| Drei Poeten
 
 Wohin, du leidende Gestalt? —
 Zu jenen Hallen, grau und kalt,
 Recht fern dem Reich der Lebensroten,
 In die Geschichte, zu den Toten;
 In jene alten Mausoleen,
 Wo Särge grauer Helden stehn,
 Vor ihrem Staub, dem öden, kalten,
 Die Hände andachtvoll zu falten.
 Laßt mich allein, ich wandre weit
 Von einer kranken, schwachen Zeit,
 Lebend'gen fern, die mich umschwanken,
 Such' ich der Toten Kraftgedanken.
 Und du, wohin? — Auf ödem Pfad
 Durch Wald und Wildnis an's Gestad',
 Dem Orte fern, wo Menschen jammern,
 Natur, die ew'ge, zu umklammern.
 Ihr Wettersturm und Lenzgesäusel,
 Ihr Wogenkampf und Flutgekräusel,
 Ihr wilder Haß und milde Lieb'
 Ist meiner Brust verwandter Trieb.
 Ich will in Glut und Flut mich tauchen,
 Mein Sein in alles Dasein hauchen,
 In Formen, die mich bunt umschwanken,
 Such' ich des Schöpfers Lichtgedanken.
 
 Der Dritte:
 
 Lebt wohl! mein Herz bleibt fremd dem Euren,
 Mich treibt's zur Stadt, zur ungeheuren:
 Im Sammelplatz der Millionen,
 Bei Kampf und Leben muß ich wohnen.
 Ihr seht mich an? — o laßt mich fort!
 Ihr fragt: was such' ich Träumer dort?
 Im armen Volke such' ich Platonsstirnen,
 Ich such' das Weib in den verlornen Dirnen,
 Die Kraft im Sklaven, der in Staub getreten,
 Den Gott im Sünder, der nie lernte beten,
 Ich suche bei den Armen, Sünd'gen, Kranken
 Des Schöpfers argverstümmelte Gedanken.
 
 *  *  *
 
 Der Genius der Menschheit war
 In ihrer Mitte unsichtbar,
 Er sah mit kaltem Blick die Beiden
 Verschied'ne Wege gehn und scheiden;
 Doch auf dem letzten Sprecher lag
 Sein Aug' — ein lichter Frühlingstag.
 
 Demos
 
 Fern vertoste eine Wolkenschlacht
 Und des Donners Zornesstimme grollte;
 Umgeirrt war ich die lange Nacht,
 Eine Nacht, die nimmer enden wollte.
 Müde war ich, arm und krankgehetzt,
 Blutend auch aus manch verborgner Wunde,
 Wie ein Hirsch, dem grimmig nachgesetzt
 Eine Meute losgelassner Hunde.
 Die vom Nachttau feuchte Locke schlug
 An die Wangen, an die fieberbleichen,
 Und den Kotfleck am Gewande trug
 Ich als Demokratenwappenzeichen.
 Öde Stille lag um mich herum,
 Schweigsam war die Stadt wie eine Tote,
 Alle Häuser schwarz, die Schenken stumm,
 Denn es war noch fern zum Morgenrote.
 Und ich lief, die beiden Arme fest
 Wie zwei Klammern um die Brust gepreßt —
 Um die Brust, die zu zerspringen drohte.
 Als ich achtlos durch die Straßen lief,
 Wie gepeitscht von höhnenden Gewalten,
 Hört' ich eine Stimme, die mich rief,
 Und am Mantel ward ich fest gehalten.
 Und es stand vor mir ein ernster Mann,
 Schön — wie die Gesichte der Propheten,
 Augen — glühend wie ein Zauberbann,
 Haare — weiß, die in den Lüften wehten.
 Und er sprach zu mir; und ernst und kalt
 War der Worte bindende Gewalt:
 Was, Genosse, ist dein traurig Tun,
 Daß du umgehst, wenn die Andern ruhn?
 
 Und ich sprach zu ihm, von Schreck durchgraut:
 Ich bin krank und kann den Schlaf nicht finden
 Weil ich das gehört hab' und geschaut,
 Was sich nie und nimmer läßt verwinden.
 
