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III.
Leben

 

Drei Poeten
Demos
Ein armer Mann
Einer Gefallenen
Ein Atheist
Das Kind des Armen
Eine Poetennatur
Vision
Erkenntnis
Zwei Räuber
Die Schmiede

 

Drei Poeten


Wohin, du leidende Gestalt? —
Zu jenen Hallen, grau und kalt,
Recht fern dem Reich der Lebensroten,
In die Geschichte, zu den Toten;
In jene alten Mausoleen,
Wo Särge grauer Helden stehn,
Vor ihrem Staub, dem öden, kalten,
Die Hände andachtvoll zu falten.
Laßt mich allein, ich wandre weit
Von einer kranken, schwachen Zeit,
Lebend'gen fern, die mich umschwanken,
Such' ich der Toten Kraftgedanken.
Und du, wohin? — Auf ödem Pfad
Durch Wald und Wildnis an's Gestad',
Dem Orte fern, wo Menschen jammern,
Natur, die ew'ge, zu umklammern.
Ihr Wettersturm und Lenzgesäusel,
Ihr Wogenkampf und Flutgekräusel,
Ihr wilder Haß und milde Lieb'
Ist meiner Brust verwandter Trieb.
Ich will in Glut und Flut mich tauchen,
Mein Sein in alles Dasein hauchen,
In Formen, die mich bunt umschwanken,
Such' ich des Schöpfers Lichtgedanken.

Der Dritte:

Lebt wohl! mein Herz bleibt fremd dem Euren,
Mich treibt's zur Stadt, zur ungeheuren:
Im Sammelplatz der Millionen,
Bei Kampf und Leben muß ich wohnen.
Ihr seht mich an? — o laßt mich fort!
Ihr fragt: was such' ich Träumer dort?
Im armen Volke such' ich Platonsstirnen,
Ich such' das Weib in den verlornen Dirnen,
Die Kraft im Sklaven, der in Staub getreten,
Den Gott im Sünder, der nie lernte beten,
Ich suche bei den Armen, Sünd'gen, Kranken
Des Schöpfers argverstümmelte Gedanken.

*  *

Der Genius der Menschheit war
In ihrer Mitte unsichtbar,
Er sah mit kaltem Blick die Beiden
Verschied'ne Wege gehn und scheiden;
Doch auf dem letzten Sprecher lag
Sein Aug' — ein lichter Frühlingstag.

Demos

Fern vertoste eine Wolkenschlacht
Und des Donners Zornesstimme grollte;
Umgeirrt war ich die lange Nacht,
Eine Nacht, die nimmer enden wollte.
Müde war ich, arm und krankgehetzt,
Blutend auch aus manch verborgner Wunde,
Wie ein Hirsch, dem grimmig nachgesetzt
Eine Meute losgelassner Hunde.
Die vom Nachttau feuchte Locke schlug
An die Wangen, an die fieberbleichen,
Und den Kotfleck am Gewande trug
Ich als Demokratenwappenzeichen.
Öde Stille lag um mich herum,
Schweigsam war die Stadt wie eine Tote,
Alle Häuser schwarz, die Schenken stumm,
Denn es war noch fern zum Morgenrote.
Und ich lief, die beiden Arme fest
Wie zwei Klammern um die Brust gepreßt —
Um die Brust, die zu zerspringen drohte.
Als ich achtlos durch die Straßen lief,
Wie gepeitscht von höhnenden Gewalten,
Hört' ich eine Stimme, die mich rief,
Und am Mantel ward ich fest gehalten.
Und es stand vor mir ein ernster Mann,
Schön — wie die Gesichte der Propheten,
Augen — glühend wie ein Zauberbann,
Haare — weiß, die in den Lüften wehten.
Und er sprach zu mir; und ernst und kalt
War der Worte bindende Gewalt:
Was, Genosse, ist dein traurig Tun,
Daß du umgehst, wenn die Andern ruhn?

