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VII.
Trümmer

 

Nach einer Zeit der Schmerzen
Nun kommt der Lenz
Wo auf dem Berg die öde Kirche
O daß mein Lied gefehmt nun
Wie stumm mein Vaterland
 


I.
Nach einer Zeit der Schmerzen

Nach einer Zeit der Schmerzen
Tret' ich hinaus in das erwachte Land,
Durch dessen saatenwogendes Gefild
Der Strom hinzieht sein blitzend Silberband.
Der Frühling spricht: geh hin durch Flur und Hain
Und freue dich an Gottes Sonnenschein.

Ich mich erfreu'n am Frieden dieser Au'n?
Mein trauernd Herz wird nimmermehr gesund,
Kann ich des Frühlings lichte Blüten schau'n
Mit einem Auge, das noch tränenwund?
Vom Kerkerfieber zittert noch die Hand,
Noch fühlt der Arm sein schweres Kettenband.

Der Frühling spricht, "weckt nicht mein frischer Quell
Dir andre Quellen in der starren Brust,
Wasch dir am Strom dein wundes Auge hell,
Schon singt der Wald in junger Frühlingslust,
Nur Schnee im Felsgeklüfte ist dein Schmerz,
Versuch es neu zu leben, armes Herz!"

O Chorgesang voll wunderbarer Macht,
O ernster Geist, der mir das Herz erfüllt,
O junger Frühling, der in Rosenpracht,
Des toten Lebens Schutt und Trümmer hüllt,
Ich fühle dich, ich fasse deinen Sinn,
Und bin beglückt, ob ich auch einsam bin.

Ich segne jede Schwalbe in der Luft,
Und jeden Rosenbusch im stillen Tal,
Und jeder Tauber, der sein Treulieb ruft,
Und jede Lerche hoch im Morgenstrahl,
Ich segne alles, was da still und laut,
Dem neuen Frühling glaubt, und ihm vertraut.

Wohlan, ich soll noch blaue Tage seh'n!
Aus Wolken streckt sich's vor wie eine Hand,
Auf morgenroten Bergen will ich geh'n,
Beim Frühlingslichte singen in das Land,
Und dieses Herz von Schuld und Irrsal schwer,
Ist in der Schöpfung Lied kein Mißton mehr.

II.
Nun kommt der Lenz

Nun kommt der Lenz, die frischen Quellen schäumen,
Es lockt der Wald uns in sein grünes Haus,
Und unter rosenhellen Apfelbäumen,
Wiegt sich verschämt der wilde Glockenstrauß.
Nun kommt der Lenz und wieder glaubt der Arme
An einen Gott, der sich der Welt erbarme.

Nun friert die Not nicht mehr bei kalten Kohlen,
Und sucht durch Schnee und Frost ihr karges Mahl,
Des Armen schöne blasse Kinder holen
Die rote Erdbeer aus dem Felsental,
Durch das zerrissne Strohdach jedes Armen,
Blickt mildes Licht wie göttliches Erbarmen.

Sah'st du den tauben, stummen Bettelknaben,
Im Winter barfuß ziehn in stillem Gram,
Mit seinem Glöcklein betteln kleine Gaben,
Mit seinem Glöcklein, das er nicht vernahm.
Nun liegt er schlummernd, lächelnd unter'm Baume,
Und hört des Himmels Glocken all im Traume.

O schöne Zeit! jetzt will ich träumend liegen
Am grünen Rain, aus dem die Quelle springt,
In's kühle Gras ein heißes Antlitz schmiegen,
Und horchen, wie so froh die Armut singt,
Und glauben will ich, ein paar kurze Stunden,
Daß ihren Retter diese Welt gefunden.

O daß er käme, jener Fürst der Liebe,
Der von dem Haupt die gold'ne Krone legt,
Und daß kein Herz verarmt und dürftig bliebe,
Den gold'nen Reif zu frommen Münzen prägt,
Der seinen Purpurmantel voll Erbarmen
Zu Windeln teilte für die Brut der Armen.

O daß er käme, mild wie dieser Abend,
Der gute Heiland einer kranken Zeit,
Die Nackten kleidend und die Durst'gen labend
Und spräche mild von Gottes Herrlichkeit,
Ein Spielmann, ernst und sanft, aus dessen Liede
Auf alle Menschen träufelte der Friede.

