IX.
Versöhnung
Und so stand ich einst
Klagend, verzagend
In der tonlosen Nacht
Auf der erfrorenen Erde.
Ist das, fragte ich,
Die Erde,
Die der Schöpfer gesegnet
Mit seinen besten Gaben
Die er gut gefunden
In der törichten
Werkmeisterfreude
Des alten Mannes!
Kampf und Verzweiflung
Hab' ich gefunden,
Menschenwild
Gehetzt von Menschenhunden!
Wohin ich sehe,
In Staub geschmetterte
Hoffnungen der Dichter,
Herabgewetterte
Himmlische Lichter!
Was soll das Drängen
Der Menschengeschlechter,
Das Wimmern der Kleinen
Durch Nacht und Elend,
Das Streben der Hohen
Und Reinen,
Das sie nur führet
Zu Verzweiflung und Selbstmord!
Noch lassen die Fürsten nicht
Vom Wahne
Göttlicher Berechtigung.
Die Armut des Volkes
Bezahlt
Die brechenden Tafeln der Großen,
Den Krieg der Könige!
Was half
Das vergossene Blut
Aus den offenen Adern
Der souveränen Völker,
Was das Singen
Und Standartenschwingen
Der hohen Jugend
Für die heilige
Sache der Freiheit?!
In tausend Formen
Und tausend
Schaltet sie,
Waltet sie
Die uralte Tyrannei,
Als Szepter gebrauchend
Das eiserne Schwert,
Das hölzerne Kreuz,
Den goldklingenden Beutel.
Wohin mit den Fluten
Darbender Menschheit,
Wohin mit dem Schrecknis
Wachsender Armut?
Von den Thronen blicken
Die ratlosen Lenker
Und wünschen
Die Seuchen herbei
Aus den Höhlen Asiens,
Die blaulippige Pest
Und den schlangenlockigen Krieg
Daß sie die Erde reinigen
Säubern und reinigen
Vom unbequemen
Wimmelnden Geschlechte
Der Brotlosen,
Und wünschen den Mut sich
Des Kaisers Galeer,
Der die Bettler des Reiches
Ersaufen ließ
Im leinenen Sacke
Im Meer, im Meer!
Was habt ihr gewonnen,
Ihr Armen,
Im Lauf der Jahrhunderte
Unter den wechselnden
Zeichen der Herrschaft?
Statt des römischen Sklavenrings
Am Knöchel des Fußes
Gewonnen habt ihr
Die Kette des Hungers,
Die herrliche
Hungerfreiheit
Habt ihr gewonnen,
Nicht die Freiheit des Bettelns
An der Ecke der Straße,
Nicht die Freiheit zu sterben
Auf der Marmorschwelle
Des Reichtums.
So verfluchet
Den Schoß des Weibes,
Verfluchet den Himmel,
Der den Schoß des Weibes
Mit Schönheit gesegnet
Und Fruchtbarkeit.
Heiligt den Kindermord
Denn die Erde
Schwillt über
Von den Fluten
Anwachsender,
Ringender Menschheit.
So waren dem Weltgeist
Menschen und Völker
Nichts, als ringende Massen,
Die er leben und streben läßt,
Bis sie dahingegeben
Ihre frei'ste Kraft,
Ihre beste Jugend,
Wo er sie dann
Nächtlich,
Verächtlich
Stößt in die modernden
Senkgruben der Geschichte?
Und wär' es wahrhaftig
Das Wort meines Dämons,
Es sei keine Hoffnung,
Wie immer das Schicksal
Die Erde gestalte;
Die Menschheit sei da nur,
Daß aus Millionen
Sich das Einzle entfalte.
Warum erheben sich dann nicht
Die Millionen Enterbter
Und drücken nicht
Grimmig
Ein Schwert in die Hände,
Und fallen nicht an sich
In stummer Verzweiflung
Und enden nicht selber
Mit tragischen Waffen
Die ärmliche,
Erbärmliche
Komödie des Lebens?
So sprach ich,
So stand ich
Auf erfrorener Erde,
Zum Himmel sandt' ich
Einen bösen Fluch
Mit wilder Gebärde.
Und mich umrauscht es
Mit Fittigen des Sturmes,
Daß sich furchtsam
Die Seele
Barg in die innerste
Fiber des Herzens.
Mit Flammen schlug mich
Ein Dämon
Und trug mich,
Die Lüfte teilend
Mit starkem Gefieder
Eilend und eilend
Durch rauchende Lüfte,
Hoch über Grüfte
Und setzte auf einen
Hügel mich nieder.
