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II.
Irrfahrten

 

Den Freunden beim Abschied
Venezia
La Dalmatina
In Verona
Dem trüben Freunde
Einöde
O laß das Klagen
In der Gebirgswüste
Stimmen auf der Heide
Abend am Meere
Ein Aufseufzen
Therese
Die Heimkehr
Kommunion
Jubel

Den Freunden beim Abschied


Wir trotzten ohn' Entsetzen
Denselben Lebenswettern,
Wir fluchten denselben Götzen
Und dienten denselben Göttern.

Nun treibt's uns fort. Drei Quellen,
Entsprungen demselben Sande,
Sie wälzen ihre Wellen
In drei verschied'ne Lande.

Du mit dem Feuerblicke,
Den langen, schwarzen Haaren,
Du kehrst wohl bald zurücke
Zur Heimat der Magyaren.

Du willst von Völkerrechten
Auf der Tribune sprechen,
Willst mit dem Starrsinn fechten
Bis seine Burgen brechen.

Doch du, ein Argonaute,
Du willst beim Urwaldsrauschen
Dem großen Klagelaute
Der Elemente lauschen.


Willst mit dem roten Manne
In einem Wigwam liegen,
Die endlose Savanne
Ein Schleuderschütz durchfliegen.

Ich aber will am Meere,
Wo alle Winde singen,
Das Herz, das stürmeschwere,
Endlich zur Ruhe bringen.

Und sehn will ich, ob minder
Der Menschheit Wunden bluten,
Wo durch die Luft gelinder
Des Südens Düfte fluchen.

Wie fern einander werden
Einst unsre Gräber liegen!
Es standen doch auf Erden
So nahe unsre Wiegen!

Doch lebt ein Gott der Freien,
Und blickt er auf die Seinen,
Wird er die drei Getreuen
Auf Einem Stern vereinen!


Venezia

                   I.

Es schlummert eine hehre
Seltsame Stadt im Meere,
Mit tausend bunten Zinnen,
Im Meere blau und still.
Schön wie ein Traum zu schauen,
Der bei des Morgens Grauen
In Luft und Duft zerrinnen,
In Nichts zerfließen will.

Der Weg zu ihren Toren,
Er ist im Meer verloren,
Durch ihre Gassen flutet
Und ebbt die salz'ge See,
Das Frühlicht, das mit Trauern
Auf ihren Marmormauern
Sich täglich neu verblutet,
Weint Tränen ihrem Weh.


Die Klöster und die Dome,
Wie Schlösser für Phantome,
Die traurenden Paläste
Auf Inseln ringsumher,
Die Gassen und die Brücken,
Wo nie ein Roß zu blicken,
Die alten Mauerreste,
Wie prachtvoll und wie leer!

Veröden und Verwildern, —
Du Moos an Marmorbildern,
Du blasses Phosphorschimmern,
Wo eine Leiche ruht;
Meerried auf allen Stufen,
Wehlaut in jedem Rufen,
Ein stillverhaltnes Wimmern
Geht durch die ganze Flut.

Du aber, Herz, das weinen
Will bei versunk'nen Steinen,
Bei schöner Vorzeit Runen,
Bei alter Helden Schrein,
Komm, eh' mit Morgenwinden
Die Träume alle schwinden, —
Die Stadt in den Lagunen
Ist auch ein Traum von Stein.


                   II.

Wenn auf die bleichen Höhen
Der fernen Euganeen
Des Südens Abendsonne
Ihr Gold vergossen hat,
Dann jubelt, wie ein tolles,
Phantastisch - wundervolles
Gedicht, in Rausch und Wonne
Die alte braune Stadt.

Auf allen Kuppeln brennt es
Wie Glut des Orientes,
Es wachen in den Fresken
Die alten Heil'gen auf;
Im wundersamen Scheine
Beleben sich die Steine
Mit allen Arabesken
Bis zu dem höchsten Knauf.

Dann blicken vom Altane
Die Frau'n der Titiane,
Halb Teufel und halb Engel,
Im weißen Nachtgewand,
So schön und treulos alle
Wie die, die in der Halle
Vollendet, ohne Mangel,
Der Palma hingebannt.


Dann geht das schöne Laster
Stolz über's Marmorpflaster,
Es winkt mit seidnen Wimpern,
Es rauscht im Kleid von Samt;
Es hallen die Arkaden
Von Liebesserenaden,
Die Mandolinen klimpern
Und jedes Auge flammt.