Und ich sprach zu ihm, von Schreck durchgraut:
Ich bin krank und kann den Schlaf nicht finden
Weil ich das gehört hab' und geschaut,
Was sich nie und nimmer läßt verwinden.

Wach bei meines eignen Herzens Wehn
Halt' ich fernen Schmerzensschrei vernommen;
Und des Weges schritt ich hin, zu sehn,
Ob des Einz'len Hilfe könnte frommen.
Was ich dort mit stierem Aug' geschaut,
Ist so arg, daß Bessrung nie zu hoffen, —
Blut und Tränen, Schmerzen, stumm und laut,
Wunden, gräßlich tief und ewig offen! —
Eigne Schmerzen trag' ich stillbeherzt,
Eigne Schmerzen will ich stumm verhehlen,
Aber mehr als alles Andre schmerzt
Mich die Irrsal von verlornen Seelen.

So viel seh' ich in des Geistes Licht
Aus des Glaubens Sternennacht erwacht:
Der auf Golgatha, der hat noch nicht
Die Erlösung dieser Welt gebracht!
Denn so lang' der Menschheit Kern umnachtet,
Und so lang' noch tausend Herzen brechen,
Und Ein Freier noch in Ketten schmachtet,
Kann der Tor nur von Erlösung sprechen.

Also ich; und er darauf: Erzähle,
Was du sahst, du irre, müde Seele.

Und ich sprach: Als ich die Stadt durchrannt,
Fühlt' ich plötzlich mich am Arm gefangen;
Hoch und schmächtig, mit entfärbten Wangen,
Faßte mich ein Mädchen bei der Hand.
Ach, ich hatte sie als Kind gesehn,
Von der Unschuld Röte überflogen,
Rein und schön, als hätten gute Feen
Sie in ihrer Wiege großgezogen.
Fortgewichen war der Geister Huld,
Und sie war nur die zertret'ne Rose. —
Weib, an deinem Elend ist nur Schuld
Die Gesellschaft, die erbarmungslose!
Bleiches Opfer, traurig anzuschau'n,
Auf der Sünde heidnischem Altare
Liegst du, daß die Unschuld andrer Frau'n
Sich im Hause unbefleckt bewahre!
Also stürmte ich mein Herz zur Ruh,
Doch der ernste Mann begann zu sprechen
Nicht auf die Gesellschaft wälze du
Allzuleicht des Einzelnen Verbrechen.
Die Gesellschaft ist ein leeres Wort,
Doch dein Dichterherz ist zu geduldig,
Wirf die Milde, die dich irr' macht, fort,
Seiner Schuld ist jeder Einz'le schuldig.

Du bist schwach, o waffne deine Seele,
Was du weiter sahest, o erzähle!

Ich darauf: Ein Wandrer durch die Stadt
Blickt' ich durch der Hütten Fensterscheiben,
Und ich sah beim Scheine, bleich und matt,
Not und Sünde ihr Gewerbe treiben.
Was ich so gesehn, vergess ich nie!
Kinder hört' ich wimmern, sterbensmatte,
Weil der Mutter welke Brust für sie
Keinen Tropfen süßer Labung hatte,
Schuldlos sterben in der Mutter Hut! —
Und doch ist's ein Wunder, hold und milde,
Wie in Mutterbrust aus rotem Blut
Weiße Milch sich scheide und sich bilde.
Wer die Tiefe solchen Wunders ehrt,
Trauert nicht, wenn er es nicht kann glauben,
Daß der Herr zu Kanaa einst verkehrt
Flut vom Quelle in den Saft der Trauben!

Andre Kinder, eine blasse Brut,
Sah ich dort, wo hohe Essen dampften
Und die ehr'nen Räder in der Glut
Einen Tanz in schwerem Takte stampften.
Also gräßlich ruft ein Wandrer nicht
Unterm Mordstahl durch die nächt'ge Öde,
Wie der Seele stumme Klage spricht
Aus des Kindes Auge, stumpf und blöde.
Wo der Seel' ihr grüner Lenz geraubt,
Gibt's ein Weh, das nimmermehr zu lindern!
Und ich zürnte, daß ich dem geglaubt,
Der gesagt: Das Himmelreich den Kindern!