Auf meine Augen legte er
Fünf Finger der Rechten
Und aus den Schatten wurden
Fünf traurige Nächte.
Die Nächte verträumt' ich,
Bis ich vermochte.
Das Auge zu öffnen
Dem Glanze der Lichter,
Dann wurde gelöst
Das traurige Siegel
Und ich sah um mich her
Mit dem Blicke der Dichter.
Wie Orgelsang hört' ich rauschen
Die Wälder zu meinen Füßen,
Die Ströme sah ich,
Die unabsehbaren Fluren,
Und das himmelspiegelnde Meer.
Und durch die Musik
In Lüften
Und Grüften
Sprach also der Dämon:
Sieh sie an die Erde,
Zweifelverlorener,
Noch ist sie schön!
Platz ist auf ihr
Von den Eismauern des Pols
Bis zu den glühenden
Gärten des Südens
Für Millionen
Ungeborener!
Kind eines Tages
Du leugnest den Fortschritt,
Den du nicht messen kannst
Mit deinem kleinen Leben,
Den du nicht
Sehen kannst
Mit deinem nüchternen Auge!
So leugne
Das Wachstum der Eiche,
Das du nicht stehest,
So leugne
Den Gang der Erde,
Den du nicht fühlst.
Die Armen beklagst du,
Doch schon zucken
Ihre Massen
Vom Blitze des Bewußtseins,
Als Mensch erkennt sich
Der getretene Wurm.
Unbesiegbar,
Unwiderstehlich
Schreitet es vor
Das heilige Werk,
Der Volksbefreiung,
Die Wiedereinsetzung
Der Menschenmajestät.
Nicht lang mehr betört man
Mit dem abgebrauchten
Schemen der Liebe
Die ringende Welt;
Die Völker erheben sich
Lauter und lauter
Und fordern ihr Recht.
Da wird nicht lang mehr
Das Schwert der Gewalt
Herabzieh'n
Die Waage der Gerechtigkeit,
Da sagt man
Nicht lange mehr
Zu den Dürstenden:
Trinkt eure Tränen,
Zu den Hungernden
Esset die Krumen
Von unsern Tafeln.
Da bluten
Nicht lange mehr
Die Völker
Für die Könige,
Die den Krieg,
Den geflügelten Wolf
Hinhetzen
Über die Herden der Völker.
An das klopfende
Herz ihres Volkes
Legen die Dichter
Ihr lauschendes Ohr
Und hören sie rauschen
Von ferne
Die Taufbronnen des neuen Heiles,
Die Jordansströme
Der neuen Zeit.
Nicht an die Weisen
Und Schriftgelehrten,
An die Männer
Von Weihwasser und Weihrauch,
Wendet um Rat sich
Die neue Menschheit;
Es lehret als Priester
Der neuen Zeit
Der Sohn des Volks
Im schlichten Gewande.
Nicht darum,
Daß sie den Einzlen gebäre,
Lebt und ringt die Menschheit.
Eins ist die Menschheit,
Ein Herz
Über Meere hin
Den Riesenpulsschlag schleudernd,
Ein Geist
In Millionen Geistern
Ringend zur Kraft,
In Millionen Nervenfasern
Fühlend
Unrecht und Gerechtigkeit,
Ein Mensch ist die Menschheit!
Und sie wird kommen
Die Zeit der Verheißung,
Wo vor dem Geiste
Hinstürzen
Alle fremden Mächte,
Wo alle bauen,
Die Größten,
Wie die Kleinsten,
Am Baue dieser Welt.
Schon ergießt sich der Geist
Auf die Ärmsten und Geringsten.
Es nahet, es nahet
Der neuen Erkenntnis;
Verheißenes Pfingsten.
An alle lautet
Das alte Evangelium
In neuer Gestaltung,
Dann erhebt sich
Die Menschheit,
Ein Messias,
Ein Gott in der Entfaltung.
Du aber, heiliger,
Als Kreuz und Schwert
Uraltes,
Symbol der geistbeschatteten Erde
Eiserne Pflugschar!
Ein Zeichen
Bleibst du
Inniger Verehrung
Und wenn er nahet
In tausend Jahren
Und tausend
Der neue Heiland,
Der brechen wird
Die Erbschaft von Sünd und Not,
Der da sprechen wird
Von der Teilung
Der Arbeit,
Der brüderlich gleichmäßigen
Für alle
Kinder der Erde,
Dann wirst du dich erheben,
Strahlend,
Rosenbekränzt
Schöner selbst
Als das alte
Christliche Kreuz.