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Gedichte

Hieronymus Lorm

Hamburg & Leipzig 1870

Berlin
Internat. Buchhandlung
(R. Lesser)
Wien
Gerold & Co.
 

Jugend
 

Erscheinung
Frühlingsabend
Bewußtsein
Im Sterben
Abendschweigen
Ein Erinnern
Gelöbnis
Und dann vergeh'n
Nachtwandler
Hilferuf
Die Myrthen
Nach hundert Jahren
Die Gleichen
Orientalischer Trinkspruch

Weiblicher Faust
Denkers Tod
Einem Bekehrten
Liebeszauber
Einer Toten
Zu spät
Unterschied
Abschluß

Nicht zu verschweigen
 

Erscheinung


Du schrittest durch des Waldes dunkle Räume, ein Gedicht!
Und dir zum Preise flüsterten die Bäume ein Gedicht.
Dein Haupt umflossen Locken als der Liebe gold'nes Netz,
In deinem Auge webten glüh'nde Träume ein Gedicht.
An einer Blume stand'st du still und deine Träne floß,
Als ob Erinn'rung um die Blumen säume ein Gedicht.
Da schien es, ein verlornes Eden sende Dir den Gruß,
Da schien es, tief in Deinem Herzen schäume ein Gedicht.
Für ew'ge Trennung zogst du mir vorüber märchenhaft.
Für ewig ward, was ich von Glück erträume, ein Gedicht.


Frühlingsabend

Süßer, heilger Frühlingsabend,
Da ich dich zuerst gesehn,
Ganz von Strahlen übergoldet,
Unter grünem Laubdach stehn!

Als die Sonne schied, dich küssend,
War's, als leuchte auf mein Glück,
Eh es sank für alle Zeiten
Scheidend in die Nacht zurück.

Bewußtsein

Nur aus der Ferne darf ich dein gedenken
Und muß die Gluten still in mich versenken.

Das Leben riß die Kluft auf, uns zu trennen,
Ob wir gleich seelentief vereint uns nennen.

Kein Hoffnungsstrahl darf meinem Herzen leuchten,
Und selbst die Träne kaum mein Auge feuchten.

Doch mag der wilde Schmerz im Busen brennen,
Mich trägt mit Macht ein himmlischfroh Erkennen:

Daß kein Geschick, kein Trennungsweh zerrissen
Die Seligkeit, von deinem Sein zu wissen,

Daß keine Qual vermochte zu gefährden
Mein tiefes Glück, — daß du nur lebst auf Erden.

Im Sterben

Vom Abendsonnenstrahl ergriffen
Der See wie leise träumend ruht,
Den Traum belauschend Schwäne schiffen
Vorüber auf beglänzter Flut.

Doch dieses Traum's verschwieg'nen Bronnen
Erschließt der Todeswunde Glut;
Was sie erlauscht an stummen Wonnen
Verströmt als Sang mit ihrem Blut.

So taucht mein Herz mit stummer Wonne
In deines Aug's beglänzte Flut,
Wo zitternd wie im See die Sonne
Des ew'gen Licht's Geheimnis ruht.

So wird mein Herz für seinen wilden,
Unausgesprochenen Liebesdrang
Sich aus unirdischen Gefilden —
Im Sterben holen den Gesang.