 Wach bei meines eignen Herzens Wehn
 Halt' ich fernen Schmerzensschrei vernommen;
 Und des Weges schritt ich hin, zu sehn,
 Ob des Einz'len Hilfe könnte frommen.
 Was ich dort mit stierem Aug' geschaut,
 Ist so arg, daß Bessrung nie zu hoffen, —
 Blut und Tränen, Schmerzen, stumm und laut,
 Wunden, gräßlich tief und ewig offen! —
 Eigne Schmerzen trag' ich stillbeherzt,
 Eigne Schmerzen will ich stumm verhehlen,
 Aber mehr als alles Andre schmerzt
 Mich die Irrsal von verlornen Seelen.
 
 So viel seh' ich in des Geistes Licht
 Aus des Glaubens Sternennacht erwacht:
 Der auf Golgatha, der hat noch nicht
 Die Erlösung dieser Welt gebracht!
 Denn so lang' der Menschheit Kern umnachtet,
 Und so lang' noch tausend Herzen brechen,
 Und Ein Freier noch in Ketten schmachtet,
 Kann der Tor nur von Erlösung sprechen.
 
 Also ich; und er darauf: Erzähle,
 Was du sahst, du irre, müde Seele.
 
 Und ich sprach: Als ich die Stadt durchrannt,
 Fühlt' ich plötzlich mich am Arm gefangen;
 Hoch und schmächtig, mit entfärbten Wangen,
 Faßte mich ein Mädchen bei der Hand.
 Ach, ich hatte sie als Kind gesehn,
 Von der Unschuld Röte überflogen,
 Rein und schön, als hätten gute Feen
 Sie in ihrer Wiege großgezogen.
 Fortgewichen war der Geister Huld,
 Und sie war nur die zertret'ne Rose. —
 Weib, an deinem Elend ist nur Schuld
 Die Gesellschaft, die erbarmungslose!
 Bleiches Opfer, traurig anzuschau'n,
 Auf der Sünde heidnischem Altare
 Liegst du, daß die Unschuld andrer Frau'n
 Sich im Hause unbefleckt bewahre!
 Also stürmte ich mein Herz zur Ruh,
 Doch der ernste Mann begann zu sprechen
 Nicht auf die Gesellschaft wälze du
 Allzuleicht des Einzelnen Verbrechen.
 Die Gesellschaft ist ein leeres Wort,
 Doch dein Dichterherz ist zu geduldig,
 Wirf die Milde, die dich irr' macht, fort,
 Seiner Schuld ist jeder Einz'le schuldig.
 
 Du bist schwach, o waffne deine Seele,
 Was du weiter sahest, o erzähle!
 
 Ich darauf: Ein Wandrer durch die Stadt
 Blickt' ich durch der Hütten Fensterscheiben,
 Und ich sah beim Scheine, bleich und matt,
 Not und Sünde ihr Gewerbe treiben.
 Was ich so gesehn, vergess ich nie!
 Kinder hört' ich wimmern, sterbensmatte,
 Weil der Mutter welke Brust für sie
 Keinen Tropfen süßer Labung hatte,
 Schuldlos sterben in der Mutter Hut! —
 Und doch ist's ein Wunder, hold und milde,
 Wie in Mutterbrust aus rotem Blut
 Weiße Milch sich scheide und sich bilde.
 Wer die Tiefe solchen Wunders ehrt,
 Trauert nicht, wenn er es nicht kann glauben,
 Daß der Herr zu Kanaa einst verkehrt
 Flut vom Quelle in den Saft der Trauben!
 
 Andre Kinder, eine blasse Brut,
 Sah ich dort, wo hohe Essen dampften
 Und die ehr'nen Räder in der Glut
 Einen Tanz in schwerem Takte stampften.
 Also gräßlich ruft ein Wandrer nicht
 Unterm Mordstahl durch die nächt'ge Öde,
 Wie der Seele stumme Klage spricht
 Aus des Kindes Auge, stumpf und blöde.
 Wo der Seel' ihr grüner Lenz geraubt,
 Gibt's ein Weh, das nimmermehr zu lindern!
 Und ich zürnte, daß ich dem geglaubt,
 Der gesagt: Das Himmelreich den Kindern!
 
