmaucht, daß man zu glauben wird versucht,
Er wisse viel von unsrer Jugend Reife,
Die schon in Windeln liebelt, raucht und flucht.

Der Vater scharrt entsetzlich auf der Geige,
Das Söhnlein bläst abscheulich falsch das Rohr,
Und doch befällt es mein Gemüt, als steige
Ein kummervolles Lied zu Gott empor.

Zigeunervater, streiche nur die Fiedel,
Und sprich zu deinem braunen Sohn im Sang;
Wenn du beendet hast das alte Liedel,
So will ich deuten seinen trüben Klang.

Du sprachst auf deiner Geige: Keine Bande
Verknüpfen mit der Menschheit uns, mein Kind,
Wir ziehen heimatlos durch alle Lande,
Wie dürre Blätter treibt im Herbst der Wind,

Wir haben keine Rechte bei den Blanken,
Nur einen bösen Titel "Galgenbrut,"
Und keine Blume darf das Grab umranken,
Das Grab, in welchem der Zigeuner ruht.

Nur in der Schenke, wenn die Cymbals hallen,
Da blickt man brüderlich den Fiedler an;
Doch neu befällt, sobald sie nicht mehr schallen,
Die weißen Tänzer der verjährte Wahn.

Bihari, alter brauner Geigenkönig,
Vergessen kann dich nimmer dein Geschlecht!
Nur deine Weise, süß und wundertönig,
Gibt deinem Volk auf Stunden Menschenrecht!

Die Obstverkäuferin

Du trägst zur Stadt des Sommers erste Früchte
Und duft'ge Blumen, tannenschlankes Kind?
Betracht' ich dich, so glaub' ich dem Gerüchte,
Daß Frucht und Rose deine Schwestern sind.

Die Haare weich, doch dunkel wie die Stunde,
In welcher sich ins Herz die Sünde stiehlt,
Die Lippen — trägst du Nelken in dem Munde,
Sprich, ist's dein Mund, was ich für Nelken hielt?

Die Wangen, Rosen eben aufgegangen,
Das Auge glühend, wie am längsten Tag,
Der Sonnenstrahl — die Zähne Perlenstangen,
Die keusche Brust ein Pfirsichblütenhag.

Mein Kind, mein holdes Kind, du darfst es wagen,
So viele Kenntnis hab' ich als Blumist,
Des Sommers Kinder auf den Markt zu tragen,
Weil du die schönste seiner Töchter bist.

Er mag die Flur mit Safranfirnis malen,
Dein Mund ist röter, duft'ger bleibt dein Gruß.
Er mag mit Kirschen und Melonen prahlen,
Sie werden nie so süß sein wie dein Kuß.

So wolle sorgenlos die Stadt durchstreichen,
Nur Eines, blöde Maid, vergiß mir nicht,
Das Weib sei deshalb Rosen zu vergleichen;
Weil man sein Herz so leicht wie diese bricht.

Du lächelst, Kind, du meinst, du müßtest lieben!
So teile denn das trübe Weiberlos,
Und wenn der Schmelz der Wangen aufgerieben,
Und gleichst du ganz der Rose Jericho's —

Der gelben Rose, deren Farbenhelle,
Erst wiederkehrt, wenn sie im Wasser ruht;
So frische dein Gesicht im wärmsten Quelle —
Der Quell heißt Auge, Träne seine Flut!

Ersatz

Wetterwolken flieh'n am Himmel
Wie ein Heer bedeckt mit Schmach,
Und der Sturm rauscht seine Flüche
Höhnisch den Besiegten nach.

Tiefe Stille folgt dem Sturme,
Wie der Friede folgt auf Krieg;
Doch man sieht's auf Feld und Anger
Blutig ward erkauft der Sieg.

Trübe Wasserbäche ziehen
Durch die Flur im raschen Lauf,
Und des Hages weiße Rosen
Schwimmen still als Leichen drauf.

Eine Linde schüttelt Tropfen
Auf den knospenleeren Hag —
Sind die Tropfen Muttertränen,
Ist der Hag ein Sarkophag?

