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Gedichte 4
 

Die graue Schwester
Der sterbende Grieche
Schiller
Im Nebel
Entbehre
Lea
Persische Liebeserklärung
Persische Liebeswünsche
Letztes Mittel
Indische Liebestrauer
Warnung
Der Uhu
Am Lethe
Die Nachtwache
Das Stelldichein

 
Der walachische Weinhüter
Im Seraile
Dichterberuf
Die Koptin
Kama
Der Todeskuß
In ein Stammbuch

 

Die graue Schwester


Gewitterwolken kämpfen mit den Winden,
Die Nacht ist schwarz, daß selbst ein Mutterherz
In ihr verlieren könnte sein Empfinden,
Und fruchtlos suchen würde allerwärts.

Der Todesengel Pest zieht durch die Lüfte,
Und Leichen fielen rings den Straßenzug,
Und Moderdunst ersetzt die Rosendüfte,
Die sonst der grüne Lenz nach Lüttich trug.

Als Fehmling ist die Liebe fortgezogen,
Die blasse Furcht schrieb ihr den Achtungsbrief,
Und mancher Nabob um sein Glück betrogen
Stirbt hilflos, wie kein Bettler noch entschlief.

Wer aber schreitet durch die nächt'ge Stille,
Wer ist das Weib im grauen Bußgewand?
Es schreitet furchtlos wie ein fester Wille,
Der weder Opfer scheut, noch Widerstand.

Die fromme Schwester ist's vom grauen Bunde,
Die mutterängstlich zu den Kranken eilt,
Und Tröstung flüsternd bis zur Todesstunde
Am Siechenbett der Weltverlaßnen weilt.

Die graue Schwester ist's, die wlastaherzhaft
Den Rosmarin ins Haar der Toten flicht,
Und an der Bahre schmerzhaft, ach! wie schmerzhaft
Das letzte fromme Vaterunser spricht.

Einst war sie nicht vom Bund der Hoffnungslosen,
Ihr Antlitz lachte heiter, jugendfroh,
Als hätte drauf der Mai viel hundert Rosen
Gestreut, und dort vergessen, als er floh.

Da trat sie in die alte Wechselstube,
Drin Liebe viel von ihren Zinsen spricht,
Und willig schrieb der blinde Gotterbube
Den Freudenwechsel zahlbar gleich nach Sicht.

Doch sagt er niemals seinen blöden Kunden,
Daß er girieren darf auf Trug und List,
Daß Nachsicht noch kein Menschenherz gefunden,
Sobald der Liebeswechsel fällig ist.

Dies strenge Wechselrecht besorgt die Treue;
Wenn sie den Liebeswechsel protestiert.
Dann naht als Pfänder schonungslos die Reue,
Und spricht, aufs Neue sei ein Herz falliert.

Doch wolle armes Herz nur ruhig brechen,
Dein Unfall endet auf der Totenbahr,
Und drüben wird ein milder Vater sprechen:
Ich will für dich saldieren, Kridatar!

Doch schlimmer noch ist's, Jungfrau, dir ergangen;
Gedenkst du noch an deinen Hochzeittag?
Den Liebsten hielt dein Schwanenarm umfangen,
Wie sich an Quadern schmiegt ein Pfirsichhag. —

Die Eltern gaben weinend dir den Segen —
Da brach ein blut'ger Räuberschwarm ins Schloß;
Wie Blumen sinken im Gewitterregen,
Fiel deine Liebe ihrem Mordgeschoß.

Gedenkst du noch des Mörders, der den schlanken,
Geliebten Freier traf mit schwerer Hand —
Die Haare schwarz, wie sünd'ge Nachtgedanken,
Das Auge lodernd wie ein Flammenbrand?

Sein blut'ges Bild wird ewig dich umschweben,
Ein Schatten, welchen deine Seele warf,
Ihr also treu, daß sie durch alles Leben
Nur schmerzlich weinen, nie mehr lächeln darf.

Verzweiflung hielt dir oft in frühern Tagen
Ihr letztes blut'ges Schweißtuch: Selbstmord vor;
Du aber hast es gläubig ausgeschlagen
Des Herrn gedenkend, der noch mehr verlor.

Auf seinem Pfad genas die blasse Waise,
Sie, selbst ein Bettler, schlug am Krankenpfühl
Dem siechen Bruder für die letzte Reise
Aus Tränentau das Silber: Mitgefühl.

Auch heute hat sie durch die nächt'gen Straßen
Zum Lazareth den raschen Schritt gelenkt —
Ein fremder Wandersmann will dort erblassen,
Und harrt auf Trost, den nur der Glauben schenkt.