O Schmerz! das kann nicht dauern,
Die Abendwinde schauern,
Der Mond sieht blaß und blässer
In's wirre Bild hinein.
Es gähnen die Portale,
Am nachtigen Kanale,
In's schweigende Gewässer
Fällt langsam Stein um Stein.

                   III.

Und wenn das Volk mit Toben
Verstummt ist und zerstoben,
Dann wird es still am Platze,
Es dunkelt weit und breit;
Doch hoch auf seiner Säule
Erwacht mit Klaggeheule
Und hebt die starke Tatze
Der Leu der alten Zeit.

Sankt Markus auch daneben
Erwacht zu kurzem Leben,
Das alte Steingebilde
Lebt auf im Mondenlicht;
Dreimal in weiten Kreisen
Schwingt er sein Schwert von Eisen,
Er klirrt mit seinem Schilde,
Er hebt's empor und spricht:

Wo sind die stolzen Tage,
Als wie lebend'ge Sage
Venedig lichtumflossen
Gelebt im Ruhmesglanz,
Als Dandolo der Blinde
Hertrieb mit gutem Winde,
Mit seinen ehrnen Rossen
Vom Sturme von Byzanz.

O Tag der Lorbeerreiser,
Als dort der Papst, der Kaiser
An Falieri's Seite
Hinschritten stolz und stark!
Wie duftete von Ambra
Italiens Alhambra,
Wie strahlte die geweihte
Domkirche von Sankt Mark!

Gibt's denn für alles Große
Nur Tod zum letzten Lose,
Sinkt, was man ewig glaubte,
Wie eine Sage hin?
Venedig nachtgeborgen,
Für dich gibt's keinen Morgen;
Stirb mit verhülltem Haupte,
Entthronte Königin!

Der alte Riese schweiget,
Den Kopf zur Brust geneiget,
Der Seerab' ächzt und stöhnet —
Frühdämm'rung überall!
Das Wasser kocht und brauet,
Stier hin der Löwe schauet,
Vor dem Palaste dröhnet
Der deutschen Trommel Schall.


La Dalmatina

Du Sängerin des Molo's,
Phantastisch holdes Wesen,
Schön, wie ein Bild Paolo's
Des großen Veronesen

Ein Traum von dir umgaukelt
Mich noch in milder Schöne,
Indes die Seele schaukelt
Im Netze deiner Töne.

Da liegt — eine goldne Wolke
Venedig hingesunken,
Du stehst vor allem Volke
Wie eigner Schönheit trunken.

Und wirfst wie Blütenflocken
Die Arme rings im Kreise,
Und rührst die Silberglocken
Zur wunderbaren Weise

Es fallen die gelösten
Goldlocken schmerzlich nieder, —
Von Sehnsucht, nicht zu trösten,
Erzählen deine Lieder.


Ich seh der Augensonnen
Verlangend heißes Nachten,
Nach unbekannten Wonnen
Der Lippen banges Schmachten.

Und trüber stets und trüber
Sitz' ich am Uferdamme,
Es zittert dir genüber
Mein Herz wie eine Flamme.

Ich kenn' die Pfade alle,
Die das Geschick den Armen
Zu immer tiefrem Falle
Hinführet ohn' Erbarmen.

Ich weiß, nach altem Lose
Wirst du nichts andres werden
Als eine weiße Rose,
Zerpflückt im Kot der Erden.

Doch blüht dir schönres Leben
Im Herzen des Poeten,
Als dir's der Herr wird geben,
Zu dem du lerntest beten.

Der eignen Schönheit Gabe
Wird langsam dich verderben,
Du wirst am offnen Grabe
In Not und Schande sterben.


Nur hier im Dichterbusen
Wirst du mit Rosenwangen
Als rührendste der Musen
Ach, unvergänglich prangen!

In Verona

Nacht war's, doch eine blutige, rote,
Gräßliche Nacht, am Himmelsaum lohte
Feuer und schlug in die Lüfte hinein;
Himmel und Erde schienen zu trauern
Und auf des Circus verfallenen Mauern
Schritt ich verlassen, arm und allein.

In des Gemäuers zerklüfteten Spalten
Rauschten die Feigenbäume, die alten,
Zuckte die Viper, rollte der Kies,
Weiß, wie der Dampf aus der Tiefe des Kraters,
Qualmte im Grunde des Amphitheaters
Nebel aus dunkel verborg'nem Verlies.