Also ich; da sprach der ernste Mann:
Du bist schwach und klein, o laß dein Trauern!
Was noch nicht ans Licht gedrungen, kann
Klaglos fallen in des Morgens Schauern.
Sinken Tausend, Tausend tiefgebettet,
Schmerzvoll, elend in die Nacht des Todes,
Wird der künft'ge Heiland doch gerettet
Und entgeht dem Messer des Herodes.
Ob in Armut und in Frost erstarrt,
Auch ein Tausend falle und erliege,
Klage nicht! ein künft'ger Heiland ward
Doch noch nie erdrosselt in der Wiege!

Ich darauf: Nicht um die Kleinen traur' ich,
Die aus halbem Traum dahingegangen, —
Ganzer Völker gräßlich Los bedaur' ich,
Wie es trostlos und von Nacht umfangen.
Seh' ich Ohnmacht ringen nach Erkennen,
Faßt mich ein unendliches Erbarmen,
Und ein Schmerz, mit Worten nicht zu nennen,
Schließt mich ein mit seinen blut'gen Armen.

Eine Antwort möcht' ich mir erzwingen:
Ist des Geistes Licht nur für die Höhen,
Wo des Lebens Auserwählte stehen,
Wird es niemals in die Niedrung dringen?
Ist's des Himmels eherne Entschließung,
Daß die alten Bande nie zerreißen?
Ach, es hat des heil'gen Geist's Ergießung
Ob den Massen doch die Schrift verheißen!

Also ich, und meine Tränen flossen;
Doch der ernste Mann zu meiner Rechten
Wuchs empor, von rotem Schein umgossen,
Wie ein Traumgesicht aus Mitternächten,
Laß die Massen, rief er, sich vermehren!
Wie des Wassers wüste Ungeheuer
Streitet Volk mit Volk in wilden Heeren,
Für die Tiefen taugt kein Sonnenfeuer.
Not und Sünde, Krankheit, Haß und Wahn
Sind der Menschheit Teil für alle Zeiten;
Was der Schöpfer selber schlecht getan,
Wird der Mensch doch nie zum Bessern leiten.
Wie sich diese Erde auch gestalte,
Nie vernarben wird der Menschheit Wunde
Doch die Menschheit, die Jahrt ausendalte
Lebt und kreist nur auf dem Erdenrunde.
Daß aus ihr, aus ihrem dunklen Grunde
Sich der Mensch, der Einzelne, entfalte.

Sprach's und schwand. Nach Haus zurückgekommen,
Fand ich Alles morgenrot entglommen.
Was ich sah in dunkler Nächte Trauern,
Schrieb ich in des Morgens irren Schauern.

Ein armer Mann

Die finstre Nacht kommt schnell heran,
Ganz ohne Mond und Sternenhelle. —
Was schleichst du dort, du bleicher Mann,
Und suchst im Strom die tiefste Stelle?
Ich halte dich vom Sprung zurück,
Den Arm um deinen Leib geschlagen;
Ich trotze deinem finstern Blick
Und will mit dir ein Ringen wagen!

Er lachte auf und sprach so still:
Gibt es noch viel so treuer Seelen?
Komm, setze dich hierher, ich will
Ein Stückchen Leben dir erzählen.
Trankst du die bittre Mär hinab,
Wird deine Faust mich nicht mehr halten;
Du gönnst mir wohl mein gutes Grab,
Gehüllt in meines Mantels Falten.

Sieh her! ich bin ein Sohn der Not,
Die mich von früh an auserkoren.
Am Pflaster hat mich und im Kot
Ein unbekanntes Weib geboren.
Der flinke Dieb, das bleiche Weib,
Das Liebe feil hält in den Gassen,
Sind mir vielleicht verwandter Leib,
Geschwister, die mich früh verlassen.

