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Quelle:

Gedichte
Levitschnigg Heinrich

Wien 1842
Verlag von Pfautsch & Compagnie

Gedichte 1
 

Die Eiche
Sonnenaufgang
Der Traum
Still
Noch immer
Unmöglich
Akrostrichon
Die Rose von Jericho
An die Dichter meiner Zeit
Wohin
Höhe und Tiefe
Der Leichnam von Falun
Blumenmythe
Abschied vom Vaterhause
Zu spät
Am Nil
Nachtreise
Quelle und Baum
Sonnenblume
Die Sternschnuppe
Weine nicht!
Die schlimmste Nacht
Die schlafende Buhlerin
Im Frühling
Sonnenuntergang
An Uhland
Die Nachtigall im Käfig
An eine Kokette
Medschnun's Abschied

 

Die Eiche


Der Donner schweigt, die Blitze sind verlodert,
Am Boden liegt zerspellt der Eichenstamm,
Der Sturm und Blitz zum Kampfe hat gefodert,
Als wäre grünes Holz ein Wetterdamm.

Ein Veilchenbeet, d'rauf Regentropfen hangen,
Umrankt den Stamm, der noch vom Sturze kracht —
Ein blaues Auge, das mit stillem Bangen
Am Lager eines Fieberkranken wacht.

Behaglich rauscht das Schilf im nahen Sumpfe
Und zollt der eigenen Schwäche heißen Dank:
So jauchzen Pöbelseelen, blöde, stumpfe,
Voll Schadenfreude, wenn ein Großer sank.

Im Busche krächzt ein Specht mit heiserm Schalle,
Fast klingt sein Schnarren wie ein Spottgedicht,
Das höhnisch meint: die Hoffart kommt vorm Falle —
Bis an den Himmel wachsen Eichen nicht.

Mir aber ist, als nahe sich der Schreiner,
Der einen Thron aus dir zu zimmern wagt;
Vielleicht sitzt bald auf diesem Thronstuhl Einer,
Der stolzen Hauptes an die Sterne ragt.

Sonnenaufgang

Der Morgen graut, die Sterne ziehen
Vom Himmel — ein geschlag'nes Heer,
Das, ungehindert zu entfliehen,
Mit Hast hinwegwirft Schild und Speer.

Der Morgenstern allein nur sendet
Sein bleichgeword'nes Licht ins Tal —
Ein Held, der erst den Rücken wendet,
Wenn an der Faust ihm bricht der Stahl.

Jetzt reißt am höchsten Bergesgipfel
Der purpurgraue Nebelflor,
Und aus dem Laubbett grüner Wipfel
Steigt rasch das Morgenrot empor,

Wie eine Fahne, rot vom Blute,
Auf einer Bresche aufgepflanzt,
Als Zeichen, daß vor kühnem Mute
Die Feigheit sich umsonst verschanzt.

Der Eichwald rauscht mit seinen Zweigen,
Gibt seine Freude zu verstehn,
Wie's allen Veteranen eigen,
Wenn sie die alte Fahne sehn.

Das Banner, in die Flucht getrieben
Durch keines Feindes Übermacht —
Die Fahne, drauf der Sieg geschrieben:
So lang ich flatt're, steht die Schlacht.

Die Blumen schütteln rasch herunter
Den Tau, der Kelch und Blatt beschwert —
So schwenkt ein Volk die Hüte munter,
Wenn sein Monarch als Sieger kehrt.

Jetzt naht das Hellste der Gestirne,
Sein erster, südlich warmer Strahl
Grüßt freundlich von der blauen Firne
Den grünen Wald, das duft'ge Tal;

Ein Kronprinz, welcher seiner Ahnen
Verwaisten Kaiserthron besteigt,
Und huldvoll seinen Untertanen
Das allgeliebte Antlitz zeigt.

Der Traum
Nach einem Gemälde von Amerling

Dein müdes Sonnenauge will sich schließen.
Der Schlummer lullte seine Sehkraft ein,
Und lächelnd sinkst du nieder auf das Kissen,
Wie deine Unschuld ist, so weiß, so rein.

Und dennoch weint mein Auge wie am Grabe,
In das sich eine trübe Liebe barg —
Mir ist, der kalte Schreiner Winter habe
Aus Schnee geformt der letzten Rose Sarg.