Als ein unumschränkter Herrscher
Blickt der Mond herab ins Tal,
Wirft ein heimgekehrter Sieger
Auf die Flur den Silberstrahl.

Armer Fürst, mit Silbermünze
Willst du tilgen Leid und Schmerz,
Leid und Schmerz, den deine Schlachten,
Warfen in ein Mutterherz?!

Der Savoyardenknabe

Du drückst so fest an deine Brust den Affen,
Als sei er dir ein Freund, ein lieber Gast,
Nicht Spielzeug bloß, dir Zehrung zu verschaffen
Auf deinen Wandergängen sonder Rast.

Wie kam in dein Gesicht das frohe Lächeln,
Ins Antlitz, drauf der Kummer Furchen zog,
Dies Lächeln ähnlich einem Westwindfächeln,
Das über eine eis'ge Steppe flog?

Dein Affe nickt und träumt von Dattelzweigen,
Vom Silberquell auf fernem Inselland,
Wo ihm noch frei, dem Menschen nicht leibeigen
Die Jugend wie ein Amokrausch entschwand.

Wo er mit braunbehaarten Pavianen
Viel Schwänke trieb, durch Palmenwälder lief,
Und Nachts in grüner Wiege auf Platanen
Nach süßem Mandelvesperbrot entschlief.

Das ist vorbei! Im roten Tressenkleide
Seiltanzend, Sprünge wagend, knutenbang,
Erhält er dich, die Bruderschaft im Leide,
In Durst und Hunger auf dem Wandergang.

Du selbst gedenkst der grünen frischen Feigen,
Des Honigseimes im Chamounytal,
So deine Hand, wies kühnen Knaben eigen
Aus deines reichen Nachbars Garten stahl.

Du denkst der muntern kleinen Spielgenossen,
Die mit dir streitend liefen alpenwärts,
Bis Abends, sanft vom Mutterarm umschlossen,
Der Traum sein goldnes Glück dir warf ins Herz.

Das ist vorbei! die Mutter ist begraben;
Das Silber, das dir fremde Gnade bot,
Das Mitleid soll's geprägt aus Tränen haben
Die sie aus Angst um dich vergoß im Tod.

Nun irrst du heimatlos auf fremden Matten
Wie dein Begleiter elend, bettelarm,
Und treu wie er, viel treuer als dein Schatten,
Hält Schritt mit Euch durch alles Land der Harm.

Nun weiß ich mir dein Lächeln zu erklären —
Das stärkste Band, das Herzen binden kann,
Ist jenes aus Asbest versteinter Zähren,
Das gleicher Kummer, gleiches Elend spann.

Himmelsgegenden — Lebensstufen

                      Ost: Kind.

Das "Werde" tönt: den schönen Erdenring
Begrüßt entpuppt der Menschenschmetterling;
Der Mutterbusen ist sein Lilienhügel,
Und "Sorgenlos" so nennt man seinen Flügel.

                      Süd: Jüngling.

Die Sonne brennt: ein flammender Komet
Das Jünglingsherz. "Tod dem, der widersteht!
O daß die Welt noch nicht erschaffen wäre,
Zu klein ist jede andre Wirkenssphäre."

                      West: Mann.

Die Sonne trinkt bereits des Meeres Schaum;
"Von Rosen hatt' ich einen flücht'gen Traum;
Doch Abends deckt der Hoffnung grüne Matten
Gigantisch der Erfahrung dunkler Schatten."

                      Nord: Greis.

S'ist aus! der Scheitel — einst gelockt — nun kahl,
Irrwisch das Auge, sonst ein Wetterstrahl.
Das alte Herz ein ausgebrannter Stern —
Mich dünkt, es flüstert dumpf: Ich bräche gern.

Treue

Einst stand ein Palmensprosse
Auf einem Felsenkamm,
Bei ihm als Spielgenosse
Ein hoher Zedernstamm.

Stolz rauschten ihre Zweige,
Dies Rauschen sagte klar:
Auf steilem Felsensteige
Steht treu ein liebend Paar.

Braust wild am Felsenhange
Der Sturm, der Wälderfeind,
Die Palmenbraut, die bange,
Beschirmt ihr Zedernfreund.