 Also ich; da sprach der ernste Mann:
 Du bist schwach und klein, o laß dein Trauern!
 Was noch nicht ans Licht gedrungen, kann
 Klaglos fallen in des Morgens Schauern.
 Sinken Tausend, Tausend tiefgebettet,
 Schmerzvoll, elend in die Nacht des Todes,
 Wird der künft'ge Heiland doch gerettet
 Und entgeht dem Messer des Herodes.
 Ob in Armut und in Frost erstarrt,
 Auch ein Tausend falle und erliege,
 Klage nicht! ein künft'ger Heiland ward
 Doch noch nie erdrosselt in der Wiege!
 
 Ich darauf: Nicht um die Kleinen traur' ich,
 Die aus halbem Traum dahingegangen, —
 Ganzer Völker gräßlich Los bedaur' ich,
 Wie es trostlos und von Nacht umfangen.
 Seh' ich Ohnmacht ringen nach Erkennen,
 Faßt mich ein unendliches Erbarmen,
 Und ein Schmerz, mit Worten nicht zu nennen,
 Schließt mich ein mit seinen blut'gen Armen.
 
 Eine Antwort möcht' ich mir erzwingen:
 Ist des Geistes Licht nur für die Höhen,
 Wo des Lebens Auserwählte stehen,
 Wird es niemals in die Niedrung dringen?
 Ist's des Himmels eherne Entschließung,
 Daß die alten Bande nie zerreißen?
 Ach, es hat des heil'gen Geist's Ergießung
 Ob den Massen doch die Schrift verheißen!
 
 Also ich, und meine Tränen flossen;
 Doch der ernste Mann zu meiner Rechten
 Wuchs empor, von rotem Schein umgossen,
 Wie ein Traumgesicht aus Mitternächten,
 Laß die Massen, rief er, sich vermehren!
 Wie des Wassers wüste Ungeheuer
 Streitet Volk mit Volk in wilden Heeren,
 Für die Tiefen taugt kein Sonnenfeuer.
 Not und Sünde, Krankheit, Haß und Wahn
 Sind der Menschheit Teil für alle Zeiten;
 Was der Schöpfer selber schlecht getan,
 Wird der Mensch doch nie zum Bessern leiten.
 Wie sich diese Erde auch gestalte,
 Nie vernarben wird der Menschheit Wunde
 Doch die Menschheit, die Jahrt ausendalte
 Lebt und kreist nur auf dem Erdenrunde.
 Daß aus ihr, aus ihrem dunklen Grunde
 Sich der Mensch, der Einzelne, entfalte.
 
 Sprach's und schwand. Nach Haus zurückgekommen,
 Fand ich Alles morgenrot entglommen.
 Was ich sah in dunkler Nächte Trauern,
 Schrieb ich in des Morgens irren Schauern.
 
 Ein armer Mann
 
 Die finstre Nacht kommt schnell heran,
 Ganz ohne Mond und Sternenhelle. —
 Was schleichst du dort, du bleicher Mann,
 Und suchst im Strom die tiefste Stelle?
 Ich halte dich vom Sprung zurück,
 Den Arm um deinen Leib geschlagen;
 Ich trotze deinem finstern Blick
 Und will mit dir ein Ringen wagen!
 
 Er lachte auf und sprach so still:
 Gibt es noch viel so treuer Seelen?
 Komm, setze dich hierher, ich will
 Ein Stückchen Leben dir erzählen.
 Trankst du die bittre Mär hinab,
 Wird deine Faust mich nicht mehr halten;
 Du gönnst mir wohl mein gutes Grab,
 Gehüllt in meines Mantels Falten.
 
 Sieh her! ich bin ein Sohn der Not,
 Die mich von früh an auserkoren.
 Am Pflaster hat mich und im Kot
 Ein unbekanntes Weib geboren.
 Der flinke Dieb, das bleiche Weib,
 Das Liebe feil hält in den Gassen,
 Sind mir vielleicht verwandter Leib,
 Geschwister, die mich früh verlassen.
 
 Wie meiner Kindheit Zeit verrann?
 In öde Nacht ist sie verklungen!
 Ich ward ein Jüngling, ward ein Mann
 Und hab' in Mühsal schwer gerungen.
 Doch hatte mich aus andrem Teig
 Als mein Geschlecht der Herr geknetet,
 Ich war der Knecht nicht, den ihr feig
 Beschimpft, erniedrigt und zertretet.
 