Hinweg den Brief! Ein falscher Zeuge schreitet
Die rabenschwarze Tinte dir in's Herz,
Und hebt von schlauer Buhlerkunst geleitet
Zum Treueschwur die Hände himmelwärts.

Hinweg die Rose, die mit Moschusdüften
Dein blödes Herz zum tiefen Schlafe zwingt,
Auf daß es nimmer sieht, wie um die Hüften
Die Schlange Sünde ihre Schuppen schlingt!

Fort mit dem Jüngling, dessen holde Züge
Dein Blick für ein Diplom des Himmels hielt,
Sie gleichen täuschend einer frommen Lüge,
Mit der man sich in einen Himmel stiehlt.

Noch hüllt sein Angesicht die Maske: Tugend;
Doch wenn sie fällt — ach Gott! was bleibt dir dann?
Die Träne, die als Meingedenk der Jugend
Aus tausend früh erloschenen Augen rann,

Dann wachst du auf zum kummerschweren Lose,
Das noch kein Weib von seinen Schultern warf.
Ist's doch das trübe Los der jungen Rose,
Daß sie ein Schmetterling vergiften darf.

Still

Still ist die heil'ge Nacht;
Kaum wagt das Veilchen seinen Duft
Zu senden in die Frühlingsluft,
Still ist die heil'ge Nacht!

Doch stiller ist der Schlaf
Des Kindleins, das im Mutterschoß
Der Tränen keine noch vergoß —
Viel stiller dieser Schlaf!

Am stillsten ist das Herz
Des Weibes, welchem nimmer neu,
Was Schmerz betrogner Liebe sei —
Am stillsten dieses Herz!

Noch immer

Noch klingt der süßen Stimme Schall
Mir zauberisch ins Ohr,
Ein Ton, den eine Nachtigall
Im Südwärtszieh'n verlor.

Noch wärmt des blauen Auges Strahl
Mein Herz, dies trübe Ding —
Ein südlich warmer Sonnenstrahl,
Der sich am Pol verging.

Auch einer Locke blondes Haar,
Noch immer wein' ich's naß,
Wie Einer, der lang Sklave war,
Die Freiheit halb vergaß.

Ich weiß wohl, Herz, warum du weinst,
Dein banges Klopfen spricht:
Ach Gott! ich war im Himmel einst,
Und den verschmerzt man nicht!

Unmöglich

Was zürnst du, daß ich ohne Rast
Die weite Welt durchwand're?
Wer lehrte mir der Schwalbe Hast?
Nur du — sonst keine andre.

Wie könnt' ich auch, was fällt dir ein,
Auszieh'n die Pilgerschuhe —
Beim Rasten heißt es ruhig sein —
Doch wo ist meine Ruhe?

Sie hat, als mich — ein Sonnenspeer
Dein erster Blick durchdrungen,
In deines Auges blauem Meer
Versunken, ausgerungen.

Akrostrichon

Mit stiller Rührung kam ich vom Ballete,
Als mich ein Dichterling willkommen hieß;
Rauh schallte mir ins Ohr die Lobtrompete,
In welche laut der trunkne Reimer stieß.
Er aber sprach: "Nun heißt es rasch beginnen,
Tritt Terpsychoren kühn vor's Angesicht,
Auf schmucke Verse laß uns eifrig sinnen;
Geschrieben sei ein zärtliches Gedicht —
Leicht wird es ja, wenn man von Elfen spricht."
Ich aber rief: "Was soll die Skriblersitte?
Ohnmächtig, frostig klänge Lob und Lied;
Nur was Sie schreibt mit einem einz'gen Schritte,
Ist eine Liebesode des Ovid!"

Die Rose von Jericho

Blasses Pflanzenkind, mit Bangen
Schließ' ich dich in meinen Schrein,
Sollst nicht mehr im Wasser prangen
Mit des Lenzes Lügenschein.

Was dahin ist, ist vergangen,
Wolle d'rum mir Schwester sein;
Stürzten doch auch meine Wangen
Welk wie deine Blätter ein.

Jugend, Reiz und Liebe starben,
Kehren so wie deine Farben
Bleiche Rose, nie zurück.