Dem Schützer sendet dankbar
Die Palme Duft um Duft,
Sobald für Düfte gangbar
Und ruhig wird die Luft.

So stehn sie froh im Walde
Durch Jahre Ast in Ast;
Doch endlich schwankt die Halde
Wie müde ihrer Last.

Der längst ihr Glück beneidet,
Der Felsen spaltet sich,
Und breiter Abgrund scheidet,
Was keinem Sturme wich.

Doch fruchtlos bleibt die Tücke
So breit die Kluft auch ist,
Aus Zweigen eine Brücke
Wölbt rasch der Liebe List.

Der schlanken Stämme jeder
Folgt seinem alten Trieb,
Und rauschend küßt die Zeder
Wie sonst ihr Palmenlieb.

Cythere

Wer bist du Weib? die eingestürzte Wange
Macht aller Welt ein tiefes Elend klar;
Doch seh' ich auch an deinem stolzen Gange,
Daß keine Bettlerin dir Mutter war.

Zwar schwärzt dein Antlitz jene dunkle Schichte,
Die Folge ist von Wind und Sonnenbrand;
Doch was an Schnee zerschmolz im Samtgesichte,
Glänzt doppelt weiß auf deiner kleinen Hand. —

Zwar schrieb der Gram mit mancher tiefen Falte
Auf deine Stirn das Mal der Dürftigkeit;
Doch um die Lippen zuckt noch stets das alte,
Vornehme Lächeln aus der Krösuszeit.

Aus deinem Auge trüb und eingefallen
Strahlt jene angeborne Majestät,
Die mit dem Blick rebellische Vasallen
Zum Zittern bringt, und heißes Blut verrät.

Verlumptes Weib, woher du stammst, verkünde!
Vergilbt, verfallen ist dein Angesicht,
Und blieb doch schön wie eine Jugendsünde,
Von der man noch als Greis mit Wonne spricht.

"Ich komme her aus einem fernen Lande,
Die eignen Sklaven haben mich verbannt;
Sie stahlen mir des Nachts die Goldgewande,
Und haben meinen Tempel abgebrannt.

Verloren hat ihr Diadem Cythere,
Ihr Dach ist jetzt das blaue Himmelszelt,
Und landesflüchtig, eine Bajadere,
Durchirrt sie heimatlos die weite Welt.

Ich klopfte bettlerscheu an manche Pforte,
Doch immer traten kluge Leute vor,
Und sagten luthernüchtern mir die Worte:
Daß Liebe längst ihr Heil'genrecht verlor.

Da steh' ich nun im abgeriss'nen Kleide,
Das Herz verzagt, das Auge tränenvoll,
Und nimmst du zärtlich Teil an meinem Leide,
So flüst're mir, was ich beginnen soll."

Der Geist des Wuchers herrscht in unsern Tagen,
Gestürzte Göttin, richte dich danach;
Aus deinen Küssen lasse Münzen schlagen,
Und stelle Wechsel aus auf Weh und Ach.

Laß dich beschneiden, Griechin, werde Jude,
Und feilsche Thron und Purpur dir zurück —
Das Menschenherz sei deine Schacherbude,
Und deine Ware heiße Lebensglück.
 
Das Ghasel

Die Nachtigall aus persischem Geblüte, das Ghasel,
Die Rose die am Rocknabade blühte, das Ghasel —
Was habt ihr sie versetzt in dies vom Nord durchstürmte Land?
Zusagt nur glutbegeistertem Gemüte das Ghasel;
Hier diesen kalten Menschen schien es Schwulst und leerer Tand,
Wenn flammend der Begeistrung Funken sprühte das Ghasel.
Sie wußten nie den Demant aus des Liedes tiefstem Schacht
Zu schätzen ganz nach seines Wassers Güte — das Ghasel.
Stets hat den Blick, der nicht gewohnt des Ostens Farbenpracht,
Geblendet die zu reiche Blumenblüte, das Ghasel;
Hier hatte selbst dein Wunderbecher nie berauscht, Dschemschid.
Was Wunder, daß man kalt blieb, wo es glühte, das Ghasel.
So schlugen geistigtot sie manchen Dichter und sein Lied:
Allah vor solchen Lesern stets behüte das Ghasel!