Plötzlich — hell ward es von zuckenden Blitzen
Sah ich die Tausend und Tausende sitzen,
Rings um mich her, wie in römischer Zeit;
Bestienheulen zerriß meine Ohren,
Herolde riefen und Gladiatoren
Maßen sich grimmig, zum Kampfe bereit.

Wie die Trompeten des Kampfes erklangen,
Wie sich die Thracier, die nackten, umschlangen,
Bleichten die Wangen, bangte die Brust:
Still ward's im Kreise, doch als das erhitzte
Schwärzliche Blut des Erdrosselten spritzte,
Jauchzte die Menge in tierischer Lust!

Und einen Geist hört' ich rufen zur Rechten,
Längst mir bekannt aus schlaflosen Nächten:
Siehe die Menschen, die du geliebt!
Wie sich die Tiger, die herrlichen, weiden
An der Komödie von gräßlichen Leiden,
Weiden, wo Kampf und Verbrechen es gibt.

Schon auf des Thespis ärmlichen Brettern
Sah man so gern, wie sich Helden zerschmettern;
Wollüstig lauschte das menschliche Ohr,
Wenn Philoktet vom verlassenen Strande
Klagen zum Himmel, zum ehernen, sandte,
Götter verfluchte und Menschen beschwor!

Doch man wird müde der glänzenden Lügen,
Späteren Tagen kann nimmer genügen
Tod auf den Brettern, melodischer Schmerz;
Töne von Indischer Leier getragen,
Selbst Iphigeniens eurhythmische Klagen
Rühren nicht mehr ein römisches Herz!

Wirkliche Leiden, daran sich zu laben,
Muß nun die Menschheit, die elende, haben,
Bestien und Menschen in Kampf und in Wut;
Fürsten erbauen die großen Arenen,
Menschen und Tiger bekämpfen Hyänen, —
Quadern von Marmor, Mörtel von Blut!

Spätergeborner, ich höre dich sagen:
"Wir stehen ferne solch' blutigen Tagen,
Mild sind die Zeiten, zahm unser Erz."
Ich, der ich kühn bin, ich will für dich sprechen:
"Still sind die Zeiten, doch sehnt nach Verbrechen
Gräßlich, doch schön sich das menschliche Herz.

Wehe dem Schwächling, der seiner vergessen,
Tiefen der menschlichen Brust will ermessen;
Denn wie ein Taucher im greulvollen Meer
Trifft er zutiefst eine gräßliche Wüste,
Grausamkeit, Wollust und dunkle Gelüste,
Bleicher Lemuren trostloses Heer."

Sprach's und verschwand, und pötzlich verloren
Zuschauer sich und Gladiatoren;
Hoch in die Lüfte wogte der Dampf.
Ich stieg hinab, mich brannt' eine Wunde,
Als ob ich selber in nächtiger Stunde
Grimmig gerungen im tödlichen Kampf.

Dem trüben Freunde

                                I.

Du ernster Mann! es spielt um deine Lippen
Ein Lächeln kalt, wie Winterlicht auf Schnee,
Wie Wellenmurmeln um die Felsenklippen
Verklingt dein Wort, und kündet nicht dein Weh.

Durch's Hochland ziehst du hin an meiner Seite,
Ich seh' dich oftmals an mit stillem Graun:
Am Fels gelehnt, den Blick in öder Weite,
Bist du ein leblos Bild aus Stein gehaun.

Wo unter uns des Abgrunds Tiefen nachten,
Hinziehst du stumm, beim letzten Abendrot;
Du scheinst gefaßt das Leben zu verachten,
Und fürchtest nicht, und suchst auch nicht den Tod.

Dann sitzen wir des Nachts im Schenkenhause,
Indes der Schnee an's kleine Fenster stibt;
Du horchst hinaus auf Wind und Waldgebrause;
Ich frage träumend: Hast du nie geliebt?

Dann stehst du auf und sprichst ein: Gott befohlen!
Mich dünkt, dein Antlitz ist noch mehr erbleicht,
Was aber soll die Träne, die verstohlen
An deinem dunklen Schnurrbart niederschleicht?

                                II.

Und traurend sprichst du: Wen auch sollt' ich lieben?
Das Weib, vor dem du flehend niedersankst?
O sieh, kein Herz ist dir getreu geblieben,
Kein Mund, von dem du Seligkeiten trankst!