 Das Schicksal warf mich wild herum;
 Wo Englands Essen blutig flammten,
 Sah ich in Schmerzen stumpf und stumm
 Die neuen Höllen und Verdammten.
 Nach Frankreich kommend über's Meer
 Sah ich erschrocken und mit Grausen,
 Wie Lava gärend, um mich her
 Der Proletarier Massen brausen!
 
 Und Männer faßten meine Hand,
 Wie ihre Augen düster lohten —
 Auch du trägst Lumpen zum Gewand,
 Auch du bist Einer der Heloten!
 Auch dich beschimpfte man als Knecht,
 So oft die Stirn du wolltest heben;
 Doch bist du Mensch und hast ein Recht
 Auf einen Anteil Lenz und Leben!
 
 Dies Recht dahin! das war's, was tief
 Des Armen Brust schon längst empfunden.
 Vor der Paläste Fenstern rief
 Ich oft im Wahnsinn meiner Wunden:
 Habt Achtung vor des Menschen Bild!
 Laßt ab, den Armen zu entehren!
 Seid mild und gut! Wie, wenn sich wild
 Einst gegen euch die Waffen kehren?
 
 Ich bin gewandert, hab' geseh'n,
 Es steigt empor in bösen Zeichen,
 Ein Kampf liegt in den ersten Weh'n,
 Ein Kampf der Armen und der Reichen.
 Wie, wenn aus der Helotin Schoß,
 Wie, wenn aus armer, dunkler Wiege
 Ein Racheengel, stark und groß,
 Der Zukunft Spartakus entstiege?
 
 Noch ist es Zeit! Ist euch nicht bang?
 Und weckt euch nichts aus eurem Wahne?
 Denkt euch der Heere Wandergang,
 Voran des Bettlers Kleid als Fahne!
 Denkt euch den Krieg, des Krieges Raub!
 Denkt euch die Massen, wild, und brausend
 Es sinkt in Asche, sinkt in Staub,
 Woran gemodelt ein Jahrtausend!
 
 Sie hören nichts, sie schlummern gut,
 Des Mahners Stimme kann nicht frommen;
 So mag denn über dich, du Brut,
 Du stolze Brut, das Ärgste kommen!
 Ich aber, der bestimmt, zu schau'n
 Dies böse Kämpfen und Verzagen,
 Ich kann im irren Morgengrau'n
 Mein traurig Sein nicht mehr ertragen.
 
 Ja, dieses Herz erträgt's nicht mehr —
 Des Volkes Tage sind noch ferne.
 Verzweiflung braust im Sturme her —
 Leb wohl, mein Freund, ich sterbe gerne!
 Ja eine große Finsternis
 Steig' ich herunter beim Verscheiden;
 Doch eines ist und bleibt gewiß:
 Was nicht mehr ist, kann nicht mehr leiden!
 
 Er sprach's, und meine Träne floß,
 Die Wangen bleicher noch zu färben:
 In andern Tagen wärst du groß,
 Und mußt nun hingehn, um zu sterben.
 Warum erwachtest du zum Licht,
 O Mann des Volks, Helot des Lebens?
 Der Himmel selbst ersetzt dir nicht
 Des Lebens Lenz! Es ist vergebens!
 
 Der Mann des Volks, der auferwacht
 Aus Stumpfsinnsnacht in Lebensmitten,
 Gewahrt, wie ihm die rohe Macht
 Den Weg zum Licht ganz abgeschnitten;
 Den faßt des Wahnsinns starke Faust,
 Den packen gräßliche Gewalten!
 Die Nacht ist schwarz, das Wasser braust —
 Leb wohl! ich kann dich nicht — mehr halten!
 
 Einer Gefallenen
 
 Doch du, verklärtes Weib, bist erdensatt;
 So magst du schwinden gleich dem Abendstrahle,
 Wie eine Perle Tau's am Rosenblatt,
 Wie Hörnerklang im tiefen Föhrentale.
 
 Da dir die Erde und des Himmels Dom
 Nichts als ein Sarg ist und ein Sargesdeckel,
 Der Mensch nichts, als ein tauschendes Phantom
 Dies Leben nichts, als Moder und als Ekel;
 
 Da dir das Unglück Alles, Alles nahm,
 Ja selbst die Tränen, die um Mitleid werben,
 Und du nur Einen Bruder hast: den Gram —
 So wünsch' ich dir, mein Kind, recht bald zu sterben!
 