Sie schwebt mit Trost und Balsam zu dem Kranken,
Doch rasch entsinkt der Becher ihrer Hand —
Die Haare schwarz wie sünd'ge Nachtgedanken,
Das Auge lodernd wie ein Flammenbrand.

Allmächt'ger Gott! das sind des Mörders Züge!
Scheintoten gleich erwacht ihr alter Schmerz,
Und tauft das Sprichwort eine schnöde Lüge,
Es heißt "Vergeßlich wie ein Weiberherz."

Und dennoch zaubert sie nicht pflichtvergessen,
So dringend Zorn und Rache sie versucht;
Doch muß sie fest aufs Herz die Hände pressen,
Aus Vorsicht, daß es nicht dem Räuber flucht.

Und ob auch krampfhaft ihre Lippen beben,
Sie müssen dennoch stammeln das Gebet:
Vergib uns ew'ger Gott, wie wir vergeben,
Vergib dem Sünder, der um Gnade fleht!

Und wie ein Seraph lullt die graue Schwester
Den blassen Sohn der Schuld in süßen Schlaf,
Und drückt die blutbespritzte Hand noch fester,
Die ihre Liebe einst zu Tode traf.

Umsonst! die Todesstunde hat geschlagen.
Er fährt empor, sein Blick wird hell und klar;
Das Zittern seiner Glieder scheint zu sagen,
Er wisse, wer sein letzter Engel war.

Da wirft die Reue eine fromme Zähre
In seinen Blick, er senkt das Haupt und spricht:
"O daß ich nicht so tief gefallen wäre!" —
Ein Seufzer noch — sein wildes Auge bricht.

Die graue Schwester sinkt am Lager nieder,
Und seufzt: "Der Kelch ist leer. Es ist vollbracht!"
Sie rafft sich auf, sie sinkt, erhebt sich wieder,
Und wankt und schwankt todmüde durch die Nacht,

Betrachtet ihre kreideweißen Wangen,
Ihr Puls fliegt fieberhaft — sie atmet schwer,
Als ob das matte Herz sein letztes Bangen
Bekämpfen wolle — aber dann nichts mehr.

Doch wenn sie auf den Friedhof ward getragen,
Dann soll ein Marmorstein auf ihrem Grab
Mit goldnen Lettern jedem Wandrer sagen,
Daß sie dem Mörder eine Träne gab.

Und wenn der Herr der Welt am jüngsten Tage
Die Lippen öffnen wird zum Richterspruch:
Dann sinkt die Träne in des Mörders Waage,
Und bis zum Himmel fliegt sein Schuldenbuch.

Der sterbende Grieche

Die Schlacht ist aus, die breite Brust durchstochen
Von sieben Speeren liegt ein starker Held,
Der kühn den türkischen Phalanx durchbrochen,
Als sei ein Lanzenwald ein Garbenfeld.

Die linke Hand ruht auf dem weißen Banner,
Auf das sein warmes Herzblut purpurrot
Geschrieben hat die Losung der Spartaner:
Fürs Vaterland hinein in Kampf und Tod.

Der Mund ist stumm, der schlachtenfroh gesungen:
Mir nach! der Freiheit einen offnen Weg!
An seiner Seite liegt das Schwert zersprungen,
Das oft zum Sieg aus Leichen schlug den Steg.

Am Himmel glänzt des Mondes volle Scheibe,
Sein Licht bestrahlt des Toten Angesicht,
Als ob er drauf mit Silberlettern schreibe:
Vom Lorberbaum die Blätter welken nicht!

Im Himmel selbst versammelt sich die Runde,
Die Thermopylengarde eilt herbei,
Und freudig tönt's von ihres Königs Munde,
Daß "Missolunghi" die Parole sei.

Schiller

Die Krittler stürzten deinen Tempel nieder,
Und haben deinen Lorbeerkranz zerrauft;
Noch lebt ein Kluger, welcher deine Lieder
"Verklärten Katzenjammer hat getauft."

Sie haben dir ein Monument gegründet,
Was aber nützt der kalte, tote Stein,
Wenn das lebend'ge Wort voll Hohn verkündet:
Ein Dichter dürfe nie ein Schwärmer sein.

"Schmach dem, der wünscht, daß ewig grünen bliebe
Der ersten Liebe märchenhafte Zeit!
Noch keiner nahm an Körper zu durch Liebe,
Und nur im Fettsein liegt Behaglichkeit."

Schlaf ruhig fort! dem Toren sei vergeben,
Der schmähend deinen Leichenstein umschleicht,
Fortklingt dein Lied, und wird unsterblich leben,
Bis einst die Welt aus ihren Angeln weicht.