Wie meiner Kindheit Zeit verrann?
In öde Nacht ist sie verklungen!
Ich ward ein Jüngling, ward ein Mann
Und hab' in Mühsal schwer gerungen.
Doch hatte mich aus andrem Teig
Als mein Geschlecht der Herr geknetet,
Ich war der Knecht nicht, den ihr feig
Beschimpft, erniedrigt und zertretet.

Das Schicksal warf mich wild herum;
Wo Englands Essen blutig flammten,
Sah ich in Schmerzen stumpf und stumm
Die neuen Höllen und Verdammten.
Nach Frankreich kommend über's Meer
Sah ich erschrocken und mit Grausen,
Wie Lava gärend, um mich her
Der Proletarier Massen brausen!

Und Männer faßten meine Hand,
Wie ihre Augen düster lohten —
Auch du trägst Lumpen zum Gewand,
Auch du bist Einer der Heloten!
Auch dich beschimpfte man als Knecht,
So oft die Stirn du wolltest heben;
Doch bist du Mensch und hast ein Recht
Auf einen Anteil Lenz und Leben!

Dies Recht dahin! das war's, was tief
Des Armen Brust schon längst empfunden.
Vor der Paläste Fenstern rief
Ich oft im Wahnsinn meiner Wunden:
Habt Achtung vor des Menschen Bild!
Laßt ab, den Armen zu entehren!
Seid mild und gut! Wie, wenn sich wild
Einst gegen euch die Waffen kehren?

Ich bin gewandert, hab' geseh'n,
Es steigt empor in bösen Zeichen,
Ein Kampf liegt in den ersten Weh'n,
Ein Kampf der Armen und der Reichen.
Wie, wenn aus der Helotin Schoß,
Wie, wenn aus armer, dunkler Wiege
Ein Racheengel, stark und groß,
Der Zukunft Spartakus entstiege?

Noch ist es Zeit! Ist euch nicht bang?
Und weckt euch nichts aus eurem Wahne?
Denkt euch der Heere Wandergang,
Voran des Bettlers Kleid als Fahne!
Denkt euch den Krieg, des Krieges Raub!
Denkt euch die Massen, wild, und brausend
Es sinkt in Asche, sinkt in Staub,
Woran gemodelt ein Jahrtausend!

Sie hören nichts, sie schlummern gut,
Des Mahners Stimme kann nicht frommen;
So mag denn über dich, du Brut,
Du stolze Brut, das Ärgste kommen!
Ich aber, der bestimmt, zu schau'n
Dies böse Kämpfen und Verzagen,
Ich kann im irren Morgengrau'n
Mein traurig Sein nicht mehr ertragen.

Ja, dieses Herz erträgt's nicht mehr —
Des Volkes Tage sind noch ferne.
Verzweiflung braust im Sturme her —
Leb wohl, mein Freund, ich sterbe gerne!
Ja eine große Finsternis
Steig' ich herunter beim Verscheiden;
Doch eines ist und bleibt gewiß:
Was nicht mehr ist, kann nicht mehr leiden!

Er sprach's, und meine Träne floß,
Die Wangen bleicher noch zu färben:
In andern Tagen wärst du groß,
Und mußt nun hingehn, um zu sterben.
Warum erwachtest du zum Licht,
O Mann des Volks, Helot des Lebens?
Der Himmel selbst ersetzt dir nicht
Des Lebens Lenz! Es ist vergebens!

Der Mann des Volks, der auferwacht
Aus Stumpfsinnsnacht in Lebensmitten,
Gewahrt, wie ihm die rohe Macht
Den Weg zum Licht ganz abgeschnitten;
Den faßt des Wahnsinns starke Faust,
Den packen gräßliche Gewalten!
Die Nacht ist schwarz, das Wasser braust —
Leb wohl! ich kann dich nicht — mehr halten!

Einer Gefallenen

Doch du, verklärtes Weib, bist erdensatt;
So magst du schwinden gleich dem Abendstrahle,
Wie eine Perle Tau's am Rosenblatt,
Wie Hörnerklang im tiefen Föhrentale.