Abendschweigen

Zu deinen Füßen saß ich still und träumend,
    Mein Aug' in deines Auges Glut getaucht,
    Dein ganzes Sein mit meinem Blick umsäumend.
Der Sonne Liebesfackel war verraucht,
    Im Scheidekuß entbrannten Berg und Hügel,
    Von tiefster Stille Seligkeit umhaucht.
Und Alles schwieg! Mit regungslosem Flügel
    Auf Blumen lag die Biene, duftberauscht.
    Der Abend hielt den wilden Wunsch im Zügel,
Was schäumt und tobt und Schmerz um Schmerzen tauscht
    Gefesselt lag's an seiner Rosenkette.
    Und Alles schwieg! Als ob Natur gelauscht
Und regungslos den Sinn gerichtet hätte
    Auf einer Offenbarung Gottesklang,
    Die nicht vernommen wird auf ird'scher Stätte,
Und nie zum engen Menschensinne drang,
    Nur als Geheimnis bebt in grünen Zweigen,
    Als Ahnung tönt im Aeolsharfensang,
Uns Grüße sendet durch der Blumen Neigen
    Und unbegriffen, unerkannt vergeht,
    Begraben in des Abend's heil'gem Schweigen. —
Wir schwiegen auch! die Erde war verweht
    Und Leid und Lust erstickt von Himmelsküssen,
    Wir schwiegen; uns're Seele war Gebet.
Doch was aus Blumenkelchen wollte grüßen,
    Als Ahnung durch die Aeolsharfe haucht,
    Die Zweige als Geheimnis bergen müssen,
Und was als Gottesfunke still verraucht —
    Uns ward es klar, als ich in Traum versunken,
    Zu deinen Füßen, stumm mein Aug' getaucht
In deines Auges Gluten liebestrunken.

Ein Erinnern

Die Blumen schliefen, Sterne wurden wach,
    Und mahnend mir vom landverlornem Frieden
    Des Abend's feierliche Ruhe sprach.
Wir hatten gern den Schwarm der Welt gemieden
    Und schritten stumm und träum'risch durch den Wald.
    Ich fühlte tief den Schmerz, daß wir geschieden.
Daß stets mein Geist mit finsterer Gewalt
    Will nach des Tod's verhülltem Abgrund schäumen,
    Indes dir lockend noch das Leben schallt;
Daß meiner Seele nebelhaftes Träumen
    An's Unerforschte sehnend fest sich schließt.
    Indes du wallst in lenzgeschmückten Räumen;
Daß selbst im Tod du künft'ges Leben siehst,
    Indes mir selbst im Frühling's Allbeglücken
    Ein unerschöpfter Born der Trauer fließt.
Doch als die Wehmut wollt mein Herz bedrücken,
    Daß also unser Lebensweg sich trennt,
    Da schlug dein frohgerüstet Wort mir Brücken
Zu deines Glückes lichtem Firmament
    Aus meiner toten Nacht, wo Schmerzen sprühend
    Die Fackel meines Geistes einsam brennt.
Und was du sprachst, von inn'rer Lust erglühend,
    Und was in deinem zarten Geist erstand
    An Bildern und Gedanken, rasch erblühend
Zu vollem Sein an deines Auges Brand,
    War meiner Jugend ahnungsreicher Glaube,
    War meines Glückes rosig Wonneland.
O stieg noch oft, du leicht beschwingte Taube,
    Hinaus als Pilg'rim nach des Lebens Glück,
    Und bringe mir mit einem grünen Laube
Der Erde halbvergeß'ne Lust zurück!

Gelöbnis

Wir sprachen viel in trauter Abendstunde
Von Schmerz und Liebe, Sterben und Bestehn,
Wie mutig wir in jede Zukunft seh'n,
Weil Gruß der Ewigkeit in unsrem Bunde.

Da rang der heiße Wunsch sich mir vom Munde:
O, könnt' mein Leben wie ein Traum verwehn!
Mit Dir vereinigt möcht' ich untergeh'n,
Ein Kuß der Seelen uns're Todeswunde.

Doch als ich sah dein Auge sich erheben
Und dein von Lieb' verklärtes Angesicht,
Gelobt' ich — selbst auf deinem Grab zu leben!

Mit Dir vergeh' dein Bild auf Erden nicht,
Noch einen Abglanz will der Welt ich geben
Im Wort — in hohen Taten — im Gedicht.