Nur wenn meine Tränen fließen
Und das welke Herz begießen —
Kehrt als Traum das tote Glück!

An die Dichter meiner Zeit

Was soll die feige Klage,
Man schätzt den Dichter nicht?
Leicht fällt er auf der Waage
Der Achtung ins Gewicht.

Man hat euch ausgepfiffen,
Man lacht euch in den Bart,
Weil ihr nicht habt begriffen
Den Geist der Gegenwart.

Die Zeit ist ernst geworden —
Sorgt, daß ihr sie versteht;
Pflanzt nicht im rauhen Norden
Des Südens Rosenbeet.

Es sind nicht Duft noch Blüten,
Was dies Jahrhundert sucht;
Doch wird's euch reich vergüten
Die kleinste reife Frucht.

Vergeßt die Schmachtghasele,
Das Seufzerlied der Nacht;
Stimmt an mit kräft'ger Kehle
Den Bardenruf zur Schlacht.

Reimt nicht wie Nachtigallen
Beständig Schmerz auf Herz;
Der Reim muß anders schallen,
Er heißt: Sei fest wie Erz.

Erwärmt durch Glutgedichte
Des deutschen Volkes Blut;
Dann gibt der Weltgeschichte
Aufs neue Stoff sein Mut.

Dann nimmt's die Welt nicht Wunder,
Wenn stolz der Dichter naht —
Hat doch sein Lied als Zunder
Geweckt den Funken: Tat!

Wohin

Nimmer mir das Wort behagt: Wohin?
Forscht die Sonne, wenn es tagt, wohin?
Schäumend rauscht der Strom im Felsenbette,
Aber keine Welle fragt: Wohin?
Schwalben fliegen südwärls um die Wette,
Doch kein Wand'rer ruft verzagt: Wohin?
Macht es Sorge sausendem Orkane,
Wenn er durch die Wüste jagt, wohin?
Strahlend zieht der Sterne Karawane,
Doch zu sprechen Keiner wagt, wohin?
Einer hat den Wellen, Stürmen, Schwalben,
Wie den Sternen längst gesagt, wohin.
Auf der Pilgerreise, auf der halben,
Nur der Sohn des Staubes klagt: Wohin?

Höhe und Tiefe

Dumpf rauscht im Wald die riesigste der Eichen,
In ihrem Schatten schwankt ein bunter Schwarm
Von jungen Rosen — Kindern zu vergleichen,
Wenn sie in Schlummer wiegt des Vaters Arm.

Im Dorngestrippe schlägt den Liebespsalter
Die Nachtigall mit wundervollem Klang,
Und gläubig hört das lose Volk der Falter,
Was sie als Dolmetsch der Empfindung sang.

Sie flattern eilig hin zum Blüthenhage
Und saugen gierig ein den süßen Duft —
Zechbrüdern ähnlich, die zum Trinkgelage
So gut der Morgen wie der Abend ruft.

Leuchtkäfer tummeln sich im Schaukelkreise,
Grasmücken jagen sich im grünen Moos;
Kurz alles preist nach angeborner Weise
Mit Sang und Tanz sein glücklich Lebenslos.

Dumpf aber rauscht mit ihren Riesenzweigen
Die alte Eiche durch die Sommernacht;
Sie sieht bereits die Wetterwolken steigen
Und fühlt, ihr Feind, der Sturm, sei aufgewacht.

So jauchzt ein Volk noch froh am eig'nen Herde,
Der trübe Kronenträger ahnt allein,
Das nächste Blatt der Weltgeschichte werde
Mit blutigroter Schrift geschrieben sein.

Der Leichnam von Falun

Die Kirche von Falun durchrauschen Lieder,
Wie sie Verwaiste teuern Toten zollen;
Die Knappen geben fromm der Erde wieder
Den Leichnam, ausgescharrt aus alten Stollen.

Ein Mütterlein kniet stumm am Grabe nieder
Und wirft mit welker Hand die ersten Schollen;
Die Alte liebt noch immer treu und bieder
Den Bräutigam am Hochzeitstag verschollen.

Sie ist gealtert unter Gram und Schmerzen,
Der Freier aber blieb so schön, so jung,
Wie Rosen in der Zeit der Frühlingstriebe.