Schlaf ruhig fort, die Nachwelt wird erkennen,
Warum man deinen Lorbeerkranz zerriß.
Sie wird dich nur den weisen Sultan nennen,
Den ein verrücktes Volk vom Throne stieß.

In ihren Tagen werden sich Touristen
Zu Schiff begeben in Botany-Bai,
Und schwer bepackt mit Karten, Reiselisten,
Aufmachen nach Europas Wüstenei.

Sie werden sich zu uns nach Deutschland wagen,
Und auf den Trümmern einer alten Stadt
Ein geographisch Wörterbuch befragen,
Wie weiland diese Stadt geheißen hat.

Da werden sie den Namen "Weimar" sehen,
Und wie viel Häuser einst umschloß ihr Wall;
Mit Golddruck aber wird am Schlüsse stehen:
"Hier schlug die letzte deutsche Nachtigall." —

Im Nebel

Der Schiffer findet nicht die Bucht im Nebel,
Sein Schiff zerschellt die Felsenwucht im Nebel.
Der Wandrer stößt die Stirn sich wund am Aste,
So ängstlich er den Weg auch sucht im Nebel;
Der beste Hengst bleibt stecken im Moraste,
Wie sehr der bange Reiter flucht im Nebel.
Am Lebensbaum steht mancher dicht im Leben,
Und bricht vom Upasbaum die Frucht im Nebel;
Von keuscher Glut schwatzt mancher viel, der eben
Der Bajadere Kuß versucht im Nebel.
Da sei dein Vorbild, Jüngling, stets der Adler,
Zur Sonne richtet er die Flucht im Nebel.
Doch still! schon nannte dies Ghasel ein Tadler
Beitrag zur neuen Kinderzucht im Nebel.

Entbehre

Jüngling nie den Rücken kehre,
Ob der Feinde Zahl sich mehre;
Nie verliere deinen Mut,
Drückt dich auch des Schicksals Schwere.
Wage, opf're Gut und Blut
Unter dem Panier der Ehre.
Horche, wenn die Sünde spricht,
Nimmer der Sirenenlehre;
Paradiese blühen nicht
An der Brust der Bajadere.
Wenn das Laster dich versucht,
Früchte reichend girrt "Verzehre!"
Wirf sie weg die Upasfrucht,
Denn die Tugend heischt: "Entbehre!"

Lea

"Du siehst so blaß," so fragen meine Feinde?
Ich bin von Cäsars vierter Legion,
Bin von des Schmerzes schluchzender Gemeinde,
Ein trüber Held, und Tränen sind mein Lohn.

Wenn Rosen welken, und an ihren Dornen
Verbluten soll ein armes Menschenherz:
Da braucht kein Tagsbefehl zum Sturm zu spornen
Die alte, vierte Legion im Schmerz.

Dann werden unsre Seufzer Schlachtgesänge,
Te Caesar morituri grüßen wir!
Dann stürz' ich als der Erste ins Gedränge
Ein Tränentuch in Händen als Panier!

"Wie aber kommst du," hör' ich weiter fragen,
"Der du im Glück ein andrer Krösus warst,
Zur hohen Ehre, das Panier zu tragen,
Als jüngstes Glied im schmerzergrauten Harst?" —

Ein schönes Weib hielt schmeichelnd mich umschlungen,
Und sang ein Lied so weich, ach Gott! wie weich!
Da ward das Herz mir aus der Brust gesungen,
Und meine Rosenwange sehnsuchtsbleich.

Doch als ich um die stolze Schönheit freite.
Vermorschte mumiengleich ihr schlanker Leib;
Gegeben hatte mir das Brautgeleite
Ein abgelebtes, tränenblasses Weib.

Dumpf sprach dies Weib, dies welke, frühverblühte,
Wie Blumen, die ein gift'ger Wind berührt:
"Du warst ein Jakob, der für Rachel glühte,
Und hast die bleiche Lea heimgeführt."

Doch fordert nicht, daß ich die Namen künde,
Mein Herz verbirgt sie wie ein Totenschrein.
Die stolze Schönheit war vielleicht die Sünde,
Und Reue hieß gewiß ihr Schwesterlein.

Persische Liebeserklärung

Sonnenauge, wie der Falke
Keines hat zu seinem Raube!
Lächeln, halb entborgt dem Schalke,
Halb gestohlen einer Taube!

Auge, gib von Gnade Kunde,
Wenn du liesest die Ghasele,
Lächeln, fliehe nicht vom Munde,
Wenn ich auch ein Wort verfehle.