Die Stadt von luft'gen Schlössern, die du trunken
In's weite Reich der tiefen Brust gebannt,
Wie Ilium ist sie in Staub gesunken
Und Weiberfalsch war schuld an ihrem Brand.

Und immer noch ahnst du ein Ungewisses,
Ein Bild der Liebe, unerforschlich hehr,
Und Liebe suchend wirst du zum Ulysses,
Zum Irrefahrer durch des Lebens Meer.

Umsonst, daß du dich gegen Stürme wehrest,
Es bannen Circen dich in ihren Kreis;
Wenn du zuletzt in dich zurückekehrest,
Bist du ein satter, matter Bettlergreis.

Heil dir, wenn du den einst verscherzten Frieden
— Penelopen — durch letzte Kraft erwirbst,
Und auf der Scholle Land, die dir beschieden,
In deinem kleinen Ithaka entstirbst.

                                III.

Und wieder fragst du, wen auch sollt' ich lieben?
Die Menschheit, die, von Lüsten aufgeregt,
Von Haß gestachelt und von Neid getrieben,
An's Holz des Kreuzes ihre Heil'gen schlägt?

Ach, ihre Gunst ist falsch wie die der Dirne,
Sie hat kein lindernd Wort für deinen Schmerz,
Ihr grünster Kranz liegt brennend auf der Stirne —
In tausend Herzen findest du kein Herz.

O wo am nächt'gen Ölberg dieses Lebens
Ein Welterlöser seine Tränen weint,
Die Hände ringt, betet und vergebens
Von seinem Gott erlöst zu werden meint,

Indes die Leidensnacht, die durch Äonen
Zu dauern scheint, auf seinem Haupte liegt,
Das Weh, der Druck von hundert Millionen
In wilder Jagd an ihm vorüberfliegt:

Dort ruht gewiß der Jünger dumpfe Gilde,
Um ihn geschart in ödem Ohnmachtsschlaf,
Und weiß vom tiefen Weltschmerz nichts, der wilde
Das große Herz des heil'gen Dulders traf.

                                IV.

Und dennoch liebe! Bade in den Wogen
Des Liebesmeers den Busen ewig neu!
O sieh, die Liebe hat dich nie betrogen,
Nur was du liebtest ward dir ungetreu.

Die Liebe lieb'. In ihrem Heiligtume,
Von ihrem Odem sonnenhaft umweht,
Sei sie die Sonne, du die Sonnenblume,
Sie Stern, du Aug', sie Pol und du Magnet.

Einöde

Auf eine Wildnis ohne Ton und Lieder
Blickt rot und stier der Abendhimmel nieder,
So rot und stier wie eine Augenhöhle,
Die ohne Auge, ohne Glanz und Seele!

Nichts regt sich rings! Auf wüsten Felskolossen
Ruh'n graue Nebel, reglos hingegossen, —
So beugen über tote Riesenleiber
Mit feuchtem Schleier sich die Klageweiber.

Hier waffne dich, o Mensch, mit aller Stärke,
Der es bedarf zum Welterlösungswerke,
Beschwöre die Naturen rings — und weine,
Daß du nicht Macht hast über tote Steine.

Als es noch Lenz war, sankst du hin im Kühlen,
Der Mutter Erde leisen Puls zu fühlen . . .
Tu's heute, Armer, der sich selbst verloren, —
Es werden Dornen dir die Brust durchbohren.

Der schöne Glaube starb dir längst im Herzen:
Die Menschen sei'n mitfühlend fremden Schmerzen.
Heut lerne von der letzten Täuschung scheiden:
Natur verstehe deine tiefen Leiden.

Es wird kein Stern, kein Blümchen sich entfärben,
Wenn deine Pulse stocken und ersterben —
Hier lerne, Herz, in allen Lebenslagen
Des Menschseins Schwere mutig zu ertragen!

O laß das Klagen

O laß das Klagen und Verzagen,
Blick nicht so bang zu mir hinan,
Ich kann dir, Arme, selbst nichts sagen
Von unsres Schiffes Ziel und Bahn.
Die See geht hoch. Trüb scheint die Ferne
Der Zukunft sich uns aufzutun —
Laß du mich unter meinem Sterne
In meines Kummers Mantel ruhn.