Da dir die Erde und des Himmels Dom
Nichts als ein Sarg ist und ein Sargesdeckel,
Der Mensch nichts, als ein tauschendes Phantom
Dies Leben nichts, als Moder und als Ekel;

Da dir das Unglück Alles, Alles nahm,
Ja selbst die Tränen, die um Mitleid werben,
Und du nur Einen Bruder hast: den Gram —
So wünsch' ich dir, mein Kind, recht bald zu sterben!

Du warst so rein! Im Buch des Engels, der
Die Rechnung hielt von deinen Taten allen,
War stets das schwarze Blatt der Schulden leer —
Und doch — ein Weib, bist du als Weib gefallen!

Und nun verstoßen von der Eltern Dach,
Geschmäht von aller Welt, du bleiche Rose,
Verhöhnt von dem, der dir die Treue brach, —
So stehst du da und hältst dein Kind im Schoße.

Dein totes Kind! O drück' es an dein Herz,
Und such' die Spuren des entschwundnen Lebens;
Du weißt ja doch in Deinem heil'gen Schmerz,
Es sei die Bürgschaft göttlichen Vergebens.

Ich aber spreche: Stirb, du müder Leib,
Und leicht und schön mag dir das Sterben werden —
Die Mutterschaft tilgt alle Schuld am Weib,
Die Mütter nur sind Heilige auf Erden.

Ein Atheist

I.
Auf dem feurigen
Grat des Gebirges
Stand ein Jüngling-Wanderer,
Und schüttelte von den Füßen
Den Staub des unendlichen Weges,
Denn ruh'n wollt' er und rasten
Im Dorf, das ihn geboren.
Abend war's,
Die Zeit, wo der Weltgeist
In Flammen umtauft seine schöne sündige
Tochter: die Erde.
Abend war's!
Zwischen Erd' und Himmel
Schwamm aus Wolken erbaut ein Eiland,
Ein fliegendes Eden,
Mit Zinnen von feurigem Schnee
Und Palmen von Sonnenstrahlen,
Zu dem die Seele,
Die Glutentrunkene
Zog, wie die seltsame
Schwalbe des Orients,
Die das gewürzduftende Nest
Abendlich heimsucht.
Im Anschau'n des jungen,
Herrlichen Sonnengotts
War die Erde versunken;
Eine vollbusige Jungfrau
Bebt sie zusammen
Vor dem Wunder eigener Schönheit.
Und durch das tonlose
Herz des Wanderers
Ging gebet-flüsternde Andacht,
Und langsam sprach er:
Seele der Welt,
Puls in den Adern des Lebens,
Die du an Faden des Lichts
Welten anreihst, wie Perlen am Rosenkranz
Ein Mädchen,
Geist, der die Geister
Alle durchgeistet, Leben
In allen Fluten des Lebens,
Seele, in der die Seelen Verstorbener
Vom ersten Tag an
Sicher gehütet träumen,
Du Morgenrot, du Abendherrlichkeit,
Die Alles vergoldet,
Selbst des guten Galiläers
Nageldurchbortes,
Leidenentstelltes
Bild am Scheideweg,
Dich tempellosen Gott
Nicht zu verehren
Durch Fasten und Kniebeugung,
Nur durch die Tat erlösender Güte,
Dich will ich predigen, tragen
In jenes Heimatsdorf, das zusammengerollt
Wie ein Schlänglein liegt am Felsgestein,
Daß die tausend Herzen, die geknechtet
In Frondienst und Sklavenarbeit,
An's Herz sich stürzen
Und jauchzend begrüßen
Das Brüdertum
Aller Kinder der Erde!