Wangen rot, wie sich beim Kusse
Eines Falters Lilien färben,
Dunkler werdet nicht beim Gruße,
Kündend liebendes Bewerben:

Einen Löwen sah ich träumend —
Fest verstrickt in goldnen Netzen,
Doch den Schah der Tiere schäumend
Hört' ich nicht die Zähne wetzen.

Auf den zahmen Mähnenträger
Schwang sich eine Jungfrau sittig,
Und den zartgebauten Jäger
Trug der Leu wie Zelter rittig.

Diesen Traum dir deuten will ich,
Fühl' ich auch die Zunge stocken:
Ich, der Leu, verfing mich willig
In dem Goldnetz deiner Locken.

Sicher, gleich den frömmsten Zeltern,
Sanft in mein Serai dich trag' ich
Aus der Hürde deiner Eltern —
Willst du, sprödes Kind, so frag' ich?

Persische Liebeswünsche

Ich wäre gern der Staub zu deinen Füßen,
Von deinen Sohlen käm' ich nimmer weg —
Ich wäre gern der West, dich zu begrüßen
Mit moschusduft'gem Hauche liebeskeck.

Ich wäre gern ein Ring, als Treue Zeichen
Zu wachsen fest an deine weiße Hand —
Ich wäre gern dein Schatten, nie zu weichen
Von dir durchs Leben und durch alles Land.

Ein Rosenblatt auch wind' ich gern zur Stunde,
Auf deiner Schneebrust schimmernd morgenrot;
Nur dürft' ich werden nie zu deinem Munde —
Ich küßte glühend ja mich selbst zu Tod!

Letztes Mittel

Ein heimatsmüder Deutscher sang ein Lied,
Das schmerzlich klang wie eines Sünders Reue;
Noch tönt dies Lied, nur mit dem Unterschied,
Daß es gehaltlos ward wie Weibertreue.

Nachahmer tauchten auf wie Sand am Meer,
Und seufzten zierlich an der Liebe Grabe:
Mein Auge weint, mein Herz ist hoffnungsleer,
Mein Mädchen floh mich — weil ich Schulden habe.

Ein Denker schrieb ein bilderreiches Buch,
Drin manches Körnlein Wahrheit sich gefunden;
Auch seine Fabeln traf ein gleicher Fluch,
Sie stimmen flau wie Katzenjammerstunden.

Nachsudler griffen eilig um den Kiel,
Und stellten kritisch fest die Musterregel:
Nur der erreicht der Dichtkunst letztes Ziel,
Der in gereimte Jamben bringt den Hegel.

Ein Bannerherr begann ein Lied voll Glut,
Das wie ein Ruf zur Freiheit war erklungen;
Da schöpften hundert Lumpe frischen Mut,
Und haben's kannegießernd nachgesungen.

Sie griffen, statt zur Klinge, zum Pennal,
Und machten den Parnaß zum Unterhause,
Und fanden nichts am Adel so fatal,
Als seine weiße Hand und Spitzenkrause.

Ein alter Meister warf den Forscherblick
Auf meilenferne, sangberühmte Lande,
Verdeutschte Perserlieder mit Geschick,
Und heimisch ward Bülbül am Donaustrande.

"Westöstlich" hieß alsbald das Feldgeschrei;
Man reimte "stehlen" auf "Gedanken fehlen,"
Und wiederholte wie ein Papagei,
Und nannte diesen "glatten Mist" Ghaselen.

Dies Beispiel hat auch mich vertraut gemacht
Mit Liederschnörkeln, seltsam fremden Reimen,
Doch hab' ich weislich früher dran gedacht,
Den überflüß'gen Mund mir zu verleimen.

Denn nur das Neue hat der Menge Gunst,
Drum üb' ich täglich dreimal meine Ferse,
Wie meine Zehen in der Redekunst,
Und die Cachucha bring' ich dann in Verse.

Indische Liebestrauer

Wärst du eine Riesenpalme,
Könnt' ich als Liane ranken
Meine immergrünen Halme
Weich um deinen Stamm, den schlanken.

Wenn als Nachtigall du lebtest,
Könnt' ich werden eine Rose,
Daß du zärtlich mich umschwebtest
Trotz des Falters Schmachtgekose.

Wärst du Hirsch, so könnt' ich grasen
Dir zur Seite als Gazelle,
Und auf duft'gem Blumenrasen
Teilen deine Lagerstelle.

Wärst du Felsblock, könnt' ich rauschen,
Nachbarlich als Quelle schäumen;
Könnte deinem Echo lauschen,
Süß in deinem Schatten träumen.