So schläft in manchem todesmüden Herzen,
Gesalbt vom Balsam der Erinnerung,
Die schöne Leiche seiner ersten Liebe.

Blumenmythe

Großmütterlein erzählte mir die Sage,
Die Rose, die an einem Sarkophage
Zuerst den Kelch aus grünem Moos erhebt,
Umschließe weich des Toten bange Seele;
Dem Sünder nur, der bis zur Bahre fehle,
Sei's nicht vergönnt, daß er als Blume lebt.

Einst pflückt' ich eine Rose schmerzzerrissen
An meiner ersten Liebe Sterbekissen,
Da brach gewiß mein trübes Herz dabei,
Sonst müßt' ich's laut im Busen schlagen hören;
Drum möcht' ich bei der Blume Anblick schwören,
Daß sie das Sargbrett meiner Seele sei.

Abschied vom Vaterhause

Ein Bach entstürzt der steilen Felsenhalde,
Bis an den Himmel spritzt der Silberschaum,
Als zieh' er ungern aus dem grünen Walde,
Wo freundlich ihn beschattet Strauch und Baum.

Des wilden Baches klare Wogen rauschen
So dumpf wie eines Jünglings Scheidegruß,
Der mit der Welt das Vaterhaus vertauschen,
Und in die kalte Fremde pilgern muß.

Der stille Mond kam längst heraufgegangen,
Doch Tau und Nebel hält ihn dicht umhüllt,
Wie bei dem allerletzten Schmerzumfangen
Ein Vaterauge sich mit Tränen füllt.

Die alte Weide senkt die morschen Zweige
Mit stummer Trauer in die grüne Flut,
Gleich einer Mutter, die am Trennungssteige
Mit welker Hand umhalst ihr junges Blut.

Die Eule läßt die dunklen Schwingen schießen,
Wie Grabgesänge hallt ihr heisrer Schrei;
Denn was ans Herz nicht mehr die Arme schließen,
Steht fern, als ob es längst begraben sei!

Zu spät

Die Rose schläft am grünen Hügel
Duftlos — ein liebeleeres Herz, —
Da zieht auf goldgeschmücktem Flügel
Ein bunter Falter hügelwarts.

Er küßt und weckt die blöde Rose,
Saugt schmeichelnd ein den ersten Duft;
Dann taucht er aus dem kühlen Moose,
Zieht treulos weiter durch die Luft.

Die Rose prangt am grünen Hügel
Geschmückt wie ein kokettes Kind;
Da naht auf purpurrotem Flügel
Ein Bräutigam — der Abendwind.

Sie schwört ihm willig ew'ge Treue,
Und trunken schwelgt der späte Gast —
Ein Gatte, welcher einst voll Reue
Verwünschen lernt des Freiers Hast.

Er fand wonach sein Rausch begehrte,
Er ist es, der die Rose bricht,
Doch der im Lenz sie duften lehrte,
Der Glückliche, der ist er nicht.

Am Nil

Der Wüste Glutwind braust, die Palmen schwanken,
Und ihrer Blätter helles Grün verbleicht —
So mögen schlechtbeherzte Krieger wanken,
Wenn ein Kartätschenhagel sie bestreicht.

Ein kahler Fels nur hält dem roten Winde
Als Tartsche vor die Wände von Basalt,
Und blickt verächtlich auf das Baumgesinde,
Das schmählich bebte, als es fechten galt.

Ein alter König, welcher stolz und schweigsam
Herniedersieht auf sein verzagtes Land,
Und heimlich jubelt, daß er nichts unbeugsam
Als seine eigne Stirn im Leben fand.

Der breite Nilstrom rauscht mit wildem Tosen
Vom Felsengrat ins blumenlose Tal,
Und nordwärts trägt die gelbe Flut die Rosen,
Die sie auf Nubiens grünen Triften stahl.

Die Rosenknospen sinken von den Klippen,
So welk, so freudlos wie ein Liebeskuß
Auf eingestürzte, altersbraune Lippen,
Die man Verwandtschaftshalber küssen muß.

So stürzt ein schönes Weib im Brautgemache
Dem Greise todbetrübt ans blöde Herz,
Im Nelkensarg der Lippen stirbt die Sprache,
Und nur das Auge weint das Lied vom Schmerz.