Ich kann nicht lieben wie du foderst,
Das Leben hat mein Herz gekühlt,
Die Glut, in der du still verloderst
Ich Harter hab' sie nie gefühlt.
Mein Lieben ist Gewitterblitzen,
Ein Sturm ist meine Poesie —
Mein ganzes Herz willst du besitzen?
Mein ganzes Herz verschenkt' ich nie!

Du bist nicht glücklich. Wonn' und Elend
Zerwühlen dir des Herzens Grund,
Und das Gewissen mahnt dich quälend,
Daß weltverdammt ist unser Bund.
Ein Elfengeist warst du hienieden,
Nur für ein stilles Glück gemacht,
Und findest nun beseelten Frieden
Auch nicht für eine kurze Nacht.

O daß aus deinem süßen Munde
Sich je das süße Wort verirrt,
Daß einst in dunkelselger Stunde
Dein schönes Herz noch brechen wird!
Nun bist du fest an mich gekettet,
Gekettet bis dein Auge bricht,
Und von dem düstern Freunde rettet
Selbst eines Kampfes Qual dich nicht!

Dein stilles Hüttlein unter Reben —
Es hat doch einst mein Herz gerührt —
Was hab' ich in ein stürmisch Leben
Unsel'ger, dich hinausgeführt?
Bei Donnerfall und wilden Wettern
Treibt's mich hinaus in Lust und Kraft
Bis an die Felsen uns zerschmettern
Die Wogen meiner Leidenschaft!

In der Gebirgswüste

Du wildes Gebirg, so schroff und gezackt,
Urwüste der Welt, wie am ersten Tag,
Als der Himmel öd' und die Erde nackt
Und kein klopfend Herz an der Erde lag.
Urstille der Welt! nimm mildgesinnt
In deine Arme dein zagendes Kind.

Verlassen hab' ich im tiefen Tal
Der Menschheit Kampf und der Menschheit Müh'n,
Das ärmliche Glück und die kleinliche Qual;
Doch auch die Rosen, das Saatengrün,
Die Fischerhütte im stillen Ried,
Das Herdengeläut' und das Hirtenlied.

Wo der braune Falk' um die Klippen schreit,
Durch der Klüfte Schnee, durch der Felsen Bann,
Durch alle Schauer der Einsamkeit
Zog ich mit klopfender Brust hinan.
In der Hütte dort, wo die Wüste beginnt,
Dort segnete ich das letzte Kind.

Den Bach, der über die Felsen schlug,
Ich hört' ihn singen so laut und wild:
Hier duldet Natur, sich selbst genug,
Kein Menschenwerk und kein Gottesbild,
Und ein Kreuz, das der Glaube hoch aufgestellt,
Er warf's in die Tiefe in Trümmer zerschellt.

Das Bild der leidenden Kreatur,
Das Bild von des Geistes Kampf und Not,
Was sollt' es hier in der großen Natur,
Hier wo kein Leben und auch kein Tod?
Prometheus selbst auf diesem Gestein,
Des Kaukasus Dulder, wie war' er so klein!

Du aber, die zu trotzen gewagt,
Du Seele, die dies Gebirg durchstreift,
Dein Schmerz hat Gott und die Menschen verklagt:
Was ist das Gefühl, das dich hier ergreift?
Du rufst in schwindelnder Todeslust
All', alle Felsen an deine Brust!

Sieh' dort das Lamm, das der Aar zerfleischt,
Sieh' den Falken dort ohne Rast und Ruh',
Sieh' dort das Rohr, das im Winde kreischt,
Sie leiden alle — was klagest du?
Hier lerne, wie klein eines Menschen Wehn,
Hier lerne jauchzen und untergehn!

Stimmen auf der Heide

Es lag vor mir die Heide wüst, verdorrt,
Tiefnächtig, wie ein Schlachtgefild verödet!
Zwei geisterhafte Heere hatten dort,
Zwei Wolkenheere, sich im Kampf befehdet.

Nun war es Nacht und waffenstill. Es lag
Ein schweres Schweigen auf den Feindesmassen,
Nur hie und da ein Donner — Trommelschlag,
Ein Blitz — Geschütz, in Zufall losgelassen.

Mich trug mein Hengst - die Nacht war kalt, mich fror -
Von tiefsten Wunden war mein Herz durchschnitten.
An den Kolonnen ritt ich hin und vor —
Da kam ein Reiter auf mich zugeritten.