Doch jetzt trennen uns die Kasten,
Und des Rajah Goldgewande
Darf nicht wagen zu betasten
Das verstoßne Kind der Schande.

Meinen schmachbedeckten Scheitel
Drückt des Bramafluches Schwere;
Selbst die Hoffnung wäre eitel,
Dein zu sein als Bajadere.

Warnung

Was quälst du mich mit schlimmen Liebesklagen,
Daß ich dein Bild aus meiner Brust verwies?
Ich habe das Vertrauen durchgeschlagen,
Dies Legegeld ins Liebesparadies.

Um Einlaß fleht umsonst an seinen Toren,
Wer selbst im Himmel noch den Teufel sucht;
So ging das Recht an Liebe mir verloren,
Als ich genoß des Zweifels Schierlingsfrucht.

Was hoffst du noch? Zwar meine Blicke brennen
In Deine warm und hell wie Sonnenlicht;
Doch möcht' ich sie bekannte Lügner nennen,
Die keinen Glauben haben vor Gericht.

Was hängst du gläubig an dem welken Munde?
Er hat den Nelkenfirnis eingebüßt,
Und längst verlernt die träumerische Kunde,
Wie man der Welt entflieht, indem man küßt.

Was sinkst du mir ans Herz? Es ist vergebens —
In diesem kalten Leichnam strömt kein Blut!
Was also suchst du, grünes Kind des Lebens,
Auf diesem Friedhof, drin die Liebe ruht?

Vielleicht weil dir dein Schwesterlein, die Rose,
Von jener trüben Sage Kunde gab,
Die Blume blühe doppelt schön im Moose
Auf einem tiefen, weltverlaßnen Grab!

Der Uhu

Der Morgen graut, die Sterne sind verschwunden,
Die Morgenröte küßt den Alpengrat —
Ein Freudenfeuer, weithin zu bekunden,
Daß heute diese Gegend Kirmes hat.

Die Blumenflur im Tal und auf den Firnen
Harrt ungeduldig auf den Morgenwind;
Ist's doch, als spähten schlanke Bauerndirnen,
Ob flinke Tänzer in der Tenne sind!

Der Falter gaukelt kosend auf und nieder,
Und fällt dufttrunken in die Kelche ein;
So schlingt den Arm um seiner Liebsten Mieder
Ein junger Bursch, berauscht von Tanz und Wein.

Der Gimpel jubelt auf den grünen Zweigen,
Um welche süße Blütendüfte weh'n;
Nicht lauter streichen Fiedler ihre Geigen,
Nach welchen lustig sich die Dörfler dreh'n.

Im Freudenrausch scheint Berg und Tal zu schweben,
Nur einer zagt, ihn drückt die Sonne heiß —
So macht des Richters Blick den Sträfling beben,
Der sich im tiefsten Herzen schuldig weiß.

Ein Uhu, überrascht vom jungen Tage,
Fliegt halbgeblendet durch das frohe Tal,
Hart hinter ihm mit raschem Flügelschlage
Ein Rabenschwarm, dem er die Jungen stahl.

Die schwarzen Häscher folgen stets verwegner
Und schwirren kreischend um den Waldessaum;
Von Ast zu Ast sinkt matt ihr blinder Gegner,
Und stürzt sturmhastig in den hohlen Baum.

Ein Räuber auf der Flucht vor raschen Schergen,
Der lauferschöpft die finstre Höhle sucht,
Und totenblaß auf seinen öden Bergen
Hinstürzt und seinem schwarzen Schicksal flucht.

Am Lethe

Ich traf auf einer weltverlaßnen Halde,
Auf einen Pfahl, der eine Tafel hielt;
Drauf stand: Ein Quell entspringt in diesem Walde,
Der jedem Zecher das Gedächtnis stiehlt.

Ein Pfad, des Gras schon lang kein Fuß zerknittert,
Kroch furchtsam durch die grüne Blätternacht
Zu einer Eiche, kahl und halb verwittert —
Ein Invalide auf der Gartenwacht.

An ihren Riesenwurzeln floß die Quelle —
Mir war, als rausche sie: Zurück! zurück!
Ein weißes Bahrtuch ist die Silberwelle,
Und d'runten liegt die schöne Leiche: Glück!

Hat Liebe sich die Augen ausgerissen
Und hier verborgen tief im Felsgestein?
So blaß, so bleich, wie diese Wellen fließen,
Kann nur der Liebe Scheideträne sein!