II.
Still war die Kirche, herab von der Kanzel
Sprach der giftgelbe Pfaffe
Von den Dornen und Pfeilen der Märtyrer,
Von den Martern des Höllenfeuers
Und vom Vermessen des Menschengeistes,
Der die breiten Schwingen schüttelt,
Ein Adler.
Und auf den Jüngling blickt er hernieder,
Der die Jugend oft in Sommerabenden
Geführt auf die Spitze des Gebirges
Und zu ihr gesprochen vom Geiste,
Den man verehrt
Ohne Schrift und Zeichen.
Und lauter stets seine Rede schwoll:
Wehe, wehe über das Haupt
Des Verfallenen,
Des Abtrünnigen!
Verloren die Taufe des Heils
Und der Tränen
An der Seele des Gottverlassenen.
Wehe, wehe!
Von dir kehren sich ab
Die Angesichter der Frommen,
In ihren Gräbern regen sich
Über dich wehrufend
Die Gebeine deiner Väter;
Aus ihrem Grabe erhebt sich
Des Nachts im Mondschein
Die Knochenhand deiner Mutter
Und verflucht dich, den sie geboren;
Atheist, Atheist!

In die schmetternde
Stimme des Priesters
Schnitt ein gellender Schrei,
Vor dem letzten Betstuhle lag,
Die Stirn auf den Steinen,
Blutend, verblutend,
Eine blasse Rose,
Ein Mädchen!
Durch die verzagenden
Reihen der Gläubigen
Schritt der Verfluchte,
Drückte auf die blassen,
Zuckenden Lippen des Kindes
Den ersten Kuß und den letzten,
Und ging an den Gräbern vorbei
Durch den blühenden,
Singenden Frühling
Im Hain der Verwesung,
Zum Dorfe hinaus, das ihn geboren,
Mit brechendem, gebrochenem Herzen
Weiter und weiter!

Das Kind des Armen

Du schönes Kind, du Kind des Armen,
Mit blauen Augen fromm und froh,
Du blickst wie göttliches Erbarmen
Herab von deinem Bett von Stroh.

Du kommst von Gott! Wohlan, verkünde,
Denn wir verzweifeln in der Not:
Schafft Gott die Schönheit für die Sünde,
Schafft er das Leben für den Tod?

Eine Poetennatur

Als er ein Knabe, war,
Mit Locken blond und kraus,
Da floh er täglich fort
Aus seiner Eltern Haus,
Und zog in's Waldgebirg
Auf unwegsamem Pfad,
Den nur der scheue Fuß
Des wunden Wilds betrat.

Ob er die Lämmer sucht,
Die sich im Hag verirrt?
Ob er der Taube lauscht,
Die in den Wipfeln girrt?
Ich weiß es nicht, auch ist
Nicht Einer, der's erfuhr —
Wer Geisterpfade geht,
Den finden Geister nur.

Der Vater schlug ein Kreuz,
Die alte Mutter sann,
Bis Trän' auf Träne heiß
Ihr in's Gebetbuch rann.
Sie saß so bleich vor Angst
Des Nachts bei ihrem Herd,
Da kam der Knabe aus
Dem Wald zurückgekehrt.

Die Rehlein folgten ihm
Wie fromme Hunde nach,
Sie leckten ihm die Hand
Und wußten, was er sprach.
Und gab er ihnen leis
Ein seltsam Abschiedswort,
Dann schlich die ganze Schar
Zu ihrem Dickicht fort.

Zum Herde setzt' er sich.
Da sprach er lang' und bang'
Vom unterird'schen Quell
Und seinem Wundersang,
Vom Lilienkelch, der fern
Im blauen Teiche schwimmt.
Vom Glutkarfunkel, der
In dunkler Höhle glimmt.

Die Mandragora, tief
Im Felsenriß versteckt —
Die Schlangenkönigin,
Bekrönt und buntgefleckt —
Er kennt sie nur zu gut,
Kein Spuk erschreckt ihn mehr;
Wo hat der junge Knab'
Die tollen Märchen her?

Ein müder Wandrer saß
Ich einst zu trauter Rast
Des Nachts in jenem Haus
Bei Brot und Trank zu Gast,
Da kam der blonde Knab',
Verworren Haar und Blick,
Von seinem Wandelgang
Im Waldesgrund zurück.