Die Tränen waschen von den jungen Wangen
Das Schmelzdiplom der Rosenschwesterschaft;
Wer könnte Rosen auch vom Lenz verlangen,
Wenn ihn der Winter hat gelegt in Haft.

Nachtreise

Den Wald durchstreift die öde Straße
Langweilig wie ein Lehrgedicht,
In dem ein Greis mit blödem Hasse
Die schöne Liebe närrisch spricht.

Ein Wetter kommt heraufgestiegen,
Der Himmel weint, der Sturm erwacht.
Die schwarzen Regenwolken fliegen,
Gespenstern ähnlich, durch die Nacht.

Ich möchte sie den Schleier nennen,
Den schlau die Nacht vor's Antlitz schlägt,
Daß Freiersblicke nicht erkennen,
Wie sie Zigeunerwangen trägt.

Des Sturmes scheue Wölfe jagen
Dumpfheulend durch den bangen Hain,
Des fernen Wetters Donner schlagen
Gleich Flüchen eines Waidmanns drein.

Die schwachen Weidenbäume neigen
Die Wipfel zitternd, sturmzerrauft,
Wie Memmen Sklavendemut zeigen,
Wenn sie ein Stärk'rer Schurken tauft.

Die Tanne stöhnt, die Eichen schwanken
Wie scheu die Eule sie umschwirrt!
Verkörpert sie die Angstgedanken
Des Wandrers, der im Dunkeln irrt!

Irrwische gaukeln um die Bäume,
Doch bald verlischt ihr blaues Licht,
Wie eines Dichters Hoffnungsträume,
Die er gebaut auf sein Gedicht.

Mich dünkt, der Pfad des Lebens ziehe
Wie dieser Weg durch Schmerz und Leid,
Kein Wandrer ahnt, wohin er fliehe,
Wie lang er trägt sein Pilgerkleid.

Urplötzlich taucht der Mond, der blasse,
Aus seinem feuchten Wolkengrab,
Und lugt verstohlen auf die Straße,
Die mir das Bild des Lebens gab —

Vielleicht als Liebe, die mit Rosen
Den müden Ahasver bekränzt —
Vielleicht als Hoffnung, daß an Gosen
Des Lebens öde Steppe gränzt.

Quelle und Baum

Einst stand an einer Quelle ein grüner Tannenbaum,
Die Riesenwurzeln tränkte der Welle Silberschaum.
Aus ihrem Spiegel glänzte sein Bild so klar, so rein —
So schließt ins Herz ein Mädchen das Bild des Liebsten ein.

Da neigte sich die Sonne, das Tannenbild verblich —
Ob da nicht auch die Quelle dem Weiberherzen glich?

Sonnenblume

Die Sonne sinkt im Westen, matt blinkt ihr letzter Strahl —
Ein trübes Abschiedslächeln beim Scheidegang — ins Tal;
Da öffnet seine Knospen ein blankes Lilienbeet,
In dessen Mitte trauernd die Sonnenblume steht.

Sie senkt das gelbe Köpfchen, ihr ward die Luft zu rauh,
In ihrem Kelche zittert ein schwerer Tropfen Tau;
So liegt bei spätern Briefen ein längst vergilbtes Blatt,
Drauf einst mit Tränen Liebe "Leb' wohl" geschrieben hat.

Die Sternschnuppe

Die Nacht sinkt auf die Erde, rings trauert die Natur;
Ein schwarzer Nebelschleier bedeckt die Rosenflur.

Ist's doch, als ob der Sultan, der Lenz, gestorben sei,
Und d'rum verhängt mit Flören sein blumiges Serai.

Am blauen Himmel flackert ein ungewisser Schein,
Die Sternen-Ephemere, die Schnuppe wird es sein.

So füllt getauschte Liebe die Brust mit Nacht und Schmerz —
Als blasse Schnuppe zittert durch hoffnungslose Herz:

Ein schmerzliches Erinnern an tote Seligkeit,
Ein flüchtiger Gedanken aus einer lichtern Zeit!

Weine nicht!

Weine nicht!
Wenn dein Lenz dir keine Rosen,
Keine grüne Lorbeern bringt;
Wenn das Lied der Hoffnungslosen
Bang durch deine Seele klingt,
Weine nicht!