 Du warst so rein! Im Buch des Engels, der
 Die Rechnung hielt von deinen Taten allen,
 War stets das schwarze Blatt der Schulden leer —
 Und doch — ein Weib, bist du als Weib gefallen!
 
 Und nun verstoßen von der Eltern Dach,
 Geschmäht von aller Welt, du bleiche Rose,
 Verhöhnt von dem, der dir die Treue brach, —
 So stehst du da und hältst dein Kind im Schoße.
 
 Dein totes Kind! O drück' es an dein Herz,
 Und such' die Spuren des entschwundnen Lebens;
 Du weißt ja doch in Deinem heil'gen Schmerz,
 Es sei die Bürgschaft göttlichen Vergebens.
 
 Ich aber spreche: Stirb, du müder Leib,
 Und leicht und schön mag dir das Sterben werden —
 Die Mutterschaft tilgt alle Schuld am Weib,
 Die Mütter nur sind Heilige auf Erden.
 
 Ein Atheist
 
 I.
 Auf dem feurigen
 Grat des Gebirges
 Stand ein Jüngling-Wanderer,
 Und schüttelte von den Füßen
 Den Staub des unendlichen Weges,
 Denn ruh'n wollt' er und rasten
 Im Dorf, das ihn geboren.
 Abend war's,
 Die Zeit, wo der Weltgeist
 In Flammen umtauft seine schöne sündige
 Tochter: die Erde.
 Abend war's!
 Zwischen Erd' und Himmel
 Schwamm aus Wolken erbaut ein Eiland,
 Ein fliegendes Eden,
 Mit Zinnen von feurigem Schnee
 Und Palmen von Sonnenstrahlen,
 Zu dem die Seele,
 Die Glutentrunkene
 Zog, wie die seltsame
 Schwalbe des Orients,
 Die das gewürzduftende Nest
 Abendlich heimsucht.
 Im Anschau'n des jungen,
 Herrlichen Sonnengotts
 War die Erde versunken;
 Eine vollbusige Jungfrau
 Bebt sie zusammen
 Vor dem Wunder eigener Schönheit.
 Und durch das tonlose
 Herz des Wanderers
 Ging gebet-flüsternde Andacht,
 Und langsam sprach er:
 Seele der Welt,
 Puls in den Adern des Lebens,
 Die du an Faden des Lichts
 Welten anreihst, wie Perlen am Rosenkranz
 Ein Mädchen,
 Geist, der die Geister
 Alle durchgeistet, Leben
 In allen Fluten des Lebens,
 Seele, in der die Seelen Verstorbener
 Vom ersten Tag an
 Sicher gehütet träumen,
 Du Morgenrot, du Abendherrlichkeit,
 Die Alles vergoldet,
 Selbst des guten Galiläers
 Nageldurchbortes,
 Leidenentstelltes
 Bild am Scheideweg,
 Dich tempellosen Gott
 Nicht zu verehren
 Durch Fasten und Kniebeugung,
 Nur durch die Tat erlösender Güte,
 Dich will ich predigen, tragen
 In jenes Heimatsdorf, das zusammengerollt
 Wie ein Schlänglein liegt am Felsgestein,
 Daß die tausend Herzen, die geknechtet
 In Frondienst und Sklavenarbeit,
 An's Herz sich stürzen
 Und jauchzend begrüßen
 Das Brüdertum
 Aller Kinder der Erde!
 