Was kümmert's mich? Rasch vorwärts kühner Zecher,
Der nicht sein Gold, nein sein Geschick vertrinkt!
Was zitterst du? Die Hand gekrümmt zum Becher,
Wie kommt es, daß sie kraftlos niedersinkt?

Was willst du, Weib, auf meinem dunklen Wege?
Die Hand vom Mund! Ich weiß, warum du weinst,
Und was du denkst: Auf diesem Rosenstege
Sprach meine Seele mit der Deinen einst.

Das ist vorbei! Was soll dein Leben lügen?
Mir liegst du längst schon auf der Totenbahr,
Und drum vertrink' ich jetzt mit raschen Zügen
Den Schmerz, daß meine Liebe sterblich war!

Die Nachtwache
(Am 20 April 1836, dem Todestage des Feldmarschalls Lichtenstein.)

Um mitternächt'ge Stunde
Versammelt sich zur Runde
Walhallas alte Garde.
Wer führt die alten Krieger?
Man hieß ihn Max, den Sieger,
Den Teuerdank der Barde.
Auf schlägt der "letzte Ritter"
Jetzt rasch des Helmes Gitter:
"Wer ist der Bannerträger,
Mit schwertzerstücktem Schilde?" —
"Auf Stillfrieds Mordgefilde
Hielt Jagd der blut'ge Jäger,
Der Tod, um ihn nicht frug ich,
Kühn Östreichs Banner trug ich
Zum Sieg der guten Sache.
Stets ehrt ich kühne Leute,
Stillfried sei drum für Heute
Parole unsrer Wache,"
Sprach laut der mächt'ge Kaiser,
Doch Lichtenstein frägt leiser:
Wie soll die Losung schallen?
Wer da?! — die Hellebarde
Streckt vor ein Mann der Garde —
Man hörte Tritte hallen.
Wer da?! — Ein wackrer Streiter,
Ein bügelfester Reiter,
Hoch Östreich! meine Losung? —
Der kam zur rechten Stunde,
Ruft Max, brecht auf zur Runde;
Marsch! "Aspern" ist die Losung.

Das Stelldichein

Die Nacht ist still, die Nacht ist warm und heiter,
Der Mond blickt freundlich in das stille Tal,
Als flecht' er magisch eine Silberleiter
Aus Tau und Duft und seinem bleichen Strahl.

Mir aber ist, als seh' ich Nebel steigen —
Warf Liebe ihn als Schleier himmelwärt
Aus Furcht, die Sterne möchten nicht verschweigen,
Was hier dem Herzen hat vertraut das Herz?

Ein Troubadour umschlingt mit starken Armen
Ein blondes Kind. Glaubst du dein schlankes Lieb
Dadurch so fest ummauert, daß dem Harme
Kein sichres Ziel für seine Pfeile blieb?

Dein Blick ruht sengend auf der weißen Stirne,
Drin ein Gedanke lebt, und der bist du,
Als brenntest du aus ihrem trunknen Hirne
Den letzten Traum von Schmerz, doch auch von Ruh'.

Die Zither schweigt. Wozu auch Liebesklagen?
Was soll das alte trübe Lied von Ach,
Wenn man mit Händedrücken weiß zu sagen,
Was man in Reimen unbeholfen sprach?

Wer brütet lang auf süße Schmachgedichte,
Wenn Liebe Lippen fest an Lippen warf,
Wenn dann ein einz'ger Kuß die Weltgeschichte
Von Menschenseligkeit erschöpfen darf?

Glück auf! und möge euch das ganze Leben
Verfliegen wie der Liebe erster Kuß,
Und möge nie von euerm Munde beben
Der letzte, frostig kalte Scheidegruß.

Denn nicht wie Blumendüfte frostvertrieben
Aufs Neue kehren bei erwärmter Luft,
Ach! nein, für immer flieht das erste Lieben,
Der Rose: Seele wundersamer Duft!

Der walachische Weinhüter

Du lugst so wachsam, stämmiger Walache,
Als sei ein Purpur deiner Hut vertraut,
Du blickst so ernst, wie bei der Waffenwache
Ein junger Held das Gottesbild beschaut.

Du spannst das Feuerrohr — die schwanke Weide
Zerspellt auf hundert Schritte noch sein Blei —
Im Gürtel steckt der Dolch — daß seine Scheide
Doch bald der Busen eines Türken sei!

Verzierte deine Brust die goldne Kette?
Der schöne Ehrendank für Gardenmut,
Du könntest Wache stehn am Wiegenbette,
Drin sanft der Erbe einer Krone ruht.