Weine nicht!
Wenn dein Herz am Sarkophage
Deiner Mutter schmerzlich weint
Und durch deines Lebens Tage
Fürder keine Sonne scheint,
Weine nicht!

Weine nicht!
Wenn kein treuer Mensch dir bliebe,
Den du zärtlich Bruder nennst;
Wenn du selbst das Glück der Liebe
Nur als schöne Sage kennst,
Weine nicht!

Weine nicht!
Mußt du auch als Flüchtling meiden
Dein geliebtes Vaterland,
Will dich auch die Welt nicht leiden,
Stehst du noch in Gottes Hand;
Weine nicht!

Weine nicht!
Wenn die Sterbeglocken hallen,
Eilt die Liebe zu Gericht,
Flüstert weich wie Nachtigallen:
Kind, im Himmel weint man nicht —
Weine nicht!

Die schlimmste Nacht

Wie dürres Laub im Herbst zerstob die Macht des Kaisers,
Als welkes Rosenblatt verblich die Pracht des Kaisers.
Um einen Kronenreif, der sonst Äquatorgleich
Ein Stück der Welt umschlang, brach los die Schlacht des Kaisers.
In einem See von Blut ertrank die Garde bleich,
Als sei ihr Leichentuch die Purpurtracht des Kaisers.
Drauf flog ein Schiff durch's Meer, sein Ballast war die Schmach,
Ein welkes Lorbeerreis die letzte Fracht des Kaisers.
Gleich einer Wüste lag das Epos dünn und brach,
So wie auf ödem Strand begann die Acht des Kaisers;
Die Tragödie nur wirft, seit mit gezücktem Stahl
Ein Rotrock übernahm die Ehrenwache des Kaisers,
In eine Szene stolz ein Weltall Zorn und Qual —
Es ist auf Helena die erste Nacht des Kaisers.

Die schlafende Buhlerin

Sengt nicht bereits die Flur die Mittagsschwüle?
Wie kommt es Weib, daß du noch nicht erwacht?
Ja so — man sieht's am schlimmverschobnen Pfühle,
Du hast ans Schlummern allzu spät gedacht.

Nun schläfst du zwar, doch so wie Kranke liegen —
Erstarrt — bewußtlos — wenn das Fieber flieht;
Betrachtet nur, wie ihre Pulse fliegen,
Und wie so schwer die Ärmste Atem zieht.

Das Antlitz fahl, von Schminke aufgerieben,
Ein Lilienblatt von Sonnenglut verbrannt —
Ein Pergament, d'rauf Unschuld hat geschrieben:
"Für alle Zeit aus meinem Reich verbannt!"

Die Lippen blaß — daß sie einst Rosen waren,
Dies jetzt noch glauben, fällt mir wahrlich schwer!
Was schließt ihr euch so fest? Schon längst erfahren
Hat alle Welt: "Ihr dürft nicht beten mehr."

Die Brust allein gleicht noch dem Lilienhage,
Der eben Knospen treibt, so weiß, so klein.
Vom Schnee ein Kissen — dünkt mich doch, es sage:
"Hier schlief schon manche stolze Tugend ein!"

Ein Lockenwald umwogt die Marmorstirne —
Wie kam der Schwan in diese Rabenschar?
Die Schmachgedanken nur in deinem Hirne
Sind schwärzer, Weib, als dieses Seidenhaar.

Ich möchte Buhlerin dein Auge sehen;
Doch nein, ich ahne, wie dies Auge strahlt —
Wie Sonnen, welche eben untergehen,
Noch immer glänzend — aber rot und kalt.

Was faltest du so bittend deine Hände?
Du träumst gewiß von deinem Mütterlein,
Und welchen Schmerz sein altes Herz empfände
An deiner schwachen Tugend Leichenstein.

Was quälst du sie? was fruchten deine Klagen?
Du siehst, der Ärmsten fällt es selbst gar schwer,
Wenn sie dir trostlos muß als Antwort sagen:
"Nie schließen sich gebohrte Perlen mehr!"