Er sprach: O kennt' ich doch
Das wunderbare Weib,
Das hoch auf schwarzem Hengst
Zu stolzem Zeitvertreib,
Das Silberhorn zur Seit,
Den Falken auf der Faust,
Tagtäglich durch den Forst
Im tollen Ritte braust!

Wie rauscht ihr Kleid! Doch dort,
Wo die Kapelle steht,
Springt sie vom Pferd herab
Und spricht ein leis Gebet.
Derweilen grast der Rapp,
Der zahme Falke schreit,
Sein greller Ton erstirbt
In der Waldeinsamkeit.

Einsiedels Glöcklein tönt
Aus ferner grüner Nacht —
Aus ihres Betens Traum
Das schöne Weib erwacht;
Sie steigt zu Pferd — sie stößt
In's Horn — o Harmonie! . . .
Ich sprach: mein Freund, das war
Die deutsche Poesie.
***
Ich sah ihn drauf als Mann
Wie seine Locken wehten —
Die Augen dunkelbraun —
Auflodernde Kometen.
Auf weißer Marmorstirn
In wirren Glutbuchstaben
Das Mal des Märtyrers
Des Liedes eingegraben!

Er nannte die Natur,
In seiner Rede Chaos,
Ein Weib — so schön und falsch,
Wie das des Menelaos,
Sprach von Gedanken, die,
Mit Worten nicht zu nennen,
Im armen Menschenhirn
Wie rote Kohlen brennen!

Und milder ward er dann.
Von seinen Lippen kamen
Die Worte: Gott und Geist —
Dann süße Mädchennamen.
Nun ist er tot. Er ruht
In ungeweihter Erde.
Das Andre wißt ihr. Fleht,
Daß ihm vergeben werde.

Vision

Mein Herz ist wund, es schmerzen meine Augen,
Die all' das Graun der Schattenwelt gesehn,
O diese Träume, die mein Herzblut saugen,
O laß sie, Herr, an mir vorüber gehn!

Ich stand im Pantheon; mit blauem Feuer
Durchschnitt ein Blitz das nächtig dunkle Schiff.
Die Säulen bebten, Saiten einer Leier,
In die die Hand von einem Dämon griff.

Die Glocken sprachen in den Türmen droben,
Aus dunkler Tiefe sang ein Geisterchor,
Die Gräber kreisten, und Gespenster hoben
Sich aus den Särgen still und ernst empor.

Es waren lauter herrliche Gestalten
Mit hohen Stirnen, drauf manch Mal geprägt,
Gehüllt in lange, weiße Bahrtuchfalten,
Wie man sie einst zur Ruh' hineingelegt.

Betrogne Freier, Gaste beim Gelage
Der ewigen Penelope: der Zeit,
Die all' das Weben ihrer großen Tage
In Nächten wieder der Vernichtung weiht.

Unselige Opfer, Volk, auf dessen bleichen
Entfärbten Lippen noch ein Ton Gesang,
Zerschmettert von des Schicksalswagens Speichen,
Da sie beschleun'gen wollten seinen Gang.

Columbe, die ihr Eiland nie gefunden,
Märtyrer, die verblutet unerkannt,
Poeten, deren Wort die Nacht umwunden,
Propheten, deren Wort nie Glauben fand.

Kurz, arme Schemen, die für ihre Wunden
Auch nicht in ihres Grabes Einsamkeit
Den blutstromstillenden Verband gefunden,
Das graue Spinngeweb': Vergessenheit.

Kurz, armes Volk, vergessen, nutzlos, elend,
Wie es ein Schiffbruch wirft an's Küstenland,
Die Arme aufwärts hebend und verhehlend
Den nackten Leib mit modrigem Gewand.

Sie fragten All' den Gott im Himmel droben,
Ob er sie ohne Zweck zur Pein berief?
Sie forderten Ersatz mit lautem Toben,
Und — sanken rücklings in die Gräber tief.