Und dann vergeh'n

Nur eine Heldentat will ich vollbringen
                                    und dann vergeh'n!
In einer Tat mein höchstes Sein erschwingen
                                    und dann vergeh'n!
Nicht sei mein Lebensbaum vom Herbst entblättert
                                    in langer Qual,
Nicht will ich lebend nur nach Leben ringen
                                    und dann vergeh'n!
Den Blumenglanz verschmähend stirbt der Falter
                                    im Flammenglanz,
So mag mein Herz durch Wonneflammen dringen
                                    und dann vergeh'n!
Wie Sterne im Begegnen sich vernichten,
                                    so soll mein Geist
Mit einem stolzen Geist zusammenklingen
                                    und dann vergeh'n!
Mein Dasein nur ein Leuchten des Gedankens
                                    gleich einem Stern,
Aus seines Unglücks tiefer Nacht erzwingen
                                    und dann vergeh'n!
Die Seele nur vom Erdendünkel flammen
                                    zum Himmel auf,
Bis aller Wahrheit Sonnen sie umfingen
                                    und dann vergeh'n!

Nachtwandler

Sieh mir in's Aug' mit deines Auges Gluten,
O laß mein Herz an diesem Blick verbluten!
Mir ward, daß mich des Lebens Nacht nicht schreckt,
Ein milder Mond mit diesem Aug' erweckt.
Ich seh' dich selbst verklärt von seinem Lichte,
Es wandelte die Welt mir zum Gedichte.
Bei dieses Mond's geheimnisvollem Schimmer,
Erklimm' ich kühn den letzten, höchsten Traum.
O Leben, schweig! O Zukunft, weck' mich nimmer!
Sonst stürz' ich sterbend auf den öden Raum.

Hilferuf

Wie ist's so mild und labend!
Es schwelgt der Sommerabend
In seines Schweigens Ruh!
Schon wachen auf die Sterne,
Ich aber schlöße gerne
Die müden Augen zu!

Ließ gern mein Blut vertosen,
Wenn von des Friedens Rosen
Sich Schmerz umschlungen sieht;
Der glüh'ndste Wunsch nur leise
Gleichwie ein Schwan die Kreise
Durch meine Seele zieht.

Du schöne Nacht, o zeige
Mir was du birgst, verschweige
Mir dein Geheimnis nicht!
Schon fliehst du nach den Fernen!
O, laß von deinen Sternen
Zurück ein rettend Licht!

Die Myrthen

Wie mögt ihr doch so froh im Sonnenstrahl,
Vom West gewiegt, ihr grünen Myrthen sprießen,
Und durftet einst ein teures Haupt umschließen,
Dem euer Schmuck den Schmuck des Lebens stahl!

Sie beugte sich gelassen, ohne Wahl,
Doch ward ihr harmlos jugendlich Genießen,
Was ihre Träume märchenhaft verhießen,
Noch früher als die grüne Myrrhe fahl.

Und jetzt, wenn liebend meine Blicke brennen,
Wie glänzt ihr Aug' in hellem Jugendschimmer,
Als lernt' Genuß und Traum sie wieder kennen!

So reiches Blüh'n gebührt euch, Myrthen, nimmer,
Denn ihr vereint, was feindlich sich will trennen,
Und trennt, was sich vereinen will für immer.

Nach hundert Jahren
An eine Frau

Ein Jahrhundert wird vorübergehn,
Unsre Gräber wird man nicht mehr sehn,
Unsre Namen, was wir tun und wollen,
Alles ist vergessen und verschollen.

Menschen, deren Zorn wir feig gebebt,
Daß wir lieber ihren Wahn gelebt,
Als im Glanz der Wahrheit hinzuwallen,
Sind in Staub gleich unserm Staub zerfallen.

Für den Traum, der nie ein Hoffen fand,
Für das Glück, das ungenoßen schwand,
Wird die Welt, der wir's zum Opfer gaben,
Keinen Dank und kein Erinnern haben.

Nichts mehr lebt für uns, selbst nicht der Hohn,
Der da früge, was des Opfers Lohn!
Doch im Reich der Seelen tönt ein Klagen
Um so sündhaft Leiden und Entsagen.

Seelen, die der gleiche Ruf erfaßt,
Wie zwei Blüten auf dem gleichen Ast,
E i n e  Frucht zu werden der Vollendung,
Trennten sich und logen ihrer Sendung.