 II.
 Still war die Kirche, herab von der Kanzel
 Sprach der giftgelbe Pfaffe
 Von den Dornen und Pfeilen der Märtyrer,
 Von den Martern des Höllenfeuers
 Und vom Vermessen des Menschengeistes,
 Der die breiten Schwingen schüttelt,
 Ein Adler.
 Und auf den Jüngling blickt er hernieder,
 Der die Jugend oft in Sommerabenden
 Geführt auf die Spitze des Gebirges
 Und zu ihr gesprochen vom Geiste,
 Den man verehrt
 Ohne Schrift und Zeichen.
 Und lauter stets seine Rede schwoll:
 Wehe, wehe über das Haupt
 Des Verfallenen,
 Des Abtrünnigen!
 Verloren die Taufe des Heils
 Und der Tränen
 An der Seele des Gottverlassenen.
 Wehe, wehe!
 Von dir kehren sich ab
 Die Angesichter der Frommen,
 In ihren Gräbern regen sich
 Über dich wehrufend
 Die Gebeine deiner Väter;
 Aus ihrem Grabe erhebt sich
 Des Nachts im Mondschein
 Die Knochenhand deiner Mutter
 Und verflucht dich, den sie geboren;
 Atheist, Atheist!
 
 In die schmetternde
 Stimme des Priesters
 Schnitt ein gellender Schrei,
 Vor dem letzten Betstuhle lag,
 Die Stirn auf den Steinen,
 Blutend, verblutend,
 Eine blasse Rose,
 Ein Mädchen!
 Durch die verzagenden
 Reihen der Gläubigen
 Schritt der Verfluchte,
 Drückte auf die blassen,
 Zuckenden Lippen des Kindes
 Den ersten Kuß und den letzten,
 Und ging an den Gräbern vorbei
 Durch den blühenden,
 Singenden Frühling
 Im Hain der Verwesung,
 Zum Dorfe hinaus, das ihn geboren,
 Mit brechendem, gebrochenem Herzen
 Weiter und weiter!
 
 Das Kind des Armen
 
 Du schönes Kind, du Kind des Armen,
 Mit blauen Augen fromm und froh,
 Du blickst wie göttliches Erbarmen
 Herab von deinem Bett von Stroh.
 
 Du kommst von Gott! Wohlan, verkünde,
 Denn wir verzweifeln in der Not:
 Schafft Gott die Schönheit für die Sünde,
 Schafft er das Leben für den Tod?
 
 Eine Poetennatur
 
 Als er ein Knabe, war,
 Mit Locken blond und kraus,
 Da floh er täglich fort
 Aus seiner Eltern Haus,
 Und zog in's Waldgebirg
 Auf unwegsamem Pfad,
 Den nur der scheue Fuß
 Des wunden Wilds betrat.
 
 Ob er die Lämmer sucht,
 Die sich im Hag verirrt?
 Ob er der Taube lauscht,
 Die in den Wipfeln girrt?
 Ich weiß es nicht, auch ist
 Nicht Einer, der's erfuhr —
 Wer Geisterpfade geht,
 Den finden Geister nur.
 
 Der Vater schlug ein Kreuz,
 Die alte Mutter sann,
 Bis Trän' auf Träne heiß
 Ihr in's Gebetbuch rann.
 Sie saß so bleich vor Angst
 Des Nachts bei ihrem Herd,
 Da kam der Knabe aus
 Dem Wald zurückgekehrt.
 
 Die Rehlein folgten ihm
 Wie fromme Hunde nach,
 Sie leckten ihm die Hand
 Und wußten, was er sprach.
 Und gab er ihnen leis
 Ein seltsam Abschiedswort,
 Dann schlich die ganze Schar
 Zu ihrem Dickicht fort.
 
 Zum Herde setzt' er sich.
 Da sprach er lang' und bang'
 Vom unterird'schen Quell
 Und seinem Wundersang,
 Vom Lilienkelch, der fern
 Im blauen Teiche schwimmt.
 Vom Glutkarfunkel, der
 In dunkler Höhle glimmt.
 
 Die Mandragora, tief
 Im Felsenriß versteckt —
 Die Schlangenkönigin,
 Bekrönt und buntgefleckt —
 Er kennt sie nur zu gut,
 Kein Spuk erschreckt ihn mehr;
 Wo hat der junge Knab'
 Die tollen Märchen her?
 
 Ein müder Wandrer saß
 Ich einst zu trauter Rast
 Des Nachts in jenem Haus
 Bei Brot und Trank zu Gast,
 Da kam der blonde Knab',
 Verworren Haar und Blick,
 Von seinem Wandelgang
 Im Waldesgrund zurück.
 
 Er sprach: O kennt' ich doch
 Das wunderbare Weib,
 Das hoch auf schwarzem Hengst
 Zu stolzem Zeitvertreib,
 Das Silberhorn zur Seit,
 Den Falken auf der Faust,
 Tagtäglich durch den Forst
 Im tollen Ritte braust!
 