Gift sind für dich des Traumes Schreckgebilde —
Erwache, Weib! die Mittagssonne scheint;
Was soll die bleiche Bajaderengilde
Noch bleicher werden, wenn sie dich beweint?

Nein, schlumm're ruhig fort, der Tag verstreiche!
Was dir der Schlummer gab, ersetzt kein Tag;
Denn schlummernd gleichst du einer schönen Leiche,
Und niemand lebt, der Leichen höhnen mag.

Kein Leben gibt dir, was der Tod erzwungen,
Was deines Blickes Brechen dir erwirbt —
Gefall'ne Unschuld höhnen hundert Zungen,
Doch tausend Augen weinen, wenn sie stirbt.

Im Frühling

Entfliehe falscher Frühling! dein altes Truggedicht
Mit seinen grünen Lettern scheucht meine Schwermut nicht.

Sprich, taugt auf weichen Rasen der Trauer schwerer Schritt?
Sie tauft "geknickte Hoffnung" den Halm, den sie zertritt.

Der Sprosser singt im Busche; ich glaub' ihn zu verstehn —
Er singt das Lied vom Abschied, auf Nimmerwiedersehn.

Die Rosenstauden rauschen im Winde dumpf und hohl —
Ein Seufzer, Antwort gebend auf jenes Lebewohl.

Das Beet am Straßenraine voll Lilien, duftgefüllt.
Ist's nicht ein feines Lailach, das totes Glück verhüllt?

Vom wolkenlosen Himmel der Stern der Liebe strahlt —
Ein Blick aus blauem Auge — hellglänzend, aber kalt.

Du trafst zum Sprechen, Maler, mein grünstes Lebensjahr
Bis auf den Blick der Liebe, der etwas wärmer war.

Sonnenuntergang

Der Tag verbleicht, schon zieh'n in Osten
Die Lämmerwolken auf die Wacht;
Sie scheinen als Vedettenposten
Vorangeschickt vom Heer der Nacht.

Der Nebel steigt, Windstöße streichen —
Halblaute Flüche — durch den Hain,
Unwillig schütteln sich die Eichen,
Ihr Laub bedeckt den Straßenrain.

Sie gleichen einer alten Garde,
Die, weil ihr Lieblingsheld erlag,
Nicht länger weder Feldkokarde,
Noch Bärenmütze tragen mag.

Die taugefüllten Kelche senken
Die Blumen ängstlich schreckverstört —
Ein Volk, das kaum mehr wagt zu denken,
Sobald's des Feindes Sturmhorn hört.

Nur eine gelbe Blume wendet
Ihr Haupt nach Westen kummervoll;
Sie fühlt, ihr Leben sei geendet,
Sobald sie nicht mehr lieben soll.

So seufzt ein Weib am Leichensteine,
Der seines Herzens Liebe deckt:
Ich weiß, daß ich nur heute weine,
Daß mich fortan kein Morgen weckt.

Die Sonne aber blitzt versinkend
Noch einmal durch den Nebelring,
Ein roter Streif wie Purpur blinkend
Gibt Kunde, wo sie unterging:

Ein König, der mit nassem Blicke
Aus seinem Riesenreiche flieht,
Und fluchend diesem Schmachgeschicke
Vor's Antlitz rasch den Purpur zieht.

An Uhland

Am Neckarstrande sang ein deutscher Sänger
Den alten Feldruf zur Cheruskerschlacht,
Und wie vor diesem Rufe Deutschlands Dränger
Zum ersten Mal ans Fliehen hat gedacht.

Dann kam ein Lied, das Lied vom schönen Ritter,
Der kalt von Reich und Purpur Abschied nahm,
Und furchtlos vor des Kerkers Eisengitter,
Dem Worte treu, zum Baiernherzog kam.

Dem Liede folgten kühne Glutballaden
Von deutscher Minne, deutschem Waffenschall,
Vom frühen Tod des guten Kameraden,
Und jedes Lied war eine Nachtigall.

Am Donaustrande steht ein junger Sänger;
Sein Herz ergreift des fremden Sanges Glut,
Und dennoch pocht's bei jedem Tone bänger,
Und in dem Liedermeer ertrinkt sein Mut.