Ein Jahrhundert wird vorübergehn,
Was wir opfern, ist umsonst geschehn,
Doch die Geister höh'rer Welten richten
Strafend unser frevelhaft Verzichten.

Die Gleichen

Des Inder-Fürsten Tochter trat
Zu ihres Hofes weisem Rat:
"Du kennst der Menschen Wert und Fehle,
Such mir den Freund für meine Seele!

Doch sei er ebenbürtig, sei
Gleich mir so glücklich, stolz und frei,
Und über Qual und Wunsch erhaben
Nicht erst bedürftig meiner Gaben."

Der Weise führt die Stolze weit
Zur Stätte tiefster Einsamkeit;
Dort sitzt ein Menschenbild, verlassen
Gleich einem Bettler auf den Straßen.

Der Weise spricht: "der Mann entbehrt,
Woran die Lust der Menschen zehrt:
Des Freundes Wort, der Liebsten Singen,
Des Ruhmes wie des Goldes Klingen.

Denn was mit Gier die Welt ergreift,
Das hat er ruhig abgestreift,
Und über Qual und Wunsch erhaben
Verschmäht er des Geschickes Gaben,

Er ist wie Du so stolz und frei,
Ruf' ihn als deinen Freund herbei!
Euch lockt's vom Höchsten nur zu wissen,
Denn Beide kennt Ihr kein Vermissen."

Orientalischer Trinkspruch

Der Weise sieht behaglich, darf er beim Glase ruh'n,
Die Schöpfung auf der Spitze der eig'nen Nase ruh'n.
So weit sie reicht, ist Alles erquickt von Rebenduft,
Drum kann die Welt auf keiner vernünft'gen Base ruh'n.
Des Guten voll ist Leben, so lang der Becher voll,
Laß' drum das leere Wünschen, die hohle Phrase ruh'n.
Wär' schon die Welt ein Eden, gäb's keinen sel'gen Rausch!
So trink, Du mußt ja nüchtern einst unter'm Grase ruhn!

Weiblicher Faust

I.
Wie lag die Welt mir leuchtend ausgegossen!
Das tiefste Gottgeheimnis war mein eigen,
Ich las das Schöpfungswort im Sternenreigen
Und blickt' in's Aug', dem alles Licht entflossen!

Ich sah Titanenkraft, im All erschlossen,
Als Sklaven meinem Herzensschlag sich neigen;
An Elfen, die dem Lotoskelch entsteigen,
Fand meine Sehnsucht nächtliche Genossen.

Vom ersten Duft erzählte mir die Rose,
Vom ersten Schmerz der Philomele Klagen,
Vom ersten Liebeskuß des West's Gekose.

Und der Natur geheimnisreichste Sagen
Entschleierten sich meinem sel'gen Lose:
Der Liebe Glück in tiefster Brust zu tragen.

II.
Wie wandelte die Welt sich mir zur Wüste!
Ein ew'ger Schmerz entstieg den kurzen Träumen,
Der Himmel braust aus schwarzen Wolkensäumen,
Der einst mit Sphärenklängen mich begrüßte.

Ob sich der Geist mit mächt'gen Schwingen brüste,
Er kann so hoch nicht als die Welle schäumen,
Die einst mein glühend Herz aus ird'schen Räumen
Empor trug an des Paradieses Küste.

In Liebe fand ich Glauben, Gott und Wissen!
Sie ward von des Verrates Pfeil getroffen
Und höhnend mir aus blut'ger Brust gerissen.

Nun mag die Menge dumpf, in gläub'gem Hoffen,
Anbetend knien auf geweihten Kissen —
Mein Himmel ist verhüllt, mein Grab ist offen!

Denkers Tod

Des Abends graue Schatten schwanken
Um jene schneebedeckte Firn,
Wie schauerliche Grabgedanken
Um eines greisen Zweiflers Stirn.