Ein schöner Traum! Er wird sich nicht erfüllen,
Doch blickt er schön aus rotem Dämmerlicht,
Es taugt, die Not der Erde zu verhüllen,
Die Blumenpracht von hundert Lenzen nicht,
Allein, so lang noch ird'sche Lenze dauern,
Wird der Poet mit den Enterbten trauern.

III.
Wo auf dem Berg die öde Kirche steht

Wo auf dem Berg die öde Kirche steht,
Zertrümmert, ohne Dach, verwaist und stumm,
Die weiten kalten Hallen ohn' Gebet,
Die Säulen blitzzerschmettert ringsherum —
Bei dem zerstörten Bau im Abendschein,
Sitz ich gar oft, verkümmert und allein.

Im ausgeraubten Kirchlein meiner Brust,
Ist auch der Andacht Orgelklang verhallt,
Die eingesunk'nen Gräber alter Lust,
Sie steh'n im Kreis herum so tot und kalt,
Doch durch die eingestürzte Kuppel bricht
Ein wunderbarer Strahl von Abendlicht.

Und eine Freude, die nicht weichen will,
Durchsummt das stille, blitzzerbroch'ne Haus,
Schlägt an die farb'gen Fenster geisterstill,
Und will nicht in die laute Welt hinaus,
Ein dunkler Falter ist's, ein Frühlingsgeist,
Der in des Herzens lichter Kirche kreist.

IV.
O daß mein Lied gefehmt nun und verbannt

O daß mein Lied gefehmt nun und verbannt,
Nicht pochen darf an meiner Heimattür,
Ein Fremdling ist im eig'nen Heimatland,
Ein obdachloser Fremdling für und für,
Ein fluchbelad'ner Sohn, der über'n Zaun,
Nur darf in seines Vaters Garten schau'n.

Wo hat die Heimat einen treuern Sohn?
Mein Herz gehört dem Vaterlande ganz,
In meinem Liede jeder Trauerton,
Klagt um verlor'ne Größe, toten Glanz! —
O daß mein Lied verfehmt nun und verbannt,
Ein Fremdling ist im eig'nen Vaterland!

Im Vaterland, im Vaterland allein
Singt einst der Quell mein wundes Herz zur Ruh,
Labt Gottes Lächeln mich im Sonnenschein,
Und deckt mit Blüten meinen Kummer zu.
Im Vaterland allein, im Vaterland
Labt mich der Druck von einer Bruderhand!

Doch Mut, und trage die Verbannung gern!
Geh leichtern Herzens deine harte Bahn,
Es kommt ein Tag und er ist nicht mehr fern,
Wo's kundig wird: uns trennt ein arger Wahn,
Wir haben, traun, im bösen Mißverstand,
Die treu'sten Herzen fern von uns gebannt.

O schöne Stunde, wo die Schranke bricht,
Wo heim die treue Schar Verbannter kehrt,
Mit freier Stirn und freiem Munde; nicht
Wie der verlorne Sohn zum Vaterherd,
Dann unter'm Freiheitsbaum setzt sich zur Rast
Mit andern Guten auch mein Lied zu Gast.

V.
Wie stumm mein Vaterland! Es flüstert kaum

Wie stumm mein Vaterland! Es flüstert kaum
Zum grauen Himmel, der darüber hängt,
Es zittert, wie ein winterlicher Baum
Die Äste aneinander festgedrängt,
Und ringsumher verhüllt der tiefe Schnee
Gefrornes Blut und eingesargtes Weh.

Dort singt der Dichter ohne Lohn und Dank,
Ein armer Gaukler seines Herzens Not,
Des Reichen Halle reicht ihm keinen Trank,
Des Armen Hütte keine Krume Brot.
Den Fuß im Schnee, das Haupt auf einem Stein,
In seines Kummers Mantel schläft er ein.

Was sollt' der Mann auch singen im Gedicht,
Da es ringsum, so kalt und leichenhaft!
Der Vorzeit Größe? Ach sie dulden's nicht!
Der Jetztzeit Schmach? Man straft's mit Kerkerhaft!
Um nicht zu singen seiner Mutter Hohn,
Legt auf den Mund die Hand der treue Sohn!