Erkenntnis

Ich stand am Abhang einer Felsenwand,
Die Alpenrose mit dem Fuß zertretend;
Tief unter mir ein sommergrünes Land,
In zwanzig Sonntagsmorgenglocken betend.

Das war so still! der starre Felsen trug
Sein niedres Hüttlein auf umzaunter Erde,
Im Tale tiefer unten ging der Pflug,
Am Bergesabhang zogen Hirt und Herde.

Ich hatte aller Städte Not geschaut,
Nun ward ich still beim Herdeglockenklingen,
In meinem Zweiflerherzen rief es laut:
O horch! so fröhlich kann die Armut singen!

Auch hier ist Armut! Ihre Träne tauft
Den Säugling für die Welt, die endlos böse;
Doch ist sie hier kein Weib, das sich verkauft,
Sie ist ein Kind und arglos ihrer Blöße.

Und ich verstand, daß fröhlich, fromm und gut
Die vielgeprüfte Menschheit dann nur werde,
Wenn sie in seligem Vergessen ruht
Bei Müh' und Arbeit an der Brust der Erde.

Zwei Räuber

Zwei Tannen blicken schaurend
Tief in den Grund hinein,
Zwei Räuber sitzen kauernd
Auf hartem Bett von Stein.
Zu ihren Füßen ruhten
Gebirg im weiten Raum
In irren Morgengluten —
Still war es, wie im Traum.

Zum Jungen sprach der Greise:
Hörst du aus Taleskluft
Die frommen Glöcklein leise
Hertönen durch die Luft?
Die Frommen müssen beten
In Fast' und Gottes Fron,
Wirst nie zu ihnen treten
Mein froher, freier Sohn.

Still bleibt des Jüngern Brüten
Und wieder spricht der Greis:
Wie sie die Äcker hüten
In Sklavennot und Schweiß.
Blut klebt an ihren Schollen
Auf deinem Alpenpfad,
Wie darfst du ihnen grollen,
Mein freier Kamerad!

Der Junge brütet schweigend
Und wieder spricht der Mann:
Ein Hochzeitszug zieht geigend
Das grüne Tal hinan.
Bei Knechten herrschen Weiber,
Feig wird das Herz und schwer,
Du bleibst ein freier Räuber,
Kein Weib betrügt dich mehr.

Der Alte ruft: Wir leben
So froh, daß Gott erbarm,
Des Jüngern Fäuste beben,
Es zuckt sein starker Arm.
Sein Auge flammet nächtig:
So schweig einmal, du Hund!
Mit einem Faustschlag mächtig
Wirft er ihn in den Grund.

Die Schmiede

Wunderbarer Dämmrungsfriede
War es, der die Erd' umfing,
Als ich jüngst, an einer Schmiede
Geisterstill vorüberging.

Drinnen, bei des Feuers Helle
Schlug der Schmied sein sprühend Erz,
Draußen auf der niedern Schwelle
Schloß sein Weib ihr Kind an's Herz.

Solches schauend dacht' ich trübe
An mein Leben wilder Hast,
Reich an Kampf und arm an Liebe
Ohne Ruh und Vesperrast!

Und zum Weibe sprach ich bange:
Blühe fort, so schön und gut,
Die mich anstarrst, weil so lange
Schon mein Blick auf dir geruht.

Hältst dein süßes Kind geborgen
Drückst es an dein Angesicht,
Wie du schön in deinen Sorgen,
Junge Mutter, ahnst du, nicht.

Sauge nun an deinen Brüsten
Deine Söhne rauh und stark
Und kein kränkliches Gelüsten
Treffe ihr gesundes Mark,

Daß sie nie die Seuchen kennen
Die im Triumphatorston
Böse oder Toren nennen:
Bildung, Zivilisation.

Aber du mein Schmied vollbringe,
Was das Schicksal dir gebot,
Und mit Armeskräften ringe
Täglich um dein täglich Brot.

Schmied' an deinem roten Herde
Für der armen Menschheit Wohl
Deine Pflugschar, uns'rer Erde
Schönstes, heiligstes Symbol!