Bang atmet auf mit düstrem Rauschen
Der tief vom Sturm zerwühlte See,
Die stolzen Eichen nickend lauschen,
Wenn wild er spricht von seinem Weh.

Und Nacht wird's, ferne Donner grollen,
Die rote Fahne schwenkt der Blitz;
Der Elemente Geister wollen
Sich streiten um den Königssitz.

Ich wandle furchtlos durch das Grauen,
Ob Schrecken gegen Schrecken ficht,
Denn freud'gen Herzens darf ich schauen
Dem Tod ins Friedensangesicht.

Vom Glück der Erde losgeschnitten
Schon siegreich meine Seele drang
Zum Himmel, den mein Geist erstritten,
Eh noch mein Sterben ihn errang.

Einem Bekehrten

I.
Prometheus, hast Du Dir des Himmels Feuer
Geraubt für deiner Schöpfung ird'sche Bilder,
Und flammt die Qual des Büßens auch nicht milder,
Du wurdest nicht zum schmählichen Bereuer.

Wohl nahte Dir des Zweifels Ungeheuer,
An Deiner Brust zu zehren wild und wilder —
Dich deckten leuchtende Gedankenschilder,
Du bliebst nur Deinem hohen Selbst noch treuer.

Kein Gotteswalten über sich erkannte
Der Gott, mit dem Du innig Dich verschmolzen,
Der schöpferisch in Deinem Busen brannte.

Zu hoch für niedren Erdenschmerzes Bolzen,
Wie trug Dein Geist, der ehern unverwandte,
Ein Atlas Deine Welt und Dich, den Stolzen!

II.
Das Sein beschließe, wer sein Werk beschlossen,
Daß frei die Seele sei zur Gottversenkung
So bricht der Form umhüllende Beschränkung,
Wenn fertig ward das Götterbild gegossen.

Du aber bliebst! Am Gott, der Dir entsprossen,
Ward bald genagt vom Wurm der Erdenkränkung.
Dich kennt erniedern nicht des Schicksals Lenkung,
Doch müde macht der Kampf Dich und verdrossen.

Die Schwinge sank der kühnsten Deiner Fragen;
Du warfst Dich matt auf's dürre Glaubensbette,
Das Du verschmäht in krafterfüllten Tagen.

Freiwillig fügst Du Deinen Geist der Kette!
Sie mag, weil's nicht Dein Stolz mehr kann, Dich tragen,
Daß sie vom Sturz Dich in den Abgrund rette.

Liebeszauber

Es gibt ein tief geheimnisvolles Walten,
Zwei Herzen, die sich lieben, zu verknüpfen:
Ein Zauber ist's, im Wort nicht festzuhalten,
Und dem Erforschen wird er stets entschlüpfen.

Es ist ein seelenvoll Beisammenfühlen,
Ein körperlos verschwieg'nes Wonnebringen!
Sie dürfen vor der Welt, der fremden, kühlen,
Sich unsichtbar mit süßer Glut umschlingen.

O, wenn Du liebst, mit Worten nicht und Liedern,
Nur mit dem Glück, das Dich verklärt, gestehe!
Verlang' von ihren Lippen kein Erwidern
Und fühl' es nur im Zauber ihrer Nähe.

Doch fühlst Du nicht, ihr nah, sie ganz Dein eigen,
Scheint Dich ein herber Bann von ihr zu trennen,
Dann ist Dein einz'ger Halt noch das Verschweigen
Und Deine Todeswunde das Bekennen.

Einer Toten

I.
Gab ein Volk, daß Liebe noch es leiste,
Seinen Toten Schätze mit in's Grab,
Legt mein Herz, das früh an Dich verwaiste,
All sein Lebensglück mit Dir hinab.

II.
Für jede Schmerzensträne,
Die mir entlockt das Leben,
Hat eine Freudenträne
Mir Deine Lieb' gegeben.

Für jede Freudenträne,
An Deiner Brust vergossen,
Ist eine Schmerzensträne
An Deinem Sarg geflossen.