Er sprach: "Genoß! nicht wahr, das ist ein Fluch,
Gestoßen sein in's Land des Sturms und Dunkels?
Das Leben ist ein Wort im großen Buch —
Wir lesen es im Schein des Blitzgefunkels!

So ist das Leben Kämpfen voller Pein,
Ach endlos lang bei lauten Donnerwettern!
Traun, besser wär's, du ließest an's Gestein
Von deinem Tier dich schleudern und zerschmettern."

Er rief's — da war er unter Blitzen schnell
Urplötzlich in der dunklen Nacht verschwunden, —
Da hatte schon ein zweiter Nachtgesell,
Ein Wandersmann, sich bei mir eingefunden.

Er sprach: "Genoß! wie ist's so qualenschwer,
Durch Lebens Trübsalsnebeln hinzuwandern,
Und rastlos, ein geborner Ahasver,
Von einer Stätte flüchten zu der andern!

So ist das Leben Wandern voller Pein,
Traun, besser wär's, du stiegst herab vom Pferde,
Und scharrtest dich in tote Blatter ein —
Und stürbst, bedeckt von Gras und feuchter Erde."

Noch wußt' ich nicht, wie mir geschehn, — da war
Der Wandrer fort, als hätt' er Windesflügel —
Allein ein Dritter, bleich, mit weißem Haar,
Stand dicht bei mir und fiel mir in die Zügel.

Er sprach: "Genoß! wie ist's so schmerzenreich,
Zu fühlen der Natur geheimes Morden,
Wie unsr'e Tage, Baumesblättern gleich,
Hinsinken, bis wir totes Holz geworden!

So ist dies Leben Sterben, endlos lang;
Was lebt und webt, das ist nur durch's Vergehen,
Drum ist dies Sterbens-Leben, ach! so bang —
Nur das Gestorbensein kennt keine Wehen."

Er sprach's. Mir graut's. Warum mein Pferd sich scheut?
Drei Gräber hier! Nun sind sie überschritten —
Ich glaub', ein Kirchhof war's, durch den ich heut'
Bei Nacht und Nebel stürmend hingeritten.

Abend am Meere

O Meer im Abendstrahl,
An deiner stillen Flut
Fühl' ich nach langer Qual
Mich wieder fromm und gut.

Das heiße Herz vergißt,
Woran sich's müd' gekämpft,
Und jeder Wehruf ist
Zu Melodie gedämpft.

Kaum daß ein leises Weh
Durchgleitet das Gemüt,
Wie durch die stumme See
Ein weißes Segel zieht.

Ein Aufseufzen

Durch das Brachfeld, wo die Disteln blühen,
Zog ich bei des Abendrots Verglühen,
Plötzlich hoch am weiten Himmelsbogen
Kam ein Flug von Kranichen gezogen.

Und es regt sich vor mir in der Hecke
Und ein Vogel stürzt aus dem Verstecke,
Schlägt ein breites, blutiges Gefieder,
Schreit und taumelt wieder erdwärts nieder.

'S ist ein Kranich, der sich früh am Morgen
Bleidurchschossen im Gestripp' verborgen,
Den, da er schon nahe dem Verscheiden,
Brüderruf geweckt zu neuem Leiden.

Kecke Freunde, trotzig von Gebärde,
Die ihr fliehen wollt die kalte Erde,
Die den freien Gießbach hemmt am Gange
Und die starken Vögel am Gesange.

Denket mein, wie Kraniche im Süden
Eines Bruders denken, den mit müden,
Bleidurchschossnen Schwingen auf dem blassen,
Kalten Feld der Heimat sie gelassen.

Therese
(† 20. März 1843)

Sie sprechen: Du sei'st tot. Das scheucht
Mich auf, wie eine kalte Hand.
Wie ist mein Pfühl so tränenfeucht
Um Eine, die ich nie gekannt!
Die ich geliebt, so still und klar,
Wie einen Lenz, der längst verschied,
Wie ein im Traum vernomm'nes Lied,
Wie eine Muse, unsichtbar

Das ist, weil ich, so arm und bang,
Es doch gewußt: Ein weiblich Herz
Ahnt aus zerrissenem Gesang,
Du, meine Seele, deinen Schmerz.
Das ist, weil ich, so heimatlos,
Gewußt: mein Lied, der Pilgrim, hat
Auf Erden seine Ruhestatt
In einer Brust, in einer bloß.