Da färbt die Scham die frühverblaßten Wangen
Die Lippen öffnen zürnend sich zum Fluch,
Das zu verdammen, was sie früher sangen,
Und durch die Lüfte rauscht des Unmuts Spruch:

Verstumme endlich Harfe, wundertönig,
Die Deutschlands Jugend um den Preis betriegt;
Was bleibt ihr übrig, Mazedonierkönig,
Wenn du die Welt von Herzen hast besiegt?

Die Nachtigall im Käfig

Die Sommerlüfte schmuggeln in den Bauer
Der Nachtigall ein weißes Rosenblatt —
Ein Brieflein, d'rauf der Lenz das Wort der Trauer,
Sein bittres Lebewohl verzeichnet hat.

Den Blumenkelch umflattert die Faläne
Und schlürft den Tau aus seinem duftgen Schoß;
Ist dieser Tropfen Tau der Rose Träne,
Die sie um ihre Sängerin vergoß?

Ein Sproßer schlägt am nahen Blütenhage
Sein letztes, doch auch wärmstes Wanderlied;
Ist's doch als flüst're diese trübe Klage:
Des Jünglings denke, der so ungern schied.

Die Nachtigall vernimmt im Drahtgemache
Eiskalt die Kunde seiner Wanderschaft,
Wie eine Sklavin, der die Muttersprache
Verloren ging in ihrer langen Haft.

So lugt ein trübes Weib aus öder Zelle
Und horcht befremdet auf des Mistrels Sang,
Der an des Klosters freudenloser Schwelle
Vorüberzieht mit leisem Harfenklang.

Und säng' er noch so laut, der Nonne bliebe
Doch ewig unverständlich Lied und Schmerz;
Denn seiner Jugend träumerische Liebe
Hat längst vergessen ihr verwelktes Herz.

An eine Kokette

Nicht blicke mich so schmachtend kokette Schönheit an,
Mein Herz, das oft getäuschte, betört kein Liebeswahn,
So freundlich mir, so lockend, dein blaues Auge strahlt,
Es gleicht der Wintersonne, ist glänzend, aber kalt.
Die Röte deiner Wangen erschreckt und stimmt mich bang —
Ich weiß, so glüht die Rose, erst wenn die Knospe sprang,
Umsonst, daß deine Locke der Nacht an Schwärze gleicht,
Ich weiß, in Mitternächten vergeht man sich zu leicht;
Dein Mund, dies Beet von Nelken, beschwatzt vergebens mich,
Er girrt mir zu geläufig, das Lied: Ich liebe dich.
Betracht' ich mir genauer, dein list'ges Angesicht,
Bedünkt es mich ein Schreiben, das viel von Treue spricht —
Ein Liebesbrief, den aber schon Mancher hat durchblickt,
Der oft schon ward gesiegelt, und meilenweit verschickt —
Ein Brief, der sich geschmeidig in jede Biegung fügt,
Drauf Kunst gedrückt ihr Siegel: ein Lächeln, welches lügt.

Medschnun's Abschied

Terzinen

Von den grünen Palmenzweigen
Läßt der Wind sich schaukelnd tragen,
Und die Nachtigallen schweigen.

Memnons süße Trauerklagen
Künden laut dem alten Theben,
Daß der Tag die Nacht geschlagen.

Silberweiße Wolken schweben
Durch die Lüfte fast wie Schwäne,
Die zur Südfahrt sich erheben.

Auf die grünen Wiesenpläne
Strahlt die Sonne warm und heiter,
Und der Tau wird Rosenträne.

Leila, von der Himmelsleiter
Deiner Lippen sinkt der Sänger,
Zieht dann weltverlassen weiter.

Weilen darf Medschnun nicht länger,
Ihn verscheuchen, ihn verbannen
Haß und Groll, die bösen Dränger.

Lebewohl, schon längst verrannen
Unsres Glückes blaue Stunden,
Flogen wie ein Traum von dannen.

Laß von deinem Arm umwunden
Nochmals mich zum Himmel schweben
Auf die Dauer von Sekunden.

Vier verblaßte Lippen beben
Ängstlich, küssen schmerzdurchdrungen
Sich zum letzten Mal im Leben.

Ihre Schwüre sind verklungen —
Vier verblaßte Rosen haben
Sich zu einem Sarg verschlungen,
D'rin die Liebe liegt begraben.