 Wie rauscht ihr Kleid! Doch dort,
 Wo die Kapelle steht,
 Springt sie vom Pferd herab
 Und spricht ein leis Gebet.
 Derweilen grast der Rapp,
 Der zahme Falke schreit,
 Sein greller Ton erstirbt
 In der Waldeinsamkeit.
 
 Einsiedels Glöcklein tönt
 Aus ferner grüner Nacht —
 Aus ihres Betens Traum
 Das schöne Weib erwacht;
 Sie steigt zu Pferd — sie stößt
 In's Horn — o Harmonie! . . .
 Ich sprach: mein Freund, das war
 Die deutsche Poesie.
 ***
 Ich sah ihn drauf als Mann
 Wie seine Locken wehten —
 Die Augen dunkelbraun —
 Auflodernde Kometen.
 Auf weißer Marmorstirn
 In wirren Glutbuchstaben
 Das Mal des Märtyrers
 Des Liedes eingegraben!
 
 Er nannte die Natur,
 In seiner Rede Chaos,
 Ein Weib — so schön und falsch,
 Wie das des Menelaos,
 Sprach von Gedanken, die,
 Mit Worten nicht zu nennen,
 Im armen Menschenhirn
 Wie rote Kohlen brennen!
 
 Und milder ward er dann.
 Von seinen Lippen kamen
 Die Worte: Gott und Geist —
 Dann süße Mädchennamen.
 Nun ist er tot. Er ruht
 In ungeweihter Erde.
 Das Andre wißt ihr. Fleht,
 Daß ihm vergeben werde.
 
 Vision
 
 Mein Herz ist wund, es schmerzen meine Augen,
 Die all' das Graun der Schattenwelt gesehn,
 O diese Träume, die mein Herzblut saugen,
 O laß sie, Herr, an mir vorüber gehn!
 
 Ich stand im Pantheon; mit blauem Feuer
 Durchschnitt ein Blitz das nächtig dunkle Schiff.
 Die Säulen bebten, Saiten einer Leier,
 In die die Hand von einem Dämon griff.
 
 Die Glocken sprachen in den Türmen droben,
 Aus dunkler Tiefe sang ein Geisterchor,
 Die Gräber kreisten, und Gespenster hoben
 Sich aus den Särgen still und ernst empor.
 
 Es waren lauter herrliche Gestalten
 Mit hohen Stirnen, drauf manch Mal geprägt,
 Gehüllt in lange, weiße Bahrtuchfalten,
 Wie man sie einst zur Ruh' hineingelegt.
 
 Betrogne Freier, Gaste beim Gelage
 Der ewigen Penelope: der Zeit,
 Die all' das Weben ihrer großen Tage
 In Nächten wieder der Vernichtung weiht.
 
 Unselige Opfer, Volk, auf dessen bleichen
 Entfärbten Lippen noch ein Ton Gesang,
 Zerschmettert von des Schicksalswagens Speichen,
 Da sie beschleun'gen wollten seinen Gang.
 
 Columbe, die ihr Eiland nie gefunden,
 Märtyrer, die verblutet unerkannt,
 Poeten, deren Wort die Nacht umwunden,
 Propheten, deren Wort nie Glauben fand.
 
 Kurz, arme Schemen, die für ihre Wunden
 Auch nicht in ihres Grabes Einsamkeit
 Den blutstromstillenden Verband gefunden,
 Das graue Spinngeweb': Vergessenheit.
 
 Kurz, armes Volk, vergessen, nutzlos, elend,
 Wie es ein Schiffbruch wirft an's Küstenland,
 Die Arme aufwärts hebend und verhehlend
 Den nackten Leib mit modrigem Gewand.
 
 Sie fragten All' den Gott im Himmel droben,
 Ob er sie ohne Zweck zur Pein berief?
 Sie forderten Ersatz mit lautem Toben,
 Und — sanken rücklings in die Gräber tief.
 
 Erkenntnis
 
 Ich stand am Abhang einer Felsenwand,
 Die Alpenrose mit dem Fuß zertretend;
 Tief unter mir ein sommergrünes Land,
 In zwanzig Sonntagsmorgenglocken betend.
 