So wär' es, was sie flüstern, wahr,
Daß man dich tief und kühl verbarg,
Und daß der Wurm im stillen Sarg
Sein Netz spinnt um dein schönes Haar?
So wär' es wahr, was mich durchbebt,
Du schickst mir keinen Gruß mehr zu?
So kann denn sterben, was, wie du,
So geistig - geisterhaft gelebt?

Du warst doch nur ein Geistersang
In meines Lebens öder Nacht,
Ein mystisch Licht, das Trost gebracht,
Ein Sternbild über Wogendrang.
Du meiner Seele blasse Braut,
Du Gruß von einem fremden Stern,
Du warst ein Wesen, mir so fern,
Und doch so wonniglich vertraut!

Du bist nicht tot und nicht entfloh'n,
Du webst um mich, Gebild der Luft,
Ich sauge deines Odems Duft,
Ich trinke deiner Stimme Ton!
Da draußen wogt des Lebens Streit —
Zum Kampfe ruft das Horngetön —
Die roten Wunden stehn so schön —
Hinaus! du hast mein Schwert gefeit!

Ich kenn' den Schmerz der Kreatur,
Den Schmerz des Geist's, der wild und still
Natur und Gott umklammern will;
Mir bringt das Sterben Gutes nur.
Dies heiße Herz wird schnell vergehn —
Doch lächl' ich, wenn mein Auge bricht;
Die um mich sind, die wissen nicht,
Daß ich dich dann im Tod gesehn!

Die Heimkehr

                  Erster Wanderer.

Da liegt die Stadt, in Dämmerlicht verloren
Die mich dereinst, ein schwächlich Kind, gebar;
Verzweiflung bannte mich aus ihren Toren,
Ein zürnender Despot, so manches Jahr.
Nun kehr' ich heim, und träumend wall' ich wieder
Das Labyrinth der Gassen auf und nieder.
Wie bebt mein Herz bei jenen Glockenschlägen,
Der Erzesstimme, die allein sich regt!
An jeden Stein möcht' ich den Busen legen,
Zu fühlen, ob kein Herz darinnen schlägt.
Wie wird mir doch! Ich kenn' dies Haus, dies Fenster,
Wie oft ich hier hinauf gebetet habe —
O Freund, Erinnerungen — Nachtgespenster
Erstehn aus meinem Herzen — ihrem Grabe.

                  Zweiter Wanderer.

Hast du umsonst die Alpen überschritten,
Hast du umsonst im Palmengrün geruht?
Was du von einem schönen Weib gelitten,
Hast du's noch nicht vergessen, heißes Blut?
Du bist am Strand Siziliens gesessen,
Wo sich die Woge der Charybdis bricht —
Fand'st du den alten Lethetrunk, Vergessen,
In den Gewässern aller Tiefe nicht?

                  Erster Wanderer.

Ich fand ihn nicht! O daß man Schmerzgedanken
Abschütteln könnte, wie der Baum sein Laub,
Der grünend spricht: die alten Blätter sanken,
Sie hatten einen Wurm — nun sind sie Staub,
Doch stirbt sich's schwer nur in des Geistes Reichen,
Und schläft der Schmerz in uns, so ist er doch,
Bald wacht er auf und flüstert mit den bleichen
Gespensterlippen: Mensch, ich lebe noch!
O könnt' ich, was ich Süßes einst besessen,
Mit allen Ranken aus der Seele reißen,
Und jung und stark, der alten Qual vergessen,
Dahin gehn, wo mir neue Sonnen kreisen,
Wär's mir vergönnt, aus meines Glückes Scheuern
Ein lodernd Flammengrab mir zu erheben —
Auf jenen Sternen, jenen ewig - heitern,
Vergessen wollt' ich Liebe, Schmerz und Leben.
Doch nein, die Wunden, die ich mir geschlagen,
Werd' ich vielleicht durch Ewigkeiten tragen;
Sind denn die Schmerzgedanken, die mich quälen,
Nicht wie die ew'ge Seele selber Seelen?
Auch könnt' ich nicht hinan zum Himmel schweben,
Mein Menschsein tauschen um ein and'res Leben,
Ich kann vom Schmerz, der Schmerz von mir nicht lassen,
Es hält mich fest der Erde Netzgeflecht,
Das weiß ich wohl! Wie würde doch so schlecht
Mein stürmisch Lied zu Engelsstimmen passen!

                  Zweiter Wanderer.