Zu spät

Was soll dem Hoffnungslosen
Der Zauber im Gemüt?
Ach! meines Lebens Rosen
Sind alle schon verblüht.

Mir wend' nicht zu dein bleiches,
Dein holdes Angesicht,
Das Glück ist ein zu reiches,
Von dem dein Anblick spricht.

Mir war's, als süße Treue
Dein feuchtes Aug verhieß,
Ich säh' des Gottes Reue,
Der mich ins Elend stieß.

Unterschied

Wie sucht das Herz mit gläubigem Vertrauen
Sich aus des Edens letzten Trümmern allen
Ein flüchtig Erdenglück noch zu erbauen!

Indes dem Geist in Trümmer muß zerfallen
Der Erde Glück, eh' seinem lichten Schauen
Erstehen eines Paradieses Hallen.

Abschluß

Mein starkes Herz! In düst'rer Einsamkeit
Fühlst Du Dich selig jetzt nach blut'gem Streit.
War hart das Schicksal, härter noch warst Du,
Von meines Geist's dämon'scher Kraft gefeit.
Wohl stehn nach heißer Schlacht mit dem Geschick
Erschlag'ne Träume um Dich her gereiht,
Wohl ruht Dein Glück vor Dir im Sarkophag,
Wohl liegt in Schutt der Jugend Märchenzeit —
Du aber wandelst stolz und stark dahin,
Durch wüste Trümmer der Vergangenheit,
Dein Pochen hallt die Harmonie zurück
Der Geister, die vom ird'schen Staub befreit. —

O, drängt euch in mein einsam Leben nicht,
Die ihr berauscht vom Erdentaumel seid,
Noch Freude kennt bei eurer kargen Lust,
Nicht eure Tränen habt verweint im Leid!
Denn ich bin nur ein lebend Bild vom Tod,
Mit dem kein ird'scher Wunsch mehr im Geleit,
Denn ich bin heimatlos in eurer Welt,
Mit eurem Gott, so klein wie ihr, entzweit,
Dem Gott, der euer sterblich Teil beschützt,
Und Segen und Verdammnis euch verleiht!
Was Segen euch und Fluch reicht nicht zu mir,
Was heiß ihr saßet, stieß ich von mir weit:
Des Glückes Traum und des Genusses Rausch
Und des Entbehrens kummervollen Neid. —
Ich hab mich einer unbekannten Macht,
Die immer fern und immer nah', geweiht,
So fern dem Geist, der Wahrheit liebt, und stets
Um seine holde Braut vergebens freit,
So nah dem Herzen, dessen Pochen nur
Das unverstand'ne Wort der Ewigkeit!
 
Nicht zu verschweigen

Sollt' ich meine Lieb' wie eines sünd'gen Traumes Macht verschweigen?
Wird der Himmel seine Sterne, Frühling seine Pracht verschweigen?
Meiner Seele Sterne flammen, ach! ihr Frühling ist erstanden,
Nimmer will ich was an Licht und Duft ihr ward gebracht verschweigen.
Mag's die Trauerweide flüstern, mag's die Quelle weiter sagen,
Wird es doch der Mond, der meine Einsamkeit bewacht, verschweigen.
Darf ich's nicht dem Tag und seinem hellen, lauten Hohn erzählen,
Sollt' ich's drum der stille lauschend liebevolles Nacht verschweigen?
Ihre streng' geschloss'ne Lippe wahrt mein duftiges Geheimnis,
Doch ich will's drum nicht der Lippe, die so rosig lacht, verschweigen
Gierig lauscht die Welt den Kunden von entfachten Kriegesflammen,
Und ich sollt' ihr meines Busens liebeheiße Schlacht verschweigen?
Nein! Selbst wenn die Sargesdeckel über mir zusammenfallen,
Die von Leid und Lust die ganze, schwere Lebensfracht verschweigen,
Wird mein Herz noch über'm Moder als ein heller Demant funkeln,
Der nicht seinen Liebesschimmer will dem Gräberschacht verschweigen.