 Das war so still! der starre Felsen trug
 Sein niedres Hüttlein auf umzaunter Erde,
 Im Tale tiefer unten ging der Pflug,
 Am Bergesabhang zogen Hirt und Herde.
 
 Ich hatte aller Städte Not geschaut,
 Nun ward ich still beim Herdeglockenklingen,
 In meinem Zweiflerherzen rief es laut:
 O horch! so fröhlich kann die Armut singen!
 
 Auch hier ist Armut! Ihre Träne tauft
 Den Säugling für die Welt, die endlos böse;
 Doch ist sie hier kein Weib, das sich verkauft,
 Sie ist ein Kind und arglos ihrer Blöße.
 
 Und ich verstand, daß fröhlich, fromm und gut
 Die vielgeprüfte Menschheit dann nur werde,
 Wenn sie in seligem Vergessen ruht
 Bei Müh' und Arbeit an der Brust der Erde.
 
 Zwei Räuber
 
 Zwei Tannen blicken schaurend
 Tief in den Grund hinein,
 Zwei Räuber sitzen kauernd
 Auf hartem Bett von Stein.
 Zu ihren Füßen ruhten
 Gebirg im weiten Raum
 In irren Morgengluten —
 Still war es, wie im Traum.
 
 Zum Jungen sprach der Greise:
 Hörst du aus Taleskluft
 Die frommen Glöcklein leise
 Hertönen durch die Luft?
 Die Frommen müssen beten
 In Fast' und Gottes Fron,
 Wirst nie zu ihnen treten
 Mein froher, freier Sohn.
 
 Still bleibt des Jüngern Brüten
 Und wieder spricht der Greis:
 Wie sie die Äcker hüten
 In Sklavennot und Schweiß.
 Blut klebt an ihren Schollen
 Auf deinem Alpenpfad,
 Wie darfst du ihnen grollen,
 Mein freier Kamerad!
 
 Der Junge brütet schweigend
 Und wieder spricht der Mann:
 Ein Hochzeitszug zieht geigend
 Das grüne Tal hinan.
 Bei Knechten herrschen Weiber,
 Feig wird das Herz und schwer,
 Du bleibst ein freier Räuber,
 Kein Weib betrügt dich mehr.
 
 Der Alte ruft: Wir leben
 So froh, daß Gott erbarm,
 Des Jüngern Fäuste beben,
 Es zuckt sein starker Arm.
 Sein Auge flammet nächtig:
 So schweig einmal, du Hund!
 Mit einem Faustschlag mächtig
 Wirft er ihn in den Grund.
 
 Die Schmiede
 
 Wunderbarer Dämmrungsfriede
 War es, der die Erd' umfing,
 Als ich jüngst, an einer Schmiede
 Geisterstill vorüberging.
 
 Drinnen, bei des Feuers Helle
 Schlug der Schmied sein sprühend Erz,
 Draußen auf der niedern Schwelle
 Schloß sein Weib ihr Kind an's Herz.
 
 Solches schauend dacht' ich trübe
 An mein Leben wilder Hast,
 Reich an Kampf und arm an Liebe
 Ohne Ruh und Vesperrast!
 
 Und zum Weibe sprach ich bange:
 Blühe fort, so schön und gut,
 Die mich anstarrst, weil so lange
 Schon mein Blick auf dir geruht.
 
 Hältst dein süßes Kind geborgen
 Drückst es an dein Angesicht,
 Wie du schön in deinen Sorgen,
 Junge Mutter, ahnst du, nicht.
 
 Sauge nun an deinen Brüsten
 Deine Söhne rauh und stark
 Und kein kränkliches Gelüsten
 Treffe ihr gesundes Mark,
 
 Daß sie nie die Seuchen kennen
 Die im Triumphatorston
 Böse oder Toren nennen:
 Bildung, Zivilisation.
 
 Aber du mein Schmied vollbringe,
 Was das Schicksal dir gebot,
 Und mit Armeskräften ringe
 Täglich um dein täglich Brot.
 
 Schmied' an deinem roten Herde
 Für der armen Menschheit Wohl
 Deine Pflugschar, uns'rer Erde
 Schönstes, heiligstes Symbol!
 
 
 
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