Kein Dichter hat sein Tiefstes ausgesungen,
Kein Maler je sein Tiefstes hingestellt,
Tief liegt es in der Seele Dämmerungen,
Ein dunkles Sein, von keinem Strahl erhellt.
So gibt man nur der Welt sein Trübes, Schroffes,
Und mit dem Ird'schen sinkt es und zerfällt.
Dein tiefstes Sein, du armer Grübler, hoff' es,
Du trägst es rein in eine reine Welt!

                  Erster Wanderer.

O arme Seele, tiefes, dunkles Meer,
So wirst du nie von Wellenschlagen lassen,
Du kamst vielleicht als Flut von Oben her
Und wirst doch nie Unendlichkeit erfassen.
Hoch ist der Stern, zu dem du aufwärts schlägst,
Die Erde hält dich — wild und immer wilder,
Trüb' ist der Himmel, den du in dir trägst,
Des Lebens Sturm verwischt die schönsten Bilder.
Einst warst du Kind! Doch sprich, wie lang' ist's, daß
Der Glaube wandeln ging auf deinen Wellen,
Wie auf der Flut des See's Tiberias
Der Heiland bei der Brandung lautem Schwellen?
Verbirg die Perlen, wie die Schlangen! wer
Blickt auf dich nieder, wenn die Wolken klaffen?
Entsetzlich wär's, o Seele, ew'ges Meer,
Das Wort: für eine Ewigkeit geschaffen!

Kommunion

Da schiff' ich im blitzenden Mittagsschein
Auf blauem, wallendem See allein,
Die Luft so stille, die Flut so stumm,
Die starrenden Berge so groß ringsum.

Am Ufergestad', wo die Flut zerschellt,
Da reifet das Korn im goldenen Feld.
Und droben kocht auf dem Felsgestein
In blutigen Reben der heilige Wein.

Natur, so mild, so tief wunderbar,
Du bietest in Brot und Wein dich dar,
Atome in Wasser und Luft und Erd'
Werden Opferfrüchte am Sonnenherd!

Ich stelle mich aufrecht im schwankenden Boot
Natur, ich esse dein heiliges Brot!
Ich heb' einen Kelch mit Weinesglut —
Natur, ich trinke dein heiliges Blut!

Dein Wein wird Blut in den Adern hier,
Dein Brot wird Fleisch in dem Leibe mir.
O Mutter Natur, seine Kommunion
Hält feierlich heute der Erdensohn!

Jubel

Wie sich der Aar an Wettergluten,
Das Roß am Lärm von Schild und Erz,
Der Rabe freut am Lärm der Fluten,
Freut sich am Kampf mein starkes Herz.

Im Kampf allein ist heil'ges Regen
Und Wollust nur in tiefer Pein;
O süßer Schmerz, o Fluch voll Segen,
O süßes Weh, ein Mensch zu sein.

Für meine Tage wilder Fehde,
In der ich wund zur Erde sank,
Für meine Nächte schwarzer Öde,
Du Macht des Schicksals, habe Dank.

Denn aus des Traumreichs duft'gen Marken
Geschleudert durch des Unglücks Kraft,
Fühlt' an der Erde Brust erstarken
Ich meine Brust titanenhaft;

Und in der Öde meiner Nächte
Erstand mir unter Qual und Lust
Der Gott mit allgewalt'ger Rechte,
Der Heiland — in der eignen Brust.

O Brust, voll Tiefen der Vernichtung,
Voll Höhen, reich an Sang und Glanz,
Durchtobt vom Wettersturm und Dichtung,
Gleichst du der schönen Erde ganz.

O Erd', voll Licht und Finsternissen,
Des Geistes schönstes Mutterland —
Vom Jenseits mag ich nichts mehr wissen,
Seit ich dein Diesseits ganz erkannt.

Dein bin ich, dein, die du mit Kosen
Um jedes deiner Kinder wachst,
Seitdem ich weiß, daß du zu Rosen
Selbst das Gebein der Toten machst.

Sie sagten: du sei'st voll von Grüften
Und voll des Bösen sei dein Meer,
Der Himmel nur sei reich an Düften,
Ich fand ihn klar — doch, ach, wie leer!

Nur dann, wenn auch in jener Ferne
Es Schmerzen gibt und Kampf und Pein,
Dann könnte mir auf einem Sterne
Unsterblichkeit willkommen sein.