So ist es auch. Den du bewachst, er lebe,
Und möge königlich sein Leben sein!
Ists doch der starke Ritter von der Rebe,
Der ewig junge Noahide Wein.

Noch schläft er still in grüner Beerenwiege,
Doch schon im Herbste bricht er seine Haft,
Und zieht hinaus zum unfehlbaren Siege,
Sein Blut verspritzend, seinen goldnen Saft.

Dann künden hundert Lieder jubeltönig,
Im Blut ertrank der Usurpator Schmerz;
Auf Lorbeern ruhend, jauchzt der junge König:
Frei ist mein Königreich: das Menschenherz.

Ich schreibe mit den flüssiggoldnen Lettern
Auf jede Stirn ein heitres Lenzgedicht,
Daß, wer es liest, trotz Schnee, trotz Sommerwettern,
Vom Mai und seinen tausend Rosen spricht.

Drum juble Volk! Mit Dithyramben sollen
Die Dichter feiern meinen Krönungstag;
Erst wenn der Himmel wird der Menschheit grollen,
Versinkt mein Thron, der grüne Rebenhag.

Wird dann der letzte Tropfen Wein versiegen,
So wie die letzte Rebe sich versteint,
Wird auch im Blick nie mehr als Perle liegen
Die Träne, die ein Herz aus Freude weint.

Darum Walache, halte wachsam Runde,
Ein junger König schläft in deiner Hut,
Der tausend Herzen, welke, todeswunde
Dereinst genesen läßt — in seinem Blut.

Im Seraile

Uns trennen tausend Parasangen,
Doch Heimat, dich vergeß ich nicht;
Um dich einstürzten meine Wangen,
Um dich verblaßte mein Gesicht.

Mir dienen palmenschlanke Dirnen,
Tief beugt den Nacken der Eunuch;
Die Demut lügt von ihren Stirnen,
Doch tief im Herzen rauscht ein Fluch.

Zwar schalt gleich einem trägen Sklaven
Daheim die strenge Mutter mich.
Doch mochten auch die Lippen strafen,
Warm sprach das Herz: Ich segne dich!

Hier kitzeln den verwöhnten Gaumen
Scherbet und weißes Honigbrot,
Doch süßer waren jene Pflaumen,
Die mir dein Baum im Herbste bot.

Rubinen schmücken, schimmern reicher,
Und herrlich läßt ein Goldgewand;
Doch deine Rose, wenn auch bleicher,
Im schwarzen Haare schöner stand.

Hier schildern sie wohl schön und sinnig
Im Lied der Liebe Lust und Weh,
Doch keines rührt das Herz so innig
Wie, Heimat, deine Kasside.

Den Leib, die Lilie, die gepflückte
Umschlingt auf weichem Divan hier
Der reiche Bei, der sinnberückte —
Ihr Duft: mein Herz ist noch bei dir!

Dichterberuf

Weltschmerzler, eure grübeltiefe Klage
Von einem Leid, an dem die Menschheit krankt,
Ergötzt mich gleich der schildaschlauen Frage:
Was fehlt dem Baum, dem Laub und Frucht umrankt?

Die Menschheit blüht im Süden wie im Norden,
Ihr Arzt, die Zeit, erhielt sie frisch und heil;
Ihr aber seid bedeutend krank geworden,
Und siecht am bösen Schwindel Vorurteil.

Belauscht den Finkenschlag im grünen Forste,
Der laut die Rosenamme: Mailuft preist —
Die Möwe nur sitzt stumm im Felsenhorste —
Ein Barometer das auf "Windstill" weist.

Erst wenn am Himmel sich die Wolken ballen,
Und Wetterschwüle liegt auf Meer und Land;
Dann jauchzt das Mövenvolk, die Lieder hallen
Als Sturmstreich wild herauf vom Felsenstrand.

Dies Bild bedenkt, und singt das Lied der Finken
Vom Mai der Kunst und seinem Blumenhort;
Erst wenn die Sicheln fremder Schnitter blinken,
Und faßt ein Feind die Rose: freies Wort. —

Wenn dann das Recht, die Freiheit geht zu Grabe,
Verstumme frohe Finkenmelodie —
Dann Dichter schwingt wie einst der Judenknabe
Die alte Davidsschleuder: Phantasie!

Die Schleuder stürze kühne Kraftgedanken
Ans stolze Haupt dem Neuphilister: Zwang —
Wo Lützows Reiter und ihr Skalde sanken,
Dort lernt den alten Varusgrabgesang!

Die Koptin
(Szene aua Ägypten.)

"Schlanke Dirne, Bajadere
Mit der marmorweißen Brust,
Nie genoß ich, meiner Ehre,
Solche süße Nacht der Lust.