In frühern Tagen

In meinem Herzen war es dunkle Nacht in frühern Tagen,
Da hast du mir als Morgenstern gelacht in schönern Tagen.
Ich war ein schlanker Palmenbaum, entlaubt vom Wetterstrahl;
Als Epheu hast du ihm das Grün gebracht in heitern Tagen.
Ich war ein Rosenstrauch im südlich warmen Gangestal;
Du hast als Nachtigall ihn treu bewacht in wärmern Tagen.
Ich war ein Lied voll Glut und Kampfbegier, doch rauh und wild;
Du hast's melodisch als Gesang gemacht in mildern Tagen.
Ich lag im langen, tiefen Schlaf, ein steinern Memnonsbild,
Auf deinen Sonnengruß bin ich erwacht in hellern Tagen.
Ich war ein Siegelring aus hellem Gold getrieben ganz,
Da hobst du als Rubin der Fassung Pracht in reichern Tagen.
Ich war ein Meer, zur Sturmeszeit bewegt vom Wellentanz,
Aus dem als Perle Liebe dich gebracht in stillern Tagen.
Ich war in arger Zeit ein Kranker, dem das Glück gefehlt;
Da nahmst als Arzt du liebend mich in Acht in bösen Tagen.
War ein Kometenbrand — Brand einer bahnverschlagnen Welt,
Du warst die Windsbraut, die ihn angefacht in heißern Tagen.
Ich war ein Traum der Märchenzeit — ein Traum aus Ginnistan,

In dem ich dich mir als Peri gedacht in Wundertagen.
Ich war ein Gott, wenn auch dein Sklave und dein Untertan;
Zu beiden hatte mich dein Kuß gemacht in Liebestagen.


Aufgegebene Freiheit

Vöglein klagt im goldnen Bauer um der Freiheit Glück,
Ist gefangen — all sein Bangen, sein Verlangen
Drückt es aus im Lied der Trauer um der Freiheit Glück.
Schmerzlich seufzt der Negersklave nach der Freiheit Glück,
Seine zage, düstre Klage, spricht am Tage,
Und er träumt wohl selbst im Schlafe von der Freiheit Glück.
Mancher starb auf seinem Schilde für der Freiheit Glück,
Hat sein Leben ohne Beben hingegeben
Auf dem blut'gen Schlachtgefilde für der Freiheit Glück;
Ich nur bin — sonst pochend immer auf der Freiheit Glück —
Nicht aus Schlingen, die mich fingen, loszuringen;
Schönheit, dich vergeß ich nimmer, leicht der Freiheit Glück.


Der Scheidebrief

Du schriebst mir kalt mit wohlbekannter Hand: "Wir sind geschieden,
Zerrissen ist das duftgewobne Band — wir sind geschieden!
Zerstoben ist der wundervolle Traum, der mich berückt,
Und dichte Asche deckt den Flammenbrand — wir sind geschieden!
Die Blumen, die ich einst in wärm'rer Zeit für dich gepflückt,
Gib mir zurück; was soll der Treue Pfand, da wir geschieden?"
So sprach dein Brief. Wohl hast du recht; ich fühlte selbst es tief,
Tot sei das Herz, so spricht nur der Verstand, wenn man geschieden.
Wenn, Flatterhafte, das Gefühl in deiner Brust entschlief,
Was soll mir der Erinn'rung duft'ger Tand, da wir geschieden?
So nimm es immer hin, des kurzen Frühlings welkes Kind,
Das deutsam deine Liebe mir gestand, eh' wir geschieden.
Sein süßer Duft ist jahrelang bereits verwebt im Wind,
So wie dein Schwur, der nicht fürs Leben band, da wir geschieden
Doch gib mir auch zurück, was ich — o namenloser Schmerz! —
An dich verlor, und nimmer wieder fand, wenn auch geschieden;
Denn sage mir, was hat die Südnatur, mein heißes Herz,
Bei dir zu tun im winterlichen Land?! Wir sind geschieden!