Schwarz wie Kohlen deine Augen,
Sonnenstrahlig ihr Email —
Würdest Dirne prächtig taugen
In des Padischah's Serail.

Deine Haare weich wie Seide —
Eins nur stimmt mich trüb und bang:
Antlitz, Lippen blaß wie Kreide —
Dienst verbotner Lust wohl lang?"

Also spricht der junge Franke,
Küßt der Koptin blasse Stirn;
Plötzlich fliegt ein Schreckgedanke
Schwindelnd durch sein bebend Hirn.

Fieber schüttelt seine Glieder,
Und er fährt entsetzt empor;
Doch die Koptin zieht ihn nieder,
Flüstert höhnisch ihm ins Ohr:

"Hast getrunken, wackrer Zecher
Durstig einen Doppelwein —
Tod und Wollust schloß der Becher
Meiner welken Lippen ein!"

Da versucht er zu entrinnen,
Doch sie hält ihn küssend fest,
Wirft hinweg die weißen Linnen:
"Deine Buhlschaft war — die Pest!"

Kama
(Indische Mythe)

Die Täuschung lag auf weichem Lotoskissen
Am Gangesstrande schmachtend hingestreckt;
Der Himmel von den Reizen hingerissen,
Die Bajaderenschlauheit nie bedeckt,

Verhing der Mond mit einem Wolkenschleier —
Ein Bräutigam der keine Ampel mag —
Und stille brünstig all sein Sonnenfeuer
Im Schnee, der auf den Busenhügeln lag.

In eines grünen Ambrabaumes Schatten,
Trat wenig Monden später an das Licht,
Wozu sich Kuß und Schaum verkörpert hatten
In stiller Nacht, die nie das Schweigen bricht.

Der Herzerschütt'rer Kama grüßte lächelnd
Die Welt, nun bald sein knechtisch Pashalik;
Auf Ambrablüten sanft ihm Kühle fächelnd
Fiel hell des jungen Gottes erster Blick.

Seit diesem Blicke schießt er auch als Pfeile
Die weißen Knospen rosenrot gespitzt
Auf Rajah's, weich sich pfählend im Seraile,
Aus Parias, von Last und Müh erhitzt.

Wie auf den kastenstolzen Weisheitspflanzer,
Der heuchelnd den Pagodendienst bestellt,
Und keine Brust bedeckte noch ein Panzer,
Den nicht sein unfehlbarer Pfeil zerspellt.

Der Todeskuß

Schon stürmt die Gänge zum Seraile
Ein kampferhitzter Frankenschwarm;
Mir nützen weder Schwert noch Pfeile,
Denn schußzerschmettert ist mein Arm.

Ich kann dich nicht, Suleikha, retten,
Versinke Sonne meines Mai's —
Vergiß den Mann in Sklavenketten,
Den Siegern gib die Reize preis.

Was fleht, ich soll den Tod dir geben,
Des schwarzen Auges feuchter Strahl?
Ich kann nicht eine Dattel heben,
Und schwerer wiegt als sie der Stahl.

Doch halt! Sieh! diese goldne Dose
Birgt Gift und kurzen Todesschmerz:
So wie der Glühwind eine Rose,
Versengt es rasch dein junges Herz.

Von diesem Gifte will ich nippen —
Schon brennt es wund die Lippen mir —
So stürze — schnell — an diese Lippen —
Am — letzten — Kusse — sterben — wir.

In ein Stammbuch

Zur Erde sinkt der Tau in nächt'ger Stunde,
Die Muschel öffnet willig ihren Schoß,
Und Perle wird am stillen Meeresgrunde
Die Träne, die vom Antlitz: Himmel floß.

Am Hochzeitstage glänzt im Seidenhaare
Der jungen Braut das reiche Perlenband —
Ein Bild, daß sie als Perle am Altare
In Gattenarmen ihre Muschel fand.

Doch selbst das schöne Kind der grünen Wogen
Verfälscht der Mensch mit schnöder Schacherlust,
Und mancher Bräutigam schlingt glanzbetrogen
Das Bild der Falschheit um der Liebe Brust.

Sind nicht auch Wünsche Perlen zu vergleichen?
Als Muschel dient das Buch "Gedenke mein."
Doch selbst ins schönste, reichste Album schleichen
Sich falsche Perlen, falsche Wünsche ein.

Auch dich erwartet morgen oder heute,
Eh' du's vermeinst, der Täuschung bittrer Schmerz;
Nur Eines glaube — daß auf dieser Seite
Sich ausgesprochen hat ein treues Herz.